Autistin und Mama: Wie trete ich mit anderen Menschen in Kontakt?

Mann

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Ihr Lieben, unsere Leserin Lena ist Autistin und Mama dreier Kinder. Sie gibt sich wahnsinnig viel Mühe, im Alltag nicht aufzufallen, das kostet aber viel Kraft und klappt auch nicht immer. Hier erzählt sie ihre Geschichte.

Autistin und Mama dreier Kinder

„Mein ganzes Leben lang frage ich mich schon: Wie schaffe ich es, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten? Ich bin nicht nur neurodivergent, nicht nur hochsensibel, habe nicht nur eine Angststörung, ich bin Autistin. Und ich bin verheiratet und habe drei Kinder im Alter von 18, 15 und 10 Jahren.

Mein ganzes Leben lang wusste ich, dass mit mir etwas anders ist. Gleichzeitig wusste ich aber auch perfekt, wie man sich maskiert. Ich wollte natürlich dazugehören, ich wusste immer, was von mir erwartet wurde. Wenn ich meine Cousins, die sogenannten Asberger-Autisten beobachtete, wie sie ihr Leben lang aneckten, war mir klar, dass ich mich lieber jeden Tag quäle, um ja n icht aufzufallen und zur Außenseiterin zu werden. So habe ich das erlebt.

Schaufenster
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Also entwickelte ich Strategien: Ich gehe zum Beispiel mehrmals an einem Schaufenster vorbei, um die Lage zu checken und ganz sicher zu sein, dass mich drinnen keine Verkäuferin anspricht. Für mich ist es am besten, wenn alle beschäftigt sind und sich niemand für mich interessiert…

Ganz viele Strategien für den Alltag

Von diesen Strategien habe ich ganz, ganz viele. Ich kann Dinge nie einfach so tun, sondern muss sie immer erst überprüfen, brauche oft mehrere Wochen, bevor ich handeln kann. Ich überlege, was wo wann die Schwierigkeiten sein könnten. Am schlimmsten sind unklare Situationen wie Elternnachmittage in der Schule oder Feiern. Es ist nicht vorhersehbar, was dort erwartet wird.

Als Kind war es bei mir noch nicht so schlimm, ich durfte schüchtern sein, ich durfte mich zurückziehen, es war total okay, nur eine Freundin zu haben. Ich hab auch die Schule geliebt: Alles läuft dort nach Regeln, alle Hierarchien sind klar (cool: ältere Schüler/uncool: junge Schüler). Man muss brav sein, am besten ruhig, das war alles perfekt für mich. Heute verstecke ich mich zum Teil immer noch, aber als Erwachsene ist das nicht mehr so akzeptiert wie als Kind.

Wenn zum Beispiel Handwerker kommen oder neue Freunde der Kinder, Nachbarn… Einmal hat ein Freund vom kleinen Sohn gefragt, ob ich mich wieder vor dem Postboten verstecke. Hin und wieder kann ich auch darüber lachen, aber halt auch nicht immer.

Spontanes überfordert mich immens

Wenn ich mich nicht vorbereiten kann auf etwas, wenn also etwas Spontanes geschieht, brauche ich manchmal lange Zeit, um mich davon zu erholen. Das muss nichts Außergewöhnliches sein, manchmal reicht es, einfach mit fremden Menschen gesprochen zu haben.

Bei jeder Einladung muss ich mir eine Ausrede einfallen lassen. Hier auf dem Land kannst du nicht sagen: Der Abtanzball meiner Tochter ist gruselig für mich. Hier wird es dann erst richtig schlimm. Ich konnte nämlich wirklich nicht zum Abtanzball des großen Kindes gehen. Ich lag weinend im Bett, weil ich sie so gern dort erlebt hätte. Ich war fast ein halbes Jahr gelähmt bei dem Gedanken, dorthin zu müssen.

Ich habe mit ihr ein Kleid ausgesucht, einen Frisör, hab sie geschminkt… hab es aber trotzdem nicht geschafft, hinzugehen. Ich hatte wirklich Migräne, weil ich mich so sehr reingesteigert hatte, mich so sehr unter Druck setzte. Sie saß hinterher auf meinem Bett, hatte eine tolle Zeit mit Papa und den Freunden, hat gesagt: „Es war alles gut, Mama“.

Arbeit an einer Schule für geistig beeinträchtigte Kinder

Die Kinder dürfen nur mit sehr viel Vorbereitung Freunde mit nach Hause bringen. Beziehungsweise: Einzelne sind in Ordnung. Kinder sowieso (auch unbekannte). Bei Jugendlichen nur die, die ich gut kenne. Jeder Tag ist schwierig („Können wir ins Freibad?“, „Ja, in eins weiter weg, wo ich niemanden kenne“/ „Kann eine neue Freundin kommen?“, „Kommt sie allein?“, „Ja, sie kommt alleine mit Fahrrad“, „Gut, dann brauche ich nicht mit den Eltern sprechen“… usw usw.)

Ich arbeite u.a. in einer Schule für geistig beeinträchtigte Kinder. Ich hab lange gebraucht, mir einzugestehen, dass ich in meinem Beruf so gut klarkomme, weil ich selbst „behindert “ bin. „Kannst du ein Sportfest begleiten?“, „Geht leider nicht, ich muss noch einen Bericht schreiben“/ „Kannst du beim Frühstück dabei sein?“, „Geht leider nicht, wir wollten heute nach draußen“… So mache ich das. Damit es nicht auffällt.

„Ich habe immer Angst vor Ausgrenzung“

Ich habe den ruhigen Behandlungsraum alleine. Ich könnte niemals den ganzen Tag mit allen anderen Kollegen im Raum sein, brauch es zum Glück auch nicht. Ich könnte niemals sagen, daß ich Autistin bin. Meine Familie würde das ablehnen. (Meine Eltern, mein Mann…)

Vielleicht ist das aber auch nicht nötig, sie haben mich immer so sein lassen, wie ich bin. Vor kurzem habe ich das erste Mal gesagt, dass ich mit meinen Kolleginnen nicht über Nacht nach Hamburg wollte („weil das einfach nichts für mich ist“…). Tatsächlich ist nichts Schlimmes passiert. Es war gar keine große Sache.
Ich habe immer Angst vor Ausgrenzung, andererseits kann ich aber ja nun mal auch nicht anders sein als ich bin. Im echten Leben ist es aber trotzdem sehr, sehr schwer „anders“ zu sein.“

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5 comments

  1. Hallo
    Ich bin ähnlich, aber keine Autisten. Aber extrem introvertiert. Meine Erfahrung ist, dass solche Menschen leider keine wirklichen Freunde finden. Mich macht das sehr traurig. Die Menschen wollen offene, extrovertierte, gesprächige Leute. Ich hatte eine Freundin, die war extrem offen herzig und geschwätzig, aber unehrlich und letztendlich eine Mobberin. Sie hat Tausende Freunde. Ich kenne Stille ehrliche Menschen, die so viel Gutes und Interessantes tun, keiner bemerkt sie. Das ist leider meine Erfahrung.

  2. Was ist das für eine Familie die diese Selbstverleugnung verlangt? Das geschieht doch sicher nicht zu deinem Nutzen sondern zu ihrem. Mit diesen Krankheitsbildern muss man offen umgehen sonst wird es doch nur schlimmer bzw hast du keine Chance auf professionelle Unterstützung/ Therapie und das ist doch auch kein Stigma?Warum verbiegst du dich so und schadest dir selbst so sehr?

  3. Puh, ganz schön anstrengend! Du leistest unfassbar viel, aber traust dich nicht zu dir und deinen Besonderheiten zu stehen. Für mich ist es nicht ganz ersichtlich: warum? Ich vermute (ist kein Ratschlag), dass es dir besser gehen würde, wenn du nicht ständig gegen dich selbst ankämpfen müsstest. Es ist schwer als Frau „die Rollen“ nicht erfüllen zu können, aber vielleicht würde es sich lohnen mehr anzuecken und mehr du selbst zu sein? Das klingt jetzt etwas pauschal – ich weiß, aber ich wünschte du hättest mehr Mut um für dich – so wie du bist – einzustehen statt gegen sich selbst zu kämpfen.

  4. Hallo Lena, toll, dass du so eine positive Erfahrung damit gemacht hast, deinen Kolleginnen zu sagen, dass du nicht mit ihnen über Nacht nach Hamburg fahren möchtest. Vielleicht bestärkt dich diese Erfahrung ja darin, zukünftig häufiger an der einen oder anderen Stelle authentisch und „du selbst“ zu sein.
    Ich selbst bin nicht autistisch, wohl aber unsicher und introvertiert. Während des Studiums habe ich mich gewissermaßen dafür zerfleischt, dass ich keine Lust auf einen Auslandsaufenthalt hatte. Das galt damals in meinem Freundeskreis als das Nonplusultra. Ich erinnere mich, wie unglaublich wohltuend es für mich war, als eine Bekannte damals den Satz aussprach: „Also ich persönlich habe überhaupt keine Lust auf einen Auslandsaufenthalt, das ist absolut nichts für mich.“
    Ich denke, es gibt mehr Leute, die einem selbst ähneln, als man denkt.
    Alles Liebe für dich!

  5. Puh, Wahnsinn, was du da leistest!
    Es macht mich aber fast auch etwas traurig, dass die Gesellschaft es quasi notwendig macht, das du diese ganzen Strategien entwickeln musst.
    Fühl dich gedrückt!
    Du bist ein toller Mensch, genau so wie du bist!

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