Ihr Lieben, uns erreichen immer sehr viele Kommentare, wenn ich über Nicht-Erziehungstipps für Teenager und Jugendliche schreibe, über „Abi und weg“-Themen, denn für Schwangerschaft und Kleinkindalter gibt es wahnsinnig viel gutes Material, für größere Kinder aber nicht.
Und als ich dann neulich über die letzten Klausuren meiner Tochter berichtete, die dann im nächsten Jahr ihren Schulabschluss macht, meldete sich unsere Leserin Franzi so sympathisch empathisch bei uns, dass ich sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, darüber zu erzählen, wie das für sie war, als ihr Sohn in diesem Jahr nach dem Abi auf Weltreise aufbrach. Hier kommt ihre emotionale Geschichte.
Abi und weg: Erstmal auf Weltreise
Ich weine, weil alles gut ist.
Ich bin eigentlich ein eher sachlicher Mensch, mache würden sogar sagen, ich sei nüchtern. Eigentlich.
Im Moment bin ich alles, aber nicht sachlich und nüchtern. Ich sitze im Auto auf dem Weg zur Arbeit und muss gerade meine geröteten Augen kühlen und ein paar Tränen wegatmen. Total crazy… ich weine, weil alles gut ist. Ich weine, weil mein Sohn sich seinen Traum erfüllt und nach Volljährigkeit, Abitur und Führerschein ins Leben aufbricht.
Es ist alles gut, aber es geht einfach zu schnell… es ist Ende August und in ein paar Tagen wird mein ältestes Kind zu einer Weltreise starten und im Anschluss 1000km weit entfernt von uns in der Schweiz studieren… Wie zum Kuckuck konnte das passieren, er war doch eben noch so klein?
Nach dem 18. Geburtstag ging es Knall auf Fall
Mein Großer ist im Mai achtzehn Jahre alt geworden, er hat im Juni Abitur gemacht und im Juli den Führerschein und jetzt, Ende August, macht er sich auf den Weg in die große, weite Welt und mein eigentlich sachliches und nüchternes Mutterherz kommt damit nicht so gut klar, wie ich es von mir selbst erwartet habe.
Ich bin ja wirklich kein Fan von ungebetenen Ratschlägen, aber einen Tipp habe ich für alle werdenden Eltern: plant den Geburtstermin sorgfältig! Mir ist das gerade alles zu viel Veränderung in so wenigen Wochen nach den vielen Jahren Routine aus Schule, Hobbys und Ferien.
Es ist ja auch nicht so, dass es plötzlich und unerwartet kommt. Ein Frühchen, ein paar Jahre später großer Bruder, einige Zeit danach nochmal großer Bruder, vier Umzüge in neun Jahren, unser Leben ist bewegt, voller Action. Der Alltag… drei Kinder, zwei Jobs, zwei Hunde, pflegebedürftige Eltern. Viel Stress aber auch ganz viel Familie. Familie, zu der er natürlich und immer dazugehört. Ein kleines Ferienhaus in Schweden, wo wir die Sommer verbringen und auftanken und immer sind wir zu fünft.
Wir würden ihn so vermissen
Der Große ist gesellig, beliebt bei Freunden und trotzdem: Familienferien sind ihm heilig, er fährt immer mit. Er wächst heran vom Kind zum Jugendlichen zum „Partner“. Er ist Vermittler zwischen den streitenden Geschwistern und oft einfach nur unfassbar albern und verspielt, wenn wir als Familie zusammen sind. Wir genießen das – alle.
Er kommt in ein Alter, in dem sich Kinder langsam abnabeln und beginnen, eigene Wege zu gehen und er macht das gut. Er geht abends auf Partys, sagt aber immer Bescheid wo und mit wem. Er mag keinen Alkohol, ist eher derjenige, der angetrunkene Freundinnen und Freunde in Taxis oder auf seinen Gepäckträger verfrachtet und nach Hause bringt.
Fahren wir in den Urlaub, sitzt inzwischen er auf Nachtfahrten neben mir und erzählt über schwarze Löcher und chemische Reaktionen von denen ich nichts verstehe, während mein Mann mit den beiden Jüngeren hinten schläft. Er wächst… nicht nur körperlich. Er ist verantwortungsvoll und wir bekommen immer wieder sehr wertschätzende Berichte von Freunden, aus der Schule, von anderen Eltern.
Natürlich unterstützen wir seine Pläne
Wir freuen uns über seine Entwicklung, wir unterstützen seine Pläne und – na klar, geht der Junge nach der Schule für ein Jahr ins Ausland, keine Frage! Sicher wird er danach das Stipendium in der Schweiz annehmen, wie großartg! Wir Eltern sind beide gern und viel gereist während unserer Jugend, haben im Ausland studiert und befeuern seine Pläne noch… Australien, Ostasien, Südamerika… wo soll’s zuerst hingehen?
Wenn Freunde und Freundinnen fragen „Machst du dir keine Gedanken, liegt dir das nicht im Magen?“, winke ich voller Überzeugung ab: Ach was, das gehört dazu, die Kinder werden groß und finden ihren eigenen Weg. Theorie und Praxis (an dieser Stelle möge man sich einen Tränen lachenden Smiley vorstellen)!
Wir begleiten seine Recherche – welches Visum für welches Land, wohin zuerst, welche Impfungen. Wir bewundern seine Disziplin – Schule von 14 Uhr, dann Erdbeeren verkaufen an der Landstraße und dabei für‘s Abitur lernen und abends noch in einer Kita putzen… Geld verdienen. Dazu Sport, Freunde, Verabredungen. Und ja… wir sind auch einfach stolz, er macht das großartig.
Der Abiball geht gut über die Bühne
Die Verleihung der Abiturzeugnisse naht und wir sind immer noch im Eltern- und Kümmermodus. Schuhe kaufen für den Abiball, einen Anzug finden und das Wissen um seinen baldigen Abflug ist weit weg. Dann sitzen wir da, mitten im Juli, schauen ihm zu, wie er sein Zeugnis erhält und schwitzen leise vor uns hin. Melancholie kommt angesichts der vielen mittelguten Reden eher nicht auf, der Abiball ist laut und fröhlich und auch hier sind die Gedanken an seine Abreise noch fern.
Er macht seinen Führerschein und der erste Familienausflug mit meinem Sohn am Steuer, das ist schon ne Hausnummer. Wir Eltern schlagen uns wacker, keine Ratschläge, kein „Mitbremsen“, kein hektisches Ein- und Ausatmen. Er fährt sicher und verantwortungsvoll. Und dann ist es nur noch eine Woche und ab diesem Zeitpunkt heule ich dauernd los. Bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit schießen mir die Tränen in die Augen und ich fange an, mir selbst albern vorzukommen: es ist doch alles gut!
Dauernd breche ich in Tränen aus
Die letzten Tage werden nochmal hektisch, eine neue Tasche muss gekauft werden – die Mutti heult im Laden. Er braucht noch eine Regenjacke – die Mutti heult beim Aussuchen. Und unter Tränen versichere ich ihm immer wieder, dass ich es großartig finde, dass er loszieht. Dass ich ihm eine wundervolle Reise, fantastische Naturerlebnisse und bleibende Freundschaften wünsche. Ich sage, dass er alles richtig macht – er reist jetzt, ungebunden, jung, neugierig auf die Welt. Ich freue mich für ihn, wirklich und von Herzen. Und ich heule.
Dauernd. Gleichzeitig fühle ich mich undankbar: er ist gesund, er kann seinen Traum leben, es geht uns allen gut. Andere Menschen, andere Eltern müssen ihre Kinder für immer verabschieden – wie „einfach“ ist die Aufgabe, die mich gerade dauernd zum Weinen bringt.
Er hinterlässt eine Lücke
Denn er hinterlässt eine Lücke. Aus fünf werden (vorübergehend) vier. Er ist für die jüngeren Geschwister ein Anhaltspunkt, eine Instanz. Sie werden sich auch neu zurechtruckeln müssen, wenn er nicht mehr da ist. Dann ist die Mittlere nicht mehr „mittel“, sondern die Große. Die Dynamik mit zwei Kindern ist eine völlig andere, als mit dreien. Das war mir in dem Ausmaß nicht so klar. Auch die Aufteilung mit uns zwei Eltern ist plötzlich anders, auf den ersten Blick ausgewogener – zwei „Jungs“ und zwei „Mädchen“.
Und dann stehen wir am Flughafen. Wir drücken ihn, lenken uns ab, futtern Pommes, um was zu tun zu haben, checken 36mal das Gate und die Flugzeit und fragen immer wieder, ob er alles hat: den Pass, die Bordkarten, das Visum. Er ist ruhig, entspannt und vorfreudig. Beim letzten Drücker vor der Sicherheitskontrolle flüstert er mir ins Ohr: „Ach übrigens, ich habe beschlossen, das Grundstudium mindestens mache ich hier an der Uni“.
Dann dreht er sich um und geht. Und ich weine noch ein bisschen, bin gerade so in Übung – aber ich bin so erleichtert! Denn dass dieser wundervolle, große, junge Erwachsene jetzt ein Jahr unterwegs ist und sein Abflug gleichzeitig auch seinen endgültigen Auszug von Zuhause bedeutet, dafür war ich wirklich noch nicht bereit.
7 comments
Vielen Dank für den tollen Artikel. Ich bin sehr gerührt und kann die Gefühle hundertprozentig nachvollziehen. Meine Tochter (19) macht gerade ein FSJ und plant im nächsten Jahr zu studieren. Es ist klar, dass sie dann ausziehen wird. Auch sie wird in unserer Familie eine große Lücke hinterlassen. Ich weiß noch nicht wie ich damit zurecht kommen werde?!
Ich lese diesen wundervollen Artikel gerade beim Mittagessen u plötzlich bleibt es mir im Halse stecken, da dieser immer enger wird u ich kräftig schlucken muss. Ja u dann fange ich an zu weinen. Ich schluchzte hier rum u versuche mich wieder zu fangen, bevor mein großer Sohn gleich aus der Schule kommt. Dieser Bericht berührt mich so sehr, weil es hier gerade auch immer schneller geht. Mein Sohn ist vor zwei Wochen 18 geworden, fährt seit Januar Auto mit Begleitung u nun alleine. Sein Abi steht vor der Tür, im Mai ist er fertig mit der Schule. Und dann will er reisen…es ist nicht so schnell wie im Artikel beschrieben, aber ich glaube es ist womöglich für jede Mama dann doch plötzlich, obwohl man das ja alles weiß. Und dennoch….ich habe bisher tapfer durchgehalten u nur beim gratulieren zum 18. ein paar Tränchen verdrückt, aber jetzt hat es mich erwischt. ♡
Wer schneidet hier in der Früh schon Zwiebeln? 😭
Ein schöner Bericht, so wünscht man sich das für seine Kinder. Auch wenn es das Mamaherz sehr schwer macht.
Toll geschrieben, da sind bei mir auch ein paar Tränchen gekullert. Danke für den Einblick und alles Gute für euch!
Mein Großer ist erst 3 und beim Lesen habe ich mitgeheult 😅 Genau so wünscht man sich das Leben und das Großwerden für seine Kinder und ich weiß jetzt schon, dass es trotzdem schwer wird. Alles Gute euch!
Ach, was für ein liebevoller schöner Beitrag…
Ich bin sehr berührt von dieser Geschichte. Meine Tochter ist im Juni, zwei Wochen nach dem Schulabschluss mit “wildfremden Menschen” zusammen in eine WG in Boston gezogen. Sie hat beschlossen erstmal nicht zu studieren und obwohl ich all diese Entscheidungen theoretisch unterstütze, vermisse ich sie schrecklich und mache mir unendlich viele Gedanken. Bei jedem Anruf sagt sie wohlwissend als allererstes: “Alles ist gut, es ist nix passiert.” In der Theorie glaube ich a den allbekannten Spruch mit den Wurzeln und den Flügeln, aber wow, dass das so schwer ist, hätte ich nicht gedacht. Mittlerweile geht es mir besser, aber die erste Zeit war echt hart.