Ihr Lieben, wir freuen uns immer sehr, wenn Ihr uns Feedback zu unseren Geschichten hier schreibt – sei es auf Facebook oder im Blog – oder eben auch per Mail. Heute veröffentlichen wir mal so eine Mail – natürlich mit Einverständnis der Absenderin. Weil es mal wieder zeigt, wie unterschiedlich die Rucksäcke sind, die wir alle so durchs Leben schleppen und wie wichtig es ist, offen und zugewandt zu bleiben.
Liebe Lisa, liebe Katharina,
Heute habe ich bei euch den Artikel von einer Frau über ihre Abtreibung gelesen, „Niemals würd ich abtreiben“ hieß die Überschrift.
Ich habe beim Lesen geweint, weil ich so gut nachvollziehen konnte, wie sich diese Frau fühlt. Und dann habe ich noch all die Kommentare zu dem Artikel gelesen, die mich traurig stimmten. Denn sie zeigten, wie schnell und hart viele Menschen urteilen.
Ich freue mich für jede Frau, die ihr Leben meistert und die eine ähnliche Situation anders gelöst hat, die ihren Weg gegangen sind und jetzt die Kinder im Arm haben. Aber nicht jede Frau hat diese Stärke und nicht jede muss sie haben.
Kommentare wie: Das könnte ich NIE, das hätte ich NIE gemacht – bringen dem, der durch diese Erfahrung gegangen ist, gar nichts. Außer noch mehr Schuldgefühle.
Ich würde euch gerne meine Geschichte erzählen. Sie begann Ende 2011. Ich war mit meinem Partner erst 4 Monate zusammen, er kam aus einem „reichem“ Elternhaus, aber seine Eltern hatten unglaublichen Einfluss auf ihn. Ich war 19, er 26 und wir waren so verliebt. Wir sprachen über Kinder und hatten dieses „Wir gegen den Rest der Welt“-Gefühl.
Tatsächlich wurde ich schwanger – und wir freuten uns, hatten schon gleich einen Namen und zogen sehr schnell zusammen. Als wir das nächste Mal zu seinen Eltern fuhren, teilten mir diese auf der Türschwelle mit, dass ich Hausverbot habe und zogen ihren Sohn ins Haus.
Ich blieb einfach draußen stehen und wartete. Nach zwei Stunden kam mein Freund raus und sagte, er würde ausziehen. Ich verstand die Welt nicht mehr und brach sofort in Tränen aus.
Seine Eltern setzten ihn in einen Transporter und fuhren direkt in unsere Wohnung. Dort räumten sie alle seine Sachen aus, sogar das Bett nahmen sie mit. Ich versuchte die ganze Zeit, mit ihm zu reden, aber die Eltern gingen immer dazwischen. Als die Eltern alles verstaut hatten, drückte mir der Vater 400 Euro in die Hand und sagte: „Für die Abtreibung. Kümmere dich darum. Wenn du das Kind behält, machen wir dir das Leben zur Hölle.“
Ich war am Boden zerstört, versuchte die nächsten Tage, immer wieder mit ihm Kontakt aufzunehmen, versuchte es auch über seine Freunde. Ich kam nicht mehr an ihn ran. Dann fuhr ich zu meiner Mutter und erzählte ihr alles. Die sagte nur zu mir: „Ja, treib das Kind ab. Sonst kannst du dir eine andere Familie suchen.“
Und da saß ich nun. Alleine. Alle sagten: Treib das Kind ab. Niemand sagte: Ich helfe dir. Wir schaffen das.
Als ich meinen Freund dann irgendwann doch noch ans Telefon bekam, sagte der: „Du und das Kind seid mir egal. Ich werde nicht den Papi spielen. Wir hatten eine schöne Zeit, aber das ist jetzt vorbei.“ Eine Woche später trieb ich das Kind ab. Ich weinte davor, ich weinte danach.
Ich fühlte mich schuldig und ich spürte, wie viele Menschen mich verurteilten – den Vater jedoch ging niemand so heftig an. Wie kann das sein? Und auch seine Eltern bekamen niemals Gegenwind. Ich bekam alles ab. Ich fühlte mich so klein, so mies, dass ich tatsächlich Suizidgedanken hatte.
Aber ich bin noch hier und ich weiß heute, dass man sich wegen einer Abtreibung nicht so runter machen lassen muss. Dass man sich selbst nicht so fertig machen muss. Ich lasse mich nicht mehr verurteilen. Ich bin meinen Weg gegangen und hatte Gründe dafür. So wie jede andere Frau aus. Diese Gründe sind manchmal Verzweiflung, Angst, manchmal Hoffnungslosigkeit, manchmal auch Liebe. Es ist Euer Körper und Eure Entscheidung – und wie Ihr diese Entscheidung dann wegsteckt, ist auch Eure Sache. Wenn Ihr es gut verarbeitet: Prima. Wenn Ihr damit hadert: Auch ok, dann nehmt Euch Zeit. Aber eins müsst Ihr nicht: Euch schämen!
Eure Mariella
6 comments
Oh je. Dieses Geschehen hatte wenig mit Freiwilligkeit zu tun. Abtreibung hin oder her. Hier wurde die Verzweiflung und Druck benutzt und das ist kein guter Berater.
Hallo Mariella, ich möchte dir ganz klar wiedersprechen: Nein, das war nicht dein Weg. Das war er Weg deiner Schwiegereltern und Eltern, den du gezwungen wurdest zu gehen. Ein Wunschkind abzutreiben, mag vielleicht mit einer unreifen 19-jährigen zu erklären sein. Aber sie ist kein Positivbeispiel für Abtreibung, sondern ein Negativbeispiel. Du hättest keine Abtreibung, sondern Unterstützung gebraucht.
Ich würd dich unbekannterweise einfach gerne in den Arm nehmen 🙁 traurig!!!! Du hast Recht!!!
Eine unvorstellbar traurige Geschichte. Und das in der heutigen Zeit. Das zeigt noch einmal mehr wie wichtig Beratungsstellen sind wie pro familia oder donum vitae, ganz egal wie die Entscheidung dann am Ende ausfällt.
Als Ergänzung zu den genannten Beratungsstellen:
Niemand hat der Mailschreiberin gesagt „Ich helfe dir. Wir schaffen das.“ Für Frauen, die so empfinden und hier lesen, ist vielleicht auch 1000plus eine Anlaufstelle. Ja, da scheint der Ausgang schon vorprogrammiert, aber genau da gibt es nicht nur die Worte „Ich helfe dir. Wir schaffen das.“, sondern auch die Taten dazu.
Mögen allen in so einer Situation die richtigen Menschen begegnen ❤️