Mein Leben nach der Drogensucht: Ich bin weiterhin clean und gehe zur Schule

Drogensucht

Ihr Lieben, im Oktober 2021 haben wir ein Interview mit der damals 23-jährigen Emilia geführt. Sie hat uns von ihrer Drogensucht als Jugendliche und vom Leben auf der Straße erzählt.

„Das erste Mal gekifft habe ich mit 13. Das war ganz klassisch durch Freundesfreunde, die ein paar Jahre älter waren als ich und mit denen ich dann fast täglich meine Zeit verbracht habe. Als ich 15 war – kurz bevor ich auf die Straße kam – hat mir ein flüchtiger Bekannter Crystal Meth angeboten und ich hab es ohne wirklich darüber nachzudenken genommen. Mein Leben war mir sowieso nichts wert, also was hatte ich schon zu verlieren?“, erzählte sie damals.

Erst als Emilia schwanger wurde, schaffte sie den Absprung und wurde clean. Uns hat ihre Stärke sehr beeindruckt und wir wollten nun einfach mal wieder nachhören, wie sich Emilias Leben entwickelt hat.

Liebe Emilia, unser letztes Interview ist anderthalb Jahre her. Die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es dir?

Mir geht es ganz gut. Ich bin weiterhin clean und mein Leben geht weiter seinen Weg. Zur Schule gehe ich auch noch und werde voraussichtlich in zwei Jahren mein Abitur haben. Die Klasse, die ich aktuell besuche, entspricht der 10. Klasse (von insgesamt 12) am Gymnasium in Bayern. Ich hab also schon einiges geschafft, aber auch noch viel vor mir.

Und wie geht es deinem Sohn?

Meinem Sohn geht es wunderbar. Er ist mittlerweile dreieinhalb Jahre alt, geht in den Kindergarten und ist einfach ein tolles, freundliches, offenes und wirklich sehr wildes Kind.

Drogensucht

Wie und wo lebst du gerade?

Mein Sohn und ich leben in einer Wohnung in meiner Heimatstadt, in der Nähe meiner Familie.

Stichwort clean bleiben und Drogensucht: Wie sicher fühlst du dich in Bezug darauf? Hast du noch Angst vor einem Rückfall? 

So ein Rest Unsicherheit wird wohl immer bleiben, aber generell fühle ich mich schon ziemlich sicher, nicht so schnell rückfällig zu werden. Da müsste wirklich viel passieren, das mich so aus der Bahn wirft, dass es zu einer Option werden könnte, tatsächlich wieder zu den Drogen zu greifen. Jetzt mit Kind wäre es auch gar nicht möglich, unbemerkt wieder in mein altes Konsummuster zu fallen. Angst habe ich also keine, was aber nicht bedeutet, dass ich unvorsichtig geworden bin.

Hast du eigentlich noch Kontakt zu Leuten von früher?

Sporadisch. Es kommt immer mal wieder vor, dass mich jemand von früher über soziale Medien anschreibt. Im Winter war das zum Beispiel ein ehemaliger, wirklich sehr guter Freund von mir. Ich hab mich riesig gefreut, wieder was von ihm zu hören, konnte den Kontakt aber trotzdem nicht aufrecht erhalten.

Es fühlt sich an, als wäre das alles, was ich hinter mir gelassen habe, ein ganz anderes Leben gewesen. Und alles, was dazu gehört – also auch meine Freunde und Bekannte – gehört nicht mehr in das Leben, das ich heute führe. Ich denke, es ist besser so, damit abzuschließen und diese beiden „Leben“ nicht zu vermischen. Auch, wenn es wie in dem Fall mit dem Freund ziemlich weh tut. So lief das mit fast allen Leuten von früher, mit denen ich seitdem Kontakt hatte.

Nur mit einer Person hatte ich die Jahre über immer mal wieder Kontakt. Das war mein Ex-Freund, mit dem ich meine gesamte Zeit auf Heroin zusammen verbracht habe. Wir haben immer wieder mal geschrieben, uns aber nie getroffen. War auch besser so und hätte ich auch gar nicht gewollt. Er ist vor kurzem allerdings an den Folgen seiner Sucht mit 29 Jahren verstorben.

Wie geht es dir, wenn du an die schlimmen Jahre auf der Straße denkst?

Mal so, mal so. Manchmal ist es – wie bereits erwähnt – dass es sich anfühlt, als wäre das ein ganz anderes Leben gewesen. Surreal. Als hätte ich nur einen Film darüber gesehen, der mir zwar stark in Erinnerung geblieben ist, aber mit meinem realen Leben überhaupt nichts zu tun hat. 

Und manchmal fühlt es sich so an, als wäre ich immer noch genau derselbe Mensch wie früher. Mit denselben Gedanken, Ängsten, Problemen. Als hätte ich mich in all der Zeit kein bisschen verändert. Das ist alles wirklich schwer zu beschreiben und hängt meistens von der Situation und Tagesform ab. Die Zeit hat mich natürlich geprägt, sowas geht glaube ich an niemandem spurlos vorbei.

Was mir aber noch wichtig zu erwähnen ist: es war nicht alles nur schlimm. Es gab auch schöne Zeiten und selbst wenn ich es könnte, würde ich das Erlebte nicht rückgängig machen wollen.

Wie ist der Kontakt zu deinen Eltern heute?

Sehr gut. Zu meiner Mutter habe ich sehr viel Kontakt, wir sehen uns normalerweise mehrmals die Woche. Mit meinem Vater ist es ein bisschen anders, was aber nur daran liegt, dass wir beide einen so vollgepackten Tag haben, dass es kaum auffällt, wenn schon einige Wochen seit dem letzten Kontakt vergangen sind. Wir kommen super miteinander zurecht.

Hast du noch regelmäßig professionelle Hilfe?

Nein, mittlerweile nicht mehr. Ich komme aber gut ohne zurecht.

Wovon träumst du gerade? 

Ich träume davon, mich unter anderen Menschen irgendwann nicht mehr wie ein Alien zu fühlen. Mich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sehen und nicht mehr wie ein Außenseiter. Oft fühle ich mich einfach immer noch wie das Mädchen von der Straße.

Bist du wieder in einer Partnerschaft?

Nein, bin ich nicht. Es gab nach dem Vater meines Kindes auch niemanden mehr. Bisher hat sich einfach nichts ergeben und eigentlich genieße ich es auch, allein zu sein.

Was ist das Beste, was dir in der letzten Zeit passiert ist?

Ich musste jetzt wirklich lange über diese Frage nachdenken. Es ist wohl die Tatsache, dass alles einfach seinen gewohnten Gang läuft. In der Schule bin ich ziemlich erfolgreich, damit hätte ich nie gerechnet und ich habe Kontakt zu Menschen, die mir sehr gut tun. Das Verhältnis zu meiner Familie war nie besser und in meinem Leben als alleinerziehende Mutter komme ich auch sehr gut klar. Ich weiß, dass alles auch anders laufen könnte, also ist das das größte Geschenk, das mir das Leben in letzter Zeit gemacht hat.

—–HIER könnt ihr nochmal das erste Interview mit Emilia lesen

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3 comments

  1. Danke erstmal!
    Und ja, genau, auch das „Junkieleben“ hat schöne Seiten. Wäre es NUR schlecht, würde das ja niemand machen, vor allem nicht über längere Zeit.
    Dass mich mein Kind nicht rettet, sondern ich für mich selbst clean bin, steht in meinem ersten Interview und ist da denke ich recht verständlich. Die Überschrift hier kam nicht von mir, ich hätte sie so auch nicht gewählt, weil es einfach nicht so passt.

  2. Ein mutmachender Beitrag. Viel Kraft weiterhin für Emily. ABER das hier klingt sehr relativierend und unreflektiert. Es gab auch schöne Seiten ( am Junkieleben?)? Und nein clean werden kann man nur für sich selber, weil man selbst etwas begriffen hat, ein Kind kann das nicht retten. Und clean bleiben wird eine lebenslange Aufgabe sein, das ist niemals vorbei. Nicht um pessimistisch zu sein, nur realistisch. Deshalb wünsche ich Emily das es positiv weiterläuft. Nur wenn man zu blauäugig wird ( ich brauche keine Hilfe, hab das im Griff…) passieren Rückfälle. Und Heroin ist schon eine harte Nummer bzw auch die Suchterkrankung in so jungen Jahren schon und über einen langen Zeitraum.

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