Ihr Lieben, haben eure Eltern vor euch gestritten, als ihr Kinder wart? Und wie haltet ihr es mit eigenen Konflikten in der Familie, könnt ihr familienverträglich streiten? Christian Pröls-Geiger, der stellvertretende Leiter des Münchener Kinderschutzzentrums, der das Buch Hört auf zu streiten geschrieben hat, verrät uns, wie wir Konflikte familienverträglich gestalten können. Spannend, denn ich selbst halte Streit nur schwer aus…
Lieber Herr Pröls-Geiger, Sie sind stellvertretender Leiter des Münchener Kinderschutzzentrums, welcher Fall hat Sie zuletzt so beschäftigt, dass sie auch zu Hause noch dran denken mussten?
Zum Glück nehme ich so gut wie nie Fälle mit nach Hause. Aber klar manchmal denke ich schon über Familien nach. Oft geht es dabei aber eher darum, wie ich weiterarbeiten könnte, was sinnvolle nächste Schritte sein könnten. Meist sind das dann aktuelle Krisen, sehr komplexe Familiensituationen oder Familien, die für Kinder schwierige Situationen nicht wirklich anpacken.
In einem Seminar lernte ich mal, dass oft die, die am besten in der Gruppe funktionierten, die sind, die nicht vorrangig sich selbst im Blick haben, sondern die anderen. Die immer schauen, wie ihre Umgebung agiert, um dann darauf reagieren zu können. Weil zu Hause vielleicht ein Vater war, der bei Hunger immer ausrastete, sodass das Kind immer aufmerksam geschaut hat, dass der Papa genug Essen hatte…
Das ist eine interessante Hypothese an der bestimmt auch etwas dran ist. Denn viele Kinder lernen, in ihrer Herkunftsfamilie tatsächlich, dass die Bedürfnisse der anderen wichtiger sind als ihre eigenen. Oder sie lernen ihre Eltern besonders gut einzuschätzen, wenn von diesen Gefahr ausgehen kann. Ein Beispiel hierfür ist ein Elternteil der berichtete, dass er als Kind an der Art wie der eigene Vater die Treppe hinaufging, erkennen konnte, ob Prügel drohten oder nicht.
Für diese Kinder ist es wichtig ihre Eltern gut einschätzen zu können, um sich selbst zu schützen. Zum Glück gibt es aber auch Menschen, die einfach sehr sozial kompetent sind und in Gruppen auf Grund ihrer sozial-emotionale Intelligenz einen positiven Einfluss haben, oder die als Jugendliche viel in Ferienlagern mitgeholfen haben und so gelernt haben, was Gruppen gut tut.
Viele Kinder, um die Sie sich in Ihrem Zentrum kümmern, haben zu Hause viel Streit mitbekommen, was bleibt davon bei den Kindern hängen, inwiefern belastet es sie?
Streit ist vor allem dann schwierig, wenn er chronisch wird und ständig gegenwärtig ist. Zudem ist es für Kinder schwierig, wenn sie das Gefühl entwickeln für einen Elternteil Partei ergreifen zu müssen oder Eltern sie als Schiedsrichter oder in einer anderen Funktion instrumentalisieren und sie so in die Streitigkeiten einbeziehen. Außerdem kann man sagen, dass die Häufigkeit, die Schärfe und die Heftigkeit der Streitigkeiten auch auf die Kinder wirkt.
Werden Schimpfwörter benutzt, Elternteile abgewertet oder fliegen Gegenstände durch die Gegend, wirkt das natürlich bedrohlicher, als wenn man eher auf der Sachebene bleibt. Das bleibt dann natürlich bei den Kindern hängen, wie der der Ausspruch eines Jugendlichen zeigt: „Ich lebe auf einem Schlachtfeld!“ Das klingt martialischen, war in diesem Fall aber sehr gut nachvollziehbar. Für manche Kinder muss es aber gar nicht so weit eskalieren. Für sie wirkt eine lautstarke Auseinandersetzung schon bedrohlich.
Wie können Eltern ihre Streitmuster so verändern, dass Kinder nicht mehr allzu sehr unter den Spannungen leiden?
Da gibt es zum Glück mehrere Möglichkeiten. Hilfreich für die Kinder ist natürlich immer Eskalationen zu verhindern. Das gelingt zum Beispiel dadurch, dass man schwierige Thema dann anspricht, wenn man noch Zeit hat und sie emotional nicht gerade total brodeln. Sie also eher in ruhigeren Phasen angeht. Weiß man beispielsweise, dass es immer heiße Diskussionen darum gibt, wo und mit wem man die Weihnachtsfeiertage verbringt, ist es eben sinnvoll schon im Herbst mit der Planung zu beginnen.
Eine andere Möglichkeit, die manche Eltern gerne nutzen, ist schwierige Themen bei einem Spaziergang oder in einem Café zu besprechen, weil man sich in der Öffentlichkeit einfach noch mal anders benimmt als zu Hause. Zudem ist ein Zeichen für ein „Timeout“ vielen hilfreich. Dieses Zeichen kann man setzten, wenn man die Sorge hat, dass es gleich eskalieren oder den Kindern zu viel werden könnte. In diesem Fall zeigt man das vereinbarte „Timeout“-Zeichen und geht auseinander.
Wichtig ist, danach wieder auf einander zu zugehen und zu überlegen, wann man das Thema konstruktiver weiter besprechen kann. Aber oft genug reicht ja schon eine kleine Pause, um sich noch einmal darauf zu fokussieren, was man wirklich besprechen will und worum es einem in der Diskussion wirklich geht. Eine der größten Gefahren in Konflikten ist nämlich, von einem Thema zum nächsten zu springen, oder in einen Vorwurf-Gegenvorwurf bzw. Vorwurf und Rechtfertigungsspirale zu kommen. Die bringen uns meist nämlich nicht weiter.
Ein Vorteil am Timeout ist, dass man auch die Kinder miteinbeziehen kann, indem man Ihnen erlaubt ebenfalls dieses Zeichen zu benutzen. So sind Sie Konflikten nicht nur passiv ausgesetzt, sondern können mitgestalten. Das wiederum stärkt die Widerstandfähigkeit der Kinder.
Eine weitere, wichtige Idee: Immer nur ein (Konflikt-)Thema besprechen. Sonst ist die Gefahr zu groß sich in Vorwürfen zu verheddern bzw. von Hölzchen auf Stückchen zu kommen und nichts zu klären. Neue Gesprächsmuster einzuüben ist eine weitere Möglichkeit, die zwar aufwendiger ist, auf Dauer aber sehr lohnenswert ist. Studien zeigten beispielsweise, dass das Einüben konstruktiver Gesprächsmuster beispielsweise die Zufriedenheit mit der Partnerschaft deutlich stabilisiert.
Außerdem gibt es noch die Möglichkeit in Beratung zu gehen, beispielsweise in einer Erziehungsberatungsstelle. Denn den Weg aus verfahrenen Konflikten heraus zu finden ist weitaus schwieriger als schon früh und eher präventiv nach Lösungen zu suchen. Daher würde ich im Falle von Konflikten immer dazu raten lieber früher als später in Beratung zu gehen.
Wie funktioniert das, familienverträglich Streiten?
Auch hier gibt es nicht die eine Musterlösung. Die Streitkultur muss auch zur jeweiligen Familie passen. Worauf man achten sollte ist, dass man sachlich bleibt. Sich nach einem Streit vor den Kindern auch vor den Kindern wieder versöhnt. Denn zu einer guten Streitkultur gehört auch eine Versöhnungskultur.
Zudem sollte man auch während eines Streits offen für die Signale der Kinder bleiben und auf sie eingehen zu können.
Was, wenn eine Partei total harmoniebedürftig ist, während der andere Teil eher Konflikte auf den Tisch packt?
Diese Kombination kommt ja gar nicht so selten vor. Wie es ja überhaupt nicht selten der Fall ist, dass Partner in unterschiedlichen Streitkulturen groß geworden sind. In diesen Konstellationen ist es wichtig gemeinsam etwas Neues zu entwickeln und Kompromisse zu schließen. Denn beides hat ja seinen Wert, Konflikte anzusprechen ist gut und auf Harmonie bedacht zu sein ebenfalls.
Oft ist hier der Schritt auf die Meta-Ebene hilfreich. Dass man als darüber spricht wie man streiten will, wie es einem mit dem Konfliktverhalten des anderen geht, so dass man sich ineinander einfühlen und aufeinander eingehen kann. Wie bei allen Konfliktthemen wir es auch schwierig, wenn man die eigene Art und Weise mit Konflikten umzugehen für die einzig richtige hält.
Und wie besiegen wir den Elefanten im Raum, wenn Konflikte in Familien einfach gar nicht angesprochen, sondern weggeschwiegen werden und Dauer-Spannungen entstehen lassen?
Diese sogenannten kalten Konflikte sind genau so schwierig wie die heißen. Sie höhlen unsere Beziehungen aus. Wie der Name kalter Konflikt schon deutlich macht, herrscht eine frostige Atmosphäre und wie sie richtig sagen, kann man die Spannungen dennoch spüren. Für unsere Kinder kann so ein Familienklima sehr irritierend und genau so schädlich sein, wie das bei heißen Konflikten.
Loyalitätskonflikte können genauso auftreten. Der Lernschritt ist hier Konflikte konstruktiv anzusprechen. Manchmal haben Eltern in diesen Konstellationen in ihrer eigenen Familie gelernt, dass Konflikte schädlich sind, nicht angesprochen werden dürfen o. ä. Dabei liegt in Konflikten auch immer eine Chance.
Sollten wir vor Kindern streiten oder lieber nicht?
Ich würde sagen es kommt darauf an, wie wir das tun. Kinder können auch viel von uns lernen, wenn wir als Eltern unsere Konflikte konstruktiv austragen und sie so miterleben, wie wir für uns und unsere Anliegen einstehen, wie wir Kompromisse schmieden, wir uns wieder versöhnen, usw. Streiten wir aber sehr destruktiv beispielsweise, indem wir den anderen herabwürdigen, „uns vergessen“, Schimpfwörter verwenden, die Kinder in die Streits einbeziehen, eine Atmosphäre herstellen, die verängstigend ist, etc. sollten wir definitiv nicht vor unseren Kindern streiten.
Ab wann sagen auch sie als Paar- und Familientherapeut, dass es besser wäre, sich zu trennen?
Das ist eine knifflige Frage, auf die es wieder mal keine pauschale Antwort gibt. „Wir bleiben zusammen für die Kinder“ ist auf alle Fälle nicht immer das richtige Motto. Wir wissen aus der Forschung, dass (lang) anhaltende Streitigkeiten zwischen den Eltern für die Entwicklung schädlicher sind, als eine Trennung, die gelingt. Ich würde hier raten eine Beratungsstelle aufzusuchen, um sich noch einmal eine Meinung von außen einzuholen, denn manchmal kann man in einer Beratung ja noch das Runder herumreißen, oder falls es doch zur Trennung kommt, diese hoffentlich konstruktiv gestalten.