Ihr Lieben, wie alt sind eure Eltern? Können sie noch alleine leben oder brauchen sie schon Pflege? Sind sie ganz gesund oder gibt es ernsthafte körperliche oder mentale Krankheiten? Klar ist: Irgendwann merken wir alle, dass unsere Eltern alt werden, nachlassen und Hilfe brauchen. Gerade dann ist es wichtig, dass wir auf unsere Kommunikation achten und emphatisch sind.
Peggy Elfmann hat das Buch „Meine Eltern werden alt. 50 Ideen für ein gutes Miteinander“ geschrieben. Das Buch richtet sich an erwachsene Kinder ab 40, die sich mit dem Älterwerden der Eltern konfrontiert sehen und anstehende Veränderungen gemeinsam im Familienverbund angehen möchten. Wir dürfen hier einen Auszug aus dem Buch veröffentlichen.
„Als meine Mama ihre Demenzdiagnose erhielt, begann ich, mich zu informieren. Ich wollte alles wissen über ihre Erkrankung, verschlang die Erfahrungsberichte von anderen Angehörigen und recherchierte in Ratgebern. Wenn ich zu meinen Eltern kam, brachte ich viele Ideen mit und machte Vorschläge, wie das Pflegen für Papa, der sich ja tagtäglich um Mama kümmerte, leichter sein könnte: Ich redete über Pflegedienste, die ins Haus kommen könnten, und über die Tagespflege, die wir endlich mal ausprobieren sollten, und welche Therapien möglich wären.
Meine Mama verstand all das nicht mehr, mein Papa lehnte all das ab. Ich wollte ihn unterstützen, doch die gut gemeinten Gespräche endeten häufig damit, dass wir frustriert und enttäuscht auseinandergingen. Ich wollte helfen und bemühte mich so sehr, aber er nahm meine Hilfe und Ideen nicht an. Ich fühlte mich ratlos, ohnmächtig und auch verletzt.
Was ich erst später verstand: Mein Papa fühlte sich von meinem Aktionismus übergangen. Das ist etwas, das vielen erwachsenen Kindern passiere, erklärte mir meine Podcastpartnerin Anja Kälin in einem Gespräch. Wir meinen es gut, wollen die Eltern bestmöglich unterstützen – und handeln dabei so, wie wir es für richtig empfinden. Mit konkreten Ideen und Lösungen, die wir so schnell wie möglich verwirklichen möchten. Aber oftmals wissen wir eigentlich gar nicht genau, ob das tatsächlich das ist, was sich unsere Eltern wünschen.
So ähnlich erging es uns. Mein Papa erledigte tagtäglich alle Herausforderungen, kümmerte sich um Mama. Und nun kam ich zu Besuch und präsentierte ihm mein Wissen aus all den schlauen Ratgebern, die ich gelesen hatte. Ob das, was ich für das Beste hielt, jedoch auch in seinem Sinne war, das wusste ich nicht.
Wir sollten unseren Eltern genau zuhören
Diese Frage hatte ich weder mir noch ihm gestellt. Ich deklarierte seinen Unwillen als Altersstarrsinn und war genervt. Wie es ihm wirklich ging, dass auch er unsicher war und eine tiefe Veränderung durchmachte, dafür fehlte mir anfangs die Geduld. »Die Balance von Geben und Nehmen muss neu justiert werden«, erklären Kazis und Ugolini in ihrem Buch. Es sei eine »anspruchsvolle Entwicklungsaufgabe« für die Eltern, die Verantwortung der Kinder zu akzeptieren und Hilfe anzunehmen. Parenterale Reife nennen Fachleute das. Sie geht damit einher, loszulassen, sich zu öffnen und die Kinder mit erwachsenen Augen zu sehen.
Der Ton, in dem ich zu meinem Papa sprach, hatte etwas Drängendes und Besserwissendes. Was es hingegen gebraucht hätte, wäre ein offener, wertschätzender Ansatz gewesen. Logisch, dass er sich übergangen fühlte. Beim nächsten Besuch brachte ich wieder jede Menge Ideen mit, aber als wir zusammensaßen und es wie immer zu dem Teil »Du solltest wirklich mal die Tagespflege für Mama ausprobieren« überging, atmete ich einmal tief durch und stellte stattdessen diese eine Frage: »Wie geht es dir wirklich?« Er, der immer meinte, er müsse der starke Vater sein und alles allein meistern, wurde still.
»Was würde dir helfen, Papa?«, hakte ich nach. Und dann fing er an zu erzählen. Davon, dass es ihn zu Hause anstrenge, weil er permanent einen Blick auf meine Mama haben müsse. Dass er nicht mal im Garten abschalten und arbeiten könne, weil sie voller Unruhe hin und her wandere und er Angst habe, sie würde weglaufen. Dass er nicht mal mit ihr einkaufen könne, weil Mama, wenn er die Butter aus dem Kühlregal holen wolle, schon in eine andere Richtung gehe, zielstrebig und doch orientierungslos. Er könne sie nicht dauernd an der Hand führen wie ein Kleinkind. Und dass er Angst habe, wie es weitergehe mit Mama, wenn ihm etwas passiere.
Eltern sollten einfach nur erzählen dürfen
Am liebsten hätte ich sofort Vorschläge gemacht, aber ich nickte stattdessen, und Papa fuhr fort, davon zu erzählen, wie es ihm ging und was ihm den Alltag schwer machte. Während er sprach, merkte ich, wie wichtig es war, dass er diesen Raum bekam. Dass er erzählen konnte, ich ihm einfach ein offenes Ohr schenkte und er mit seinen Sorgen gesehen wurde. Wenn wir unsere Eltern begleiten, geht es im ersten Schritt genau darum: zuzuhören. Es ist, wie der Theologe und Autor Anselm Grün es so gut auf den Punkt bringt: »Wenn ich jemandem einen Ratschlag erteile, stelle ich mich über ihn. Dann fühlt er sich gedemütigt. Er braucht einen Freund, der erst einmal nur zuhört.«
Nachdem Papa geredet hatte, überlegten wir, wie eine Lösung aussehen könnte. Nein, ich konnte ihn zu diesem Zeitpunkt nicht überzeugen, die Tagespflege in Anspruch zu nehmen. Es brauchte viele weitere Gespräche – innerhalb der Familie – und auch den Zuspruch von anderen. Papa sagte mal, es fühle sich an, als würde er sie weggeben.
Für ihn stand nach der Diagnose immer außer Frage, dass er für Mama da sein wollte. Er sah es als seine Aufgabe als Ehemann an. Außerdem sorgte er sich, ob es Mama in der Einrichtung gefallen würde. Wir sprachen auch mit Mamas Neurologen, der Papa gut zuredete und meinte, es wäre gut, es auszuprobieren, weil es in einer späteren Phase für Mama schwerer werden würde, sich daran zu gewöhnen. Was ich merkte: Überreden funktioniert nicht.
Besser war es, immer wieder zu sprechen und zuzuhören. Und ganz ehrlich: Das kostete Nerven, uns alle. Aber ich denke, es ist die beste Strategie, um gemeinsam durch diese Phase zu kommen. Denn Veränderungen brauchen Zeit. Du kannst sie nicht beschleunigen, indem du lauter wirst und darauf beharrst. Eine Blume wächst und blüht nicht schneller, wenn du daran ziehst. Hilfe anzunehmen fällt den allermeisten Menschen schwer (dir auch?). Also, nehmt euch Zeit, stellt euren Eltern diese Frage und hört einfach nur zu. Fragt immer wieder nach, wenn es im ersten Versuch nicht klappt, weil deine Eltern vielleicht nie gelernt haben, über sich und ihre Gefühle zu sprechen: Wie geht es dir wirklich? Was brauchst du?
Vielleicht hast du schon lange nicht mehr gefragt, weil die Antwort oft schwierig war. Wenn ich Papa in den vergangenen Jahren fragte: »Na, wie geht es dir?«, kam oft die Gegenfrage: »Wie soll es mir schon gehen?« Solche Antworten zu hören, immer wieder, das ist hart. Und doch: Bleib am Ball. Frag nach. So findest du heraus, welche Herausforderungen deine Eltern tatsächlich erleben und welche Unterstützung sie sich wünschen – und das kann durchaus etwas anderes sein als das, was du denkst.“
8 comments
Obwohl, ich die oberen Komentare verstehen kann, möchte ich hier doch hinzufügen, dass man auch eine gewisse Dankbarkeit empfinden könnte, einfach weil man noch beide Elternteile hat! Denn so wie ich den Komentaren entnehmen kann, leben noch beide Elternteile. Das heisst, dass der jeweilige Partner, die Haupverantwortung und Pflege übernimmt und nicht die Kinder…..
Auch meine Mutter ist alt und krank, mein Vater ist aber leider schon vor 20 Jahren mit 58 Jahren verstorben…….
Hallo Pip, dass man es nicht explizit geschrieben hat, heißt ja nicht, dass man nicht dankbar dafür ist, dass die beiden „Oldies“ sich (noch) gegenseitig unterstützen können. Wobei hierdurch manches Gespräch schon den Charakter von Eheberatung hat….“nie macht er das…..“ „ich kann es ihr ja eh nicht recht machen….“
War ja auch nicht das Thema…
Das hab ich schon angenommen, dass man dankbar ist. Darum ging es mir eigentlich aber nicht. Ich wollte eher darauf hinweisen, dass es Menschen ( Kinder ) gibt, die viel früher und ganz sicher mit einer anderen Intensivität ( als wenn noch beide Elternteile leben ) mit sollchen Themen konfrontiert sind. Wenn man mit über 40. mit solchen Themen konfrontiert wird, dann ist das mit Bestimmtheit nicht schön und kann einem in den Wahnsinn treiben, aber trotdem hat es einen normalen Charakter.
Hallo Pip, ein „normaler Charakter“ alterstechnisch macht für mich keinen Unterschied. Auch wenn ich grob ahne, was Du meinst. Ich trage die Problematik alter Eltern seit lange vor meinem 40.mit mir mit.
Und bedenke, im Zweifelsfall hat man dann zwei Elternteile, die unterschiedliche Pflegebedürftigkeiten, Nöte, Ansprüche haben, die dann alle unter einen Hut gebracht werden müssen. Im Allgemeinen finde ich eine Diskussion über „wer hat’s schwerer/ am schwersten, nicht konstruktiv, weil man es eh nicht beurteilen kann und sollte und es ja explizit um die (emotionalen) Herausforderungen mit alten Eltern ging. Da muss man nicht mit Relativierung um’s Eck kommen.
Danke für diesen Artikel, ich bin bisher auch mit einigen Lösungsansätzen um die Ecke gekommen, weil ich mich in die Materie eingearbeitet habe.
Leider kommt von meinem Vater, der meine Mutter auch pflegt nur: ich will ins Heim, da habe ich meine Ruhe! Andere Lösungen von mir wurden teilweise ausprobiert, jedoch auch wieder verworfen, weil es seine Freiheit einschränkt! Hm… wie wird’s dann im Heim sein? Meine Mutter möchte gerne zu Hause bleiben, auch wenn das ein sehr egoistischer Wunsch ist!
Also ja, ich höre inzwischen was mein Vater sagt, kann auch seine Überforderung nachempfinden, nur von einer wirklichen Lösung sind wir weit entfernt! Da kommt der üble Starrsinn wieder durch und seine Meinung „Ich bin ja nur die Tochter, die hat eh nichts zu sagen…“
Jup, genau so. Trotz- und Autonomiephase gleichzeitig. Gibt’s da auch was von Jesper Juul?
Danke für den Artikel und die wertvollen Tips. Ja, genau so ist es. Und es kommt hinzu: Alte Familienstrukturen werden zu Sollbruchstellen, längst überwunden geglaubte Dynamiken wirken und verheilt gehoffte Verletzungen brechen wieder auf.
Da fällt es manchmal sehr schwer nicht zu „schwarzer Pädagogik“ zu greifen, (wie es die Eltern gemacht haben), sondern verständnisvoll und geduldig zu bleiben. Ich empfinde es auch als belastend in dieser Lebenssituation, dass die Eltern (wenn auch ungewollt) wieder so viel Einfluß auf das eigene, selbstbesimmte Leben haben, das man lange hatte. Das ist auch eine ganz andere Form von Fremdbestimmung als mit Kindern, weil man die Familienplanung an der Stelle ja selbst gestalten kann.
Eine Lebensphase mit gemischten Gefühlen frei Haus.
Danke für den Artikel. Ich kann die Situation der Autorin gut nachvollziehen, da ich sowohl bei meinen Eltern als auch bei meinen Schwiegereltern in diese Phase rutsche, so nach dem Motto: Wenn die eigenen Kinder gross werden, werden die Eltern wieder hilfsbedürftig!
Gerne mehr Artikel zu diesem Thema, danke!