Ihr Lieben, wir sind ja immer Feuer und Flamme, wenn wir von besonderen Familiengeschichten hören. Imme Scheit und ihr Bruder Momme Karbach haben genau so eine. Geprägt durch den frühen Tod ihrer Mutter beschäftigten sich die beiden Geschwister intensiv mit dem Thema Lebenszeit und haben jetzt gemeinsam ein Buch geschrieben: „Der beschissenste Traumberuf der Welt“.
Die große Schwester (Imme) schreibt darin über die Berufung ihres Bruders Momme als Altenpfleger mit Herzblut. Der lernte nämlich eigentlich Einzelhandelskaufmann in Kiel, bevor er dann aber seine Altenpflegeausbildung in Hamburg mit dem Fachabi abschloss. Imme studierte Politik- und Literaturwissenschaften in Heidelberg und Montpellier und entwickelte mit ihrem Mann die Erinnerungsplattform YAY www.yaymemories.com. Mehr zum Buch findet ihr auf www.beschissenster-traumberuf.de, aber jetzt erst einmal hier im Interview.
Liebe Imme, du hast ein Buch über deinen Bruder geschrieben, der als Altenpfleger in der Pflege arbeitet. Wann hattest du zum allerersten Mal das Gefühl, du würdest darüber schreiben wollen, wann rutschte der Gedanke in deinen Kopf?
Zum ersten Mal habe ich den Gedanken gehabt, als mein Bruder Momme mir von einer Patientin in seinem Altenheim erzählte, die sich für die Tochter von Eva Braun hält. Statt auf Zuspruch reagiert die Patientin nur auf Befehle aus der NS-Zeit. Wie behandelst du eine solche Patientin? Mein Bruder ist in verschiedene Rollen geschlüpft, um ihr zu helfen und hat für sich einen Weg gefunden, damit klarzukommen. Das finde ich eine bewundernswerte Leistung.
Von außen haben viele Menschen keine Vorstellung, was in einer Pflegeeinrichtung abgeht. Was Patientinnen und Patienten ertragen müssen, was Pflegekräfte leisten – und wie viele Momente der Dankbarkeit und Empathie es gleichzeitig geht. Momme hat aufgrund des frühen Todes unserer Mutter einen ausgeprägt empathischen Zugang zu Menschen, insbesondere zu Sterbenden, was in seinem Beruf als Altenpfleger eine wunderbare Gabe ist. Davon wollte ich schon lange erzählen und der Vorfall gab mir den Impuls, jetzt loszulegen.
Wie hat dein Bruder auf die Idee reagiert oder habt ihr sie zusammen entwickelt?
Momme hat auf meine Buchidee zunächst begeistert reagiert. Doch durch den Stress im Pflegealltag hatte er mental keine Kapazitäten, sich in seiner Freizeit auch noch mit seiner Arbeit zu beschäftigen. Da habe ich das Buch allein begonnen und für fachliche Fragen mit ihm Rücksprache gehalten, ohne explizit zu erwähnen, dass ich das Buch im Alleingang schreibe. Ich war so überzeugt von dieser Geschichte, dass eine Veröffentlichung ab einem gewissen Punkt nicht mehr wichtig war. Ich habe sie für ihn aufgeschrieben, für uns.
Aber als Momme den Text in den Händen hielt, war er nicht nur begeistert, sondern stolz. Wer hat schon ein Buch über sich? : ) Mich hat es sehr gefreut, dass ihm mein Blick auf sein Leben gefallen hat. Denn obwohl wir ein enges Verhältnis haben, wusste ich natürlich nicht hundertprozentig, ob meine Zeilen seine Gedanken und Gefühle passend eingefangen.
Ich bin auch stolz auf ihn. Es ist mutig, dass er seine Erlebnisse mit der Welt teilt. Schließlich ist es ein ganz persönliches Buch geworden. Mommes Begegnungen mit Menschen am Lebensende bilden das Herzstück des Buches. Mommes Suche nach Sinn und Erfüllung bildet den Rahmen für diese Begegnungen.
Hattet ihr schon immer ein enges, inniges Verhältnis zueinander, gibt es gemeinsame Erinnerungen aus der Kindheit?
Wir waren uns von Kind auf nah, auch wenn unser Austausch nicht in jeder Lebensphase gleich intensiv war. Von dem her gibt es viele gemeinsame Erinnerungen.
Ihr habt eure Mutter früh verloren, seid ihr ähnlich oder sehr unterschiedlich damit umgegangen?
Für mich lag es nahe, mich durch Lesen und Schreiben mit dem Thema zu beschäftigen. Lesen hilft mir seit ich lesen kann und ich schreibe Tagebuch und Geschichten, seit ich schreiben kann. Vor einigen Jahren habe ich mit meinem Mann eine Erinnerungsplattform entwickelt, damit jeder Erinnerungen, Gedanken und Emotionen aufschreiben und für seine Liebsten hinterlassen kann. Jetzt habe ich dieses Buch geschrieben. Auch das ist Verarbeitung. Bei mir läuft alles übers Schreiben.
Ein Teil von Mommes Reflexion geschieht bis heute über seine Arbeit, denke ich, wo er täglich mit Abschied und Tod konfrontiert ist. Darüber hinaus hatten wir beide das Glück, immer Freunde an unserer Seite zu haben, mit denen wir sprechen konnten.
Hat Euch das Erlebte auch in beruflicher Hinsicht geprägt? Habt ihr beide direkt das gemacht, was ihr wolltet? Warum nicht?
Zunächst schienen die Erlebnisse aus unserer Kindheit keinen Einfluss auf unsere Berufswahl zu haben. Momme hat sich schon früh für die Pflege interessiert und Altenpfleger gelernt. Ich habe Politik- und Literaturwissenschaften studiert und war als Politologin in der Entwicklungszusammenarbeit tätig, das klingt erstmal geradezu gegensätzlich. Doch heute sind unsere Berufswege inhaltlich ähnlicher, als man von außen meinen könnte.
Als Altenpfleger sind die Themen Abschied, Tod und Erinnerungen für Momme im Pflegealltag omnipräsent. Bald möchte er in den Palliativdienst wechseln, wo der Fokus auf Abschied noch stärker im Vordergrund steht. Ich habe vor einigen Jahren mit meinem Mann die Erinnerungsplattform YAY entwickelt. YAY ist ein Produkt, das auch auf Palliativstationen und grundsätzlich bei Menschen am Lebensende viel Anklang findet, eben weil es die Möglichkeit bietet, das persönliche emotionale Vermächtnis damit festzuhalten.
Mommes und mein gemeinsames Buch, „Der beschissenste Traumberuf der Welt“, ist die sichtbarste Verbindung unserer beruflichen Lebenswege. Unsere Familiengeschichte hat uns auf jeden Fall beruflich geprägt.
Was macht diesen Job für deinen Bruder aus? Was bewunderst du dabei an ihm? Warum bewegt er sich dann doch oft zwischen Berufung und Burnout?
„Pflege muss man wollen“, ist ein Zitat von Momme. Durch die Arbeit mit Menschen am Lebensende entsteht unweigerlich eine Nähe, die nicht jeder mag und zulassen kann. Auch emotionale Nähe spielt eine Rolle, da die Pflegekräfte die Menschen im Altenheim in ihren letzten Jahren begleiten. Da wächst einem auch mal jemand ans Herz, den man gehen lassen muss. Auch diesen Teil muss man können und wollen.
Für Momme ist der Pflegeberuf geprägt vom Dienst am Menschen. Es geht ihm darum, alten Menschen zu helfen, die nicht mehr alleine leben können, die sterben werden, die Pflege, Fürsorge und Zeit brauchen. Doch aufgrund der mangelhaften Rahmenbedingungen fehlt es an Zeit und Fürsorge. Daher spreche ich von der Zerreißprobe zwischen Berufung und Burnout. Ich bewundere Mommes Umgang mit dem Tod. Ich habe selten junge Menschen getroffen, die den Tod so natürlich als Teil des Lebens annehmen.
Was war seine berührendste Begegnung in der Altenpflege?
Zu den besonders berührenden Momenten gehörte für Momme die Begegnung mit einem 111-jährigen Patienten, der allen Schmerzen zum Trotz vor Lebensfreude gestrahlt hat. Er hat sich mit Momme an der Sonne erfreut, obwohl er nicht mehr sehen konnte, und Anekdoten aus Zeiten erzählt, als sein Vater noch mit der Postkutsche durch Hamburg gefahren ist. Wenn man vier Staatssysteme miterlebt hat und trotzdem am Lebensende noch lachen kann, kann man das nur bewundern, oder? Die Begegnung habe ich ins Buch aufgenommen.
Welcher war der berührendste Moment zwischen euch beiden in der Entstehung des Buches? Welche Sorgen hattet ihr vor dem Erscheinen? Was hat dann eure Erwartungen übertroffen?
Es ist immer aufregend, mit einem kreativen und persönlichen Projekt an die Öffentlichkeit zu gehen. Als ich das Buch das erste Mal bei einem Schreibseminar vorgestellt habe, fand es sofort Anklang. Da wusste ich, ich bin auf einem sehr guten Weg.
Der eigentlich berührende Augenblick zwischen Momme und mir kam nach dem Schreiben. Es war der Moment, als wir das erste gedruckte Exemplar unseres Buches in den Händen hielten. Wir haben uns in unserem Elternhaus getroffen und wussten, wir teilen diese hoch emotionale Lebensstory jetzt mit der Welt.
Als wir im April auch noch den Thalia Storyteller Award 2024 gewonnen haben, war das die schönste Bestätigung, die es geben konnte.
Was wünscht ihr beiden euch für die Zukunft?
Was für eine große Frage! Wir wünschen uns eine Welt, in der jeder in Würde altern und sterben kann, ohne an Geld, mangelnde Betreuung und fehlende Medikamente denken zu müssen. Es muss eine Systemrevolution her, damit Pflegearbeit wieder fair bezahlt wird und attraktiv für Nachwuchskräfte wird. Nur so können die Pflegekräfte Menschen am Lebensende Zeit und Fürsorge schenken.
Auf einer ganz anderen Ebene wünschen wir uns eine Zukunft, in der jeder seine Geschichte teilen kann, ohne sich verurteilt zu fühlen. Es hat eine solche Kraft, die verletzlichen Momente des Lebens mit anderen zu teilen, doch viele finden niemals den Zugang dazu. Eine Gesellschaft, in der vor allem Kinder besser aufgefangen werden und Persönlichkeitsentwicklung zum Schulfach wird, ist absolut wünschenswert.
1 comment
Wow, ich glaube, dieses Buch werde ich mir holen. Ich finde das Thema so wichtig. Meine Mama hat Krankenschwester gelernt, aber zwanzig Jahre nicht gearbeitet wegen uns Kinder. Dann ist sie, weil eine Rückkehr einfacher war, in die Altenpflege. Sie hat viel über das System gejammert, aber auch die Kollegen bzw. Chefs, weil nicht alle den Job so gern und intensiv machten, wie sie. Aber wie viele Angehörige heute noch sie kennen und ansprechen, ist Bestätigung dafür, dass es gut war, dass sie die wenige Zeit auch in die Patienten und in Freundlichkeit gesteckt hat. Ihr Körper hat es nicht gut vertragen und durch die vielen Arbeitsstunden fehlte sie bei so manchem Termin/Fest. Dennoch hat sie den Job eben wegen der Patienten geliebt! Pflege muss man wollen (und können)!