Ihr Lieben, meine drei Kinder sind alle in Berlin geboren, wir sind dann zur Einschulung der Großen ins Bergische Land gezogen. Manchmal fragen wir uns alle, wie anders so ein Aufwachsen in der Stadt für sie gewesen wäre… unsere Leserin kann ein Lied davon singen. Sie selbst wurde auf dem Land groß, ihr Sohn nun aber in der Stadt. Und irgendwie gruselt sie das. Wie seht ihr das? Was haltet ihr für jugendliche Kinder für am besten zum Großwerden: Stadt oder Land? Hier kommt erstmal die Geschichte unserer Leserin:
„Wenn ich meinen Sohn und seine Freunde sehe, wie sie regelmäßig abends bis spät in die Nacht um die Häuser ziehen, werde ich nachdenklich und auch ein wenig traurig. Auf der Suche nach Treffpunkten und „Wohlfühlorten“ ohne die nervigen Eltern tigern sie durch die Großstadt.

Die Gefahren und Versuchungen treten an allen Ecken zu Tage. Wenn z.B. die leeren Lachgas-Kartuschen überall herumstehen, kann es doch gar nicht so gefährlich sein, wenn niemand tot daneben liegt. Wenn sich an Karneval die Alkoholleichen gesellschaftlich anerkannt türmen, kann es doch gar nicht so schlimm sein, sich zu betrinken.
Wenn Kioskbesitzer die Gaskartuschen, trotz dem Wissen über den Gebrauch einfach an Jugendliche herausgeben, nur weil es rechtlich erlaubt ist, dann geben sie wahrscheinlich auch hochprozentigen Alkohol an Minderjährige aus.
„Ich empfinde das Aufwachsen in der Stadt als gefährlich“.
Es ist nachgewiesen, dass Jugendliche in einem gewissen Alter die Konsequenzen ihres Handelns nicht einschätzen können. Und die Folgen sind nicht ungefährlich. Ohne dramatisieren zu wollen: „Ich empfinde das Aufwachsen in der Großstadt als gruselig und gefährlich“. Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen und das war schon wild genug.
Wenn ich an meine Jungend denke, weiß ich genau: Auch da gehörte Glück dazu, groß zu werden. Auch wir sind Risiken eingegangen. Ich bin z.B. mit 16 alleine quer durch die Eifel zu Rock am Ring getrampt. Ich hatte Glück, an einen wirklich netten LKW-Fahrer zu geraten. Das würde ich mich heute als erwachsene Frau nicht mehr trauen.

Natürlich haben viele von uns Alkohol und manche auch Drogen ausprobiert. Allerdings hatten wir auch Räume für uns und waren eine große Clique mit durchmischter Altersstruktur und alle haben aufeinander aufgepasst. Es gab Jugendräume, die von der Stadt organisiert waren. Wir hatten aber auch unsere ganz eigenen Räume erschaffen können.
Ein alter Bunker im Wald wurde von einigen der älteren Jugendlichen sogar mit einer weiteren Etage ausgebaut. Mit Ofen und Couch versehen. Dazu gab es auch noch eine Hütte, die ebenfalls selbst gebaut war mit Ofen und Couch. So hatten wir auch im Winter unsere Rückzugsräume und auch Treffpunkte. Die Jüngeren haben von den Älteren gelernt und wir haben aufeinander geachtet.
Aufeinander Acht geben sicherlich auch die Jugendlichen in der Stadt. Doch da bleiben nach meinem Empfinden die Gleichaltrigen unter sich. Kaum jemand, der Erfahrung weitergeben kann, wo die Eltern doch gerade so gar keine Ahnung haben. Wo können sich Jugendliche verschiedenen Alters in der Stadt begegnen außer in der Schule? Wo haben die Jugendlichen sichere Räume, in denen sie weit ab der Eltern, doch von der Gruppe geschützt, ihre Erfahrungen sammeln können?
Für mich ist es eine absolute Horrorvorstellung, dass mein Sohn nachts betrunken durch die Stadt irrt, weil er seine Grenzen noch nicht kennt. Viel zu schnell gerät man hier an die „Falschen“. Doch es geht mir hier nicht nur um die Gefahren auf der Straße. Es geht auch um Privatsphäre ohne Kontrolle.

Wo können sich die Heranwachsenden verstohlen und unbeobachtet ihre ersten Küsse geben? Wo sich beim besten Freund oder der besten Freundin die Augen vom ersten Liebeskummer ausheulen? Die Straße ist kein richtiger Ort dafür und zu Hause warten die neugierigeren Eltern, die noch lernen loszulassen oder die empfindlichen Nachbarn, die sich beschweren.
Ich habe leider keine Lösung. Aber vielleicht habt ihr ja eine Idee, die ich mit vorantreiben kann. Wir Eltern sollten alle ein Interesse daran haben, dass unsere Kinder Erfahrungen in geschützten Räumen machen können. Aber wo, wenn sie in der Stadt aufwachsen?
7 comments
Mir geht es so wie vielen der Kommentatorinnen hier: die krassen Erfahrungen kenne ich vom Dorf, nicht von der Stadt. Bin selbst auf einem Dorf aufgewachsen und mit 18 zum Studium nach Berlin gegangen.
– nirgends wird so viel gesoffen wie auf dem Dorf: Fasching, Kirmes, 13- und 14jährige haben Schnaps gesoffen, teilweise sogar ritualisiert, z.B. in Tanzgruppen, vorgesetzt von älterer Herren (ist hoffentlich heute nicht mehr so)
– nirgends verunglücken so viele junge Menschen bei Autounfällen wie auf dem Land
– es geht oft sehr rau zu, man muss mithalten oder akzeptieren, ein Außenseiter zu sein, weil man nicht die Auswahl an Menschen hat wie in der Stadt.
Für mich war der Wegzug ein Befreiungsschlag. Auf einmal kam ich mit Fahrrad oder öffentlichen überall hin, musste nicht mit suspekten Gestalten mitfahren, um zur nächsten Disko zu kommen Habe viele tolle Leute und Subkulturen kennengelernt.
Meine persönliche Meinung: Kindheit ist auf dem Dorf besser, Jugend in der Stadt.
Liebe Beitragsschreiberin, ich kann dich verstehen. Wie aber auch schon die anderen schrieben: Nirgendwo ist es immer garantiert sicher.
Ich verstehe aber, dass dich die Frage sehr belastet. Mein Vorschlag wäre, dass du bei Erziehungsberatungs- oder Familienbildungszentren mal um eine Beratung bittest. Vielleicht hilft es, deine Sorgen einer neutralen Person zu offenbaren? Vielleicht bekommst du da gute Impulse, wie du mit den Sorgen umgehen kannst.
Mein Mann ist auf dem Dorf aufgewachsen und hatte definitiv deutlich mehr Drogenkontakte als ich in der Großstadt. Hat auch Klassenkameraden an Crystal verloren etc.. Sein bester Freund hat zum Glück die Kurve gekriegt.
Da ist, gerade im Teenageralter, eben auch große Langeweile auf dem Dorf.
In der Großstadt hingegen hat man viel mehr Möglichkeiten der sinnvollen Freizeitgestaltung und kann sich seine Freunde viel mehr aussuchen.
Ich bin auf dem Land aufgewachsen. In den idyllischen unbeobachteten Freiräumen kam es nicht nur zum ersten Küsschen sondern zu Vergewaltigungen am Ackerrand, massivem Alkoholmissbrauch, schwerem Mobbing und das Kokain schwenmte aus der 100 km entfernten Großstadt unsere Dorfdisco.
Bullerbü war es jedenfalls nicht.
Oh! Das ist spannend, ich bin ein Stadtskind, das Stadtkinder großzieht. Zum Glück gibt es (noch!?) in meiner Großstadt tolle Kinder- und Jugendarbeitseinrichtungen, Jugendclubs, Sportvereine, Pfadfinder, Bands, kulturelle Bildungsarbeit…, aber auch Einkaufszentren und Parks. Orte zum Knutschen, daran ist wohl kein Mangel. Staatliche Unterstützung solcher Bildungsorte (also nicht Einkaufszentren!) müssen natürlich politisch gewollt sein. Gerade Jugendliche brauchen Orte außerhalb der Familie, um gesund erwachsen zu werden. Ich vertraue darauf, dass ich mit meinen Kindern Situationen, die schwer einzuschätzen sind bespreche. Wenn ich mir die jungen Erwachsenen in meiner Umgebung anschaue, erlebe ich so viele weltoffene, reflektierte Menschen. Die müssen richtig toll sozialisiert worden sein! Vielleicht gibt es hier und da Gefahren? Ich persönlich habe Respekt vor großen Landmaschinen und Nachbarn mit Scheuklappen…
ich muss auch sagen, dass ich gerade das Wort „gruselig“ viel eher mit Dorf als mit Stadt verbinden würde ☺️
alleine die Vorstellung, dass dort alles so wie auseinander ist und man nachts durch Feldwege im Dunkeln nach Hause geht … und per Anhalter fahren (mangels echter Alternative) ist wohl tatsächlich nicht unüblich – hier in der Stadt gibt es Busse und Bahnen und Uber..
Freunde, die auf dem Land groß geworden sind haben außerdem erzählt, dass es ja auch immer einen Fahrer nach der Dorfdisco geben musste – und ob der dann wirklich nüchtern war? da sind wir wieder bei „Konsequenzen noch nicht richtig einschätzen können“…
aber das sind natürlich wiederum meine Vorurteile und Horrorvorstellungen gegenüber dem Landleben. Das ist natürlich genauso nur die negative Seite, wie die Autorin die negative Seite der Stadt sieht (oder befürchtet).
Ich erlebe es auch so, dass die Möglichkeiten so vielfältig sind, dass die Jugendlichen mehr Hobbies und weniger Langeweile haben. Rückzugsorte schaffen sich die Jugendlichen schon selbst – nicht immer ideal (bei uns waren es damals die Spielplätze der Umgebung was ich heute als Mama eines Kleinkindes nicht mehr so super finde 🙈), aber da findet sich auch in der Stadt etwas. Es gibt ja auch immer Teenies die Eltern haben die da eher wegschauen, oder eine Wohnung mit den großen Bruder teilen oder in einer Einliegerwohnung wohnen oder oder 🙂
Ich habe 3 Kinder im Teenageralter. Die älteste ist 18 Jahre. Alle sind in Berlin geboren und dort aufgewachsen und ich freue mich jeden Tag über die Vielzahl an Möglichkeiten die sie haben. Museen, Galerien, Cafés und Kneipen, kulinarische Auswahlmöglichkeiten, tolle Parks, eine Wahnsinns Seen Auswahl im Umladung ein buntes Pottpourri an Menschen.
Meine beiden älteren Töchter sind schon nachts unterwegs mit tollen Freunden und niemals allein. Sie probieren sich aus, schlagen manchmal über die Strenge und kennen doch ihre Grenzen.
Ich selbst bin in einer Kleinstadt aufgewachsen und hätte mir so ein Leben immer gewünscht.
Ps: auch mit kleinen Kindern ist es hier ganz wunderbar und meine Kids konnten immer selbstständig und frei draußen spielen mit vielen Nachbarskindern und unzähligen Nischen und Ecken, urban als auch in der Natur.