Ihr Lieben, wie oft wird mehrgewichtigen Menschen vorgeworfen, dass sie einfach zu viel essen und sich nie bewegen würden. Dick ist gleich faul, heißt es dann. Manchmal steckt aber auch eine andere Leidensgeschichte hinter den Kilos. Wie bei Marie – sie war immer normalgewichtig, bis sie krank wurde…
Liebe Marie, was wiegst du heute bei welcher Größe?
Ich wiege 95 Kilo bei einer Größe von 1,65 Metern.
Warst du als Kind schon mehrgewichtig?
Als Kind war ich normalgewichtig. Ich war nie ganz dünn, aber immer schlank. Allerdings ist mir von klein auf eingeredet worden, ich sei zu dick und müsse mit dem Essen aufpassen.
Du bist dann sehr krank geworden. Kannst du uns davon erzählen?
Mit 14 Jahren (im Jahr 2007) bin ich dann an einer Schizophrenie erkrankt, also einer schweren psychischen Erkrankung. Dementsprechend habe ich starke Medikamente bekommen, die zu einer erheblichen Gewichtszunahme geführt haben. Innerhalb von wenigen Monaten habe ich mein Gewicht von 60 kg auf über 90 kg gesteigert. Nach sechs Jahren Medikamenteneinnahme war ich bei knapp 130 kg.
Schizophrenie ist eine schwere psychische Erkrankung. Was waren die ersten Symptome und wann war klar, dass du ärztliche Hilfe brauchst?
Die ersten Symptome waren starke Erschöpfung, dann ging es weiter mit Wahnvorstellungen. Ich habe zum Beispiel Dinge gesehen, die nicht echt waren. Auch hat sich mein Bezug zur Realität verändert, ich dachte, die Menschen auf der Straße reden über mich. Irgendwann haben Stimmen in meinem Kopf gesprochen, dass es besser wäre, wenn ich nicht mehr da sei. Etwa zu dem Zeitpunkt hat meine Lehrerin die Schulpsychologin informiert und diese wiederum meine Eltern. Danach kam ich in ärztliche Behandlung und bekam Medikamente.
Und die haben dich dick gemacht…
Genau, die Gewichtszunahme war eine schlimme Nebenwirkung der Medikamente. Der Stoffwechsel verlangsamt sich und ich hatte ständig Hunger, immerzu, sogar nachts. Ich habe viel gegessen und bin nie wirklich satt geworden.
Wie ging es dir damit, dass du plötzlich so zugenommen hast?
Gerade als Teenager, wo man sich ja ohnehin viel mit dem eigenen Körper beschäftigt, war diese Gewichtszunahme dramatisch. Meine Kleidung hat nicht mehr gepasst, sogar meine Schuhe nicht mehr. Im Sommer zuvor bin gerne schwimmen gegangen, das konnte ich mir nicht mehr vorstellen. Ich habe viel geweint und mich sehr unwohl gefühlt. Ich konnte nicht mehr auf einem Stuhl sitzen, ohne mir ein Kissen vor den Bauch zu halten, so sehr habe ich mich geschämt.
Hast du Ablehnung oder krasse Sprüche von anderen Menschen bekommen?
Ich war ja in ärztlicher Betreuung und habe dort oft geschildert, wie sehr mich das Gewicht belastet, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber ich bin auf taube Ohren gestoßen. Die Risiken eines so hohen Körpergewichts schienen hinnehmbar. Die Schwierigkeiten einer Gewichtsreduktion werden meiner Meinung nach auch nicht wirklich ernstgenommen. Ein bisschen Sport, weniger Essen, dann klappt das schon. Das stimmt aber einfach nicht. Auch mein Hausarzt, an den ich mich vor einiger Zeit gewandt habe (nach mittlerweile 16 Jahren Mehrgewicht), empfahl mir, einfach weniger zu essen…
Hattest du Freunde oder Familie, die dich aufgefangen haben?
Meine Mutter und meine Großmutter waren ziemlich entsetzt, obwohl natürlich in erster Linie die psychische Erkrankung im Vordergrund stand. Aber besonders meine Mutter hat mit vielen Diät-Vorschlägen und immer neuen Ideen zur Gewichtsreduktion es zwar gut gemeint, aber über viele Jahre noch schlimmer gemacht – Stichwort Jojo-Effekt. Wirklich aufgefangen mit all der Trauer und Sorge hat mich niemand.
Was hast du schon alles gemacht, um Gewicht zu verlieren?
Puh, ich habe so ziemlich alles probiert… Sport, Intervallfasten, Diäten, nichts hat langfristig geholfen. Wirklich etwas geändert hat sich erst, als ich das Medikament im Jahr 2014 absetzen durfte. Danach habe ich von 130 kg auf knapp 95 kg abgenommen, weil der Appetit weg war. Auch nach meiner Schwangerschaft habe ich das Gewicht halten können.
Wie fühlst du dich momentan körperlich? Was findet du schön an dir und was eher nicht?
Ich bin immer noch zu dick. Aber ich habe aufgehört, streng auf mein Gewicht und meine Ernährung zu achten. Ich esse gesund und bewege mich gerne und viel. Auch das Schwimmen habe ich wieder gewagt, ich möchte nicht, dass meine Tochter diese Scham übernimmt.
Zum Glück habe ich einen Partner, der mich genauso mag, wie ich bin und das auch immer wieder betont. Ich arbeite, erziehe meine Tochter und genieße mein Leben auch mit Bauch und derzeit zum Glück absolut symptomfrei.
Was wünscht du dir für die nächsten Monate?
Für die nächsten Monate wünsche ich mir, dass es mir gelingt, meinem Körper gegenüber weiterhin positiv eingestellt zu bleiben. Ansonsten ist es schön, wenn der Alltag seinen Gang geht. Das ist für mich immer noch nicht selbstverständlich.
1 comment
Das ist ein mutiger und toller Bericht, vielen Dank für deine Ehrlichkeit.
Übergewichtigen wird immer die Schuld dafür gegeben, dabei können Normalgewichtige sich gar nicht vorstellen wie schwierig ist es, „einfach weniger“ zu essen, wenn man doch aber unfassbar großen Hunger hat.
Es ist eben nicht so einfach!
Es ist sehr schön dass Du Dein Leben so toll geregelt bekommen hast und glücklich bist! Eine perfekte Figur ist eben nur das, eine Figur. Du bist so viel mehr als eine Figur und Du hast viel erreicht, sei stolz auf Dich!