Ausnahmezustand: Über das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren

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Das Gerät piepst, ich sitze neben dem Kind und warte, bis es aus der Narkose erwacht. Eine Routine-Op, nichts Großes, kein Grund zur Sorge. Der Arzt betritt den Aufwachraum, setzt sich mir gegenüber, er hat die Hände gefaltet und sieht mich an. "Tut mir leid, aber ich muss Ihnen sagen, dass wir während der OP etwas gefunden haben, was uns nicht gefällt. Wir schicken das nun ins Labor, um herauszufinden, ob sich Tumorzellen in dem Gewebe befinden." 

Ich bin ganz still, gleichzeitig tobt es in mir. Ich nicke. Verstehe. Tumorzellen. In meinem Kind. Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. "Vielleicht haben wir morgen schon Ergebnisse. Lenken Sie sich heute irgendwie ab", sagt er und legt seine Hand auf meine Schulter. Das Gerät piepst, das Kind schläft immer noch. 

Ich setze mich, frage die Krankenschwester, ob ich einen Schluck Kaffee haben kann. Ich bin im Tunnel. Mein Handy klingelt. Ob alles gut ist, fragt mein Mann. Nein, sage ich und fange an zu weinen.

Das Kind wacht auf. Ich ziehe meine Schuhe aus und krieche zu ihm ins Bett. Ich streichel es, rieche seine Wärme. Als es ganz bei sich ist, sage ich, wie tapfer es die ganze OP über war und dass alle ganz begeistert waren. Später trage mein Kind ins Auto, setze meine Sonnenbrille auf, weil mir die Tränen in die Augen schießen. 

Was, wenn es Krebs ist? 

Zu Hause legen wir uns auf die Couch, gucken Cartoons. Das lenkt ab. Ich koche Milchreis und verschwinde zwischendurch im Bad, wo ich auf dem Klo sitze und heule.

Was, wenn es Krebs ist?

Ich bin dankbar, als die anderen Kinder nach Hause kommen. Trubel, laute Stimmen, CD- Geplärre, Normalität. Ich hab mich gefangen, nach außen hin. Mein Magen jedoch verrät meine Unsicherheit. Mir ist schlecht, ich kriege keinen Bissen hinunter. Ich sehe Bilder von krebskranken Kindern mit Glatzen vor mir. Kann sie einfach nicht ausblenden. 

Wie oft habe ich mir gedacht, wie viel leichter es wäre, wenn das Kind etwas ruhiger wäre, etwas weniger Bewegung bräuchte. Jetzt wünsche ich mir, es würde Putzelbäume durch das Wohnzimmer schlagen und rufen: Mich kriegt nichts klein. 

Als die Kinder alle im Bett sind, kriecht die Panik in mir hoch. Wir Eltern sehen uns an, sagen immer wieder: Abwarten. An das Gute glauben. 

In mir sitzt die Angst, der Schock. Was, wenn das Schicksal nun einmal zuschlägt? Wären wir nicht mal dran, nach all dem Glück, das wir hatten? 

Ich starre an die Decke, mein Kopf ist voll und trotzdem ganz leer. Ich will nur schlafen, nicht mehr denken. Mein Körper ist starr, in mir tut alles weh. 

Am nächsten Morgen stelle ich die Klingellautstärke meines Handys auf die höchste Stufe. Aber was, wenn der Arzt sagt: Tut mir leid, ich habe schlechte Nachrichten. 

Ich kämpfe gegen den Brechreiz, gleichzeitig für Normalität. Ich packe das Kind, fahre zu einer Freundin, wir warten zusammen, trinken dabei Kaffee. "Erzähl mir was Belangloses", sage ich. Sie sieht mein Kind an und sagt: "Es wird gut gehen. Es ist gesund. Es muss gesund sein." 

Es ist ein seltsames Gefühl, die Kontrolle zu verlieren. Ein Anruf entscheidet, wie unser Leben weiter geht. Es fühlt sich an, als würde ich fallen, aber nicht unten ankommen. Ich kann nichts tun, außer zu checken, ob das Handy wirklich nicht auf lautlos steht. 

Ruf doch endlich an. 

Ich denke daran, wie mein Kind als Baby war. Die ersten vier Wochen hat es praktisch nur auf mir geklebt. Von Beginn an hat es immer meine Hand gehalten. "Vielleicht braucht es eben etwas mehr Halt im Leben", sagte meine Hebamme damals. 

Und jetzt? Laut, wild, am liebsten draußen unterwegs, es will später mal Schatztaucher werden.  Es sagt "Geil, Alter" und "Ich werde niemals bei Euch ausziehen. Ich bleibe für immer bei Euch." 

Das Handy klingelt. Ich höre zu. Dann löst sich der Kloß in meinem Hals. Ich bedanke mich, muss mich setzen. Brauche drei, vier Atemzüge.

Rufe meinen Mann an und sage: Alles ist gut. 

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10 comments

  1. Die Eltern müssen für die
    Die Eltern müssen für die pathologische Untersuchung ihr Einverständnis nach der OP geben? Verstehe ich auch nicht.
    Schön dass alles gut aussieht.
    LG Britta

    1. Ja…
      … weil es ja zufällig bei einer anderen OP und nicht gezielt bei einer Tunor-OP aufgefallen ist.
      Ich wünsch endet Verfasserin des Textes ein schnelles Verarbeiten der Gedchichtr, denn auch wenn sie gut ausgegangen ist, bleibt der Schock.
      Allen anderen, die hier ihre Geschichte drunter posten: viel Kraft und hoffentlich auch nach langem Kämpfen einen positiven Ausgang.

  2. Ich verstehe nicht, warum der
    Ich verstehe nicht, warum der Arzt überhaupt diese Vermutung an die Eltern weiter gibt, wenn einen Tag später schon die exakte Diagnose feststeht. Ist das sinnvoll???? Oder ist er da aus irgendwelchen Gründen zu verpflichtet?
    Es wäre doch viel besser gewesen, noch den einen Tag abzuwarten. Im Falle einer Entwarnung hat man sich völlig umsonst verrückt gemacht, und wenn es tatsächlich Krebs ist, macht doch der eine Tag keinen Unterschied, bis man es erfährt. Psychologisch in meinen Augen sehr sehr ungeschickt!!!!

  3. Auch
    mich hat dieses Gefühl des Kontrollverlusts ereilt. Bei uns war es ein Herzgeräusch bei der U2, Kinderkardiologie, nur eine Kleinigkeit, Augenblick, nee, doch was Größeres. Ich wünsche Euch allen viel Kraft, Ihr seid super, passt gut auf Euch auf!

  4. Bekannte Gefühle
    Deine Gefühle sind mir sehr vertraut. Ich habe wochenlang nicht schlafen können nach unklaren Sympthomen und schlechten Blutwerten. Herausgestellt hat sich dann GSD „nur“ ein schwerer asthmatischer Allergieschub. Aber diese Angst und Ungewissheit sind schrecklich.

  5. Ich weiß wie du dich gefühlt
    Ich weiß wie du dich gefühlt hast. Allerdings ist es bei uns nicht gut ausgegangen. Wir hatgen auch nur ein MRT und haben uns danach direkt auf der Kinderonko vorgefunden. Mein Kind hat Krebs! Scheiße!!!
    Jetzt kämpfen wir schon seit 8 Wochen dagegen an, er hat 2 Chemos hinter sich und weiter folgen.
    Wir waren 3 Wochen im „Fallen-Modus“ und sind dann auf dem Boden der Realität aufgeschlagen. Wir haben uns kurz geschüttelt und haben dann angefangen den Berg langsam zu erklimmen.

    Es freut mich für euch das alles gut ausgegangen ist.

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