Liebe Katharina, vor zwei Jahren wurde bei Dir eine rezidive Depression festgestellt – kannst Du mal beschreiben, was das genau bedeutet?
Eine rezidive Depression ist eine immer wiederkehrende Depression, das bedeutet, dass ich je nach Situation oder Schicksalsschlag wieder in ein tiefes Loch fallen könnte. Jedoch habe ich Dank meiner Psychiaterin und meiner Therapien einen guten Blick auf mich selbst. Und auch mein Mann achtet gut auf mich und merkt schnell, wenn gerade wieder etwas im Gange ist.
Anzeichen auf diese Depression gab es viele. Ich war gereizt und launisch. Es gab nur noch Himmel hoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Ein normales Verhalten oder normale Gefühl kannte ich gar nicht mehr. Leider habe ich sehr lange weder auf meinen Körper noch auf meine innere Stimme geachtet.
Wie lange hat es gedauert, bis Du die Diagnose hattest?
Nachdem ich von meiner Hausärztin akut in eine Depressions-Klinik eingewiesen wurde, wurde dort nach etwa zwei Wochen die Diagnose gestellt. Ich war insgesamt sechs Wochen in der Klinik. Danach bin ich noch ein Jahr in eine ambulante Therapie gegangen.
Wie fühlte es sich an, als Du die Diagnose hattest?
Die letzten zwei Wochen, bevor ich akut in eine Klinik eingewiesen wurde, fühlte ich gar nichts mehr. Ich konnte nicht weinen und auch nicht lachen. Das Einzige, was ich halbwegs fühlen konnte, war das schlimme Gefühl, meinen Kindern jeden Tag zu sagen, wie sehr ich sie liebe – und das nicht fühlen zu können.
Als die Diagnose kam, hatte ich endlich etwas Greifbares. Ich konnte besser mit allem umgehen. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, die Diagnose letztes Jahr in der Reha loszuwerden, lebe ich gut damit. Mein Lieblingssatz aus der Klinik damals: RADIKALE AKZEPTANZ.
Du hast uns geschrieben, dass das eine harte Zeit für Deine Ehe war – kannst Du beschreiben, wie Euch das verändert hat?
Ich konnte keinerlei Nähe mehr zulassen. Ich entfernte mich immer mehr von meinem Mann und er kämpfte immer wieder wie ein Löwe, um an mich heranzukommen. Irgendwann resignierte auch er. Wir funktionierten als Eltern nach wie vor erstaunlich gut, aber sobald die Kinder im Bett oder aus dem Haus waren, gingen wir getrennte Wege.
Irgendwann las ich einen Artikel über Depressionen innerhalb der Partnerschaft und ein Satz begleitete mich von da an: IN EINER EHE/BEZIEHUNG IST MAN NIE ALLEINE KRANK. Das ist wirklich so, zumindest war es bei uns so.
Stand denn auch mal Trennung im Raum?
Ja, als das zur Sprache kam, weinten wir beide wirklich bitterlich. Wir gestanden uns aber ein, wie sehr wir uns noch liebten und dass wir uns nicht trennen wollen.
Wie habt Ihr um Eure Ehe gekämpft?
Wir haben verschiedene Möglichkeiten genutzt. In der Klinik hatten wir drei Sitzungen gemeinsam und ich habe ihm viel erzählt, was ich so rausgefunden habe über mich oder uns. Auch während der ambulanten Therapie haben wir sehr viel geredet.
Nach der Reha letztes Jahr gab es einen riesigen Bruch und Knall, da dachte ich wirklich, dass all die Mühen umsonst waren. Doch wir haben nächtelang geredet, uns von den Kindern eine Auszeit genommen. Danach war es nicht mehr so, dass wir nebeneinander hergelebt haben. Wir haben bewusst Zeit miteinander verbracht, waren essen, spazieren oder haben uns einfach gemeinsam ins Bett gekuschelt. Eine Paartherapie haben wir nicht gemacht, aber wir passen nun sehr gut auf unsere Beziehung und uns auf.
Wie haben Eure drei Kinder die Situation erlebt?
Unsere Kinder sind erstaunlich gut damit umgegangen. Auch da muss ich meinem Mann ein riesen Lob und Dank aussprechen. Er hat den Kindern erklärt, was Mama hat und warum das so ist. Er fand immer Bilder für meine Erkrankung.
Mein Mann erklärte abends mal unserer Tochter, dass Mamas Auto nicht mehr getankt werden kann. „Wenn du morgens deine Augen öffnest, ist dein Tank voll und du kannst den ganzen Tag mit deinem Auto fahren. Abends ist der Tank leer und manchmal macht es sogar PING und die Kontrollleuchte geht an. Dann musst du dringend ins Bett und schlafen, damit du deinen Tank wieder füllen kannst. Bei Mama ist das leider kaputt, die kann Nachts nicht voll tanken, weil die Tankstelle geschlossen ist. Wenn Mama morgens die Augen öffnet macht es PING…….“
Nun bekommst Du in wenigen Tagen Euer viertes Kind. Die Reaktionen darauf waren von Außenstehenden nicht nur positiv, oder?
Wir sind immer offen mit meiner Diagnose umgegangen, unser Umfeld weiß über alles Bescheid. Wir wollten nichts verheimlichen, das war uns auch wegen der Kinder wichtig. Deshalb gab es leider dann von einigen bösen Zungen eine sehr merkwürdige und anmaßende Reaktion auf Kind Nummer Vier. Wir würden damit nur unsere Ehe versuchen zu retten/kitten. Das tat weh, aber durch unsere gemeinsame Arbeit an unserer Ehe stehen wir darüber.
Wie hast du diese Schwangerschaft erlebt?
Diese Schwangerschaft konnte ich viel mehr genießen als die anderen. Ich war viel entspannter als zuvor. Und ich empfinde sie auch als großes Glück, denn damit konnten wir unserem bis dahin Jüngsten seinen größten Wunsch erfüllen: Endlich ein großer Bruder zu werden.
Was hast Du durch die letzten Jahre gelernt?
Ich habe gelernt, nicht mehr perfekt sein zu müssen. Niemals wieder möchte ich eine Maske tragen müssen, nur um anderen zu gefallen. Ich habe mich extrem entschleunigt und meine Familie gleich mit. Wir müssen nicht jeden Tag glücklich sein. Wir haben unsere Ansprüche extrem zurückgeschraubt. Und ich habe gelernt, dass es mir schnurzegal sein kann, was andere von mir oder meiner Familie halten.
2 comments
Ich ziehe meinen Hut…
…vor deinem ehrlichen Interview. Es ist gut beschrieben, sehr reflektiert und man hört heraus, wie viel du dich mit deiner Situation und dir selbst beschäftigt hast. Das ist schon ein riesen Schritt, den du da geschafft hast. Alles Liebe für deinen und euren Weg!
Danke für Deinen ehrlichen
Danke für Deinen ehrlichen Beitrag! Mir geht es ähnlich, nur dass ich keine „Diagnose“ habe. Ich finde es toll, dass Du jetzt zufrieden bist. Kind 4 wird es sicherlich nicht einfacher machen, aber schön, dass Ihr Euch traut. Ich hätte im Leben gerne etwas mehr Leichtigkeit. Und das hört sich alles nach so viel Arbeit an. Auch mit den Ansprüchen runterschrauben und akzeptieren, nicht jeden Tag glücklich sein zu können, ist ok, aber auch irgendwie traurig. So nüchtern. Oder verwechsel ich es mit Milde. Und auch dass Dir die Meinung anderer total egal ist, ist schön, aber nicht ganz glaubwürdig. Jeder Mensch ist sozial und möchte dazu gehören. Ignoriert zu werden zum Beispiel macht Schmerzen. So ganz autark leben ist daher schwierig bis unmöglich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass in solchen Therapien doch versucht wird, die Menschen „normal“ zu machen, unauffällig oder verwechsel ich das wieder mit mit sich im Reinen? Die radikale Akzeptanz finde ich super und werde mir merken. Euch alles Gute und halte uns auf dem Laufenden, wie es mit Kind 4 klappt.