Damit mein Kind sich besser fühlt: Frustration & Wut bei Jugendlichen

Jugendliche begleiten

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Ihr Lieben, als Mutter suche natürlich auch ich… wie so viele andere… immer nach Wegen, damit mein Kind sich besser fühlt. Deswegen fand ich den Titel des neuen Buches von Natalie Hissen so gut und optimitisch: Damit mein Kind sich besser fühlt.

Sie ist Diplom-Psychologin, Psychotherapeutin, Familientherapeutin, Elterncoach, aufgewachsen in Deutschland und den USA und lebt seit Ende der 1990er Jahre in Frankreich. Sie arbeitet in einer psychologischen Beratungsstelle für Familien in Paris. Als Leiterin eigener Elternprogramme zur Gefühlsbewältigung von Kindern teilt sie ihr Wissen mit Eltern in Webinaren, Workshops und Vorträgen. Hier geht sie auf viele verschiedene Aspekte in der Begleitung heranwachsender Kinder ein, ihr könnt euch also auch einfach die Teile rauspicken, die für euch grad relevant sind.

Natalie Hissen
Damit mein Kind sich besser fühlt

Liebe Frau Hissen, Sie sind Psychologin und Familientherapeutin: Mit welchen Themen kommen Eltern derzeit am häufigsten zu Ihnen?

Meine Antwort wird Ihnen sehr vereinfachend vorkommen: Jungen im Grundschulalter mit Aufmerksamkeitsdefizitproblemen oft gepaart mit Hyperaktivität und jugendliche Mädchen mit ängstlich-depressiven Störungen, die bis zur Selbstmutilation gehen können. Beides sind Symptome, die Eltern sehr beunruhigen und herausfordern und für die man gerne schnell Lösungen finden möchte. Die Motivation der Eltern, Hilfe für ihre Kinder aufzusuchen ist wahrscheinlich daher besonders hoch bei diesen Themen.

Die Emotionen von Jugendlichen in diesem Alter sind zum Teil enorm heftig, wie können Eltern es schaffen, dabei nicht selbst auszuflippen? 

Die Emotionen von Jugendlichen in diesem Alter können tatsächlich extrem intensiv sein, und es ist für Eltern oft eine große Herausforderung, dabei selbst ruhig zu bleiben und nicht „auszuflippen“. Es ist ganz normal, sich emotional getriggert zu fühlen, besonders in der familiären Umgebung, wo viele verschiedene Erwartungen und alte Muster aufeinandertreffen. Ob man hochsensibel ist oder nicht, Situationen, in denen man sich getriggert fühlt, sind unvermeidlich.

Das Buch „Damit mein Kind sich besser fühlt“ betont die Wichtigkeit, dass Eltern zunächst lernen, mit ihren eigenen Gefühlen umzugehen, bevor sie auf die emotionalen Ausbrüche ihrer Kinder reagieren. Eine Schlüsselstrategie dabei ist die Fähigkeit, innezuhalten, bevor man reagiert. Dieses Innehalten gibt einem die Gelegenheit, tief durchzuatmen und sich zu sammeln, was oft den Unterschied zwischen einer besonnenen Reaktion und einem impulsiven Ausbruch ausmacht.

Ein grundlegendes Verständnis des autonomen Nervensystems kann Eltern ebenfalls helfen, ihre Reaktionen besser zu steuern. Wenn man versteht, wie Stress und emotionale Trigger auf körperlicher Ebene wirken, kann man bewusster und gezielter gegensteuern. Regelmäßige Meditation und Entspannungstechniken sind hierbei äußerst hilfreich. Sie helfen nicht nur, das Nervensystem zu beruhigen, sondern auch, insgesamt mit mehr Gelassenheit durch den Tag zu gehen. Solche Techniken können im Alltag integriert werden, um eine dauerhafte innere Ruhe zu kultivieren, was besonders in stressigen Momenten von großem Vorteil ist.

Ein weiteres wichtiges Argument ist die Selbstfürsorge: Eltern sollten sich regelmäßig Zeit für sich selbst nehmen, um ihre eigenen Batterien aufzuladen. Ob durch Sport, Hobbys oder einfach nur durch ruhige Momente für sich – je ausgeglichener man selbst ist, desto besser kann man auf die emotionalen Schwankungen der Jugendlichen reagieren.

Schließlich kann es hilfreich sein, sich daran zu erinnern, dass die heftigen Emotionen der Jugendlichen oft Ausdruck von Unsicherheiten oder Überforderung sind, die oft mit den großen Veränderungen Jugendlicher in der Pubertät zusammenhängen. Wenn Eltern diese Perspektive einnehmen, fällt es leichter, Mitgefühl zu zeigen und nicht selbst in die Emotionen einzusteigen.

Natalie Hissen
Natalie Hissen

Wie kann ich reagieren, wenn mein Kind vor Wut die Zimmertür so knallt, dass sie kaputt geht?

Die Situation, die Sie beschreiben, ist natürlich heftig, aber leider nicht ungewöhnlich. Als Eltern steht man dann oft fassungslos vor der kaputten Tür, während sich der Jugendliche dahinter verschanzt. Ein solcher Gefühlsausbruch kann einen selbst ziemlich mitreißen. Plötzlich ist man überwältigt von einer Flut an Emotionen – Schock, Empörung, Wut, Besorgnis oder Angst. Unser Gehirn schlägt in solchen Momenten sofort verschiedene Reaktionen vor: Bestrafung, Vergeltung, Zurückschreien oder das stille Rückzug in eine emotionale Eiswand. Es ist völlig normal, solche Gedanken zu haben – solange wir sie für uns behalten.

In solchen Momenten fühlt es sich oft chaotisch an, weil die verschiedensten Emotionen und Gedanken in uns toben. Unser Gehirn neigt dann dazu, die einfachste und vertrauteste Reaktion zu wählen – häufig die, die wir selbst in unserer Kindheit erlebt haben. Aber ist das wirklich die beste Antwort? Wie können wir uns in diesem emotionalen Chaos zurechtfinden?

Hier hilft es, an die erste Stufe der Drei-Schritt-Methode zu denken: innehalten und alle Gedanken zulassen. Es geht weniger darum, welche Gedanken und Gefühle hochkommen, sondern vielmehr darum, wie wir mit ihnen umgehen. Reagieren wir impulsiv oder nehmen wir uns einen Moment Zeit, um zu reflektieren, was gerade in uns passiert? Können wir akzeptieren, dass es ein schwieriger Moment ist, in dem wir mit uns ringen? Es ist in Ordnung, dass wir innerlich kämpfen – es ist nicht einfach, Eltern zu sein. Es hilft, sich daran zu erinnern, dass auch andere Eltern solche Momente erleben und dass solche Herausforderungen zum Elternsein dazugehören.

Indem wir unseren eigenen turbulenten Zustand erst einmal akzeptieren, entspannen wir uns. Das wertfreie Annehmen unserer schwierigen Empfindungen und Gedanken ermöglicht es uns, frei zu entscheiden, wie wir weitermachen wollen. Wir reagieren nicht mehr impulsiv, sondern finden unser Gleichgewicht wieder. Wichtig ist, dass wir nicht versuchen müssen, den emotionalen Zustand unseres Kindes zu ändern, um uns selbst besser zu fühlen. Wenn wir dem Kind Raum geben, sich selbst bewusst zu werden, was gerade passiert ist, schaffen wir die besten Voraussetzungen für eine positive Einflussnahme. Die wahre Kraft liegt darin, uns diese Auszeit zu nehmen.

Der zweite Schritt besteht darin, das Gefühl des Kindes zu benennen und zu validieren. Auf den ersten Blick mag es kontraintuitiv erscheinen, das negative Gefühl des Kindes zu bestätigen. Man könnte denken, dass es falsch ist, zu sagen: „Es ist verständlich, dass du so wütend bist.“ Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir das Gefühl des Kindes anerkennen, ändert sich seine emotionale Chemie sofort – die Wut ebbt ab, weil es keinen Widerstand mehr gibt. Unsere Akzeptanz nimmt den Wind aus den Segeln, und das Kind kann seine kämpferische Haltung aufgeben. Es fühlt sich verstanden, gesehen und beruhigt sich, weil es erkennt, dass der Aufruhr nicht mehr nötig ist.

Nachdem Sie sich selbst beruhigt haben, können Sie nun den wichtigen dritten Schritt tun: den emotionalen Kontakt zu Ihrem Kind wiederherstellen. Zeigen Sie ihm Ihr Mitgefühl, indem Sie sagen: „Das war wirklich kein einfacher Moment für uns/dich“ oder „Es ist verständlich, dass es einen mitnimmt, wenn Dinge nicht so laufen wie gewünscht.“ Solche herzlichen, mitfühlenden Worte sind entscheidend, um die Verbindung zu Ihrem Kind aufrechtzuerhalten, was langfristig für eine nachhaltige Verhaltensverbesserung sorgt.

Warum ist das so wichtig? Weil solche explosiven Momente zu Entzweiung oder Rückzug führen können, besonders im Jugendalter. Durch das Wiederherstellen der emotionalen Verbindung können Sie später erneut über die Situation sprechen, ohne dass es Ihrem Kind unangenehm ist. Oft ist ihnen ihr Verhalten im Nachhinein peinlich, und sie empfinden es als Schwäche. Wenn das Thema ein wunder Punkt bleibt, wird es schwer für sie, daraus zu lernen und beim nächsten Mal anders zu reagieren.

Wenn Ihr Kind die Tür zuknallt, sucht es oft nach einer Auszeit, um sich und Sie vor einer Eskalation zu schützen. Es signalisiert: „Ich ziehe mich zurück, aber ich gebe nicht klein bei.“ Wenn es merkt, dass der Fokus nicht auf Vorwürfen, sondern auf Wachstum liegt und es darauf vertrauen kann, dass Sie immer wertschätzend handeln, lernt es, auch wenn Türen geknallt und zerbrechen, geht unsere Beziehung nicht zu Bruch.

Sehen Sie in jeder vermeintlich negativen Emotion – wie etwa Wut – eine Chance und eine Stärke? 

Mütterkur
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Ja, bei echter Wut können wir unseren Kindern einiges an Stärke mit auf den Weg geben. Hinter Wut verbirgt sich oft der Wunsch nach anderen Bedingungen und mehr Freiheit. Vor allem Freiheit von Umständen, die als falsch oder beengend empfunden werden. Wut entsteht dann, wenn die eigene Würde oder die Privat- bzw. Intimsphäre angegriffen werden. Das kann etwa durch geringschätzige Kommentare geschehen, oder durch deplatzierte Gesten oder Handlungen. Das bloße Betreten eines Zimmers kann reichen, um Wut auszulösen.

Diese Wut ist aus der empfundenen Verletzung von Grenzen entstanden und führt zu dem Streben nach Abgrenzung und der Forderung von Respekt und der Anerkennung der eigenen Rechte. Wut gibt uns im günstigsten Falle, wenn wir gelernt haben, mit ihr umzugehen, die Schubkraft, Entschlossenheit und Durchschlagkraft, machtvoll und selbstbehauptend für unsere Rechte einzustehen, unsere Grenzen zu verteidigen oder korrigierend auf Missverhältnisse einzuwirken. Wut erschafft oder stellt eine Ordnung wieder her.

Ihr Buch „Damit mein Kind sich besser fühlt“ richtet sich an Eltern von 11- bis 16-jährigen Kindern. Warum genau an diese Zielgruppe?

In dieser Altersgruppe durchlaufen unsere Kinder eine für sie und uns Eltern sehr herausfordernde „Mutation“, der wir lernen müssen, gewachsen zu sein mit all ihren emotionalen, zerebralen, sozialen, körperlichen, hormonellen etc. Veränderungen. Haben wir bis dahin einigermaßen gelernt, auf unsere Lieblinge bedürfnisorientiert, achtsam und klug zu reagieren und erzieherisch einzuwirken, stehen wir nun vor ganz neuen Herausforderungen.

Wir verstehen auf einmal nicht mehr, was in unseren Kindern vorgeht, warum sie sich so anders verhalten, warum auf einmal die Kommunikation mit ihnen so schwierig wird und möchten wissen, wie wir wieder zu ihnen Zugang finden können, sie begleiten und immer noch positiven Einfluss auf sie nehmen können.  Ich finde, es gibt unglaublich viel Literatur für Eltern von Kleinkindern, aber was ist, wenn diese einmal größer werden? Die Schwierigkeiten hören ja dann nicht auf, im Gegenteil.

Was kann ich machen, wenn sie prokrastinieren, Liebeskummer haben, Zukunftsangst haben, sich von Gleichaltrigen verletzt oder zurückgesetzt fühlen, oder sich überwältigt fühlen, Versagensangst haben mit all den neuen Anforderungen, die sie zu bewältigen haben? Das sind doch wichtige Themen! Und da möchten wir als Eltern doch auch Unterstützung geben können, denn sie sind so wichtige entscheidende Momente im Leben der Jugendlichen, die auch noch lange nachdem sie das Elternhaus verlassen haben, sie prägen werden.

Sie sprechen von einer „emotionalen Reise“, die Eltern „gemeinsam mit ihren Kindern gestalten können“. Was genau meinen Sie damit?

Emotionen entstehen immer in Bezug auf Beziehungen – sowohl zu anderen als auch zu uns selbst. Sie sind der Schlüssel zu authentischer Kommunikation und helfen uns, mit anderen auf tiefere Weise in Verbindung zu treten. Was wir fühlen, beeinflusst unser Gegenüber, und dieses Phänomen der Resonanz ist etwas, das wir gemeinsam erleben und das uns als Menschen formt und verändert.

Eine emotionale Reise bedeutet, dass Eltern und Kinder ihre Gefühle miteinander teilen und gemeinsam durch Höhen und Tiefen gehen. Wenn man Gefühle teilt, kann man sie besser verarbeiten und sie bringen einen in unerwartete und überraschende Situationen, die den eigenen Horizont erweitern. Diese geteilten Emotionen sind wie gemeinsame Abenteuer – man begegnet Herausforderungen, meistert Krisen, erlebt Glücksmomente und wird dadurch emotional beweglicher.

Während dieser Reise entwickeln sich Eltern und Kinder gemeinsam weiter, ihre Beziehung vertieft sich und Vertrauen wächst. Am Ende bleiben nicht nur wertvolle gemeinsame Erinnerungen, sondern auch eine gestärkte und engere Verbindung zueinander – vorausgesetzt, man hat diese Reise gemeinsam und positiv gestaltet.

Wie kann ich mein Kind motivieren, wenn es frustriert ist, weil es trotz aller möglichen Bemühungen immer wieder Fünfen in Mathe schreibt? 

Nehmen wir an, Sie haben sich selbst dank des Innehaltens (siehe Schritt 1 der 3 Schritt-Methode oben) nach Empfinden eigener schmerzvoller, hilfloser, betroffener Gefühle im Anblick ihres Mathe-demoralisierten Sohns wieder gefangen. Wie können Sie ihm so begegnen, dass er wieder zu Vertrauen und Motivation zurückfindet und gleichzeitig aus dieser Krise gestärkt hervorgeht?

In meinem Buch können Sie unter der Überschrift „Auf der anderen Seite der Frustration“ auf diese Frage Antworten finden: wie man unseren Kindern bei extremer Frustration, Stärken wie Durchhaltevermögen, ein optimistischeres Mindset, Motivation und Resilienz vermitteln kann. Ich möchte hier nur einen wichtigen „Hebel“ der Verwandlung von demoralisierenden Erfahrungen ausführen: Das Growth-Mindset.

Wenn Sie Ihrem Kind helfen, unangenehme Gefühle (Enttäuschung, Frustration, Traurigkeit, Scham) als eine Möglichkeit zum Lernen zu sehen, dann empfinden sie sie nicht mehr als eine Bedrohung ihres Selbstwertes. Gerade wenn einem eine Sache schwerfällt, man strauchelt, innerlich kämpft und man mit sich ringt, baut man diese ganz neuen Verzweigungen der neuronalen Gehirnbahnen auf, die einem auch für andere Problematiken nützlich sein können. Statt sich auf das Ergebnis (die Fünfen in Mathe) zu fokalisieren, spiegeln wir zunächst all die Anstrengungen, die bisher fürs Lernen unternommen wurden.

Welch Leistung Ihr Sohn vollbracht hat! Er hat dank des vielen Lernens sein Gehirn trainiert, neue Synapsen und Neuronenstränge aufgebaut. Sie könnten ihm sagen, dass das Gehirn nicht wie eine Maschine, sondern eher wie eine Pflanze ist, die wächst und viele neue Verzweigungen produziert, je mehr man sie gießt (das Gehirn arbeiten lässt und sich gedanklich anstrengt) und wir wie eine Pflanze dazu Zeit brauchen. Die Anstrengungen waren trotz der schlechten Noten nicht umsonst! Und Sie können sein Durchhaltevermögen und die Entschlossenheit, die er bisher aufgebracht hat, anerkennen.

Das ist das, was wirklich zählt! Dies wäre schon mal eine wichtige Botschaft an ihr Kind. Sie vermitteln gleichzeitig, dass seine Fähigkeiten nicht etwas sind, die in Stein gemeißelt sind. Kinder können sich schnell sagen: “Ich bin nicht für Mathe gemacht!“ Falsch! Wir können immer wachsen und hinzulernen und uns weiterentwickeln mit Übung. Auch ist es ratsam, die destruktive Aussage “Was ist nur falsch mit mir?“ gegen die „Was habe ich falsch gemacht?“ auszutauschen, denn es ist wahrscheinlich, dass die bisherige Lernmethode nicht die Optimalste war.

Was könnte man anders, besser machen? Von wem könnte man sich inspirieren lassen oder Rat holen? Von guten Matheschülern, Lehrern, YouTube Tutorielles, Fachliteratur, Lerngruppen? Mutlosigkeit lässt uns an den Punkt kommen, an dem wir bereit sind, alte Muster aufzugeben und innovative Herangehensweisen zu wagen und zu riskieren, an die wir uns sonst nicht rangetraut hätten. Anders geht es meist nicht, möchte man aus dem Tief des Teufelskreises und der Ausweglosigkeit herausfinden.

Und wieviel aufregend Neues erfahren wir, wenn wir neue Wege einschlagen! Diese Herausforderung macht uns zu interessanteren, reiferen Wesen. Im achten Kapitel beschreibe ich einen ganz ähnlichen Weg, den mein Sohn aus einer ähnlich demoralisierenden Situation gefunden hat, als er mit andauernden schlechten Noten in Deutsch konfrontiert war.

Wie kann ich mein Kind beraten, wenn der Partner oder die Partnerin extrem eifersüchtig ist? Oder wenn mein Kind es kaum selbst aushält, wenn es den Liebsten oder die Liebste mal ein paar Stunden nicht erreicht? 

Eifersucht stellt Jugendliche vor ganz neue Herausforderungen. Zunächst ist es wichtig, anzuerkennen, dass Eifersuchtsgefühle ganz normal sind und tief in unserer Evolutionsgeschichte verankert. Es ist nichts, wofür man sich schämen muss. Die Angst, eine geliebte Person an jemand anderen zu verlieren, gehört zu den schwierigen Gefühlen, die in Liebesbeziehungen oft auftreten und mit denen man umgehen lernen muss.

Wichtig ist es, das Kind dazu anzuregen, sich selbst folgende Fragen zu stellen: Kann man den Partner wirklich kontrollieren? Ist das die beste Lösung? Möchte man so eine Beziehung führen? Was passiert, wenn der Partner weiterhin Kontakt zu seiner Ex oder anderen Freundinnen hat, trotz geäußerter Bedenken? Oder wenn er nicht sofort auf Nachrichten antwortet? Eltern können gut nachvollziehen, wie frustrierend solche Situationen sein können. Jugendliche müssen jedoch die wichtige Erfahrung machen, dass andere Menschen uns nicht gehören und nicht immer das Gleiche empfinden wie wir.

Eifersucht kann ein Anstoß zur psychischen Weiterentwicklung sein. Sie fordert uns heraus, zu einem selbstbewussten, unabhängigen und großzügigen Selbst heranzureifen, das sowohl die Nähe in einer Beziehung genießt als auch die Andersartigkeit des Partners akzeptieren kann. Wenn wir in der Lage sind, den anderen zu lieben und zu schätzen, ohne ihn kontrollieren zu wollen, und gleichzeitig uns selbst wertzuschätzen, erreichen wir eine der höchsten Formen der Liebe.

Eifersucht kann uns also helfen, uns von anderen zu differenzieren und unsere eigene Identität weiterzuentwickeln – ein Prozess, den C.G. Jung als Individuation beschreibt. Jugendliche sind für solche Überlegungen oft offen, da sie durch den Schmerz und die Suche nach Linderung schnell lernen.

Trotzdem ist es für Jugendliche schwierig, da ihre ersten Liebesbeziehungen oft von starken Abhängigkeitsgefühlen geprägt sind. Wie können wir ihnen helfen, trotz Verlustängsten loszulassen und gleichzeitig gut für sich selbst zu sorgen? Wie bei allen schwierigen Gefühlen ist es wichtig, besonders freundlich zu sich selbst zu sein, sich Zeit für sich zu nehmen oder mit einer guten Freundin etwas Schönes zu unternehmen.

Verliebtsein geht mit Dopamin-Hochs einher, die süchtig machen können. Wenn der Partner nicht sofort antwortet, entsteht ein Gefühl des Entzugs. Dieser Dopaminabfall ist unangenehm, aber vorübergehend. In dieser Zeit ist es entscheidend, mitfühlend und wohlwollend mit sich selbst umzugehen.

Inwiefern können wir als Eltern kindliche bzw. jugendliche Ängste als Stärke verkaufen?

Können wir jugendlichen Ängste als Stärken vermitteln? Ja, das können und sollten wir! Schon eine veränderte Einstellung gegenüber Ängsten kann viel bewirken. Ängste sind in ihrem Alarmzustand mächtige Energiequellen, die uns antreiben und mobilisieren, um uns schwierigen Herausforderungen zu stellen, die außerhalb unserer Komfortzone liegen. Ohne diese Energie würden wir möglicherweise nicht die nötige Kraft und Konzentration aufbringen, um solche Situationen zu bewältigen.

Eine liebevolle und selbstmitfühlende Haltung gegenüber sich selbst hilft dabei, sich nicht von der Angst überwältigen zu lassen. Eltern können ihre Kinder dabei unterstützen, indem sie ihnen Mut zusprechen und einfache Bewältigungsstrategien beibringen. In ruhigen Momenten, wenn das Kind wieder empfänglich ist, können Sie gemeinsam Techniken aus dem Angstkapitel besprechen, wie Atemübungen, die „Politik der kleinen Schritte“ oder das Durchspielen von Worst-Case-Szenarien. Diese Ansätze helfen, der Angst direkt ins Auge zu blicken und ihre Auswirkungen zu relativieren.

Metaphern können ebenfalls hilfreich sein, um Ängste zu „zähmen“. Wenn Jugendliche sich ihre Angst als ein Tier oder eine Person vorstellen, wird diese greifbarer und weniger bedrohlich. Durch diese Personifizierung können sie mit ihrer Angst in Dialog treten, Kompromisse aushandeln und sogar Freundschaft schließen. Das entschärft die alarmierenden Signale, die Ängste an das Gehirn senden, und sorgt für innere Entspannung.

Wir können die Angst nur zähmen, indem wir sie als Verbündete akzeptieren – ohne ihr die Kontrolle zu überlassen. Wenn sie zu einer stimulierenden Kraft wird, anstatt einer Bedrohung, können wir sie als Quelle der Energie und Konzentration nutzen, um neue und herausfordernde Situationen zu meistern. Mit der Zeit und durch wiederholte positive Erfahrungen lernen Jugendliche, in solchen Momenten ruhig und gelassen zu bleiben. Letztlich kann Angst ihnen helfen, diese stille, souveräne Kraft zu entwickeln, die gerade in stressigen Situationen besonders wertvoll ist – und das ist in den Augen Jugendlicher wirklich cool!

Was sage ich meinem Kind, wenn es unter extremer Traurigkeit leidet, weil es vielleicht gerade keine FreundInnen findet? 

Es ist ganz normal, dass Kinder manchmal Schwierigkeiten haben, neue Freunde zu finden, besonders wenn sie in eine neue Schule kommen oder sich ausgeschlossen fühlen, weil sie nicht zu einer Feier eingeladen wurden, bei der sie gerne dabei gewesen wären. Selbst introvertierte oder schüchterne Kinder finden in der Regel irgendwann Freundschaften, die ihnen guttun. In meiner langjährigen Erfahrung als Therapeutin habe ich selten ein Kind erlebt, das über längere Zeit keine Freunde hatte, es sei denn, es lagen gravierende Gründe vor, wie Mobbing oder extreme Verhaltensprobleme. Selbst Kinder, die eine andere Sprache sprechen, finden oft Wege, sich mit anderen zu verbinden. Kinder sind von Natur aus soziale Wesen und brauchen Freundschaften, um sich gesund zu entwickeln.

Es gibt jedoch Momente, in denen Kinder sich vorübergehend einsam und traurig fühlen, etwa wenn die beste Freundin plötzlich jemand anderen interessanter findet. Solche Situationen können sehr schmerzhaft sein, fast wie Liebeskummer, und sie durchlaufen dabei einen echten Trauerprozess. In solchen Momenten ist es wichtig, dass wir als Eltern Mitgefühl zeigen und unseren Kindern vermitteln, dass sie nicht allein sind. Wir können sie daran erinnern, dass ihre Einsamkeit nichts an ihrem Wert ändert und dass sie immer noch wunderbare, potenzielle Freunde für andere sind.

Auch wenn wir den Schmerz unserer Kinder nicht einfach wegzaubern können, können wir ihnen beistehen und sie ermutigen, ihre Traurigkeit anzunehmen und auszuhalten. Es kann hilfreich sein, eigene Erfahrungen zu teilen und zu zeigen, dass solche schwierigen Phasen vorübergehen. Wir sollten unseren Kindern vermitteln, dass Traurigkeit ein natürlicher Teil des Lebens ist, der manchmal zu Besuch kommt, aber auch wieder weiterzieht. Mit unserer Unterstützung werden sie bald das Tal der Traurigkeit hinter sich lassen und wieder optimistisch in die Zukunft blicken können.

Wie bestärke ich mein Kind, wenn es sich in Sachen Zukunft und Arbeitsmarkt mutlos fühlt?

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Zukunftsängste können für Jugendliche überwältigend sein und sind oft von Mutlosigkeit begleitet. In solchen Momenten fühlen sie sich klein und machtlos gegenüber einer ungewissen, scheinbar unheilvollen Zukunft. Sie haben das Gefühl, in der Welt von morgen fremd und nicht willkommen zu sein, und befürchten, von ihr zurückgewiesen oder ausgeschlossen zu werden. Diese Selbstkritik über ihre eigenen Fähigkeiten projizieren sie oft auf zukünftige Arbeitgeber, was das Gefühl der Hoffnungslosigkeit verstärken kann.

Wenn Ihr Kind von solchen Gefühlen überwältigt wird, ist es wichtig, zunächst Ruhe zu bewahren und wohltuende Selbstpflege anzubieten. Fragen Sie, was ihm guttun würde, um die Batterien wieder aufzuladen und es mit positiven Gefühlen zu verwöhnen. Oft hilft es, nach solchen Momenten der Erholung die Situation mit einem frischeren Blick zu betrachten. In dieser entspannten Atmosphäre können Sie gemeinsam überlegen, wie realistisch die düsteren Zukunftsszenarien wirklich sind. Gibt es nicht auch Aspekte in ihrem Leben, die gut und vielversprechend sind?

Es ist wichtig, die Ängste und Zweifel Ihres Kindes anzuerkennen und zu bestätigen, dass es normal ist, sich vor der ungewissen Zukunft zu fürchten. Zugleich sollten Sie aber auch betonen, dass es vieles gibt, das bereits gut läuft und dass viele Aspekte der Zukunft spannend, bereichernd und erfüllend sein werden. Eine wertschätzende Haltung ist entscheidend: Sie hilft Ihrem Kind, seine unangenehmen Gefühle zu akzeptieren, ohne in eine negative Spirale der Selbstkritik zu geraten. Sie könnten zum Beispiel sagen: „Ich verstehe, dass das gerade schwer für dich ist. Aber ich glaube fest daran, dass du die Fähigkeiten hast, um diese Herausforderungen zu meistern und gestärkt daraus hervorzugehen. Ich bin stolz auf dich und glaube an dich.“

Das Konzept der Selbstwirksamkeit ist hierbei besonders hilfreich: Erinnern Sie Ihr Kind daran, dass es schon oft in der Lage war, schwierige Situationen zu bewältigen und Einfluss auf sein Schicksal zu nehmen. Ermutigen Sie es, kleine, erste Schritte zu unternehmen, die ein Minimum an Selbstinitiative erfordern, wie etwa eine Recherche im Internet oder das Stellen einer Frage an eine KI wie ChatGPT. Diese kleinen Erfolge können das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, mit der Zukunft umzugehen, stärken.

Im Buch „Damit mein Kind sich besser fühlt“ finden Sie zudem Fragen, die Sie Ihrem Kind stellen können, um neue Perspektiven zu eröffnen, wie etwa: „Wie stellst du dir deine ideale Zukunft vor?“ oder „Welche Möglichkeiten könntest du in Betracht ziehen?“ Das Buch enthält auch 15 Handlungsschritte, die Jugendliche dabei unterstützen können, Mutlosigkeit zu überwinden und neue Zuversicht zu gewinnen.

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