Ihr Lieben, ihr kennt Inke Hummel vermutlich von ihren vielen Büchern, die wir hier schon vorgstellt haben, von ihrer wunderbaren Familienbegleitung, von ihrer großartigen Sicht auf Menschen und auf das Gefüge, in dem sie stecken. Nun hat sie zusammen mit Julia Theeg ein weiteres Buch geschrieben – und zwar über Erwachsene Trennungskinder. Ein viel zu lang übersehenes Thema, das unglaublich wichtig ist.
Liebe Inke, dein neustes Buch scheint eins deiner bislang persönlichsten Werke zu sein, weil du darin auch die Trennung deiner Eltern vor 30 Jahren thematisierst. Wie hast du das damals erlebt – und inwiefern ist das heute noch Thema für dich?
Ja, der Startschuss zu diesem Buch war ein sehr persönlicher, das stimmt. Das Buch selbst ist nun gar nicht mehr so persönlich, denn es bildet viele erwachsene Trennungskinder ab, nicht nur mich.
Das liegt daran, dass ich immer, wenn ich über das Thema gesprochen habe, auf viele andere Erwachsene stieß, denen es ähnlich ging wie mir: Sie hatten das Gefühl, die Trennung ihrer Eltern hat ihr Leben in ein Davor und ein Danach geteilt und verschiedene Prägungen verursacht, mit denen sie heute noch zu kämpfen haben. Das ist nicht immer bei einer Elterntrennung so, aber wenn Kinder in solch einer Umbruchsphase nicht gut begleitet werden, kann das so sein.
Ich habe das damals teilweise so erlebt. Meine Eltern, gerade mein Vater, hatten viel mit sich zu tun und wenig Ressourcen oder Verständnis für mich. Ich habe in der Jugendzeit dadurch einige Belastungen erlebt, die bis ins Erwachsenenalter für Probleme gesorgt haben. So richtig wurde mir das erst durch therapeutische Hilfe klar. Damit bin ich noch nicht ganz durch, daher ist es heute immer noch Thema für mich – aber besonders auch für meine Arbeit als Pädagogin und Familienbegleiterin. Denn ich möchte Eltern in Trennung dabei unterstützen, es besser für die Kinder hinzubekommen.
Warum prägt uns die Trennung der Eltern noch Jahrzehnte später, was macht das mit uns?
Die Trennung allein verursacht in der Regel keine dauerhaften Probleme, aber das Drumherum kann uns auch viel später noch beeinflussen: Wie war der Umgang mit Konflikten in der Familie, wie die Kommunikation? Wie der Umgang der Eltern miteinander nach der Trennung? Wie stark war die erzieherische Begleitung der Kinder und Jugendlichen oder wie sehr wurden sie allein gelassen oder gar überfordert? Wie gut konnten die Kinder die Gefühle verarbeiten, die sie durch die Trennung erlebten: Wut, Trauer, Schuld?
Die Familie ist nun einmal in der Regel der erste wichtige Ort, an dem wir jahrelang kennenlernen, wie Bindung und Beziehung funktionieren, auch wenn es dort nicht sinnvoll läuft. Das prägt uns auch für eigene spätere Beziehungen, zum Beispiel zu Freund:innen, Partner:innen oder auch zu unseren eigenen Kindern.
Harmoniesucht, Aggressivität oder auch das Gefühl, für alles verantwortlich zu sein – das sind Gefühle und Verhaltensweisen, die ihr bei vielen erwachsenen Trennungskindern beobachtet. Was schließt ihr daraus und: seht ihr darin ein Problem?
Ja, das ist ein Problem. Denn diese Prägungen machen das Leben und eigene Beziehungen schwer. Daher ist es relevant, dass wir hinsehen, wie es erwachsenen Trennungskindern geht und was sie heute brauchen, um Prägungen zu verändern. Wir konnten daraus schließen, dass viele Trennungskinder ähnliche Defizite erlebt haben und heute ähnliche Kämpfe kämpfen.
Und natürlich hilft das auch dabei zu überlegen, was jetzige Kinder benötigen, deren Eltern sich aktuell trennen. Es gibt keine einheitlichen Regelungen dafür, wie sie begleitet werden oder wie zerstrittenen Eltern geholfen werden kann, um Eltern bleiben zu können, auch wenn die Paarbeziehung vorbei ist.
Oft steckt auch eine unverarbeitete Trauer hinter all den Gefühle und Verhaltensweisen. Weil du als Kind vielleicht dafür gelobt wurdest, wie toll du die Trennung aufnimmst (obwohl du dich einfach nur zurücknimmst, weil du deine Eltern nicht noch trauriger machen willst)…
Ja, diese Verantwortungsverschiebung ist ein großes Problem. Kinder sind fürsorglich für ihre Eltern und überfordert, allein zu sehen, an welcher Stelle sie eigentlich sagen müssten: „Stopp, jetzt bin ich mal dran!“
Wie können wir also als Eltern Kinder nach einer Trennung gut begleiten?
Als erstes müssen wir so gut es geht für uns sorgen. Wir müssen emotional und oft ja auch organisatorisch und finanziell wieder so gut wie möglich auf die Beine kommen, damit wir Kraft für die Kinder haben. Diese sollten Raum bekommen, um alle Gefühle zu zeigen, alle Fragen zu stellen, alle Bedürfnisse zu äußern.
Häufig kann es sinnvoll sein, wenn sie dafür andere Ansprechpartner:innen haben als uns Eltern, zum Beispiel eine Patin, einen Trauerbegleiter, eine Sozialpädagogin aus der Gemeinde, einen Psychotherapeuten, die Oma oder einen Vertrauenslehrer. Dort können sie sich unbefangen äußern, während sie zu Hause zu rasch auf der Hut sind und Gefühle vielleicht verbergen.
Der andere Bereich betrifft die Konfliktführung der Eltern: Streitende Ex-Paare sind leider keine Seltenheit, aber für Kinder eine immense Belastung. Die Inanspruchnahme von Mediation ist ein Geschenk für die Kinder. Es ist wichtig, dass Eltern versuchen, über ihren Schatten zu springen, egal wie groß die erlebte Kränkung in der Liebesbeziehung vielleicht gewesen sein mag, um mit dem oder der Ex wieder okay kommunizieren zu können.
Als wir dein Buch zum ersten Mal bei Social Media zeigten, gab es gleich viele Rückmeldungen. Eine Leserin schrieb, dass sich ihre Eltern „wie aus dem Nichts“ trennten damals, sie hatten sich nie gestritten, sie hatte nichts geahnt oder kommen sehen. Wie macht man es denn nun richtig als Eltern? Mal provokant gefragt (natürlich rhetorisch): Sich doch vor den Kindern streiten, damit sie dann nicht aus allen Wolken fallen?
Konfliktführung würde aus meiner Sicht viel mehr in die Schulbildung gehören. Solange das nicht so ist, sollten wir uns selbst damit befassen, wie lösungsorientiertes Streiten aussieht, denn das ist wichtig für Beziehungen. Es geht nicht ohne. Und das dürfen wir den Kindern gern vorleben: Es gibt verschiedene Meinungen, man diskutiert, braucht auch mal Zeit zum Grollen und Schmollen, aber beide Seiten bemühen sich, den anderen zu verstehen und Lösungen zu finden.
Dann kann es natürlich immer noch zu einer Trennung kommen. Das kann ja durchaus eine Lösung sein. Aber so kommt nichts aus heiterem Himmel, so bleibt Beziehungssicherheit, auch wenn Meinungen verschieden sind, und so kann auch die Gefahr minimiert werden, dass Kinder sich mitschuldig fühlen oder eine Trennung auf ewig auf menschlicher Ebene zur Entzweiung des Ex-Paares führt.
Eine andere Leserin fragte, wie man es schafft, die Muster der Eltern nicht selbst mit in die eigene Beziehung zu nehmen… viele erwachsene Trennungskinder haben wenig Vertrauen in die Verlässlichkeit von Beziehungen („Du verlässt mich doch bestimmt auch“, „Wieso sollte es grad bei mir halten?“), das kann zu extremer Eifersucht führen zum Beispiel, mit der man sich dann wirklich alles kaputt macht… Wie schaffe ich es also als Erwachsene, die alten Geschichten loszulassen und emotional unabhängiger zu werden?
Das ist unter Umständen ein langer Weg, zu dem zunächst mal das Erkennen der Muster gehört und dann das Verändern, unter Umständen mit der Partnerperson gemeinsam oder vielleicht auch mit therapeutischer Hilfe. Wie solche Muster aussehen können und wie man sie bearbeiten kann, steckt auch mit in unserem Buch im dritten großen Kapitel „Beziehungen“, das auf „Gefühle“ und „Verhalten“ folgt.
3 comments
Auch ich sage vielen Dank. Nach Jahrzehnten von gescheiterten Beziehungen und jetzt (evtl vor einer kaputten Ehe mit Kindern) kommt dieses Buch. Ich lese es gerade und highlighte mir wichtige Themen und die für mich wichtigen Impulse. Es ist später Anfang für mich als Trennungskind, aber der Weg den dieses Buch beginnt, ist ein guter Startpunkt.
Als ich den Titel gelesen habe, dachte ich zuerst es ginge um Erwachsene Personen die im Erwachsenen Alter die Trennung ihrer Eltern erlebt hätten.Natürlich ist es traurig wenn Kinder dies erleben und ein Leben lang mit Folgen oder Mustern zu kämpfen haben, aber es wäre auch interessant zu hören was eine Trennung der Eltern mit einem schon erwachsenen Kind macht……
Danke, danke, den Autorinnen für dieses Buch, das ich auf jeden Fall kaufen werde.
Ich bin selbst ein erwachsenes Scheidungskind, mein Mann ebenfalls.
Was haben wir analysiert, gesprochen, gekämpft, damit sich Geschichte nicht wiederholt. Unsere Ehe stand nie auf der Kippe. Aber die alten Muster konnten wir wieder entdecken.
Jedes Mal, wenn hier in den Kommentaren eine Trennung als Freiheitsschlag glorifiziert wird, sehe ich nur die kaputten Kinderseelen, die damit einhergehen.
ich rede nicht von misshandelten Frauen, sondern von den Ehen und Beziehungen die schnell aufgegeben werden mit der Begründung , man habe sich auseinandergelebt.
Jeden Tag bin ich dankbar und stolz für unser Nest , in dem unsere Kinder groß werden.