Ihr Lieben, wir hatten mit Katharina schon vor einigen Monaten Kontakt, damals wollten wir zusammen einen Beitrag umsetzen mit dem Titel „Das Leben mit einem Kind mit Behinderung wird mir zu sehr romantisiert“. Ich hatte Fragen dazu entwickelt und bekam lange keine Antwort.
Immer mal wieder fragte ich nach, wie es aussehe, ob wir mit dem Interview noch rechnen könnten. Dann schrieb Katharina irgendwann. Dass ihre Kleine im Juli verstorben sei. Ich entschduligte mich vielmals für mein Nachfragen, ich wusste ja von nichts. Kathi schlug dann aber vor, trotzdem ein Interview zu führen. Mit neuen Fragen eben – und neuen Antworten. Zum Abschied von Ally. Wenn ihr mögt, folgt Kathi und ihrem Weg gern auch auf ihrer Instagram-Seite.
Liebe Kathi, du hast vier Kinder geboren, drei Jungen und ein Mädchen. Heute geht es vor allem um deine Tochter Ally. Sie kam mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit zur Welt. Was bedeutete das?
Ally hatte das Leigh Syndrom, eine Mitochondriopathie. Das ist eine sehr seltene Stoffwechselkrankheit, die dazu führte, dass sie alles gerade erst Erlernte direkt wieder verlernte. Ihr Gehirn wies früh viele Schäden auf, sie litt zusätzlich an Epilepsie und konnte am Ende nicht mehr lachen oder weinen. Auch drehen oder das Köpfchen allein halten waren zuletzt undenkbar. Wir ahnten, dass sie wohl nicht lange zu leben hat…
Nun ist sie mit nur einem Jahr Ende Juli gestorben. Kam der Abschied trotzdem mehr oder weniger überraschend für euch?
Ja, es kam sehr überraschend. Ihr ging es so gut an dem Tag.
Wie hast du die letzten Stunden mit deiner Kleinen erlebt? Wart ihr alle zusammen?
Wir waren im Hospiz zum Entlastungsaufenthalt. Es war ein toller Tag, das Wetter war super. Ally ging es ausgezeichnet. Ich war im Leipziger Zoo, das wollte ich schon immer mal machen. Als ich gegen 16 Uhr wieder im Hospiz war, kam Ally gerade von einem Spaziergang mit den Pflegerinnen wieder. Kurz danach war etwas komisch.
Ihr Zustand veränderte sich. Als hätte sie gewartet bis ich wieder da bin. Gegen 18 Uhr rief ich meinen Mann an, er solle kommen, irgendetwas stimme nicht. Ihr Zustand änderte sich nicht. Gegen 19.30 Uhr kam er und wir gingen mit ihr auf mein Zimmer. Wir haben ihr alles gesagt, was noch zu sagen war. Wir haben uns bedankt, dass wir ihre Eltern sein durften. Gegen 22.30 Uhr schlief sie friedlich für immer ein.
Trauer erleben wir oft in Schüben, da gehören Schockmomente dazu, Ungläubigkeit, Wut, Leere. Wie würdest du deine Gefühle jetzt gerade, zwei Monate nach ihrem Tod beschreiben?
Uns geht es trotz dieser Traumata, die so tief gehen, relativ gut. deb Umständen entsprechend eben. Wir nehmen wieder am normalen Leben teil. Das war sehr wichtig – gerade für meine Jungs. Denn sie mussten 17 Monate lang unglaublich viel zurückstecken.
Wie geht es euch als Familie, als Paar, aber auch als Eltern, die ja noch drei Kinder zu versorgen haben?
Wir leben, wir lachen und wir weinen. Ganz wichtig ist jetzt für uns, dass wir wieder ganz viel Zeit für uns haben. Wir fahren viel weg, gehen wieder zum Fußball. Die Jungs brauchen jetzt ganz viel Stabilität und die bekommen sie auch von uns.
Merkst du, dass sich Freundschaften verändern? Dass man euch meidet, wie viele Trauernde das erleben?
Ja, ganz am Anfang war das grausam für mich. Da ich ganz viel auf Instagram aktiv bin, schrieb ich einen Beitrag, dass wir bitte ganz normal behandelt werden wollen. Nach diesem Beitrag klappte es. Die Menschen waren einfach überfordert und wussten nicht, wie sie mit uns umgehen sollen. Verständlich.
Du hattest etwas mehr als ein Jahr mit deiner Tochter, wie würdest du ihren Charakter beschreiben, wie erinnerst du dich an sie?
Sie war immer fröhlich. Da sie wieder lachen konnte, tat sich das täglich. Sie hat so viel Liebe gegeben und auch bekommen.
Wusstet ihr schon in der Schwangerschaft, dass mit Ally etwas nicht stimmt?
Nein, alles war immer ok… Rückblickend würde ich jedoch sagen, dass die Schwangerschaft doch viel anstrengender war als die drei davor.
Du hattest selbst länger in der Behindertenhilfe gearbeitet, hat dir das im Alltag geholfen? Oder war das beim eigenen Kind durch die emotionale Nähe nochmal etwas ganz anderes?
Ja, definitiv, deshalb war es nie ein Problem für mich, ein behindertes Kind zu haben… Nach ihrer Diagnose im Dezember 2021 hab ich mich aber manchmal gefragt, ob nicht eine „normale Behinderung “ gereicht hätte.
Kannst du dir vorstellen, nochmal in diesem Job zu arbeiten?
Ich habe schon immer in der Pflege gearbeitet. Das ist meine Berufung. Im Oktober fange ich eine neue Stelle an und im März beginnt meine Ausbildung zur Pflegefachkraft. Darauf freue ich mich sehr, weil es ein langersehnter Wunsch von mir war.
Du hast mal gesagt, dass das das Leben mit Kindern mit Behinderung zu sehr romantisiert werde in der Öffentlichkeit. Wie hast du das gemeint?
Ja, viele berichten nur von den schönen Augenblicken, sie retuschieren und verschönern viel. Nur wenige schreiben darüber, was es wirklich heißt, ein behindertes oder schwerkrankes Kind zu haben. Das wollte ich nicht. Bei Instagram berichte ich ehrlich und ungeschönt über das Leben mit Ally und natürlich auch darüber, wie es jetzt nach ihrem Tod weitergeht. Ich hoffe, dass ich damit diesem Thema ein Stückweit das Tabu nehme. Ich möchte anderen Mamas, Papas, Omas und Opas zeigen, dass ein Leben nach dem Tod des Kindes auch noch lebenswert sein kann. Wenn auch anders.
Hast du nach Allys Tod auch eine gewisse Form der Erleichterung empfunden?
Nach ihrem Tod fielen mir Zentner Last vom Rücken. Ich wusste sofort, dass es ihr jetzt dort, wo sie ist, gut geht. Dass sie von Wolke zu Wolke springen kann. Dass sie all das kann, was sie hier bei uns nie konnte. Daran glaube ich wirklich, deshalb hab ich das meinen Jungs auch erzählt. Sofort nach ihrem Tod konnte ich wieder schlafen.
Was hat dir die Betreuung durch ein Kinderhospiz gegeben und bedeutet?
Alles, es war die schönste Zeit. Mein Sohn Mika (12) der uns zweimal begleitet hat, nimmt aus dieser Zeit so wichtige Erfahrungen mit, die ihm in seinem späteren Leben sehr helfen werden.
Werdet ihr auch heute noch in eurer Trauer in irgendeiner Form begleitet?
Nein, wir stützen uns alle gegenseitig. Im Hospiz gibt es zwar spezielle Angebote für verwaiste Eltern und Geschwister, aber das triggert mich noch zu sehr.
Was möchtest du anderen Familien in ähnlichen Situationen gern noch mit auf den Weg geben?
Unsere Kinder wollen, dass wir glücklich sind. Die Liebe stirbt nie. In der Trauer ist alles erlaubt was einem gut tut… Macht bitte auch nur das, womit ihr euch wohlfühlt. Niemand kann darüber werten. Lacht, weint, habt trotzdem Spaß, verbietet euch nichts. Ihr dürft das! Ihr dürft wieder leben!
Das Leben geht weiter – nicht mehr so wie vorher. Aber es geht weiter. Setzt euch kleine Ziele, genießt die Sonne, freut euch über einen schönen Tag… wir haben es uns verdient. Denn wir haben Unglaubliches geleistet…