Ihr Lieben, jede von uns hat sich wohl schon mal mehr oder weniger heimlich eine eigene Wohnung gewünscht – einen Rückzugsort ganz für sich alleine. Räumlicher Abstand von all den tausend Do-Tos und Anforderungen tut manchmal schon echt gut. Aber ausziehen als Mama – das geht doch nicht, oder doch?
Uta steckt in einer schwierigen Lebensphase und empfindet gerade wenig Freude am Familienleben. Genau deshalb möchte sie sich nun eine Zweitwohnung nehmen, in der sie selbst zur Ruhe kommen und Abstand gewonnen kann. Bei uns erzählt sie von ihren Vorhaben.
Liebe Uta, kannst du erstmal etwas über deine persönlichen Lebensumstände erzählen?
Ich bin mit meinem Partner seit 2012 zusammen (nicht verheiratet) und wir haben zwei Kinder, 8 Jahre und 5 Jahre, wir sind 43 und 45 Jahre alt, beide berufstätig in Teilzeit. Wir teilen uns die Care-Arbeit ziemlich gut auf. Ich trage aber seit einiger Zeit mehr davon, weil ich nur noch 10 Stunden die Woche arbeite.
Mein Partner ist viel zu Hause, weil er fast 90% seines Jobs in Homeoffice machen kann. Das sehe ich nicht unbedingt als Vorteil, weil ich dadurch so gut wie nie alleine in der Wohnung bin und richtig Zeit alleine habe.
Du hast uns erzählt, dass du seit vier Jahren Depressionen hast. Wie äußern sich diese und hast du professionelle Hilfe?
Nach der Geburt unserer zweiten Tochter war ich überfordert und hatte depressive Phasen. Eigentlich hatte ich die auch schon vorher, denn meine Mutter ist einige Jahre vorher unerwartet und sehr früh gestorben und das hat mir den Boden unter Füßen weggerissen. Als meine zweite Tochter dann so etwa ein halbes Jahr alt war, wurden die depressiven Stimmungen schlimmer. Das heißt ich war oft antriebslos, traurig, vermied soziale Kontakte.
Und wo mit einem Kind noch alles recht „einfach“ war, konnte ich mich mit zwei Kindern immer schlechter um mich selbst kümmern, die Beziehung litt darunter, aber für Beziehungsarbeit hatte ich keine Energie.
Ich denke, diese Mischung hat dann alles weiter verschlimmert, und ich habe 2020 eine Therapie angefangen, die insgesamt 4 Jahre lief. Erst ging es mir besser, vor allem seit ich auch ein leichtes Antidepressivum nehme. Aber weil ich die eigentlichen Probleme immer noch verdränge und versuche einfach weiter zu funktionieren, geht es mir jetzt wieder schlechter.
Sicherlich hat die Depression auch Auswirkungen auf deine Beziehung zu den Kindern. Welche Situationen stressen dich besonders?
Momentan leide ich besonders unter der andauernden Fremdbestimmung und weil unsere jüngere Tochter sehr an mir hängt. Das ist dann oft ein Teufelskreis. Dadurch, dass mir oft die Freude oder die Energie fehlt, bin ich wohl nicht sehr präsent und dadurch fordern mich die Kinder umso mehr ein. Quasi pausenlos werde ich verlangt. Auch wenn der Papa genau so da ist.
Das bringt mich oft an meine Grenzen. Ich kann seit Jahren kaum weggehen oder Zeit für mich in Anspruch nehmen – ohne, dass es ein Drama mit Tränen und Geschrei gibt. Zudem kommt ein extremer Wettstreit beider Töchter, wer von ihnen mehr Aufmerksamkeit von mir bekommt. Ich soll am besten für beide gleichzeitig zu 100% und zu jeder Zeit da sein, ohne, dass die jeweils andere was abbekommt. Das ist physikalisch unmöglich und macht mich ohnmächtig.
Wie würdest du deine Ehe beschreiben?
Unsere Beziehung ist mittlerweile eher funktional und freundschaftlich und wir sind ein gutes Team. Vor etwa einem halben Jahr habe ich eine Beziehungspause verlangt, weil ich einfach keine Zeit mehr in die Beziehungsarbeit stecken konnte, solange es mir selbst nicht gut geht. Das war mir zu viel.
Mein Partner und ich leben, durch meine persönliche Entwicklung und unsere leider sehr widersprüchlichen Charaktere, seit einigen Jahren in einer schwierigen Dynamik, aus der wir auch mittels Paarberatungen nicht rauskommen. Ich denke mittlerweile, dass es eigentlich nie wirklich „Liebe“ war und mir eine tiefe Verbundenheit fehlt, auch wenn wir anfangs verliebt waren und sehr schöne gemeinsame Zeit hatten.
Da ich ein Scheitern unserer Partnerschaft lange nicht wahrhaben wollte und verdrängt habe, um die Familie zu bewahren, geht es mir wohl nun so wie es mir geht… oder ist es doch nur einfach eine Midlife-Crisis??
Nun möchtest du dir ein eigenes Zimmer in einer WG nehmen. Was erhoffst du dir von diesem räumlichen Abstand?
Ich kann mich zuhause einfach nicht gut abgrenzen und brauche Abstand, um zur Ruhe und zu mir zu kommen und um die Beziehung zu reflektieren. Auch möchte ich das ständige Fordern meiner Kinder auf ein „normales“ Level bringen. Sie sollen merken, dass es, auch wenn ich nicht jede Minute da bin, ok ist. Dass ich verlässlich immer wieder komme und es auch ok ist, wenn Papa sich um sie kümmert.
Ich hoffe, dass ich in der WG zwei bis drei Tage/Nächte sein kann, je nachdem wie es passt mit der Arbeit meines Partners und Terminen. Langfristig schwebt mir schon vor, die gesamte Wohnung anzumieten (die Mitbewohnerin wird wohl über kurz oder lang ausziehen) und sie als Zweitwohnung im Wechsel zu nutzen. Ich versuche immer die Zeiten, die ich daheim bin, dann auch wirklich für die Kinder da zu sein, und merke auch, dass mir das besser gelingt, wenn ich alle paar Tage eine Auszeit hatte.
Die Zeit dort möchte ich wirklich ganz für mich nutzen und ich komme dort auch besser zur Ruhe. Ich muss wieder richtig lernen, mit mir alleine zu sein, aber es tut sehr gut.
Seit wann denkst du darüber nach und warum hast du es bisher noch nicht gemacht?
Schon seit bestimmt 10 Jahren und verstärkt, seit unsere ältere Tochter ein paar Jahre alt war. Da wir aber aus finanziellen Gründen nicht einfach so eine Zweitwohnung nehmen konnten, wurde das nicht umgesetzt. Ich habe leider sehr lange alle Emotionen und Impulse verdrängt, die nicht einem „normalen“ Familienleben entsprochen haben. Auch aus Angst vor Konflikten. Ich habe einfach gehofft es wird besser und geht vorbei. Was jetzt im Nachhinein ein großer Fehler war, weil ich glaube, durch dieses Wegschieben von Emotionen bin ich erst in die Depression gerutscht.
Hast du Freunden/Familie von einem Wunsch nach räumlichem Abstand erzählt? Wie waren die Reaktionen?
Mittlerweile verstehen meine engen Freunde und Angehörigen meine Entscheidung. Aber es war all die Jahre schwierig, damit umzugehen oder darüber zu reden. Ich weiß noch, dass mich ein oder zwei Freunde/Bekannte eher gefragt haben, wie ich meine Kinder allein lassen könne… obwohl das ja gar nicht der Wunsch war und auch nicht so stattfinden würde.
Ein wohnlicher Rückzugsort wurde also eher als Tabu betrachtet. Und ich glaube diese Konventionen und auch die finanzielle Belastung hat mich lange zurückgehalten. Was sehr schade ist, weil eine frühere Entscheidung zu diesem Schritt wohl meiner Psyche, meiner Beziehung und meinen Kindern eigentlich gutgetan hätte.
Ausziehen als Mama – das ist immer noch ungewöhnlich. Was glaubst du, warum das immer noch tabuisiert wird?
Ich denke, wir leben in einem krassen Mix und Widerspruch aus evolutionär biologischen Bedingungen (durch Geburt und Säugen engere Bindung zur Mutter) und altmodischen sowie modernen, emanzipierten gesellschaftlichen Mustern. Diese Muster prägen unsere Wahrnehmung und die viel zu überzogenen und kaum hinterfragten Erwartungen an die Leistungen und Opfer von Müttern.
Und da sogar unsere Generation und auch unsere Kinder noch erleben, wie der Vater oft viel weniger präsent ist und die Mutter den Großteil Care- und Hausarbeit leistet, ist die räumliche Trennung vom Vater wohl häufig noch die einfachere oder vermeintlich natürlichere „Lösung.“
Welche Wünsche hast du für die Zukunft?
Ich hoffe, dass immer mehr Familien und Menschen bewusster und kritischer mit diesen Verhaltensmustern und dass System und Arbeitgeber fortschrittlicher damit umgehen. Familiäre Care-Arbeit muss bezahlt werden, Rentenzeiten ausgeglichen, wenn ein Elternteil wegen der Kinder nur in Teilzeit arbeitet, die Gender-Gap abgeschafft, Männern/Vätern ganz selbstverständlich Teilzeit gewährt werden…
Für die Krankenkasse z.B. spielt das Gehalt meines Partners überhaupt keine Rolle, weil wir nicht verheiratet sind, obwohl wir gemeinsame Kinder haben und zusammenwohnen. Für das Sozialamt bin ich aber von ihm abhängig, und kann wegen seiner Rücklagen z.B. kein Bürger- oder Wohngeld beantragen um meine Zweitwohnung zu bezahlen. Das ist doch paradox.
Und wegen meiner speziellen Problematik wünsche ich mir mehr Unterstützung und Offenheit des Sozialsystems, damit vor allem Frauen nicht finanziell in Abhängigkeit verharren müssen.
Meine persönlichen Wünsche für die Zukunft sind, dass es mir durch die räumliche Trennung und meine Auszeiten, psychisch besser geht, ich Klarheit in den Beziehungsstatus bringen kann und vor allem: dass ich und wir alle wieder mehr Freude am Familienleben haben können. Die Zweitwohnung würde ich gerne behalten, als Rückzugsort, wie auch immer sich die Beziehung entwickelt.