Ihr Lieben, unsere Leserin hatte uns auf Instagram geschrieben und angeboten, ihre Gedanken zu ihrer neuen Situation zu teilen. Denn plötzlich ist da eine Fernbeziehung! Ihr Mann wird ab sofort für elf Monate von Montag bis Freitag in einer anderen Stadt circa 3 Stunden entfernt wohnen und arbeiten. Sie ist nun also im Alltag zu Hause mit den drei Kindern und dem Hund allein. Sie reduziert ihre Erwerbstätigkeit bzw. wird nicht wie geplant deutlich mehr arbeiten. Für sie fühlt sich das an wie eine Rolle rückwärts in Sachen Gleichberechtigung.
Ich stelle uns mal kurz vor: Ich bin Sonja, 44, Krankenschwester, seit vier Jahren selbstständig als Alltagshelferin für SeniorInnen. Mein Mann ist 48, wir sind seit 20 Jahren verheiratet. Er ist leitender Angestellter. Mein ältester Sohn, 18, ist Berufsfachschüler und macht eine Ausbildung (hat keine Lust auf seine Berufsfachschule, hat seit fünf Jahren Schulprobleme, geht nur sehr unregelmäßig in die Schule, hat durch Corona verlernt was ein geregelter Schulalltag ist, was uns größte Sorgen bereitet, aber das ist ein anderes Thema). Meine Tochter ist 15 und ein pubertierendes liebes Mädchen. Mein kleinster Sohn ist 9, unser Nesthäkchen.
Wie unser Jahr begann: Ich hatte am 2. Januar begonnen, Bewerbungsunterlagen zu verschicken, da ich mich beruflich in ’25 verändern wollte. Ich wollte zurück in die Pflege, möglichst in eine Tagesklinik, freute mich auf KollegInnen, spezielle Pflege und eine neue Herausforderung nachdem die Kinder nun in vielen Dingen sehr selbstständig sind.
Als Frau in der Perimenopause suche ich neue Aufgaben, um mich mehr um mich zu kümmern. (Ich bin eine Mutter, die sich für alle aufgibt und sich selbst immer als letztes bedenkt. Dabei geht es mir nicht immer gut. Ich hatte 2018 ein Burnout). Am Tag meines ersten Vorstellungsgespräches im Januar 25, bekam nicht nur ich eine direkte Zusage, sondern am selben Tag unerwartet auch mein Mann (eine verdiente und lang erwartete) Beförderung.
An diesem Tag hatte ich das Gefühl, dass diese Beförderung eine Befreiung für uns ist, da sie uns finanziell besser dastehen lassen würde und mein Mann sie mehr als verdient hatte. Ich war sehr stolz und für mich war es erstmal die Lösung, da mein neuer Job neben schlechten Arbeitszeiten auch schlechte Bezahlung bedeutet hätte. (Ich habe im letzten Jahr mehrere Jobs ausgeschlagen, weil man mich mit 20 Jahren Berufserfahrung für 15€ /Std. brutto einstellen wollte.)
Die Beförderung für meinen Mann bedeutet aber, in einer anderen Stadt und leider nicht wie bisher in der näheren Umgebung zu arbeiten (sowie drei Tage im Home-Office). Solch eine Beförderung auszuschlagen wäre fast undenkbar, denn wenn überall Stellen gestrichen werden. sollte man Chancen nutzen. Also überlegten wir, sprachen mit den Kindern und stimmten dann dem Ganzen zu.
Rolle rückwärts durch Fernbeziehung?
In den nächsten Wochen, bis zum Zeitpunkt des Arbeitsbeginns kamen in mir jedoch immer mehr Ängste, Sorgen und Zweifel. Wie schaffe ich als Mutter diese Situation? Was passiert mit uns als Eltern? Wie läuft es mit der Erziehung der Kinder, wenn der Papa nur am Wochenende da ist. Was macht es mit uns als Paar? Wir haben uns schon in den letzten Jahren kaum Zeit für uns genommen.
Und was macht es mit mir als Sonja? Mache ich als Frau eine Rolle rückwärts?! Ich gehe nicht vorwärts in meinem Beruf, sondern als quasi Vollzeit-Mama zurück an den Herd. Für die Kinder und meinen Mann. Und wo bleibe ich? Ich bin traurig, teilweise wütend, teilweise nur frustriert. Da sind Ängste und Sorgen, wie ich das alles alleine schaffen soll.
Schon bevor mein Mann die neue Stelle beginnt, bekommt er viel positives Feedback und Anerkennung von Kollegen, in der Familie und bei Freunden. Er bekommt neue Aufgaben wird schon in neue Teams eingeführt usw.. Ihm glüht abends der Kopf, während ich mich mit Haushalts- und Familienorga und den Sorgen um die Zukunft teilweise überfordert fühle…. aber auf der anderen Seite hätte ich gerne auch so einen glühenden Kopf hätte voll neuer Aufgaben und Perspektiven.
Ich wollte zurück in den Beruf, um mich geistig zu fördern, neue Perspektiven aufzubauen, ich wollte die Veränderung für mich. Im Moment ist es schwierig, mit meinem Mann zu sprechen und meine Ängste und Sorgen zu teilen. Deswegen rede ich viel mit Freundinnen. Sie verstehen mich gut.
Mein Mann sagt, ich solle zuversichtlich sein und weiter einen neuen Job für mich suchen… was mich total überfordert und ich sehe momentan eben auch keine Möglichkeit. Meine möglichen Arbeitszeiten machen eine Einarbeit quasi nirgends möglich. Der Sonntagabend, an dem mein Mann das erste Mal wegfährt, kommt. Er steht kurz bevor.

Mein 9Jähriger verabschiedet sich fröhlich. Beim zu Bett gehen später ist er sehr traurig, vermisst den Papa jetzt schon. Ich bin auch sehr traurig, versuche, ihn trotz Tränen in meinen Augen zu trösten. Er schläft erst sehr spät ein. Mir ist klar, dass er am nächsten Tag nicht in die Schule gehen wird. Plötzlich hat er auch noch Zahnschmerzen. Wir haben eine sehr unruhige Nacht.
Der erste Morgen ohne meinen Mann ist auch der erste Schultag nach den Ferien. Meine Tochter steht auf und macht sich fertig für die Schule, wie üblich. Mein großer Sohn schafft es wieder nicht, sich aus dem Bett zu quälen. Ich versuche, ihn zu überreden, diskutiere, ärgere mich, bin traurig, voller Sorge… wieder geht er nicht in die Schule. Der Hund bricht auf seine Decke, ich habe Tränen in den Augen aus Zorn und Verzweiflung.
Meinen kleinen Sohn lasse ich schlafen. Es ist 7.15 Uhr. Ich möchte zurück ins Bett, den Kopf unter die Decke stecken. Ich habe heute frei, um meinen Haushalt zu machen. Als der Kleine irgendwann aufwacht, klagt er weiterhin über Zahnschmerzen. Ich versuche ihn zu trösten und bin selbst so traurig.
Am Nachmittag wird dem Kleinen der Zahn gezogen, zu viel Karies im Milchzahn. Die Ärztin spricht aus, was sie vorhat und ich sitze mit Tränen in den Augen auf dem Stuhl. Ich sage ihr, heute ist nicht mein Tag, das ist nur der Tropfen auf den heißen Stein. Wir gehen mit dem Zahn in der Dose nach Hause und trösten uns gegenseitig. Mein Mann ist weg.
Was macht diese Trennung auf Zeit? Das hatten wir in unserem Leben so nie geplant. Warum müssen wir das tun für eine finanzielle Erleichterung? Wir haben ein Neubau-Reihenhaus gekauft vor 15 Jahren. Wir zahlen Kredite ab. Wir wollen in den Urlaub gehen.
Als Krankenschwester verdient man nicht viel, also müssen wir das zusätzliche das Geld einfach annehmen und da durch. Doch ich merke schon jetzt an diesem ersten Tag, wie alles auf meinem Rücken und auf meinen Schultern lastet. Beim Schreiben dieser Zeilen laufen die Tränen.
Am Abend packt meine Tochter für die Klassenfahrt. Sie fährt am Dienstag für eine Woche nach Berlin. Ich freue mich für sie. Aber sie ist die größte Hilfe zu Hause, sie geht gerne mit dem Hund nach der Schule. Den Kleinen bringe ich ins Bett, gebe ihm Schmerzmittel und einem Eispack.
Ich telefoniere 3 Minuten mit meinem Mann… der Kleine kommt die Treppe runter, weil er nicht einschlafen kann. Also lege mich um 20.30 Uhr mit ihm ins Bett. Ich schlafe sofort ein, bin erschöpft, müde traurig.
Der zweite Tag. Meine Tochter wird früh abgeholt und zum Zug gebracht. Mein großer Sohn steht auf und geht in die Schule. Ich schreibe ihm eine Postkarte, wie stolz ich bin und dass ich an ihn glaube und dass es sich lohnt, dass er in die Schule geht. Er nimmt sein Pausenbrot und die Postkarte und grinst… schon wieder hab ich Tränen in den Augen.
Ich wecke den Kleinen. Er klagt über Schmerzen die Backe ist dick. Ich bringe ihm Eis und Schmerzmittel. Schnell ist klar, auch heute wird er nicht in die Schule gehen., auch heute wird mein Tag nicht laufen wie geplant. Zum Glück hab ich die Oma, aber trotzdem werden viele Dinge nicht so klappen, wie ich es geplant hatte. Ja, so ist das Leben mit Kindern immer aber bisher hatte ich den Papa der auch da war wenn möglich oder notwendig.
Mein Mann schreibt eine Nachricht fragt, wie es mir geht. Ich antworte nicht. Ein Teil in mir ist sauer und neidisch, der andere Teil traurig. Wieder ist er dran. Wieder läuft es bei ihm super… so war es schon öfters in den letzten Jahren. Ob im Beruf oder beim Hobby. Er hat schon immer sehr viel gearbeitet, ich hatte die Kids. Hab meine Erwerbstätigkeit reduziert, weil es mit Schichtdienst in der Klinik so schwer vereinbar war. Heute nach 5 Jahren ohne Klinik fehlt es mir.
Wieder sind es die Männer, die mehr Chancen bekommen, die es leichter haben. Weil der männliche Chef nicht fragt, wie die Beförderung/Umzug mit der Familie vereinbar ist. Eine Bekannte sagt, ich solle es als Privileg sehen, so wenig erwerbstätig zu arbeiten. Ob es mich erfüllt? Nein! Muss ich es jetzt durchhalten? Ja, erstmal wohl schon und ich hoffe auf einen normalen 3. Tag alleine.

Und jetzt versuche ich länger als 3 Minuten mit meinem Mann zu telefonieren und versuche, das grollige Gefühl ihm gegenüber loszuwerden, wenn er mir vom neuen und spannenden Job erzählt, mir seine neue Bleibe zeigt, per Facetime. Alles befremdlich… seit 23 Jahren waren wir nicht länger als eine Woche getrennt. Jetzt führt einer ein anderes Leben. Das fühlt sich hart nach Trennung an, die eigentlich keine ist und sein soll…
Das Telefonat gestern Abend war 2 Sätze lang, dann stand der Kleine weinend auf der Treppe. Auch heute ist er nicht in der Schule. Ich habe aber bei der Gassi-Runde immerhin mit meinem Mann telefoniert. Auch er fühlt sich alleine in seinem neuen Zuhause. Wir freuen uns aufs Wochenende!
Ich hoffe, es wird bald ein neues normales Gefühl, dieser neue Alltag. Ich denke, es wird auch gute Tage geben und ich werde es schaffen, aber die Rolle rückwärts für mich, hier als Frau die nur zu Hause bleibt, war so nicht geplant.