„Bitte, Kind… Papa und ich wollen noch kurz schlafen.“ Eigentlich müssten berufstätige Mütter doch einfach nur ein bisschen weniger wollen und sich (mit dem bisschen Sex in der Ehe) zufriedengeben, meint Vierfachmutter Caroline Rosales (natürlich ironisch-provozirend). In ihrem neuen Roman „Die Ungelebten“ wirft sie die Frage auf, ob das wirklich so schwer sein kann. Spoiler: Ja. Denn Frauen und Mütter wollen heute mehr. Sie möchten ihr Leben nicht „ungelebt“ lassen. Hier ein Buch-Auszug, in dem sich wohl viele wiedererkennen werden…
„Die Ungelebten“: Caro Rosales über Frauen, die mehr wollen
Es gibt Eltern, die sind so hungrig, so leer, dass sie ihre eigenen Kinder essen. Jennifer Boyard dachte eines Morgens an diesen Satz, den sie irgendwo gelesen hatte, wollte ihn aber lieber gleich wieder vergessen, weil sie ihn zynisch fand. Meine würden schmecken, dachte sie dann doch noch weiter. Und wunderte sich über ihre eigenen Gedanken. Meine wären süß wie Popcorn, hätten vielleicht sogar eine Vanillenote.
Ihre, ja, ihre Kleinen hatten immer saubere Fingernägel, duftende Haare, und wenn sie aus dem Kindergarten oder der Schule kamen, brachte sie alle drei sofort in die Badewanne, sodass sie weniger nach der Welt da draußen, sondern wieder nach ihr, nach Zuhause, nach Shampoo und Nichts rochen. Selma rutschte auf einem froschgrünen Töpfchen sitzend vor ihr auf dem Badezimmerboden herum. Sonnenlicht wurde grell von den Kacheln reflektiert und ließ Jennifer fast erblinden.
»Fertig«, schrie Selma und hob ihr Töpfchen in die Höhe.
Die Flüssigkeit in dem Plastikbehälter bewegte sich gefährlich nach links und rechts an die Ränder. Jennifer reagierte blitzschnell und lobte ihre Tochter überschwänglich – zu laut.
»Das hast du so toll gemacht, meine Große. So super.«
Sie kippte den Urin aus dem Töpfchen ins Klo aus und stellte es in die Badewanne, wickelte Baby Selma mit extra viel wei- ßer Wickelcreme, rief zu Laura und ihrer Freundin Peppa ins Wohnzimmer, dass sie den Fernseher doch bitte, bitte leiser machen sollten. Ihre Neunjährige brüllte zurück: »Nö.«
Es war alles so zwecklos. Dabei war man doch mal vielleicht jemand gewesen. Jennifer bekam kaum die Augen auf. Sie zwang sich dazu, etwas mehr Positivität zuzulassen. Sie atmete ein und aus, aber ihr Brustkorb fühlte sich an, als wäre er aus Blei. Wie aus einem schweren Metall, das es ihr unmöglich machte zu atmen. Sonntagmorgens war sie oft melancholisch, ohne den richtigen Grund dafür zu kennen. Sie schaute in den Spiegel. Langes hellblaues Baumwollnachthemd von Maison Margiela, die blonden Haare fielen ihr über die Schultern.
Sie sah nicht übel aus. Nicht übel für vier Stunden Schlaf. Sie würde sich bitten, sich selbst schön zu finden, etwas Menschlichkeit für sich selbst zuzulassen. Denn darauf kam es doch an. Dass man sich liebte und akzeptierte. Auch wenn die Welt einen nur noch als Mutter wahrnahm. Der eigene Mann nicht mehr hinschaute, außer wenn er sehr explizit Sex brauchte. Die eigene Familie, außer es war etwas zu Bruch gegangen oder jemand blutete. Der eigene Vater, außer es ging um die Firma. Sie musste sich selbst lieben, sagte sie sich immer wieder laut und deutlich in Gedanken vor, denn damit fing ja schließlich alles an.
Jennifer nahm ihr Smartphone mit der bunten Kordel, setzte sich aufs Klo. Durchfall platzte aus ihr heraus. Sie versuchte, selbst darin das Gute zu erkennen. Wenigstens funktionierte ihre Verdauung. Ihre Darmflora war im Gleichgewicht, und das ist doch immerhin etwas, dachte sie. Ihr Magen krampfte sich zusammen, aber das musste nichts heißen. Sie schaute auf ihr Telefon. Eine Nachricht von ihrem Vater Bernd blinkte auf. Sonntags um 7.23 Uhr.
»Ich brauche Betreuung.«
»Oh nein. Zwanzig Minuten, Papi. Hab Dich lieb, Bussi«, textete sie zurück. »Jetzt, sofort«, schrieb er wieder.
Er soll nicht warten, dachte sie. Er soll nicht warten, denn das ist nicht gut für Papis Nerven. Er war doch ein älterer Mann. Aber sie brauchte einen Moment. Diesen einen Moment für sich. Jennifer riss an der Klopapierrolle, doch ihre Finger erwischten nur winzige Fetzen. Dann musste es eben ein Windelfeuchttuch tun. Danach bürstete sie das Klo aus. Und spülte nach. Andere Leute hatten eine WhatsApp-Gruppe für die ganze Familie. Texteten und schickten sich Witze und Fotos von Nudelsalat-Nachmittagen und Babys auf Krabbeldecken. Mit dem Opa und der Tante.
Papi mochte keinen Small Talk. Keine lustigen Grüße aus dem Schwarzwald oder aus Italien von der Familie. Es erinnerte ihn daran, dass seine Kinder zu wenig arbeiteten und zu viel von seinem Geld lebten. Bernd war leider oft unbeherrscht und nie zufriedenzustellen. Er liebte es, laut zu werden. Und das Schweigen der anderen, wenn er mit der flachen Hand auf den Tisch schlug. Wenn er dann einlenken konnte, um wieder den gut gelaunten Daddy zu spielen, mit dem halt auch mal die Pferde durchgingen.
Man musste Verständnis für ihn haben. Man musste Verständ- nis für ihn haben, weil die ältere Generation nicht ewig präsent sein würde, und dann würde man alles bereuen, was man je- mals in einem Anfall der Unbeherrschtheit oder aus bloßer Ungeduld zu ihm gesagt hätte, und weil sein Lebenswerk Respekt verdiente. Papi hatte sein Leben gegeben, damit Jennifer ein gutes Auskommen hatte. Papi hatte auf viel verzichtet. Das würde sie ihm nicht vergessen. Und dafür war sie immer die Frau in seinem Leben gewesen. Seine Prinzessin. Und er der weltbeste Papi.
Jennifer ging mit Selma im Arm nach unten in die Küche ihres Hauses. Sie setzte ihre Tochter in die Babywippe. Gobi bellte. Gobi war ein guter Hund. Er machte das nicht, um sie zu ärgern. Er wollte nur zeigen, dass er noch da war. Sie brachte ihn in den Garten und fütterte ihm wenig später halb Pute, halb Rind, wie er es mochte. Draußen war es winterlich kalt. Auf dem Natursteinboden auf der Terrasse hatten sich über Nacht winzige Schneekristalle gebildet. Während Jennifer Match- Box-Autos im Flur aufsammelte, rief sie ihren Vater zurück.
Es klingelte. Er ließ sie warten. Er zog immer nur sie ins Vertrauen, hatte sie vor zwei Jahren in die Firma geholt. Ihre Familie war ein Clan, wie es ihn in dieser Konstellation heute oft gab, in Berlin, im Taunus, in Bogenhausen, auf Sylt oder in Potsdam. Der Vater war ein begabter Aufsteiger, der sein Leben lang hart gearbeitet hatte und erfolgreich gewesen war, die Fußstapfen, die er einmal hinterlassen würde, zu groß für die Kinder. Seine Söhne musterte Bernd manchmal, als wären sie Verlierer. Steinreiche Verlierer. Als Bernd nach dem zehnten Klingeln dran ging, war sie erleichtert. Es war ein Machtspiel. Das Warten. Aber so war es nun mal. Niemand wusste das besser als sie.
»Hör mal, Jenni, die Mia Pralala, die geht mir auf die Ner- ven. Einen Tag ruft sie mich an und sagt: Bernd, lass uns die Welt einreißen. Am nächsten Tag klingelt sie mich vor ihrem Konzert heulend aus ihrem Hotel an. Krieg das doch bitte hin mit der.«
Jennifer atmete langsam ein und aus, wie es Sven, der Yoga- Lehrer in ihrer Morning Class, immer teachte. Um kurz nach halb neun saß Jennifer an der Marmortheke in der Küche und las ihre Mails. Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen. Ihre Vitaminwerte waren alle top, hatte die Ärztin gesagt. Nur der Körper sei erschöpft. Deshalb der Schwindel. Deshalb die Stimmungsschwankungen. Konnte aber auch hormonell bedingt sein. Während Jennifer eine Mail zur neuen Hallentournee von Marie Schiffer öffnete, fuhr Jonah mit seinem Bobbycar ihr über die nackten Füße.
»Mensch, Jonah, das tut doch weh.«
Jennifer versuchte, sich den Schmerz aus dem Fuß herauszumassieren. Ihr stiegen unvermittelt Tränen in die Augen. Das war si- cher nur ein kurzer emotionaler Schub, der gleich wieder vorbei sein würde. Ihr Dreijähriger im Dino-Pyjama kletterte ungelenk auf ihren Schoß. Seine Knochen auf ihren Knochen. Eines Tages sind wir alle tot, dachte Jennifer. Und dass an ihrem Sohn Jonah nichts dran war. In seinen zarten Brustkorb eingeschlossen, wie ein kleiner Ballon, seine aufgeblasene Lunge. Frühkindliches Asthma. In der 33. Woche geboren. Intensivmedizin. Atemaussetzer. Wärmebettchen.
In der Neonatologie trugen die Babys farbenfrohe, von älteren, alleinstehenden Frauen gestrickte Schlafsäckchen. Manche nahmen sie mit nach Hause, andere für die Bestattung. Sie setzte ihren Sohn auf dem Boden ab und holte den Pari Boy aus dem Bult- haup-Küchenschrank und ließ ihn inhalieren, während sie weiter ihre Mails las. Das blaue, blubbernde Gerät mit Atemmaske versteckte sie wie die meisten Eltern vor den Augen anderer, denn das Kind, das eigene Kind, war doch gesund.
Jonah hielt still, weil Jennifer im unteren Bildschirmfenster Feuerwehrmann Sam laufen ließ. Sie sah sich selbst von außen und dachte, dass Jonah und sie wohl ein zeitgenössisches Mutter-Sohn-Porträt ergaben. Jonah röchelte auf Jennifers Schoß. Die Kaffeemaschine drohte überzulaufen. Selma weinte, weil sie aus der Babyschaukel wollte. Sie würde gleich aufhören, wie sie es immer tat. Sie würde aufhören, auch das hatte Jennifer irgendwo gelesen, weil Selma das dritte Kind war und von Geburt an gelernt hatte, dass ihr Weinen oft unbeantwortet blieb, weil alle, wirklich alle Besseres zu tun hatten, als das Baby zu bespaßen.
Beim dritten Kind wusste eine Mutter, was ein Baby dringend brauchte. Beim dritten Kind wusste eine Mutter, dass es nicht gleich sterben würde, wenn es nicht seinen Willen bekam. Diese Gleichzeitigkeit aller Dinge brachte Jennifer manchmal um den Verstand. Die Geschäfte, Mia Pralala und dieser You-Tuber Paluten, den die Mädchen gerade in der ersten Etage, der Wohnetage, auf dem großen Fernseher schauten und der sie latent aggressiv machte. Seine Clips waren für Jugendliche und Laura gerade erst mal neun Jahre alt, niemals las sie Bücher, sondern war ihrem Handy verfallen. Jennifer schaltete das Inhalationsgerät aus. »Alles gut, Schatz?«
Das kleine dünne Wesen mit dem großen Kopf und den blonden Haaren nickte ihr zu. Jetzt wollte Jonah Coco Pops essen. Müde ging sie zum Regal und holte eine XXL-Packung der Cerealien aus dem Schrank. Max kaufte diesen Müll, der keine Nährstoffe und nur Zucker enthielt. Er kaufte ihn, weil er seine ganze Kindheit über Coco Pops gegessen hatte und diese Angewohnheit, ohne nachzudenken, auf seine Kinder übertrug. Hatte es ihm geschadet? Nö. Und Jonah liebte die gezuckerten Pops. Jennifer hatte aufgegeben.
Ohne hinzusehen, schüttete sie die Schokobällchen in eine Schale. Laura und ihre Freundin Peppa kamen gelangweilt die Treppe herunter. Laura stieß ihren Bruder, der gerade seine Müslischale mit noch mehr Pops befüllen wollte, in die Seite und schnappte sich die Packung. Jonah schrie wie ein Wahnsinniger, warf sich auf den Boden und schlug seinen Kopf gegen den Terrazzo-Stein. Dann stand er wieder auf und rannte auf seine ältere Schwester zu. Er griff nach der Packung und Lauras Haaren. Laura schrie hysterisch auf, wie sie das neuerdings immer tat, als imitiere sie eine Serienfigur. Als imitiere sie eine dieser Tussis aus einer ihrer Teenie-Serien, die sich vor Spinnen, Dreck und kaltem Wasser fürchteten.
»Das war mindestens eine ganze Strähne«, schrie Laura. Bevor die Packung explodierte, riss Jennifer sie den streitenden Geschwistern aus der Hand. Laura schluchzte einen kurzen Moment über ihre ausgerissenen Haare, aber dann überlegte sie es sich anders. »Mama, dürfen Peppa und ich auf der Straße rollerbladen?«
Jennifer spürte wieder diesen Schwindel. Diese Traurigkeit, dass ihre älteste Tochter alle diese Möglichkeiten hatte, für die sie keine Kraft aufbringen konnte. Sie würde niemals Rollschuhfahren lernen, denn dafür war es mit einundvierzig Jahren einfach zu spät. Und das war auch gar nicht schlimm. Denn es war normal, dass die Kraft einer Frau irgendwann nur noch in das Leben der anderen floss. Dass es da ein Baby, ein Kind, einen Vater, einen Mann oder einen alten Hund gab, der es notwendig machte, jede Selbstbezogenheit aufzugeben und etwas weicher zu werden.
»Aber ihr müsst Jacken anziehen.« »Nein.«
»Dann geht es nicht.«
»Doch.«
»Ihr geht nicht ohne Jacken raus.«
»Tschüss, Mama.«
Mit einem Knall fiel die Haustür zum Vorgarten zu. Jennifer wischte die heruntergefallenen Coco Pops vom Boden auf. Jonah stand mit hängenden Armen neben ihr und weinte leise. Sie wischte, und es nahm kein Ende. Sie wischte so gründlich, so lange, als würde der Fortbestand ihrer Familie davon abhängen. Zunächst trocken. Dann mit angefeuch- tetem Küchenpapier, dann wieder trocken. Die klebrige Pampe aus Zucker, Weizen, Hundehaaren und Kuhproteinen wurde langsam kleiner.
Wenn sie sich anstrengte, wenn sie ihren Körper fühlte, konnte Jennifer oft nicht begreifen, was in den vergangenen Jahren passiert war. Dass ihr Körper eine wahnsinnige Metamorphose durchgemacht hatte, die jeder vernünftige Mensch, und sie zählte zu den vernünftigen Menschen, nicht allen Ernstes ohne Beschädigungen, ohne lange Erholung verkraften würde. Sie hatte drei Kinder aus sich herausgepresst und mit Muttermilch aufgezogen, und nun war es an ihr, zumindest den optischen Schaden zu beseitigen.
Abgerissene, vertrocknete Haarspitzen, hängende Brüste, der Bauch weich wie Quark, da half allerdings kein Crossfit mehr. Da musste der Chirurg ran. Bauchdeckenplastik, Brustvergrößerung, ein Mommy-Makeover, für rund fünfzehntausend Euro am Ku’damm zu haben. Nach sechs Wochen konnte man wieder laufen und die kleinen Kinder hochheben. Das hatte ihr Ariane, eine Mutter aus dem Kindergarten, erzählt.
Jennifer hatte aber keine Zeit und keinen unbedingten Willen für den Ku’damm. Sie hatte zwar einen siebenstelligen Kontostand und das dringende Bedürfnis, in dieser oberflächlichen Branche sehr gut auszusehen, aber sie hatte auch Bernd als Vater, der das Leistungsprinzip auf Lebenszeit gepredigt hatte, seitdem sie drei Jahre alt war, und nicht gewollt hätte, dass sich seine Tochter operierte, weil die Operierten und Gebotoxten die Schlagersängerinnen waren und völlig stillos. Ein reich geborener, aber bescheidener Mensch fastete, trieb Sport, nahm kalte Duschen.
Mit einer zweiten Rolle Küchenpapier putzte Jennifer noch mal trocken nach.
»Du wischst immer mit zu viel Wasser«, sagte ihr Mann Max. Wenn sie wischte, hatte sie immer Max im Ohr. Sein Sauberkeitsfetisch stand ihm leider auch beim Sex im Weg. Seine Frau oral zu befriedigen, kam ihm auch deshalb nur etwa alle sechs Monate in den Sinn. Es war ihm im Allgemeinen zu viel Feuchtigkeit. Er machte es dann eben nur selten, aber auch nur, damit er sagen konnte, dass er es machte. Also ganz grundsätzlich.
Jetzt hörte Jennifer Max auch, wie er eine Etage höher am Waschbeckenrand seinen Rasierer ausklopfte. Das alltägliche Geräusch seiner Morgenroutine aus dem Badezimmer gab ihr das Gefühl, als Ehefrau nicht zu genügen, also legte sie Selma zum Vormittagsschlaf in ihr Gitterbett und ging barfuß und im Nachthemd an Jonah vorbei wieder hoch. Wenn sie die Kinder versorgte, damit er ausschlafen konnte, dann war sie nicht bei ihm im Bett, um seinen Rücken zu massieren. Wie damals, als sie noch dateten.
Wie damals, als sie noch nicht schon am frühen Morgen die wilde Lust verspürt hatte, Ordnung zu schaffen. Eine imaginäre Ordnung natürlich, und sei es nur, dass die Kinder gefrühstückt hatten und die Wäsche nicht im Trockner anfing zu stinken. Irgendwann, sagte sie sich immer wieder, irgendwann würde sie wieder cool sein, die Gelassenheit und so viel unbändige Lust auf ihren Mann haben, dass sie ihre Leidenschaft wieder entdecken würden.
Denn das ging doch, das war doch überall in Magazinen zu lesen. Das stand doch überall, dass es sie wirklich gab, diese wahnsinnig energetisierende Lebensphase, sobald die Kinder Teenager waren, keine Windel mehr trugen und nicht alleine auf die Straße rannten. Dass dann vielleicht sogar die Liebe zurückkam oder aufblühte. Als sie reinkam, stand Max vor dem begehbaren Kleiderschrank im Schlafzimmer. Sie blickte auf seine ganze Biologie. Max lächelte und schmiss sich auf das Boxspringbett mitten ins meterhohe Duvet.
»Jetzt mach doch nicht immer so einen Stress am Sonntagmorgen.«
Ob er sich für unwiderstehlich hielt oder doch eher für pflichtbewusst, im Sinne von ehelichen Pflichten, konnte Jennifer nicht genau sagen, aber immerhin wusste sie, was zu tun war. Sie legte sich zu ihrem Mann unter die Decke und griff nach seiner Erektion. Eine müde Erektion. Sie drückte darauf herum. Mehr Marshmallow als steifer Schwanz. Es war ein bisschen wie mit diesen Ballontieren. Schnürte man eine Stelle ohne zu viel Druck mit den Fingern ab, schob sich die Luft an das Ende – und der Ballon wurde fest. Sie knetete noch ein paar Mal, jetzt mit beiden Händen, bis die Masse einen passablen Härtegrad erreicht hatte.
Dann flog die Tür auf.
»Mama!«
Laura schaute durch ihre Eltern hindurch. Zwei nackte Erwachsene bis zu den Schultern unter einem drei Meter breiten Duvet. Es konnte einer Neunjährigen nichts egaler als Elternsex sein.
»Dürfen wir noch ein bisschen fernsehen?«
»Nur, wenn du mit Peppa zehn Minuten auf die Kleinen aufpasst.« »Nein.«
»Bitte, Papa und ich wollen noch kurz schlafen.«
»Ich will zehn Euro.«
»Fünf.«
»Zehn.«
»Fünf«, sagte Jennifer.
Laura zuckte gelangweilt mit den Schultern.
»Okay.«
Laura griff ruppig nach ihrem kleinen Bruder Jonah, der selbstvergessen durch das Haus gewandert war und nun vor der Schlafzimmertür seiner Eltern saß. In diesem Moment beneidete Jennifer ihre Tochter wieder einmal um ihre Lässigkeit. Die war ihr als Mädchen völlig abgegangen. Jennifer hatte immer Grusel gehabt, ihren Vater mit einer seiner Frauen im Bett zu erwischen, ihren Vater mit einer anderen Frau zu sehen, allein der kleinste Fleck auf Bernds Hotelbett – und es gab leider viele davon – konnte sie als Kind wochenlang ekeln. Aber Laura ging nur raus und zuckte mit den Schultern.
Jennifer schloss die Schlafzimmertür hinter ihr ab. Für ein bisschen Programm war noch Zeit. Jennifer ging in das Badezimmer des Master Bedrooms. Kramte in der Schublade. Auf dem Gleitgel stand Fucking Good. War auf einer Party am Ende als Give-away verteilt worden. Dazu gab es Feuchttücher für besseren Geruch im Genitalbereich, Kondome aus Naturkautschuk und einen Analplug aus Fairtrade-Plastik. Einfach anzuwenden, drehte sich kinderleicht wie ein Korken rein. Das Gefühl war ungewohnt, aber nicht unangenehm. Der Mann fand es gut, das Gleitgel mit TCB-Wirkstoff sorgte für den Rest.
Während Jennifer mit ihrem Mann erwachsen pragmatisch poolte, klingelte es unten an der Tür. Die Mädchen würden bestimmt aufmachen. Jennifer drehte sich um, damit Max ihren Hintern sehen konnte und schneller zum Orgasmus kam. Stellungswechsel. Er drang erneut in sie ein. Sie stützte den Kopf auf die Arme, drückte ihr Gesicht in die Kissen, damit der Winkel stimmte. Minuten der rhythmischen Bewegung vergingen.
Max war jetzt achtunddreißig Jahre alt und wollte einer dieser modernen Väter sein, die mit Fahrradhelm Cargo-E-Bike fuhren und Vereinbarkeit auf der Stirn stehen hatten. Jennifer versuchte es mit ein paar schmutzigen Bemerkungen über seinen Schwanz, doch Max schien nicht zu kommen. Sie dachte an die Türklingel, die Mädchen, Jonah, der da alleine im Haus herumlief. Sie dachte an ihre jüngste Tochter Selma, die gleich wieder aufwachen würde. Auf einmal wurde der Druck zu groß. Hektisch drehte sie sich um und schaute ihren Mann an.
»Los, spritz mir ins Gesicht.« »Wirklich?«
»Ja.«
Jennifer lief ins Bad, klatschte sich mit beiden Händen am Waschbecken Wasser ins Gesicht. Schloss die Schlafzimmertür wieder auf. Rannte die Treppe runter. Sie war für die Flüssigkeiten der ganzen Familie zuständig, dachte sie dabei. Sie zu empfangen, aufzuwischen und verschwinden zu lassen. Bestimmt hatte sie noch etwas davon in den Haaren.
Ein Auszug aus dem Roman „Die Ungelebten“ (Ullstein)
19 comments
Der Artikel regt wirklich zum Nachdenken an. Beim Lesen musste ich oft an meine eigene Entscheidung denken, meine Zahnarztpraxis abzugeben, um mehr Zeit für mich und meine Familie zu haben. Der Druck, ständig alles perfekt zu machen, kann wirklich erdrückend sein.
Vielen Dank für diesen ehrlichen Einblick, Caro!
Dieser Textauszug wirkt auf mich stark zynisch, depressiv. Ich hoffe sehr, dass Menschen, die sich so fühlen, sich und ihre Lebensweise kritisch hinterfragen und ggfl. umschwenken können.
Oh Gott… Ich bin so froh, dass ich nicht die einzige bin, der dieser Text nicht gefällt. Ich bin auch Mutter, berufstätig (50%) und finde mein Leben schön und sehe mich gar nicht in dieser Beschreibung. Ich glaube auch nicht, dass das Muttersein das Problem der Protagonistin ist, sondern ein nicht aufgearbeitetes Kindheitstrauma, das sie von ihrem Vater auf den Mann überträgt. Schade, dass die Welt das Muttersein so sieht, dabei ist es viel viel schöner!
Und wenn ein Mann sich derartig respektlos und demütigend über seine Kinder und Frau äußern würde (ich weiß, Satire, wenn auch schlechte, darf alles) würde die Hölle losbrechen
Du hast vollkommen Recht,@die andere S. Das sehe ich genauso.
Ich fand den Text zum Fremdschämen. Auf dieses oder weitere Bücher der Autorin verzichte ich gerne.
Hey,
also ich musste hier sehr oft schmunzeln…und fand mich (wenn auch in etwas abgewandelter Form) wieder. 🤣 Kinder, Haushalt, Beruf …
Man möchte es jedem rechtmachen und gefallen, dabei vergisst man sich selbst oft genug….
Liebe und Gesundheit kann man (zum Glück) nicht mit Geld kaufen…
Aber den Blick aufs Leben und wie man ihm begegnet, liegt bei jedem selbst.
Mir hat der Schreibstil des Ausschnitts sehr gut gefallen und ich musste schmunzeln.
Es handelt sich um ein fiktionales Buch und es geht doch nicht darum, ob ich mich hier zu 100 Prozent wieder finde. Das ist doch bei Belletristik meist der Fall – es geht doch darum, in ein anderes Leben einzutauchen respektive sich abzugrenzen oder andere Perspektiven zu verstehen.
ich sehe es wie JoJo…musste sehr schmunzeln
Aber es ist ja einfach auch total schlecht geschrieben, oder? Einfach nur so runtergeleiert, wie ein Tagebuch-Eintrag. Wirkt völlig konzeptlos, kein bisschen literarisch. Es wollen einfach so viele Bücher verkaufen, aber so wenig können gut schreiben…
Mich stört eher die wirklich abgelutschte Aufstellung der Charaktere. Gelangweilter Sex in der Ehe zum Fremdschämen gabs schon tausendmal. Schon seit „Als Mutter streikte“ in den 80ern wird dieses Thema der ungesehenen Mutter humoristisch breit gewälzt. Heutzutage brauchts was anderes auch literarisch, um dieses Thema voranzubringen. Ja, und dann ist der Stil weder besonders schön, noch originell. Ständig breitgetretene Wendungen. Irgendwie plump und hastig.
Ehrlich, das ist gewiss keine Perspektive, in die ich eintauchen möchte. Und auch keine, für die ich auch nur einen Hauch Verständnis habe.
Wenn ich mich mit Fiction beschäftigen möchte, dann lieber Mord und Totschlag, oder Marsmissionen. Oder zur Not auch Rosamunde Pilcher. Gibt mir auf jeden Fall mehr als das. Aber Geschmäcker sind ja glücklicherweise verschieden.
Wahnsinnig traurig. Das einzig Positive, was ich daraus ziehen kann ist, dass meine wirkliche Welt plötzlich viel fröhlicher aussieht.
Grauenhaft, hoffe sehr , dass das nicht autobiographisch ist bzw. dass die Protagonistin sich im Laufe der Geschichte befreit.
Erkenne mich darin auch nicht wieder, wohl aber die ein oder andere Patientin, die mal ein großes Blutbild und ihre Vitamine bestimmt haben möchte …Spoiler: kommt nie was relevantes dabei raus.
Und übrigens: es gibt medizinisch kein großes Blutbild. Es gibt ein kleines und ein Differential Blutbild.
Und keine Pille dieser Welt wird das beschriebene Problem lösen.
Grauenhaft trifft es ganz gut…krass, dass so ein dämlicher Mist tatsächlich veröffentlicht wird?!
Ich konnte mit dem Text auch so gar nichts anfangen. Ich habe wirklich bis zum Schluss gelesen, da ich auf einen Aha Effekt oder etwas lustiges oder.. gehofft hatte.
Ich selbst bin voll berufstätig, habe keinen perfekten Haushalt aber eine tolle Familie mit all den Herausforderungen und schönen Momenten
Hm, irgendwie nicht mein Humor.
Weiß auch nicht, ob es gesellschaftlich förderlich ist, die immergleichen Klischees wieder und wieder zu reproduzieren, wenn auch vermeintlich satirisch.
Geht es nur mir so?
@die andere S.: Nein, das geht nicht nur dir so. Ich habe ca. 1/3 des Textes gelesen und dann aufgehört, weil ich den Text extrem übertrieben fand.
Ja, das Leben als Mutter ist anstrengend, aber so negativ nun auch nicht. Es scheint, als gäbe es im Leben der Autorin nichts, also gar nichs, positives mehr. Sollte der Text autobiografisch sein, sollte die Autorin sich unbedingt aus diesem trostlosen Gefängnis befreien.
Mein Leben als arbeitende Mutter (ja, sogar 100%) ist anstrengend. Es ist nicht alles schön und toll, aber ich werde gesehen. Ich habe einen tollen Mann, der gleichberechtigt anpackt und eine Familie, die sieht, was wir leisten. Zeit könnte natürlich immer mehr sein, aber wem geht das nicht so?
Die Beschreibung der Autorin klingt extrem trostlos. Ich hoffe sehr, dass keine Frau in Deutschland heute noch so leben muss. Ok, realistisch betrachtet wird es ein paar geben, aber das ist nicht die große Masse, als dass man das Buch als Beschreibung des Lebens aller Mütter sehen könnte.
Das ist ja ein selten banales und langweiliges Zeug, das da reproduziert wird.
Carolin Rosales schreibt mM nach schon immer hauptsächlich schlechte Texte, aber der hier ist nochmal ne andere Kategorie.
Nein, in diesem Auszug finde ich mich überhaupt gar kein bisschen wieder.
Tanja, 45 Jahre, 2 Kinder, teilzeitberufstätig, Mann und Mutter mit Pflegegrad