Ihr Lieben, die schrecklichen Bilder der Flut haben sich in uns eingebrannt. Noch immer werden Menschen vermisst, noch immer stehen viele Menschen ohne Zuhause da. Auch Annika, ihr Mann und ihre Kinder. Ihre Tochter ist sechs Jahre alt und ihre Zwillinge (zweieiige Jungs) waren am Tag der Katastrophe vier Jahre alt. Von einem Tag auf den anderen war für die Familie einfach alles anders.
Liebe Annika, ihr seid mit eurer Familie und den Kindern Opfer des Hochwassers im Ahrtal geworden, was genau ist euch genommen worden?
In unserem Ort sind nur ca. zehn Häuser nicht betroffen. Wir haben unser Haus ebenfalls verloren, da das Wasser bis ca. zwei Drittel des Raumes im 1. OG stand. Nur der Speicher ist verschont geblieben. Somit muss das Haus komplett entkernt werden. Jedoch haben wir Glück, da keine Fundamentunterspülung stattgefunden hat und unser Haus somit grundsätzlich wieder aufgebaut werden kann. Andere Häuser wurden von den Fluten mitgerissen oder so stark beschädigt, sodass sie zwischenzeitlich abgerissen wurden.
Da jedoch alle unsere Familienmitglieder im Ahrtal wohnen, sind nicht nur wir, sondern auch meine Eltern, Schwester und Schwager, Tanten und Onkel sowie Cousinen und deren Familien betroffen.
Wie habt ihr den Tag selbst erlebt? Wo wart ihr, wie habt ihr reagiert?
Der Starkregen wurde ja bereits montags für die Mitte der Woche angekündigt. So hatte ich die Ahrpegel in Müsch und Altenahr immer ein wenig im Auge. Am Vormittag des 14.7. lag die Pegelvorhersage bei 2,5m, also wären wir mit einem blauen Auge davongekommen. Mittags wurde der Pegel auf 3,5m geschätzt, sodass sich meine Schwestern und ich für das Ausräumen des Erdgeschosses meiner Mutter entschieden, die sehr nah an der Ahr wohnte und bereits 2016 vom Hochwasser betroffen war. Bis ca. 15/16 Uhr war unser Tag also ein normaler Arbeitstag und die Kinder waren im Kindergarten.
Gegen 16 Uhr zeigte die Pegelvoraussage 5,5m an. Solch eine hohe Vorhersage gab es noch nie, weshalb wir auch meinten, dass es sich um eine Fehlberechnung o.ä. handeln musste. So viel Wasser konnte sich niemand vorstellen. Dass die Spitze schlussendlich sogar bei acht, neun oder auch zehn Metern liegen sollte, ist auch jetzt noch fernab von jeglicher Vorstellungskraft.
Wie ging es dann weiter?
Ab dem späten Nachmittag überschlugen sich die Ereignisse. Den ganzen Tag hatte es bereits geregnet, nun setzte jedoch der Starkregen ein. Das Wasser der Ahr stieg und stieg und zwar in einem Tempo, dass mit keinem vorherigen Hochwasser vergleichbar war. Autos wurden hektisch umgeparkt, alle Einwohner unseres Dorfes versuchten, ihre Häuser zu schützen und halfen Nachbarn. Als das Wasser die ersten Häuser erreicht hatte, musste man schnell reagieren, da ab einer gewissen Wasserhöhe Fenster oder Türen nicht mehr geöffnet werden konnten. Dann gab es nur noch die Flucht in die oberen Stockwerke oder auf das Dach.
Die Höhe des Hochwassers befand sich bis ca. 18/19 Uhr noch im „normalen Hochwasserbereich“ bzw. hatte die Rekordhöhe von 2016 erreicht. Somit gingen die meisten Einwohner – auch wir! – davon aus, dass es in Kürze aufhören würde, zu steigen.
Was es aber nicht tat….
Wir wohnen ca. 250m von der Ahr entfernt und waren 2016 nicht betroffen. Doch das Wasser stieg rasend schnell an und begann in unsere Hofeinfahrt zu laufen. Somit fingen wir mithilfe der Kinder an, wichtige Dinge aus dem Erdgeschoss ins 1. OG zu tragen. Dass dies nicht reichen sollte, konnte ich mir absolut nicht vorstellen. Um ca. 20 Uhr begann das Wasser ins Haus zu fließen. Vorher war bereits der Strom ausgefallen. Meine Mutter, die wir vorsorglich mit zu uns genommen hatten, war mit den Kindern im Wohnzimmer im 1. OG und mein Mann und ich versuchten ein paar Sachen zu packen, da wir uns entschieden hatten, das Haus zu verlassen, wenn das Wasser die drittletzte Stufe vor dem 1. OG erreichen sollte. Wir zogen den Kindern mehrere Klamottenschichten an und wir flüchteten in letzter Sekunde auf den Hang hinter unserem Haus, an dem wir zusammen mit unseren beiden Nachbarn die Nacht verbrachten.
Zu diesem Zeitpunkt konnte sich noch niemand vorstellen, welche Schäden und Auswirkungen dieses Ereignis hatte. Wir blickten sprachlos auf die Wassermassen, verschickten letzte Sprachnachrichten an Freunde und telefonierten trotz massivem Netzausfall kurz mit meinen beiden Schwestern bevor der Akku sich verabschiedete. Aufgrund unserer Schilderungen haben meine Schwestern ihre Häuser, die weiter ahrabwärts liegen, verlassen und wurden somit nicht vom Wasser eingeschlossen.
Wann genau kam die Phase des Realisierens und wie ging es euch da?
Unter normalen Umständen bleibt ein Hochwasser nicht allzu lange und das Wasser zieht sich verhältnismäßig schnell zurück. Hier war es anders. Zunächst habe ich einfach nur gehofft, dass die schlaflose Nacht so schnell wie möglich vorbeigeht und wir am nächsten Morgen wieder zum Haus runter gehen können. Dem war nicht so. Das Wasser sank zwar etwas, zog sich aber nicht zurück, sodass wir weiter eingeschlossen waren. Hilfe konnte nur aus der Luft kommen.
Sobald es hell wurde, haben wir auf die Hubschrauber gewartet, die leider nicht kamen. Eines unserer Handys hatte noch Akku, sodass ich den Notruf anrufen konnte und um Hilfe aus der Luft, vor allem für die vielen Nachbarn auf den Dächern, gebeten habe. Dort wurde mir erklärt, dass meine Schilderungen aufgenommen werden, sie mir jedoch nichts versprechen könnten, da bereits über 1.000 Notrufe eingegangen wären und die Helfer nicht überall sein könnten. In diesem Moment wurde mir das Ausmaß erstmals ein wenig bewusst und es dauerte tatsächlich noch einige Stunden bis die ersten Hubschrauber kamen.
Der Hubschrauber, mit dem unsere fünfköpfige Familie ausgeflogen wurde, musste tanken, weshalb wir über alle Orte ahrabwärts geflogen sind. Dabei habe ich die Schäden in jedem einzelnen Dorf gesehen und zu diesem Zeitpunkt begann ich langsam zu realisieren, dass dies kein Hochwasser ist, sondern eine Naturkatastrophe mit apokalyptischen Zuständen, die es normalerweise nur in Hollywood-Filmen gibt. Das Happy End fehlte an diesem Tag.
Wie ging und geht es den Kindern?
Als das Wasser ins Haus lief, begannen die Kinder zu weinen und sie hatten Angst. Der eine Zwilling lief regelmäßig zur Treppe und sagte immer wieder: „Das Wasser kommt, das Wasser kommt.“ Die beiden anderen saßen ängstlich und weinend auf der Couch. Als wir sagten, dass wir rausgehen, haben sie alles anstandslos mitgemacht. Niemand hinterfragte, warum wir die Nacht draußen verbringen. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Wasser seinen Höchststand erreicht und wir konnten nur noch auf die Dachspitzen der Häuser im Ort schauen.
Am Hang hinter unserem Hazs befindet sich ein kleiner Ziegenstall, der vor ca. 20 Jahren das letzte Mal genutzt wurde. Dort konnten die Kinder ein wenig schlafen. Meine Mutter und die beiden Nachbarn haben die Nacht draußen vor dem Stall verbracht. Geschlafen hat von uns Erwachsenen niemand. Wir haben lediglich darauf gewartet, dass es endlich wieder hell wurde.
Unser Glück war, dass wir das Haus verlassen konnten, denn die Kinder hatten draußen keine Angst mehr. Auch wenn sie das ganze Ausmaß nun sehen konnten und neben zahlreichen Autos und zischenden Gas-Tanks, auch Häuser in den Fluten vorbeischwimmen sahen, waren wir weit genug davon entfernt.
Die meisten anderen Einwohner, darunter auch viele Familien mit Kindern, hatten diese Möglichkeit nicht und waren von den Wassermassen eingeschlossen. Einige konnten im Speicher ihrer Häuser die Nacht verbringen, andere mussten die Nacht auf ihren Hausdächern verbringen und wurden erst im Laufe des nächsten Tages per Hubschrauber gerettet.
Da wir am Tag nach der Katastrophe von einer lieben Freundin, die ebenfalls Kinder hat, in der Notunterkunft abgeholt und aufgenommen wurden, hatten unsere Kinder direkt Ablenkung und konnten spielen und toben. Sie reden regelmäßig über das Erlebte, haben jedoch keine Angst mehr und können nachts auch schlafen. Darüber sind wir sehr glücklich.
Wie fühlt sich das an, wenn das eigene Zuhause, der Platz, der sonst Sicherheit gibt, plötzlich mit einer Naturkatastrophe konfrontiert wird?
Unser „Zuhause“ gibt es seit der Nacht vom 14./15.7. nicht mehr. Tausende Menschen im Ahrtal haben in dieser Nacht ihr „Zuhause“ verloren. Wenn wir die Arbeit am zerstörten Haus beenden und zu meiner Freundin fahren, sagen wir nicht, dass wir jetzt „nach Hause“ fahren, sondern wir fahren einfach „zurück“. Wir sprechen mittlerweile eher von unserem Ortsnamen, wenn wir sagen, was uns fehlt. Wir sagen z.B., dass wir dieses und jenes auch in unserem Haus in „Ortsname“ hatten.
In den ersten Tagen haben die Kinder ab und zu gefragt, wann wir denn wieder „nach Hause“ fahren würden. Wir haben ihnen dann immer erklärt, warum es nicht geht und auch Fotos vom Haus gezeigt.
Es ist schwer, keinen Ort zu haben, an dem man sich „zu Hause“ fühlt. An dem man tun und lassen kann, was man möchte und in dem man sich wohlfühlt. Keine vertrauten Bilder an der Wand, keine Couchdecke für die nächste Folge der aktuellen Netflix-Serie.
So langsam realisiert man, dass uns kein normales Starkregen-Ereignis getroffen hat, sondern dass es sich um die größte Naturkatastrophe in Deutschland seit der Sturmflut in Hamburg handelt. Es ist seltsam, den eigenen Ort und Familienmitglieder oder Freunde im Fernsehen zu sehen und es wird sicherlich auch noch dauern, das Ganze wirklich zu realisieren.
Habt ihr nun gar keine Fotos mehr von früher bzw. Konntet ihr irgendetwas aus dem Haus retten?
Im Elternhaus konnten tatsächlich nur ein paar wenige Fotos gerettet werden. Anbei ein Bild vom Zustand der Bilder, die an den Wänden hingen und aus dem Schlamm gezogen wurden. Viele Erinnerungen sind für immer verschwunden. Wir haben die Fotos auf unserem Handys und ein paar wenige Bilder, die hoch genug an den Wänden im 1. OG hingen. Leider sind auch alle Laptops und externe Speicherkarten mit den Bildern der Hochzeit und den Babyfotos der Tochter dem Wasser zum Opfer gefallen. Somit zählen die Erinnerungen, die wir im Herzen tragen, umso mehr. Das Spielzimmer der Kinder befand sich im ausgebauten Speicher. Die Sachen, die dort waren, wurden verschont. Zur Freude der Kinder.
Wie geht es den Menschen in eurem Umfeld?
Hier müsste man eigentlich unterscheiden zwischen Menschen, die ebenfalls direkt betroffen sind und Menschen, die betroffen sind durch unsere Lage und unser Erlebtes. So gesehen sind alle Menschen in unserem Umfeld betroffen. Alle direkt Betroffenen versuchen den Kopf hochzuhalten und dabei werden sie von den nicht direkt Betroffenen unterstützt. Mal klappt es besser, mal weniger gut. Wir dürfen nur nicht den Mut verlieren.
Wie empfindet ihr die Stimmung jetzt – ist da nach wie vor viel Hilfsbereitschaft?
Die Dorfgemeinschaften sind näher gerückt. Jeder steht vor dem gleichen Scherbenhaufen seines Lebens. In den vergangenen Wochen prägten riesige Müllberge die Straßenzüge. Dies ist allerdings nicht einfach nur Müll, sondern man wirft quasi sein eigenes, gesamtes Leben mithilfe von vielen Helfern auf die Straße. Jeder Betroffene hat dabei auch ein Stück seiner Privatsphäre verloren.
Wir sind überaus dankbar für jede Hilfe, die wir erfahren durften. In den ersten Tagen waren es überwiegend Freunde und Kollegen aus nicht betroffenen Gebieten. Nach und nach kamen per Bus-Shuttle die freiwilligen Helfer und halfen, wo sie konnten.
Es gab und gibt sehr viel Hilfe, wobei man schon feststellen muss, dass die Hilfe in den vergangenen Tagen zurückgegangen ist. Da es auch sicher nicht mehr lange dauern wird, bis wir ganz aus den Nachrichten verschwinden, ist die Angst vergessen zu werden, natürlich besonders groß.
In den letzten Tagen haben die Vertreter unserer Verbandsgemeinde einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin verfasst. In diesem wird auf die vielen Fragen und Probleme aller Betroffenen und der gesamten Region hingewiesen. Es wäre ein Trugschluss zu denken, dass im Ahrtal alles wieder in Ordnung sei, nur weil die Medien das Interesse an uns verloren haben.
Ohne die Hilfe von außen – egal, in welcher Form – werden wir es nicht schaffen. Und die Kulturlandschaft Ahrtal soll bitte nicht von der Landkarte verschwinden.
Könnt ihr überhaupt arbeiten gehen grad? Kriegt ihr Sonderurlaub?
Unser letzter Arbeitstag war am 14.7.2021. Normales Arbeiten war seitdem nicht möglich. Ich habe einen unglaublich verständnisvollen Arbeitgeber, der mich freigestellt hat. Alle Kollegen helfen, wo sie können und waren teilweise auch bei den Aufräumarbeiten dabei – unbezahlbar! Ich bin unglaublich dankbar für diese Unterstützung!
In der Regel wurden die Betroffenen freigestellt, haben Sonderurlaub erhalten oder man benötigte eine Krankmeldung. Einige haben auch normalen Urlaub genommen oder Kollegen haben ihre Überstunden gespendet, damit derjenige nicht arbeiten kommen musste. In der Mehrheit haben die Arbeitgeber Verständnis, dass ein normales Arbeiten in der aktuellen Phase nicht möglich ist. Es gibt einfach so viel zu regeln und oftmals ist man auch psychisch bzw. kopfmäßig gar nicht in der Lage seine normale Arbeitsleistung abzurufen.
Du sagst: Nach dem „Tal der Tränen“ blickt ihr nun zuversichtlich in die Zukunft. Wie machst du das?
In den ersten Tagen habe ich sehr viel geweint. In allen möglichen Situationen und auch vor den Kindern. Ich habe versucht, stark zu sein, aber es ist mir nicht immer gelungen. Auch heute gibt es noch Momente, in denen mir die Tränen kommen und ich denke, dass es vielen Betroffenen so geht.
Irgendwann setzte aber die Erkenntnis ein, dass es weitergehen muss. Vor allem für bzw. wegen der Kinder. Man kann den Kopf in den Sand stecken, aber davon ändert sich leider nichts. Wir sind also wie jeder andere Betroffene dabei, eine Wohnung zu suchen. Einige wollen nicht mehr zurück und suchen entsprechend für länger, andere benötigen eine Bleibe für den Übergang, bis ihr Haus wieder bewohnbar ist. Auch wir wollen bleiben, damit die Kinder in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können.
Ich zitiere aus unserer ortsinternen Hochwasser-WhatsApp-Gruppe: „Unser Ort wird wieder schön. Anders, aber wieder schön.“ Unser Herz schlägt für das Ahrtal und wir wollen es wieder aufbauen. In ein paar Jahren möchten wir wieder den Fahrradweg Richtung Ahrweiler nutzen und zwischendurch ein Eis essen. Wir glauben fest daran.
Nun steht die Einschulung eines eurer Kinder bevor. Die Grundschule ist allerdings auch geflutet und unbenutzbar, gibt es Alternativen oder ist noch alles unklar? Wie erklärt ihr das eurer Tochter?
Die Grundschule befindet sich nur ca. fünf Gehminuten von unserem Wohnhaus entfernt. Am Tag nach der Katastrophe haben wir für den Weg dorthin jedoch deutlich länger gebraucht, da wir querfeldein hinter unserem Haus den Berg hochgeklettert sind. Nach unserem Abstieg konnten wir auf dem Hubschrauberlandeplatz des ortsansässigen Seniorenheims auf die Rettung aus der Luft warten. Die Grundschule befindet sich neben dem Hubschrauberlandeplatz, sodass die Schäden der Schule für uns direkt sichtbar waren. Somit mussten wir unserer Tochter nicht viel erklären.
Neben unserer Grundschule sind viele weitere Schulen im Kreis nicht nutzbar und für alle Schülerinnen und Schüler muss nun eine Alternative gefunden werden. Ältere Schüler sollen auf Schulen der umliegenden Städte verteilt werden und nutzen dort z.B. Fachräume, die nur für spezifischen Unterricht vorgesehen sind. Andere Schulen sollen sich Gebäude teilen, sodass die Betroffenen sich auf Unterricht am Nachmittag einstellen sollen. Auch Containerlösungen werden diskutiert. Unsere Schulleitung hat zwischenzeitlich informiert, dass mit dem planmäßigen Unterrichtsbeginn nach den Ferien gerechnet werden kann. Im Moment ist der Ausweichort jedoch noch nicht bekannt. Wir sind allerdings sehr froh, dass die Kinder in den bekannten Klassengefügen zusammen bleiben können.
Wie plant ihr, den Tag zu begehen?
Wir haben bisher keine Pläne. Es gibt auch noch keine Informationen zum Ablauf der Einschulung. Unser Kindergarten wurde aufgrund seiner erhöhten Lage vom Wasser verschont, weshalb die gebastelten Schultüten der Kinder noch vorhanden sind. Auch gibt es Unterstützung und Hilfe bei der Neubeschaffung von Ranzen, Büchern und Material.
Vielleicht wären wir mittags mit der Familie essen gegangen oder hätten auf der Terrasse gegrillt. Beides ist nicht mehr möglich, da die Gastronomie im Ahrtal fast komplett betroffen ist und unsere Terrasse scheidet logischerweise auch aus. Ich hatte mich bereits gedanklich ein wenig mit Details zur Einschulung, wie z.B. Deko oder einem Kuchen in Schultüten-Form beschäftigt. Wenn ich jetzt in manch einer Facebook-Gruppe lese, dass andere Mütter fragen, welche Buntstifte ergonomisch am sinnvollsten für Erstklässler wären, kommen mir diese Fragen sehr realitätsfern vor. Zumindest aus der Perspektive betroffener Flutopfer. Hätte der Starkregen das Ahrtal am 14.7. nicht so sehr getroffen, wären die Punkte auf meiner aktuellen To-Do-Liste sicherlich andere.
Nichtsdestotrotz versuchen wir natürlich, den Tag für unsere Tochter so schön wie möglich zu gestalten. Die Zwillinge hatten vor ein paar Tagen Geburtstag, den wir auch ein wenig gefeiert haben. Man dachte ja schon, dass Corona-Geburtstage bescheiden ausfielen, aber solch eine Katastrophe stellt auch Corona in den Hintergrund.
Was sind die großen Schlüsse, die du aus den letzten Wochen ziehen konntest?
Die wichtigste Erkenntnis: Alles ist ersetzbar, nur kein Menschenleben. Im Ahrtal haben viel zu viele Menschen ihr Leben verloren. Ältere Personen wurden vom Wasser überrascht und konnten ihr Haus nicht mehr verlassen, Familien wurden mitsamt ihres Hauses von den Fluten mitgerissen, Kinder sind ertrunken. Einige konnten wie durch ein Wunder aus den Wassermassen gerettet werden, für viele kam jede Hilfe zu spät und immer noch werden Menschen vermisst.
Eine Warnung vor diesen verheerenden Wassermassen hat unseren Ort nicht erreicht. Ich verstehe bis heute nicht, warum die Orte ahrabwärts nicht evakuiert oder zumindest gewarnt wurden. So viele Menschenleben hätten gerettet werden können. Das Wasser brauchte schließlich eine gewisse Zeit.
Die weiteren Erkenntnisse sind: „Aufgeben ist keine Option“, „Stark sein für unsere Kinder“, „Ein Hoch auf gute Freunde und Kollegen“, „Hilfe annehmen ist keine Schande“.
Annika hat einen Spendenpool für ihren Ort erstellt. Erst letztes Jahr wurde die Spielplatzsanierung abgeschlossen. Jetzt befindet sich dort einfach nichts mehr. Das Geld würde sie dann an den Bürgermeister weiterleiten, der die Verteilung an die Betroffenen koordinieren kann. Ein Teil soll in jedem Fall für den Wiederaufbau des Spielplatzes genutzt werden. Hier der Link: https://paypal.me/pools/c/8BM7ONIeHr
4 comments
Ich Lese gerade diesen Bericht hier in Australien wo ich lebe und bin erschüttert.
Ich habe früher in diesen Gegenden gewohnt und kenne sie. Ich habe auch die Nachrichten verfolgt und trotzdem geht dieser Bericht unter die Haut. Ich wünsche Euch ganz viel Kraft und Glauben an die Zukunft von der anderen Seite der Welt.
Falls ich irgendwann nochmal nach Deutschland reisen darf werde ich das Ahrtal auf jeden Fall besuchen und eine Spende bin ich auch grad am organisieren da ich selber kein PayPal habe.
Unser Mitgefühl an Euch. Viel Kraft Euch weiterhin. Alles Gute.
Ich bin tief erschüttert und gleichzeitig tief beeindruckt von diesem sachlichen, (ohne Schuldzuweisung???!) Beitrag in dieser verheehrenden Situation. Es gibt wirklich kein Wort in der deutschen Sprache, die diese Situation beschreiben kann. Ich bewundere Eure Stärke und Kraft in dieser schwierigen Zeit und mir fehlen einfach die Worte.
Ich wünsche Euch und den Kindern alles erdenkliche Gute, schnelle Hilfe von allen Seiten und ganz viel Kraft. Ein kleines Fünkchen Trost und Hoffnung “ Ihr lebt“ , alles andere wird weitergehen. Ein Haus kann man aufbauen, aber ein Menschenleben nicht.
LG Ch. Schäfer
Vielen Dank für diesen persönlichen Einblick. Dieses Ausmaß an Zerstörung ist unvorstellbar und ich bewundere Deine Stärke und Zuversicht. Ich wünsche Euch alles Gute, weiterhin viel Kraft und für deine Maus trotz allem einen tollen Schulstart <3