Disziplin: Darum tut sie unseren Kindern so gut

Disziplin

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Ihr Lieben, was verbindet ihr mit Disziplin? Eher positive Aspekte wie Fleiß und Durchhaltevermögen oder eher Negatives wie Drill und Druck? Und würdet ihr eure Kinder als diszipliniert beschreiben?

Die Expertin für frühkindliche Bildung Ursula GünsterSchöning und die Primärpädagogin Isabella Gölles plädieren in „Disziplin – Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts“ für mehr Disziplin und eine neue Form von Autorität in der Erziehung. Wir haben sie dazu befragt.

Liebe Frau Gölles, Liebe Frau Günster-Schöning, in Ihrem Buch geht es um Disziplin. Wie definieren Sie diesen Begriff?

Gölles: Disziplin bedeutet für mich die Fähigkeit, sich selbst zu steuern, auch wenn es unangenehm oder schwierig ist. Es geht darum, eigene Impulse zu kontrollieren und konsequent an langfristigen Zielen zu arbeiten. Disziplin schafft Struktur und gibt dem Handeln Richtung – sei es im persönlichen, beruflichen oder familiären Leben.

Disziplin hat heute manchmal einen etwas verpönten Beigeschmack, warum ist das so?

Gölles: Disziplin wird oft mit Strenge, Zwang und rigiden Regeln assoziiert. Viele sehen darin eine Einschränkung der Freiheit und Kreativität. Historisch gesehen war Disziplin häufig mit autoritären Erziehungsmethoden verbunden, was sie in den Augen vieler negativ erscheinen lässt. Dabei hat Disziplin in ihrer modernen Form weniger mit Kontrolle von außen und mehr mit Selbststeuerung und Verantwortung zu tun.

Sie plädieren für „Mut zu einer neuen Form von Autorität“ – wie unterscheidet sich diese Autorität von der, die zum Beispiel unsere Eltern- oder Großelterngeneration erlebt hat?

Gölles: Die Autorität früherer Generationen war oft hierarchisch und wurde durch strenge Regeln und Gehorsam erzwungen. Heute verstehen wir Autorität eher als Führung durch Vorbild, Vertrauen und gegenseitigen Respekt. Es geht weniger darum, Kontrolle auszuüben, als vielmehr darum, Orientierung zu bieten und klare, aber flexible Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Kinder sich entwickeln können.

Finden Sie, dass es der heutigen Elterngeneration an Autorität fehlt?

Günster-Schöning: Viele der heutigen Eltern legen oft großen Wert auf die Selbstverwirklichung und Individualität ihrer Kinder. Dies kann manchmal dazu führen, dass Regeln und Grenzen weniger konsequent durchgesetzt werden und die Eltern schwammig und uneindeutig in ihrem Verhalten sind. Auch haben viele Eltern Angst vor Konflikten.

Sie möchten eine harmonische Beziehung zu ihren Kindern aufrechterhalten und vermeiden daher Konflikte, also z.B. das „NEIN sagen“ oder „Grenzen setzen“. Autorität einzufordern erfordert jedoch oft, klare Grenzen zu setzen, was potenziell zu Auseinandersetzungen führen kann. Der Wunsch, geliebt zu werden und als „Freund“ des Kindes aufzutreten, kann dazu führen, dass elterliche Autorität verwässert wird.

Wie kann ich mit Disziplin das Leben meines Kindes positiv beeinflussen? Haben Sie da konkrete Beispiele?

Günster-Schöning: Disziplin spielt eine zentrale Rolle dabei, Kindern Struktur, Orientierung und wichtige Fähigkeiten für das Leben zu vermitteln, wie z.B. Durchhaltevermögen, Verhaltenskontrolle, Emotionsregulation oder Frustrationstoleranz.

Ein Beispiel: Wenn ein Kind wütend oder frustriert ist, weil es sich z.B. nicht an die Regel „Vor dem Schlafen werden die Zähne geputzt“ halten will, können Eltern ihm helfen, indem sie seine Emotionen ernstnehmen, (spiegeln) also benennen und dennoch konsequent bleiben. Dies nennt man „verstehendes Begleiten“. Sie könnten dann z.B. sagen: „Ich sehe, dass du wütend bist, weil du jetzt deine Zähne putzen musst. Das kann ich verstehen. Es ist okay, wütend zu sein. Und dennoch müssen die Zähne geputzt werden. Soll ich dir helfen? Oder willst du es allein machen?“

Genauso verhält es sich auch z.B. bei unliebsamen Aufgaben, zu denen das Kind keine Lust hat. Man kann und darf jedoch nicht immer dem Lustprinzip folgen. Auch hier kann verstehendes Begleiten eine Strategie sein, nach dem Motto: „Ich kann verstehen, dass du keine Lust hast den Müll hinterzubringen. Und dennoch ist es deine Aufgabe. Also entscheide, ob du es jetzt oder später machst. Aber bis zum Abendessen muss es erledigt sein.“

Haben Kinder, die nie Disziplin erlernt haben, später Probleme?

Gölles: Kinder, die nie Disziplin gelernt haben, können Schwierigkeiten haben, sich selbst zu organisieren oder Ziele zu verfolgen. Im Erwachsenenalter könnten sie Mühe haben, Frustrationen zu bewältigen oder sich langfristig zu engagieren – sei es im Berufsleben oder in zwischenmenschlichen Beziehungen. Die Fähigkeit, sich selbst zu regulieren, ist entscheidend für den Erfolg und das Wohlbefinden in vielen Bereichen des Lebens.

Günster-Schöning: Ohne Disziplin fehlt auch oft die Anstrengungsbereitschaft anzupacken, loszulegen und diszipliniert an den eigenen Zielen zu arbeiten und entsprechend Hand anzulegen.

Wie kann ich mein Kind so fördern, dass es Selbstdisziplin lernt?

Gölles: Geben Sie Ihrem Kind Verantwortung und Raum, Entscheidungen zu treffen. Wichtig ist, dass Sie es ermutigen, durchzuhalten, auch wenn es schwierig wird, und dass Sie den Wert von Anstrengung betonen. Positives Feedback und kleine Erfolge helfen dem Kind, das Gefühl von Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Indem Sie konsequent, aber geduldig bleiben, lernt das Kind, sich selbst zu regulieren.

Oft sind wir Eltern ja selbst auch nicht immer diszipliniert, wenn wir mal an gesunde Ernährung oder regelmäßigen Sport denken. Haben Sie Tipps, wie wir Erwachsenen Disziplin selbst besser durchsetzen können?

Günster-Schöning: Es ist völlig normal, dass auch Erwachsene manchmal mit Disziplin kämpfen, insbesondere in Bereichen wie gesunde Ernährung, regelmäßiger Sport oder der Umsetzung von Zielen. Kleine Erfolge motivieren und bauen Selbstvertrauen auf und helfen Disziplin selbst besser durchsetzen. Außerdem ist die Perfektion oft der Feind der Disziplin. Es ist daher wichtig, sich auf die Fortschritte zu konzentrieren, auch wenn sie klein sind und dranzubleiben, anstatt frustriert aufzugeben, wenn es nicht perfekt läuft.

Und noch ein Abschluss: Nehmen wir mal an, wir alle, als Gesellschaft, wären wesentlich disziplinierter als wir sind – welche Auswirkungen hätte das auf unser aller Leben und Miteinander?

Gölles: Eine diszipliniertere Gesellschaft könnte zu mehr Verantwortung und gegenseitigem Respekt führen. Menschen würden eher bereit sein, sich für langfristige Ziele einzusetzen, anstatt nur auf unmittelbare Befriedigung zu achten. Dies könnte zu mehr sozialem Zusammenhalt, höherer Produktivität und insgesamt mehr Zufriedenheit führen, da Disziplin auch bedeutet, auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten und sich für das Wohl aller zu engagieren.

Günster-Schöning: Vielleicht auch gesündere Lebensweisen – da disziplinierte Menschen eher auf eine ausgewogene Ernährung, regelmäßige Bewegung, Vorsorgeuntersuchungen und ausreichend Schlaf achten würden, oder bessere zwischenmenschliche Beziehungen und Konfliktbewältigung, da die Menschen schon als Kind gelernt hätten, ihre Emotionen besser zu regulieren und Konflikte nicht als Bedrohung zu sehen.

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3 comments

  1. Disziplin klingt natürlich hart.
    Ich nenne es eher: liebevoll, aber bestimmt.
    Frustrationstoleranz finde ich enorm wichtig, und empfinde es als Erziehungspflicht der Eltern, diese (geduldig und liebevoll) beizubringen.
    Wird dies versäumt, oft aus falsch verstandener Liebe zum Kind („ich will nicht streng sein, das Kind soll alles selbst bestimmen, etc.) ist es vor allem schade fürs Kind: soviel Unzufriedenheit und Frust, der vermeidbar wäre.
    Kinder haben ein Recht auf eine souveräne „Führungskraft“, an der sie sich orientieren können und auch deren Grenzen ernstnehmen. Das funktioniert auch mit einem liebevollen und verständnisvollen Umgang, meiner Erfahrung nach.

  2. Hervorragend. Danke für diesen Artikel! (Selbst-) Disziplin ist eine Schlüsselkompetenz, Grundlage und Voraussetzung für beruflichen und privaten Erfolg und ein harmonisches familiäres und außerfamiliäres Miteinander. Disziplinierte Kinder sind gesellschaftsfähig und können sich sicher auf unterschiedlichstem Parkett bewegen – auch im Ausland.

    1. Danke für diesen Artikel!
      Bei uns ist Disziplin häufig Thema, wenn auch unter anderer Bezeichnung.
      Da geht es um selbstgewählte Struktur beim Lernen für die Schule oder darum, das Musikinstrument auch in Durststrecken nicht aufzugeben.
      In den USA sagt man „Never quit on a bad day!“
      Mir ist es wichtig, dass die Kinder ihre Gefühle einschätzen können und ihre Entscheidung auf der Basis von Informationen und nicht aus einer Laune heraus treffen.
      Das Ergebnis ist ein hohes Durchhaltevermögen ohne Zwang.

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