Autismus-Spektrum: Mutmacher für betroffene Familien

Autismus

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Ihr Lieben, unser Leben verläuft manchmal nicht so wie gedacht und manchmal auch ganz anders als das von anderen. Eine Kunst ist es, sich immer wieder neu auf Situationen und Gegebenheiten einzustellen. Katrin Hansch kann davon ein Lied singen. Über die Besonderheiten ihrer Familie hat sie ein Buch geschrieben, es heißt: Wenn wir alle zusammen lachen. Mutmacher für Familien im Autismus-Spektrum. Was es da zu lachen gibt?! Das haben wir sie gefragt. Danke für deine mutmachenden Worte!

Autismus-Spektrum
Wenn wir alle zusammen lachen

Liebe Katrin, du möchtest Familien im Autismus-Spektrum Mut machen – warum ist dir das ein so großes Anliegen?

Weil sie oft so verzweifelt sind. Besonders die, die über eine durchschnittliche Intelligenz verfügen. Denn sie haben diese unsichtbare Form des Anders-Seins, die sie nach außen auch noch gut maskieren können, und so versteht niemand, was in ihnen vorgeht, und wieso es so anstrengend ist, sich ständig ans „Normal“ anzupassen. Die, die plötzlich Verständnis entgegengebracht bekommen, weinen erstmal. Vor Erschöpfung, Schmerz und Erleichterung. 

Wer ist denn in eurer Familie alles betroffen und gibt es da große Unterschiede oder auch viele Gemeinsamkeiten zwischen den Betroffenen?

Wir sind zu Dritt: Mein Großer und ich sind klassische Asperger, wie man vor Einführung des Spektrums-Begriffs sagte, und in der Diagnose des Kleinen steht „Autismus-Spektrums-Störung mit Merkmalen des PDA-Syndroms“. Wir gleichen uns natürlich in unserer autistischen Wahrnehmung, in der Art, Reize zu verarbeiten, also in unserem inneren Erleben. Aber nach außen zeigen wir das unterschiedlich, wie Nicht-Autist:innen auch.

Wir haben individuelle Arten, mit Stress, Belastung oder Freude umzugehen. Wir haben unterschiedliche Belastungsgrenzen und die hängen natürlich auch von äußeren Einflüssen ab. Wie bei Nicht-Autist:innen. Aber wir brauchen mehr Ruhe und Zeit für uns selber. Wir ziehen uns viel zurück und brauchen schneller Pausen als andere, das merke ich schon. Darin unterscheiden wir uns von meinem Mann, dem tapferen, neurotypischen Helden an unserer Seite. Wir drei schlafen nicht gut und auch beim Essen sind wir gewissermaßen „eigen“.

Magst du uns in dem Zusammenhang vielleicht auch etwas zum Thema picky eating und safe food erzählen?

Das ist ein interessantes Phänomen, das natürlich nicht nur autistische Menschen betrifft, aber Autist:innen ohne Besonderheiten beim Essen gibt es wohl nicht. Hab ich jedenfalls noch nie gehört. Alleine, das Gefühl von „hungrig“ oder „satt“ einordnen zu können, ist für viele schon eine Herausforderung. Bevorzugt werden oft Nahrungsmittel, die immer gleich schmecken: Salzstangen, Kekse, Cerealien der gleichen Firma oder Sorte, die immer gleichen Fertiggerichte oder Riegel.

Ein Apfel wird im Geschmack nie dem nächsten gleichen, das ist oft unsicher. Und wenn man dann noch in der Öffentlichkeit essen soll, z. B. in der Schule, wo alles laut und wild und durcheinander ist, dann geht schon gleich gar nix mehr. Da werden die Sinne schnell mit Reizen überfordert, Lichter, Gerüche, Geräusche und dann auch noch Geschmäcker – das kann oft nicht bewältigt werden. Und die Safe Foods, also das, was zuverlässig gegessen wird, ist besser immer verfügbar 😉

Wie gestaltet ihr euer Familienleben sonst mit den Besonderheiten, was ist bei euch vielleicht anders als anderswo?

Auffällig sind Essenssituationen. Häufig essen wir jede:r was anderes und oft auch in getrennten Räumen. Für uns ist das normal, aber ich denke, in anderen Familien ist das nicht so üblich. Wir drei schlafen auch nicht so wie andere. Mein Großer geht eigentlich erst schlafen, wenn ich aufstehe, er kommt nicht eher zur Ruhe und ich bin einfach vor den Vögeln wach – egal, wann ich ins Bett gehe… 

Wie erkenne ich denn, ob mein Kind einfach trotzig ist oder ob vielleicht etwas anderes hinter seinem auffallenden Verhalten steckt?

Ja, das ist eine Aufgabe! Denn anfangs hören die meisten „ach, das darf man nicht so schwer nehmen“, „ach, das wächst sich raus“, „das geht doch allen so“. So lässt man sich nach und nach einreden, die eigene Wahrnehmung sei in wenig gestört. Im nächsten Schritt erleben die meisten, dass ihnen suggeriert wird, dass sie selbst schuld an den Auffälligkeiten ihrer Kinder sind. Man sei ja selbst etwas komisch, erzöge nicht konsequent genug und würde die Spleens durch Duldung noch fördern.

So kommen viele dazu, ihrer eigenen Intuition für das Kind nicht mehr zu trauen und auch den Mut zu verlieren, sich anderen mit ihren Sorgen zu offenbaren, weil man ja selbst schuld ist. Als ich endlich eine Psychiaterin fand, die sich auskannte, die zugehört und verstanden hat, habe ich von ihr einen Satz gehört, der heute, wenn ich Kontakt zu anderen Eltern habe, egal ob über meinen Blog oder in der Beratung, immer gilt: Die Mutter hat immer Recht! – Bestimmt gilt das auch für Väter, aber bei mir melden sich fast ausschließlich Mütter. Warum auch immer. 

Wir die Weihnachtszeit mit all den Festen und den vielen Lichtern etc. jetzt eher eine Herausforderung für euch?

Die Vorweihnachtszeit ist für meine Kinder immer sehr schön. Aber Weihnachtsmärkte und sowas sind tabu für uns. Bei uns zu Hause schmücken wir trotzdem und das wird immer sehr schön.

Wie steht es denn um Urlaube, ist sowas möglich?

Immer am gleichen Ort und dort im gleichen Zimmer, das ist das beste. Neulich hatten wir ein tolles Erlebnis an einem neuen Ort. Wir lernen immer mehr dazu und auch, wie wir unsere unterschiedlichen Bedürfnisse äußern und die der anderen berücksichtigen. Aber so große Hotels mit Kinderclubs und so ist natürlich gar nicht das Richtige. 

Autismus-Sprktrum
Autorin Katrin Hansch

Magst du uns ein paar Worte zur Pathological Demand Avoidance (PDA) sagen?

Das ist interessant. Im englischen Sprachraum ist das Syndrom seit den 1980ern bekannt, es gibt in UK auch eine PDA Society. Im deutschen Sprachraum kommt das Phänomen erst an. Es gibt sehr viele Betroffene, die große Schwierigkeiten haben und keine Hilfe erfahren. Erst kürzlich hat sich ein deutschsprachiger Verein gegründet, der sog. FAPDA, in dem ich mich auch engagiere www.pda-autismus-Verein.org.

Das Syndrom wird häufig dem autistischen Spektrum zugeordnet, aber sicher ist es nicht. Vermutlich hat PDA ähnliche neurologische Ursachen wie Autismus, auch Ängste spielen hier offenbar eine große Rolle. Sie lassen die Betroffenen in einem hohen Ausmaß vor Anforderungen zurückschrecken, auch vor solchen, die eigentlich schöne Anforderungen darstellen.

Ein Ausflug in die Lieblingspizzeria oder eine neue Federtasche aussuchen, zum Beispiel. Dass PDA dringend Beachtung braucht, zeigt alleine, dass die beiden Artikel dazu auf meinem Blog seit über 1,5 Jahren die meistgelesenen auf meinem Blog sind. Und auf dem 1. PDA Fachtag im letzten Jahr waren auf einen Schlag über 300 Leute, für den nächsten werfen noch viel, viel mehr erwartet. 

Welche Chancen siehst du in den Besonderheiten von autistischen Menschen?

Das ist so individuell. Jeder Mensch, autistisch oder nicht, bringt große Chancen mit. Aber sich mit neurodivergenten Menschen ehrlich zu befassen, ob es sich nun um Autismus, ADHS, Hochbegabung, das Savant-Syndrom, PDA oder sonstiges handelt, der hat die Chance zu erleben, welche Chancenvielfalt in der Menschheit liegt. 

Wann habt ihr zuletzt alle zusammen gelacht und worüber?

Neulich haben wir zu Viert zwei Folgen der Serie Modern Family geschaut. Wir mussten herzlich lachen!

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