Charlotte, 15: Ich war magersüchtig. So wurde ich gesund

magersüchtig

Charlotte letztes Jahr auf einem Taylor Swift Konzert

Ihr Lieben, vor ziemlich genau zwei Jahren erzählte uns Mira, wie ihre Tochter mit zehn Jahre magersüchtig wurde (Hier ist das erste Interview). Es war eine absolute Horror-Zeit, in der Mira sich große Sorgen gemacht hat, dank guter Unterstützung und Therapien ist Miras Tochter heute gesund.

Der Familie ist es wichtig, zu dem Thema Essstörung weiterhin aufzuklären, daher duften wir auch mit Charlotte über ihre Magersucht sprechen und sie zu ihrem Weg befragen. Wir wünschen der ganzen Familie alles, alles Liebe.

Liebe Charlotte, vor zwei Jahren haben wir mit deiner Mutter über eine Essstörung gesprochen, an der du im Alter von 10 Jahren erkrankt warst. Du bist heute 15 Jahre alt. Wenn du zurück auf die Magersucht schaust, wie würdest du diese Zeit beschreiben?

Ich war in dieser Zeit sehr verzweifelt und hatte eine große Angst in mir. Obwohl ich gesund werden wollte, hatte ich keine Kraft, allein etwas dafür zu tun.

Kannst du dich noch daran erinnern, wie das alles angefangen hat? Wann du dir vorgenommen hast, abzunehmen?

Es gab nicht den einen Auslöser, es kam damals vieles zusammen. Im ersten Homeschooling 2020 hatte ich öfter zu Süßem gegriffen. Und dann wurde im TV und Radio viel darüber gesprochen, dass man im Lockdown durch das viele Zuhausesein zunehmen würde. Nach Ostern meinte mein Vater zudem, dass wir jetzt wieder weniger Süßes essen sollten. Und ab da war ich irgendwie auf das Thema sensibilisiert und hab mich immer mehr mit meinem Körper beschäftigt. 

Zurück in der Schule waren auch da Ernährung und Körpergewicht Thema. Ich hatte dann zunehmend das Gefühl, dass an meinem Körper etwas falsch ist. Und irgendwann war der Gedanke da, dass ich bestimmt zu dick geworden bin. Also fing ich an, auf Süßes zu verzichten und heimlich in der Schule nicht mehr zu essen. Und mehr und mehr Rollschuh zu laufen. Irgendwann drehten sich alle meine Gedanken ums Essen, um Sport und ums Dünnsein.

Damals hatten sicher alle möglichen Leute „gute“ Ratschläge. Was hat dir damals geholfen und was gar nicht?

An viele Ratschläge kann ich mich nicht erinnern. Ich war ja erst 10 und es ging dann irgendwann auch sehr schnell, dass ich kaum noch was essen konnte und ich stark abnahm. Für mich war es absolut wichtig, dass ich meine Eltern um mich hatte, die mir dann halfen, trotz Angst zu essen. Sie gaben mir dann die Mahlzeiten und die Portionen vor und erklärten mir, dass ich das Essen brauche, um wieder gesund zu werden. Und sie saßen so lange bei mir, bis ich aufgegessen hatte. Ohne das hätte ich das nicht geschafft, ich hatte eine riesige Angst davor zuzunehmen. Durch das immer wieder Essen und immer wieder Angstgrenzen überschreiten wurde es dann leichter. 

Eine FBT-Therapeutin (FBT = Family Based Treatment) hatte mir und meinen Eltern am Anfang erklärt, dass die Essstörung aktuell zwar ein Teil von mir ist, dass wir sie aber wieder vertreiben können. Durch meine Eltern lernte ich, wieder mehr zu essen und auch wieder Sachen zu essen, vor denen ich besonders Angst hatte, zum Beispiel Pommes und Schokolade.

Als ich wieder äußerlich gesund war und auch wieder selbst ohne Angst Essen wählen konnte, hat mir geholfen zu hören, dass ich meine Entscheidungen gegen die Magersucht-Reflexe treffen muss. Zum Beispiel auf dem Sofa liegen zu bleiben und mit Freunden zu schreiben, statt joggen zu gehen. Oder was zu naschen statt zu Obst zu greifen, auch wenn mir die Stimme im Kopf sagt, ich dürfe jetzt nichts Süßes essen.

Wie geht es dir heute?

Die Zeit damals hat mich sehr geprägt, aber es beschäftigt mich nicht mehr. Mit der Gewichtszunahme und dem Essen sind die AN-Gedanken (AN = Anorexia nervosa) verschwunden. Ich habe heute überhaupt keine Probleme mehr mit dem Essen und brauche die Unterstützung meiner Eltern diesbezüglich nicht mehr. Ich lebe mein Leben so als wäre die Krankheit nie gewesen. Ich gehe jetzt in die 9. Klasse, tanze zweimal die Woche und bin in einem Musical-Kurs. Ich treffe mich viel mit Freunden und probiere gern neues Essen aus. 

Die Zeit damals hat das Verhältnis zwischen mir und meinen Eltern aber definitiv gestärkt. Ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen und ich ihnen alles anvertrauen kann. Ich kann ihnen alle meine Sorgen erzählen und muss mich ihnen gegenüber für nichts schämen. Sie würden mir immer helfen, wenn ich sie brauche.

Wie viele deiner gleichaltrigen Mitschülerinnen haben Probleme mit dem Essen?

In meinem Umfeld gibt es schon mehrere Personen, die abnehmen wollen oder die versuchen, nur gesunde Sachen zu essen und die gar kein gesundes Körperbild mehr haben. Das finde ich sehr schlimm. Ich versuche dann zu helfen und ermutige sie, zu sich selbst zu stehen, auch wenn es ihnen gerade schwerfällt. Mir hat es damals geholfen, mit meinen Eltern zu reden und ich finde es wichtig, dass meine Freunde wissen, dass ich für sie da bin. Ich weiß aus eigenem Erleben, wie furchtbar eine Essstörung ist und ich möchte nicht, dass ihnen dasselbe passiert. 

In den vergangenen Jahren sind leider sowohl eine Freundin aus meiner alten Nachbarschaft als auch eine Mitschülerin an Magersucht erkrankt. Die Mitschülerin war dann in der Klinik, meine Freundin hatte Unterstützung durch ihre Mutter, so wie ich durch meine Eltern. Sie ist heute auch wieder gesund.

Wie erlebst du junge Frauen in deinem Alter in Bezug auf ihren Körper?

Skinny ist halt leider immer noch ein Ideal für viele. Ich gucke mir eher Content an, der auf Self-acceptance setzt, der dir zeigt, dass du dich selbst lieben sollst, egal mit welchem Körper du geboren wurdest. Es gibt ein paar sehr dünner Influencer, die von sich behaupten gesund zu sein, aber ihre „What I eat in a day“-Videos sehen ehrlich gesagt nicht nach einem gesunden Essverhalten aus. Eine meiner Lieblings-Influencerinnen ist Spencer Barbosa. Sie postet nur Positives zu allen Körpertypen und gibt mir ein gutes Gefühl beim Essen.

Bei uns lesen ja viele Eltern mit. Gibt es einen Tipp, den Du Eltern geben kannst, deren Kind magersüchtig ist?

Arbeitet mit dem Kind gegen die Essstörung und denkt nicht, dass das Kind das allein schaffen kann oder muss. Das tut es nicht. Je mehr Eltern für ihre Kinder da sind, desto schneller können Kinder heilen, weil sie jemanden als Stütze haben. Meine Eltern hatten während dieser Zeit das Elternnetzwerk Magersucht und eine FBT-Therapeutin an ihrer Seite, die ihnen Tipps gegeben haben. Davon habe ich aber wenig mitbekommen. Ich selbst wollte mit der Therapeutin damals nicht sprechen.

Was sind deine Träume und Ziele im Leben?

Ich möchte studieren und eine Zeit lang ins Ausland gehen. I want to live my life to the fullest.

Für was bist du dankbar?

Dafür, dass ich mit dem Thema Magersucht abschließen konnte und dass ich gelernt habe, mich selbst zu akzeptieren. 

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2 comments

  1. Ich freue mich so sehr für Charlotte und ihre Familie, dass es ihr wieder gut geht. Und offensichtlich auch nachhaltig. Als das erste Interview veröffentlicht wurde, war ich gerade wieder in der Lage Artikel zum Thema Essstörung zu lesen. Unsere Tochter war 2022 an einer Anorexia nervosa erkrankt und Anfang 2023 endlich auf einem guten Weg. Die Monate vorher waren geprägt von Panik und einem Gefühl der Hilflosigkeit. Wir hatten Glück und relativ schnell viele medizinische bzw. psychologische Angebote. Sogar eine stationäre Unterbringung in einer Jugendpsychiatrie wäre ziemlich schnell verfügbar geblieben. Wir hatten uns dann letztendlich dagegen entschieden, auch weil unsere Tochter das überhaupt nicht wollte und wir kein gutes Gefühl dabei hatten.
    Zu FBT habe ich mir viel angelesen und versucht von den Ideen einiges umzusetzen. Ich habe versucht mich darauf zu konzentrieren möglichst viele Mahlzeiten gemeinsam mit ihr einzunehmen. Meine Arbeit hat es mir erlaubt, mittags nach Hause zu gehen, um dort mit ihr zu essen. Schule hat sie kaum verpasst, am Sportunterricht durfte sie nicht teilnehmen. Parallel hatten wir eine Verhaltenstherapeutin und eine Ernährungsberatung, die allerdings nicht miteinander harmonierten und leider immer mal komplett unterschiedliche Meinungen hatten und die Methoden der jeweils anderen kritisiert hatten. Das läuft in einer Klinik sicher besser. Wir hatten eine Zunahmevereinbarung, Essprotokoll, Gespräche, Wiegen. Was schlussendlich geholfen hat, kann ich nicht sagen. Ich konnte auch nicht in allen Punkten zu 100 % mit der Therapeutin übereinstimmen. Gerade die Zunahmevereinbarung fand ich oft wirklich schrecklich. Macht es wirklich Sinn einem Teenager zu verbieten, die Freunde zu sehen, wenn nicht genug an Gewicht zugenommen wurde? War nicht die erzwungene Isolation im Lockdown mit Schuld an der Erkrankung?
    Man ist froh, wenn man Unterstützung erhält und ich bin dankbar, dass wir – bei aller wahrscheinlich berechtigter Kritik an unserem Gesundheitssystem – in Deutschland eine Familienversicherung hat, die so viele Behandlungsmotheden abdeckt.
    Allerdings würde ich auch allen Betroffenen raten, Behandlungsmethoden zu hinterfragen und auch auf das Bauchgefühl zu hören.
    Charlotte, die weiterhin alles Gute. Das hast du toll hinbekommen!

  2. Liebe Charlotte,
    ich bin froh, dass du wieder gesund bist. Danke für deine Hinweise, was hilfreich war im Kampf gegen die Krankheit war.
    Ich wünsche Dir und deinen Eltern alles Gute!

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