Mein Leben verlief genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Behütete Kindheit, Schulabschluss, duales Studium, einen liebevollen Mann, ein gemeinsames Zuhause und dann war er da – der positive Schwangerschaftstest! Die Krönung meines Traums vom Leben, den ich mir als junges Mädchen immer gewünscht hatte.
Es folgte die Bestätigung durch meine Frauenärztin und die nicht in Worte zu fassende Freude wuchs stetig. Da fiel es schon schwer, die ersten zwölf Schwangerschaftswochen nichts zu verraten. Aber dafür hatten mein Mann und ich uns bewusst entschieden. Zu oft und zu nah hatten wir schon miterlebt, dass das Glück plötzlich in dieser kritischen Phase von der Natur ausgebremst wurde.
Doch irgendwann war auch diese Wartezeit überstanden und wir teilten unser Glück mit jedem, der es hören wollte (oder auch nicht). Für zwei Wochen.
Denn dann stand unser Leben plötzlich Kopf! Blutungen!
Der Schock, die Fahrt mit dem Krankenwagen und die nicht enden wollende Stunde des Wartens, bis wir endlich wussten was Sache ist, werde ich nie vergessen. Wir hatten Glück. Das „Baby“, denn das war es für uns auch in diesem Stadium der Schwangerschaft und nicht bloß ein „Fötus“, lebte. „Plazenta praevia“ lautete die Diagnose, ein paar Tage Krankenhaus, zwei Wochen schonen und dann sollte alles wieder ganz normal weiterlaufen, so die Prognose des Arztes.
Doch es kam anders. Aus ein paar Tagen wurden drei Monate stationärer Krankenhausaufenthalt. Außer Duschen, Toilette und ab und an ein paar Spazierfahrten im Rollstuhl war Liegen angesagt. Aber das war nicht das Problem. Das Problem war die Angst, die ständigen nicht enden-wollenden Komplikationen, das „wir können nichts sagen“ der Ärzte. Es brachte mich nahezu an meine Belastungsgrenze.
Aussagen wie „Ihr seid doch jung und habt noch Zeit für ein Baby“ oder „Du musst dich auch mal mit dem Gedanken beschäftigen, dass das Baby es nicht schafft“ trafen mich mitten ins Herz. Nein, ich wollte, dass dieses Baby lebt und dafür wollte ich alles in meiner Macht stehende tun. Nur leider stand ganz im Gegensatz zu meinem bisherigen Leben nicht wirklich viel in meiner Macht.
Aber wir hielten weiter durch. Den Tag in der 17. Schwangerschaftswoche, an dem ich wegen eines möglichen Abbruchs kein Abendessen mehr bekam überstanden wir genauso wie die letzten beiden Wochen vor der Geburt, in denen ich jeden Morgen nüchtern zum Ultraschall erscheinen musste und immer wieder neu entschieden wurde, ob wir es noch einen Tag oder ein paar Stunden hinauszögern konnten.
Dann traten eines Nachts erneut Komplikationen auf und es war besiegelt. In aller Ruhe sollte die Morgenschicht den Kaiserschnitt vorbereiten. Im Ultraschall dann die Überraschung: unser Baby, das seit Wochen (nur noch mit einem Hauch von Fruchtwasser) quer gelegen hatte, was einen T-Kaiserschnitt bedeutete, hatte sich gedreht. Für mich war es wie ein Zeichen! Und dann wurde es doch noch ein Wettlauf mit der Zeit. Im CTG fielen die Herztöne immer wieder ab. Hektik kam auf. Ich hatte Panik. Nein, das durfte nicht sein. Wir hatten es so lange geschafft. Jetzt durfte es nicht daran scheitern, dass die Geburt vielleicht zeitlich etwas zu spät stattfand.
Doch die Ärzte gaben alles und es reichte. Mit 30,5 cm und gerade mal 570 Gramm erblickte unser Sohn mit 27+2 Schwangerschaftswochen das Licht der Welt.
Und von mir fiel alles ab. Mein Körper und ich hatten alles getan, was möglich war. Und trotzdem war es viel zu wenig, so jedenfalls mein Gefühl.
Nun lag dieses wirklich zarte kleine Menschenkind, das sich eigentlich in meinem Bauch noch wochenlang gemütlich hätte ausruhen sollen, dort ganz allein. Voller Kabel und Schläuche. Ich denke, man muss nicht groß erklären, was das für eine Mama bedeutet.
Angefeuert durch die Hormone, die eine Geburt so mit sich bringt, konnte ich nur noch eins – weinen, weinen, weinen und doch war da immer das unendliche Glück und die Hoffnung auf die gemeinsame Zukunft.
Es folgten Wochen des Aufs und Abs. Jede Bradykardie versetzte mich in Panik und ich dachte, mein Kind stirbt. Dann kam es zu Infektionen. Tage, an denen man sich von den Ärzten einen kleinen Hoffnungsschimmer erhoffte und doch nur hörte „wir müssen abwarten“. Sich am Abend von seinem Baby verabschieden zu müssen und nicht zu wissen, ob man es jemals lebend wiedersehen würde, war der pure Horror.
Aber wir hatten sehr großes Glück. Vielleicht der Sechser im Lotto, wie ein Arzt uns damals sagte. Von all den typischen Komplikationen, die gerade Extrem-Frühchen, bekommen konnten, blieben wir verschont. Unser Sohn kämpfte was das Zeug hielt! Und nach zehn Wochen konnte er alleine atmen, seine Nahrung aus der Flasche trinken und der große Tag war da: Wir durften alle zusammen nach Hause!
Das war super schön, aufregend und beängstigend zugleich. Bislang hatte mir doch immer der Monitor gezeigt, ob es meinem Kind gut ging. Würde ich es bemerken, wenn etwas nicht stimmte? Ich musste erst lernen, mit der Situation umzugehen und sie einzuschätzen, meinem Mamainstinkt zu vertrauen und die Angst war zu Beginn nach wie vor mein treuer Begleiter. Die letzten Monate hatten uns alle geprägt und der Weg in ein „normales“ Leben war gar nicht so einfach. Doch die Zeit half uns dabei und unser Sohn entwickelte sich, zwar etwas langsamer als ein reif geborenes Baby, zu einem kleinen fröhlichen Jungen.
Heute bemerkt man seine Frühgeburtlichkeit nur noch daran, dass er zu klein und zu leicht für sein Alter ist. Und an den Fragen, die er hierzu stellt. Von Anfang an haben wir uns dazu entschieden, offen mit diesem Thema umzugehen. So begann sein Leben und das haben wir in seinem Babyfotoalbum auch festgehalten.
Als unser Sohn fünf Jahre alt wurde häuften sich die Fragen zu seiner Geburt. So sehen doch keine Babys aus. Zumindest nicht die Babys, die er bisher kannte. Und was machten die ganzen Kabel und Schläuche an seinem Körper?
Uns war es wichtig, dieses Thema kindgerecht mit ihm aufzuarbeiten. Deshalb sahen wir uns nach geeigneter Kinderliteratur zu diesem Thema um. Doch das, was wir suchten, fanden wir nicht.
Im Nachhinein betrachtet war es auch für mich so etwas wie Verarbeitung des Erlebten, denn ich setzte mich hin uns schrieb für meinen Sohn (und für meine Tochter, die drei Jahre später ebenfalls als Frühchen zur Welt kam) ein Kinderbuch nach meinen Vorstellungen. Neben der Schwangerschaft und Geburt wird das Leben auf der Intensivstation mit seinen Fachbegriffen im Detail dargestellt und kindgerecht erklärt. Aber was mir ganz besonders wichtig war: Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf der Gefühlswelt und warum Frühchen etwas ganz Besonderes sind und bleiben!
Mit der Veröffentlichung des Buches „Gekämpft! Geschafft! Niklas erklärt die Frühchen-Welt“ geht für mich ein großer Traum in Erfüllung. Der Traum, den Kindern, die zu Beginn ihres Lebens schon so kämpfen mussten, zumindest bei der Aufarbeitung ein bisschen zu helfen.