Alles hat seine Zeit – warum ich nicht glaube, dass wir immer alles gleichzeitig haben können

Alles hat seine Zeit

„Alles hat seine Zeit“, das war ein Satz, den meine Oma oft gesagt hat. So richtig habe ich ihn als Kind nicht verstanden. Später sagte auch meine Mutter diesen Satz oft – meistens, wenn es darum ging, dass ich etwas noch nicht durfte, also noch zu jung für etwas war. Was natürlich zur Folge hatte, dass mich dieser Satz genervt hat.

Er hat mich nicht nur genervt, ich wollte ihn auch am liebsten widerlegen. Warum sollte alles nicht immer möglich sein? Vielleicht war dieser Satz nur eine Ausrede, dachte ich mir lange.

Vor Kurzem habe ich schweren Herzens meine Mitgliedschaft im Tennisverein gekündigt und kaum hatte ich die Nachricht an den Verein geschrieben, schoss mir der Satz „Alles hat seine Zeit“ durch den Kopf, denn diesmal passte er so gut.

Zu meinem 40. Geburtstag, also vor drei Jahren, habe ich mir selbst eine Mitgliedschaft im Tennisverein geschenkt. Ich hatte als Kind gespielt, dann viele Jahre nicht und hatte total Lust, dieses alte Hobby aufleben zu lassen. Ich wollte neue Leute kennenlernen, nahm Trainerstunden und spielte in einem sehr lustigen, gemischten Doppel. Dienstags 9 Uhr Tennis war ein fester Termin in meinem Kalender.

Dann wurde ich schwanger, das Baby wurde geboren und fixe Termine waren nicht mehr einzuhalten. Monat für Monat zahlte ich weiterhin einen Beitrag, spielte aber fast gar nicht mehr, sodass sich das finanziell wirklich gar nicht mehr rechnete. Ich merkte, dass zu meiner jetzigen Lebensphase diese Mitgliedschaft nicht mehr passt.

Es war super, als ich noch flexibler war und ich total Lust hatte, mich neu zu fordern. Gerade bin ich einfach froh, wenn ich es ab und zu zum Sport schaffe – deshalb habe ich nun eine Zehnerkarte beim Yoga/Pilates – zahle also nur, wenn ich auch wirklich hingehe.

Alles hat seine Zeit – gerade beim Thema Kinder

Aber „Alles hat seine Zeit“ passt tatsächlich noch zu so viel mehr in meinem Leben. Während Lisa im letzten Jahr so umtriebig wie nie zuvor war, kam ich nur dazu, das Nötigste zu erledigen. Ich hatte keine Kapazitäten für Neues, null Raum für Kreativität und das hat mich oft genervt. Dank eines wirklich wunderbaren Textes von Lisa (HIER nachzulesen) konnte ich besser annehmen, dass eben nicht immer alles gleichzeitig geht – ein Baby haben und sich neu erfinden.

Und neulich schrieb ich ja darüber, dass sich so ganz langsam wieder kleine Freiheiten auftun, weil die Größte von uns nun auch abends mal auf ihren kleinen Bruder aufpassen kann. Vor einem halben Jahr war das noch nicht denkbar, jetzt klappt das. Alles hat eben seine Zeit.

Manchmal spüre ich diesen Satz auch beim Thema Freundschaften. Es gibt Freundinnen, mit denen ich zu gewissen Zeiten meines Lebens sehr verbunden war. Weil wir gemeinsame Erfahrungen machten, weil uns die Kinder verbanden. Nicht immer halten alle diese Freundschaften, meist verändern sie sich im Laufe der Jahre, weil wir uns eben weiterentwickeln. Und dennoch sind diese Freundschaften nicht weniger wertvoll, finde ich. Denn für eine gewisse Zeit waren sie unheimlich wichtig und dafür kann man einfach dankbar sein, oder?

Oft wird uns – gerade auf Social Media – vermittelt, dass wir immer alles zu jeder Zeit haben und machen können. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Oder zumindest stimmt es für mich nicht. Ich merke immer wieder, dass ich nicht immer alles sofort machen kann, dass sich nicht immer alles genau so umsetzen lässt, dass nicht immer alles passt, was früher mal gepasst hat. Ich habe gelernt, dass ich mich von einigen Dingen verabschieden muss, dass ich auch mal auf etwas warten muss. Dass es manchmal Geduld braucht, Nachsicht mit sich selbst und anderen. Und das Vertrauen, dass die richtige Zeit kommen wird.

Noch ein Beispiel, ganz aktuell aus dem Urlaub: Wir können nicht ein Kleinkind haben und erwarten, dass beide Eltern stundenlang am Strand chillen und ungestört lesen. Nein, einer muss immer das Kind im Blick haben, Sandburgen bauen, Muscheln suchen. Aber die Zeit, in der wir Eltern wieder völlig relaxt am Strand liegen können, wird kommen. Das seh ich ja bei Lisa. Sie schafft im Urlaub mittlerweile schon ein halbes Buch, bevor die Teenies morgens aufstehen.

„Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung“, sagte schob der griechische Heraklit. Ein guter Satz, oder? Manche Veränderungen tun weh, manche sind mehr als nötig, manche kommen überraschend, manche sehnen wir herbei. Eineinhalb Jahre nach der Geburt meines vierten Kindes, das für die ganze Familie eine große Veränderung bedeutete, merke ich, dass die Zeit langsam wiederkommt, in der ich mich selbst wieder mehr spüre. Nicht immer, nicht jeden Tag, aber eben alles zu seiner Zeit.

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3 comments

  1. Liese Lisa
    Wie treffend geschrieben!
    Ja, für alles gibt es eine Zeit und manchmal geht sie für etwas vorbei oder ist eben noch nicht reif. Was man früher intuitiv wusste ist in unserer digitalen Gesellschaft völlig vergessen gegangen. Man möchte alles jederzeit, jetzt sofort und zeitgleich und subito. Damit berauben wir uns selber dem aktuellen Moment, den wir nicht bewusst wahrnehmen und die guten Seiten die er uns bringt, damit zu wenig auskosten.
    Geniess noch dein letztes Kleinkind.
    Jale

  2. Liebe Katharina, ich stimme dir 100%ig zu! Witzigerweise ist bei uns in der Partnerschaft das auch mit dem 4. Kind zum Mantra geworden. Unsere Kinder sind näher zusammen als deine, aber durch 4 Kinder zwischen Baby- und Grundschulalter (und Arzttermine en masse…) war zum ersten Mal nicht mehr alles möglich. Gleichzeitig weiß man durch die Älteren, dass auch viele Freiheiten bald wiederkommen. Aber eben nicht alle sofort. Und wenn wir soweit sind, werden wir bestimmt die kuscheligen Vorlesestunden vermissen. Alles hat eben seine Zeit.

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