Ihr Lieben, wir haben hier immer wieder Artikel zum Thema Schulangst. Auf genau so einen Artikel hat sich Marlene bei uns gemeldet und uns gefragt, ob wir nicht mal Interesse hätten, etwas über Freilerner zu bringen. Sie und ihr Mann sind nämlich aus Deutschland ausgewandert, weil ihr Sohn unter dem deutschen Schulsystem gelitten hat. Wir haben sie dazu interviewt.
Liebe Marlene, ihr seid vor drei Jahren aus Deutschland ausgewandert. Kannst du erzählen, wie ihr damals gelebt habt?
Gerne. Vor unserer Auswanderung haben wir mit unseren beiden Söhnen (damals 6 und 9 Jahre alt) in einer ländlichen Siedlung zwischen Hamburg und Bremen gelebt. Mein Mann arbeitete als Koch und ich als selbstständige Eltern- und Stillbegleiterin. Wir hatten ein gemütliches Reihenhaus mit kleinem Garten, viele Kinder und Spielplätze in der Nachbarschaft – also eigentlich eine sehr idyllische Umgebung für junge Familien.
Ein wichtiger Grund für die Auswanderung war eure Kritik am deutschen Schulsystem. Was genau hat euch da belastet, was habt ihr erlebt?
Da wir uns schon früh mit alternativen Bildungsmöglichkeiten beschäftigt hatten, ging unser Sohn zunächst in die Waldorfschule. In den ersten Wochen und Monaten gefiel es ihm dort gut, aber nach einer Weile wurde er immer bedrückter, kam oft erschöpft nachhause, hatte tagelang Verspannungen und Rückenschmerzen. Irgendwann konnte er abends schlechter einschlafen, weil er Sorgen vor dem nächsten Schultag hatte. Die Lehrer*innen waren bemüht, konkrete Schwierigkeiten zu lösen – aber unser Sohn fühlte sich in der grundlegenden Struktur und Atmosphäre von Schule immer unwohler.
Später besuchte er aus verschiedenen Gründen eine staatliche Grundschule. Dort knüpfte er schnell Freundschaften, war aber bestürzt vom Umgang der Kinder untereinander, die sich schon in der 3. Klasse auslachten, beschimpften und gezielt zum Weinen brachten. Dazu kam ein stärker werdender Druck durch Bewertung und Hausaufgaben. Er verlor mehr und mehr die Neugier an Themen, die ihn früher interessiert hatten, wurde schnell wütend und sprach oft unter Tränen davon, wie sehr er sein früheres Leben ohne Schule vermisste.
Das war sicher sehr unangenehm für euch alle…
Ja, ich als Mutter fand ich mich in einer Rolle wieder, in der ich nie sein wollte: Ich musste mein Kind morgens gegen seinen Willen aus dem Bett holen und in die Schule bringen, nachmittags wegen der Hausaufgaben vom Spielen abhalten und abends seinen (verständlichen) Frust und die Bauchschmerzen vor dem nächsten Tag begleiten. Im Grunde mussten wir den ganzen Tag Kämpfe austragen und Konflikte lösen, die gar nicht unsere waren. Dabei wurden wir immer unglücklicher und gestresster.
Gab es dann den einen Auslöser, nach dem ihr beschlossen habt: Jetzt reicht es uns?
Eine entscheidende Zäsur war für uns der erste Covid-Lockdown. Nicht wegen der Pandemiemaßnahmen (die waren für uns grundsätzlich nachvollziehbar), sondern weil unser Alltags-Hamsterrad auf einmal stillstand. Wir hatten Glück, dass mein Mann Kurzarbeitergeld bekam und wir viel Zeit für Wanderungen, Spieleabende, Lagerfeuer und lange Gespräche hatten. Unseren Kindern tat es gut, morgens ausschlafen und den Tag selbstbestimmter gestalten zu können. Gleichzeitig merkten wir Eltern, dass wir eine tiefe Sehnsucht nach kleinen und großen Abenteuern hatten. Wir wollten unsere wertvolle Lebenszeit nutzen, um mit unseren Kindern die Welt zu entdecken und zu genießen.
Und das war in Deutschland nicht möglich?
(Schul-)Alltag in Deutschland war genau das Gegenteil von dem, was wir uns wirklich wünschten. Was wir hier erlebten, war eine Menge Fremdbestimmung, Ohnmacht, Druck und vor allem Trennung – von unseren eigenen Bedürfnissen und Werten, von unseren Kindern, aber auch von der Welt „da draußen“. Wir erlebten, wie Neugier und Lebensfreude unserer Kinder im durchgetakteten Schulalltag schwanden und unsere Beziehungen in einen dauerhaften Funktionsmodus wechselten. Damit wollten wir nicht die nächsten 10 Jahre verbringen.
Bis wir uns endgültig trauten, unser Haus zu verkaufen und alles hinter uns zu lassen, vergingen noch knapp 2 Jahre, in denen unser Sohn phasenweise wieder zur Schule ging. Der Grundstein für die Auswanderung wurde aber gelegt, als wir Zeit hatten uns zu fragen, was wir in diesem Leben wirklich wollen.
Wie haben Freunde, Familie und Lehrer auf eure Pläne reagiert?
Sehr unterschiedlich. Die meisten zeigten Interesse, Neugier oder sogar Bewunderung, ein paar waren eher skeptisch-zurückhaltend. Leider gab es auch einzelne Menschen, die enorm feindselig auf unsere Pläne reagierten.
Während wir uns schon lange mit selbstbestimmter und außerschulischer Bildung beschäftigt hatten, war für diese Menschen jeder Weg außerhalb klassischer Schulbildung absolut unvorstellbar. Sie versuchten, uns mit verschiedenen Druckmitteln und Drohungen wieder „auf Spur“ zu bringen – was uns teilweise tief erschüttert und schmerzhafte Narben hinterlassen hat.
Gleichzeitig brachten diese heftigen Reaktionen uns innere Klarheit und den Mut, Deutschland endgültig zu verlassen. Wir sehnten uns nach einem Ort, an dem wir als vollwertiger und akzeptierter Teil der Gesellschaft willkommen sein und dazugehören würden – auch, wenn unsere Kinder sich selbstbestimmt bilden.
Ihr lebt nun in Irland – warum Irland?
Zum einen gibt es in Irland ein verfassungsmäßiges „Recht auf Bildung außerhalb von Schule“ – d.h. Schulbesuch ist nicht verpflichtend wie in Deutschland. Zwar ist Home Education auch hier ein Minderheitenphänomen, aber es ist legal und gilt als wichtiger Bestandteil einer vielfältigen, demokratischen Gesellschaft. Wir können offen mit unserer Lebensweise umgehen und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen – was sich unglaublich entlastend und positiv auf unseren Familienalltag und die Bildung der Kinder auswirkt. Außerdem gibt es eine lebendige Community von Familien, die ohne Schule leben, und sogar Bildungsangebote und Veranstaltungen speziell für diese Familien.
Dazu kam, dass Irland schon immer mein großer Kindheitstraum war. Tatsächlich hatte ich vom ersten Tag an das Gefühl, endlich nachhause zu kommen. Und obwohl unser Leben hier nicht sorgenfrei ist (Irland hat eine große Wohnungsnot, häufige Stromausfälle und ein gewöhnungsbedürftiges Gesundheitssystem), fühlen sich auch mein Mann und die Kinder sehr wohl hier. Wir genießen die Freundlichkeit der Menschen, das entspannte Lebensgefühl, die vielen kulturellen und gemeinschaftlichen Angebote – und natürlich die atemberaubend schöne Landschaft.
Wie genau sieht nun die Beschulung der Kinder aus? Wie geht ihr sicher, dass ihr die Lernpläne erfüllt?
Unsere Söhne werden nicht im traditionellen Sinn beschult. Das bedeutet, wir folgen keinem festen Lehr- oder Stundenplan, sondern sie lernen in Projekten, die ihrer persönlichen Neugier entspringen und von uns Eltern und anderen Menschen unterstützt und begleitet werden.
Ein aktuelles Beispiel: Vor wenigen Wochen haben wir ein kleines Gewächshaus für unseren Garten gekauft, weil die Kinder unbedingt eigenes Gemüse anpflanzen wollten. Das Gewächshaus haben sie mithilfe der Anleitung gleich aufgebaut und sind seitdem täglich damit beschäftigt, geeignete Gemüsesorten auszusuchen, Schilder zu beschriften, Pflanzen vorzuziehen, zu pflegen und umzutopfen. Dabei lesen, schreiben und rechnen sie, erweitern ihr handwerkliches Geschick und botanisches Wissen.
Als zusätzliche Hilfe dienen Bücher, das Internet und Freunde von uns, die selbst Gemüse anbauen. Obwohl das Ziel (der eigene Salat auf dem Teller) noch Monate in der Zukunft liegt, kümmern sie sich ausdauernd und gewissenhaft um ihre Pflanzen und freuen sich über jeden Fortschritt. Wenn sie dann am Ende in ein selbstgezogenes Radieschen beißen, ist das für sie ein beglückenderes und einprägsameres Erlebnis als die gute Note nach einem Test.
Mit solchen Beispielen könnte ich inzwischen Bücher füllen. So sind wir aus reiner Neugier über die Ruinen verlassener Cottages auf die irische Hungersnot und schließlich den Unabhängigkeitskrieg gekommen – und haben mehrere Museen dazu besucht. Die Kinder sind in Sportvereinen und Musikgruppen, nehmen an handwerklichen und naturwissenschaftlichen Workshops teil.
Wir gehen regelmäßig in die Bibliothek, nehmen Forscherbücher und Teleskope mit auf Wanderungen und beobachten alle möglichen Tier- und Pflanzenarten. Außerdem haben unsere Söhne in wenigen Monaten fließend Englisch sprechen gelernt, weil sie jeden Tag mit Kindern in der Nachbarschaft spielen. Ganz ohne Vokalbeltest und Hausaufgaben, aber mit viel Freude.
Generell unterscheiden unsere Söhne nicht zwischen Lernen und Spielen – sie haben einfach eine starken inneren Antrieb für ihre Tätigkeiten und das Lernen passiert automatisch. Von außen betrachtet wirkt es manchmal etwas chaotisch oder unorganisiert, aber wenn ich die Entwicklung ihrer Fähigkeiten anschaue, bin ich immer wieder fasziniert. Ich habe den Eindruck, dass selbstbestimmtes Lernen bei ihnen deutlich schneller und nachhaltiger funktioniert als klassischer Schulunterricht.
Müssen die Kinder auch ab und zu Prüfungen machen?
In Irland müssen Homeschooler keine Prüfungen ablegen. Die Eltern durchlaufen aber ein behördliches Assessment, bei dem sichergestellt wird, dass die Lernumgebung und das soziale Umfeld der Kinder einem erforderlichen Mindestmaß entsprechen. (Wie das genau abläuft und wie wertschätzend ich es erlebt habe, beschreibe ich in meinem Artikel Ohne Schulpflicht in Irland.)
Wenn unsere Söhne einen Schulabschluss brauchen, können sie sogenannte Externenprüfungen ablegen. Inzwischen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, sich darauf entweder selbstorganisiert oder in Kursen vorzubereiten. Außerdem steht ihnen jederzeit frei, wieder in die Schule zu gehen, wenn sie das wollen. Auch das gehört für uns zu selbstbestimmter Bildung.
Freilerner haben oft keinen guten Ruf. Warum ist das so?
Es mag überraschen, aber ich kann die Vorbehalte gegenüber schulfreier Bildung verstehen. Zum einen ist es einfach fremd und ungewohnt. Die meisten Menschen kennen nur klassische Schulbildung, außerdem gibt es kaum wissenschaftliche Studien zum Freilernen – weil schlicht die Daten fehlen. Bildung ohne Schule ist also Neuland und mit Unsicherheit verbunden.
Dazu kommt, dass einige Menschen vielleicht als Kind nicht zur Schule gehen wollten, mit diesem Wunsch aber nicht ernstgenommen wurden. Weil es enorm schmerzhaft ist, ein Bedürfnis zu fühlen, das dauerhaft ignoriert wird, müssen Kinder es zu ihrem eigenen Schutz unterdrücken und die „Gegenperspektive“ einnehmen. („Schule muss sein!“) Wenn dann plötzlich Familien daherkommen, die ohne Schule leben, kann das tiefe Wunden in uns berühren. Es ist nachvollziehbar, dass manche lieber mit Ablehnung reagieren, als dieses „Fass“ aufzumachen.
Freilerner gelten aber auch oft als radikal in einigen Ansichten….
Stimmt, es gibt innerhalb der Freilern-Bewegung tatsächlich problematische Strömungen, die radikal systemkritische, rechte oder verschwörungsideologische Positionen vertreten. Ich glaube, das hat seinen Ursprung (neben dem allgemeinen Rechtsruck) auch darin, dass Familien in Deutschland keinen legalen Rahmen für außerschulische Bildung haben. Der enorme soziale Druck, den Eltern erleben, die in diese Richtung denken, lässt manche ins andere Extrem kippen – also die radikale Ablehnung von Staat und „System“. Ich möchte diese Haltungen auf keinen Fall entschuldigen oder verharmlosen, allerdings haben sie wenig mit echter Bildungsfreiheit zu tun.
Nach meinem Verständnis kann selbstbestimmte Bildung nur gelingen, wenn junge Menschen in ein lebendiges soziales Umfeld eingebunden sind. Wenn sie sich als wertvollen und wirksamen Teil einer demokratischen, vielfältigen Gesellschaft erleben und Zugang zu verschiedenen Bildungsmöglichkeiten haben. Und umgekehrt glaube ich, dass eine bunte, demokratische Gesellschaft legale Möglichkeiten für außerschulische Bildung braucht. Weil Menschen eben unterschiedliche Lernbedürfnisse haben und nicht zu einer bestimmten Bildungsform gezwungen werden sollten.
Freilerner-Familien wie wir wollen nicht „aussteigen“, sondern dazugehören. Wir sind in verschiedenen Musik- und Sportvereinen, gestalten Gemeindeprojekte mit, interessieren uns für Politik, Klimaschutz und den Erhalt der Demokratie. Unsere Kinder sprechen 3 verschiedene Sprachen und haben Freund*innen aus 10 verschiedenen Nationen. Unsere Impfpässe sind randvoll. Wir sind in vielen Bereichen sehr „mainstreamig“ unterwegs und führen ein Leben mitten in der Gesellschaft – nur eben ohne Schulbesuch.
Wie haben sich eure Kinder verändert, seit sie so beschult werden?
Der Dauerfrust ist tatsächlich verschwunden. Natürlich haben wir auch doofe Tage mit Langeweile, Hektik oder kleinen Streitereien. Aber grundsätzlich stehen die Kinder morgens ausgeschlafen und fröhlich auf und verbringen den Großteil ihres Tages neugierig und voller Tatendrang. Ich bin immer wieder erstaunt und erleichtert darüber, wie viele alltägliche Belastungen und Kämpfe einfach von uns abgefallen sind, seit wir Deutschland verlassen haben.
Natürlich kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob unsere Entscheidung in allen Belangen „richtig“ war. Aber wenn ich mich daran erinnere, wie bedrückt und unmotiviert mein Sohn im Schulalltag oft war und nun erlebe, wie die Ideen der Kinder sprudeln – dann nehme ich diese Unsicherheit gerne in Kauf.
Und wenn ich an die Familien denke, die noch heftigere Probleme erleben als wir damals, dann wird mir ein bisschen schwer ums Herz. Familien, deren Kinder gemobbt werden oder aus anderen Gründen große Angst vor der Schule haben. Familien, die täglich stundenlang an Hausaufgaben sitzen. Eltern, die um Diagnosen kämpfen, damit ihr Kind zumindest kleine Erleichterungen im Schulbetrieb bekommt.
Ich glaube, wir könnten vieles ändern, wenn wir unsere Vorstellung von „richtiger“ Bildung ein wenig hinterfragen. Natürlich ist unser Weg weder perfekt, noch für alle Familien sinnvoll. Und ich glaube, dass wir auch zukünftig Schulen brauchen. Aber wenn wir jungen Menschen eine Wahl lassen würden, ob sie Schule in Anspruch nehmen oder nicht (gerne mit Vorkehrungen zum Schutz vor Isolation und Vernachlässigung) – dann würden wir viele Familien von unnötigem Druck, Stress und belastenden „Lernproblemen“ befreien.
Was sagt ihr auf die Kritik, dass Kinder eben auch lernen müssten, sich in der Schule zurecht zu finden und dass sie ja dort auch soziale Kompetenzen lernen?
Die Frage ist, welche sozialen Kompetenzen wir wollen. Aus welchem Grund sollten Kinder lernen, sich in Schule zurechtzufinden – und was genau lernen sie dabei?
Eine durchschnittliche Schulklasse besteht aus 20-30 willkürlich zusammengesetzten Gleichaltrigen, die während des Unterrichts oft wenig Raum für soziale Interaktion oder individuelle Mitbestimmung haben. Außerdem werden sie ständig bewertet und miteinander in Konkurrenz gesetzt. Das entspricht keinem „natürlichen“ sozialen Setting und ist gleichzeitig der perfekte Nährboden für Mobbing.
Ich kenne inzwischen viele unbeschulte junge Menschen und mir fällt immer wieder auf, wie teamfähig, rücksichtsvoll und wertschätzend sie sind, wie kreativ und lösungsorientiert sie mit Konflikten umgehen. Unsere Vorstellung von „normaler“ Sozialisation ist durch Schule geprägt – weil wir schlicht nichts anderes kennen. Inzwischen frage ich mich aber, ob wir mit unserem Schulsystem die sozialen Fähigkeiten junger Menschen nicht eher gefährden als fördern.
Ich glaube, wenn wir gesunde Sozialisation wollen, dann sollten wir jungen Menschen viel mehr Kontakt zur realen Gesellschaft ermöglichen. Unsere Kinder spielen nachmittags stundenlang mit den Nachbarskindern Fußball, organisieren gemeinsam mit anderen Eltern Bastelworkshops, spielen Schach mit 30jährigen Ukrainern und machen traditionelle Musik-Sessions mit 70jährigen irischen „Urgesteinen“. Sie haben einen großen, diversen Bekanntenkreis und vertrauensvolle Freundschaften zu anderen jungen Menschen, von denen manche in die Schule gehen und manche nicht. Wenn ich mir um etwas wirklich keine Sorgen mache, dann sind das ihre sozialen Fähigkeiten.
Gibt es etwas, was du anderen Eltern sagen willst, die ebenfalls über so ein Konzept nachdenken?
Wenn ihr euch im deutschen Schulsystem unwohl fühlt, dann seid ihr nicht komisch oder verrückt. Tatsächlich geht es vielen „ganz normalen“ Familien so, aber wir haben mit der rigiden Schulpflicht Strukturen geschaffen, in denen nur wenige sich trauen, über andere Wege zu sprechen.
Wenn eure Kinder sich selbstbestimmtere Bildung wünschen, dann müsst ihr weder zu radikalen Systemgegnern werden, noch sofort den perfekten schulfreien Weg finden. Es gibt sowieso kein Konzept, das für alle passt. Ob ihr z.B. auswandert oder eine geeignete Lernumgebung innerhalb Deutschlands findet – das hängt von euren individuellen Bedürfnissen und Umständen ab.
Ich wünsche mir nur, dass wir beginnen, offen und wertschätzend über Alternativen zu klassischer Schulbildung zu reden. Nur so können wir Menschen die Angst davor nehmen und Freilernen zu einer legalen Möglichkeit machen, die weder versteckt noch idealisiert werden muss. Etwas, das Familien ohne Druck ausprobieren können – ohne ihren Platz in der Gesellschaft zu verlieren.
40 comments
Ich kenne ein paar Leute mit „verkorkster“ Schullaufbahn, für die das Freilernen vermutlich das Richtige gewesen wäre oder zumindest eine alternative Schule wie Waldorfschule (gab es zu meiner Schulzeit bei uns noch nicht). Insofern wäre ich persönlich, wenn der Leidensdruck in der Schule für Kinder zu hoch ist, für legales Freilernen in Deutschland unter Auflagen und mit Kontrollen. Politisch wird sich das aber sicherlich in naher Zukunft nicht umsetzen lassen.
Die Herleitung der Entscheidung kann ich total nachvollziehen und ich glaube auch, dass aus von den Eltern beschulten Kindern tolle Menschen werden können.
Was ich aber schwierig finde ist das Bildungsniveau. Dieses Kind, das mit 10? Jahren Schildchen beschriftet, konkurriert später mal mit Kinder, die den Konjunktiv 1 üben oder schriftlich dividieren. Und im Selbststudium studiumsrelevante Sachen wie Kurvendiskussion oder meinetwegen ein entsprechendes Englisch-Sprachniveau zu erreichen, ist nahezu unmöglich. Und das Leben wird so viel härter mit schlechter Ausbildung und daraus resultierend meist wenig Einkommen. Das Familienhäuschen scheint ja schon weg zu sein.
Der Beitrag ist wirklich spannend, besonders da ich mich gerade in einer ähnlichen stressigen Situation befinde. Als Mutter ohne Führerschein, die gerade einen MPU-Kurs macht, kann ich gut nachvollziehen, wie sich das anfühlt, wenn man gleichzeitig für die Familie da sein muss. Der Beitrag über die Freilerner zeigt einen mutigen Schritt, wie Eltern ihre Kinder aus dem schulischen Druck befreien, um ihnen mehr Freiheit und Selbstbestimmung zu geben. Auch wenn das Modell nicht für alle Familien passend ist, finde ich es beeindruckend, wie die Familie in Irland das Leben und Lernen ihrer Kinder selbstbestimmt gestaltet und dabei so viel Freude und Erfüllung findet. Ein Konzept, das ich mir für meine Kinder in der Zukunft auch gut vorstellen könnte.
Schade, dass sich Marlene auf die Nachfragen nicht nochmal äußert, ich finde das auch interessant, wie die Familie das beruflich/finanziell macht. Vielleicht könnten Lisa/Katahrina da nochmal nachhaken? So kommt es so rüber, als ob dieses Modell etwas für privilegierte Menschen ist, die gar nicht arbeiten müssen oder im home-office die zeitlichen und finanziellen Ressourcen haben. So oder so wäre das nichts für mich, obwohl ich Vielfalt schätze, halte ich das doch für eine Blase, die (unter anderem) dazu führt, dass die Gesellschaft auseinander driftet. Bi allen, teilweise berechtigten, Kritikpunkten, ist die Schule doch der Ort, wo Menschen aufeinander treffen, auch mit denen zu tun haben, die ganz anders sind als sie selbst. Deshalb bin ich für eine inklusive Schule für alle, finde auch unser dreigliedriges Schulsystem ganz schlimm, genauso wie die Abspalterei durch Privatschulen oder halt „Freilerner“. Der Frust dieser Familie war vielleicht auch etwas hausgemacht? Wenn ich der Schule so viel Bedeutung für mein persönliches Glück beimesse, wird es vielleicht auch eine selbsterfüllende Prophezeiung, dass es da ganz schlimm ist?
sorry, habe grad gesehen, dass Marlene unten doch schon geantwortet hatte!
Danke für deine Nachricht. Ich sehe das mittlerweile ähnlich. Ich finde es nicht schlimm wenn die Familie die finanziellen Mittel hat. Aber dieses Leben und diesen Traum muss man sich auch leisten können. Wir können das leider nicht. Zumal ich noch pflegebedürftige Eltern habe. Letztendlich ist das auch egoistisch. Wenn man dann wieder die soziale Hängematte in Deutschland braucht geht es halt wieder zurück ins böse Deutschland
Es hat nichts mit leisten können zu tun. Es ist eine Entscheidung für die Kinder, die jeder Familie auch viel abverlangt. Und das muss man wollen. Was daran egoistisch ist, erschliesst sich mir nicht. Und dieses unsägliche: Ihr kommt eh wieder, wenn ihr die soziale Hängematte braucht“ wie kommt ihr darauf? Warum so gehässig? Was nehmen wir euch weg?
Hallo Kathrin, es ist vielleicht gar nicht so gemeint, aber solche Formulierungen wie „eine Entscheidung für die Kinder“ kommen halt schon sehr wertend rüber. Als ob Eltern, die ihre Kinder in staatliche Schulen geben, nicht das Beste für ihre Kinder wollen. Doch, das wollen sie auch!! Sie haben aber, im besten Falle, mehr Vertrauen: in das Schulsystem und in ihre Kinder. Natürlich sind Menschen auch unterschiedlich. Aber kritische Nachfragen muss man nun wirklich nicht unsachlich als „gehässig“ abqualifizieren.
Doch, natürlich muss man sich das leisten können. Und das sei jedem gegönnt, bei dem das so ist, solange ein Bewusstsein dafür da ist. Was mich wirklich stört ist in dem Zusammenhang der Wunsch und die Anspruchshaltun im Ausgangsartikel, Care Arbeit bezahlt zu bekommen. Von wem? Warum und wovon?
In der Theorie stimmt das. Faktisch suchen sich die Kinder auch innerhalb der Klassen und der gesamten Schule immer nur eine Handvoll Leute aus, mit denen sie permanent zu tun haben oder gar befreundet sein wollen. Der Rest ist meist nur „anwesende Masse“ ohne echte Interaktion. Jeder Sportverein, jeder Jugendtreff und jedes Kinderorchester bewirkt in dieser Hinsicht mehr.
Was die Gliederung angeht, kommt sie gerade den Begabteren sehr entgegen. Und Inklusion endet meist spätestens beim Kindergeburtstag. Insofern wird die Schlagkraft des Arguments schnell reduziert, dass Schule ein Schmelztiegel sei, in dem man mit allen umzugehen lerne und automatisch mit allen auch Gemeinschaften bilde.
Vom allgegenwärtigen Mobbingproblem ganz zu schweigen. Es gibt Untersuchungen, noch von _vor_ der Pandemie, dass die Suizidrate unter Kindern und Jugendlichen in den Ferien geringer ist als während der Schulzeit. Insbesondere nach den Sommerferien steigt sie merklich an. Alleine das ist schon bezeichnend. Wer den Link möchte: Ärzteblatt, Titel = „Suizide steigen bei Jugendlichen nach den Ferien an“ vom Oktober 2019
Meinen Sohn habe ich nach der 10. Klasse aus dem staatlichen System auf eine Privatschule wechseln lassen. Der Hauptgrund war allerdings, dass dort der Unterricht wenigstens tatsächlich stattfindet und nicht jede 4. Stunde faktisch ausfällt, wie in den staatlichen Schulen. Obendrein wird dort in kleinen Gruppen und mit viel mehr Freiheiten bei der Unterrichtsgestaltung unterrichtet, unter Einhaltung des NRW-Lehrplanes.
Hätte ich die Möglichkeit gehabt, hätte ich meinen Sohn durchaus zu Hause unterrichtet. Alleine der ewige Kampf um die Hausaufgaben, die für meinen Sohn wirklich komplett sinnlos waren und von denen er 80% auch nie angefertigt hat, wäre uns dann erspart geblieben. Alleine das wäre es schon wert gewesen.
ich kann den Wunsch der Familie absolut nachvollziehen und bin auch ganz stark der Meinung dass das Schulsystem hier eine massive Überarbeitung braucht!!
trotzdem sehe ich den Ausstieg aus dem Schulsystem kritisch, vor allem aufgrund der Beschreibung der Autorin: Sie erzählt wie sie jeden Tag damit beschäftigt war ihr Kind durch den Frust und die Schwierigkeiten zu begleiten. und auch wenn das sehr anstrengend ist für beide und definitiv nicht Überhand nehmen sollte im Alltag, so ist doch dieses Begleiten von stressigen Situationen, von Sorge und Konflikten… das alles ist doch nötig, damit Kinder als Erwachsene wissen, wie sie umgehen sollen mit Stress, mit Sorgen und Druck und auch mit den Blödians auf der Welt, die das nicht gelernt haben und sich deshalb Schimpfwörter an den Kopf werfen… oder schlimmeres.
für mich liest sich der Bericht wie ein Ausbrechen aus dem Hamsterrad, was absolut begrüßenswert ist – aber auch total realitätsfern, weil die Kinder leider nicht lernen mit Unangenehmen umzugehen – und auch zu spüren dass sie das aushalten und daran wachsen können.
Der logische Schluss aus dieser These wäre, dass es außerhalb der Schule keine Unwägbarkeiten, keine Probleme, keine Herausforderungen, keinen Stress, keine Konflikte, keine Sorgen, keine Schimpfwörter, keinen Druck für Kinder gibt. Aber Schule offenbar mit genau all dem assoziiert wird. Als sei sie eine unverzichtbare Gesenkschmiede, wo die Kinder vom sozialen Dampfhammer mal ordentlich lebenstauglich zurechtgedengelt werden müssen.
Kinder haben auch außerhalb der Schule ein Leben und soziale Kontakte mit Gleichaltrigen, Jüngeren, Älteren. Es gibt die Nachbarschaft, Vereine, Jugendeinrichtungen, Konfirmandengruppen, Musikgruppen und vieles mehr. Dass wir Schulen für die soziale Interaktion unbedingt benötigen, ist ein Zirkelschluss, der genau deshalb entstanden ist, weil eben jedes Kind in die Schule gezwungen wird und dort dann soziale Interaktion stattfindet. Egal in welcher Qualität.
Viele Länder beweisen, dass es auch anders geht und diese Kinder sozial mindestens ebenso kompetent sind.
Wie schön, dass es noch mehr Eltern gibt die diesen Weg gehen und mutig dies öffentlich im diesem Forum kunt zu tun ..wir leben ähnlich aber unterm Radar aber zum Glück nicht in Deutschland… Und hier arbeiten beide, ich von zu Hause aus neben dem Freilernen/Homeschooling und mein Mann Vollzeit .. wir wurden auch mal eingeladen von einer Familie nach Irland. Kennen viele Familien mit ähnlichen Modellen und es werden gefühlt immer mehr…alles Gute euch

Spannendes Thema. Ein Aspekt fehlt mir aber: Die Schulpflicht ermöglicht es u.U. auch, dass familiäre Missstände von außen erkannt werden und ggf. das Jugendamt eingeschaltet werden kann. Ganz sicher nicht das Thema dieser Familie, aber aus meiner Sicht ein wichtiges Argument für die Schulpflicht.
Ich hätte eine Frage: Wie geht ihr mit Themen um, auf die die Kinder evtl. keine Lust haben? Bruchrechnen, Physik, vermeintlich langweilige Klassiker lesen? Entscheidet ihr da, was wirklich relevant fürs spätere Leben ist und anhand welcher Kriterien?
Man könnte auch Vorsorgeuntersuchungen zur Pflicht machen oder sich am Vereinigten Königreich und dessen Kinderschutzgesetzen orientieren. Dass Schulen möglicherweise Missbrauch erkennen, heißt ja nicht, dass sowas _nur_ in Schulen möglich ist.
Dass in Deutschlands überfüllten und gleichzeitig unterbesetzten Schulen noch ein „Nebenbei-Screening“ bzgl. Vernachlässigung und Missbrauch möglich sein soll, halte ich ohnehin für ein Gerücht. Da muss es schon ganz hart kommen, dass denen noch irgendwas auffällt.
Zu den ganzen Finanzanmerkungen hier in den Kommentaren:
Der schnelle Ausbau der Kitas und der Ganztagsschulen in Deutschland auf Grund von Bundesgesetzen folgt in erster Linie der Logik, dass Mütter möglichst viel erwerbstätig sein sollen und sein können, nicht fokussiert dem Wohl der Kinder. Dabei übernehmen die Einrichtungen vielerorts leider nur Bildungs- und Betreuungsaufgaben, nicht den ganzen anderen Teil elterlicher Fürsorge (von mir gedanklich nicht an Mütter gebunden!). Und es gibt nicht wenig Kinder und Eltern, die in diesem Gesamtsystem von Eltern sollen oder müssen viel arbeiten und Kinder verbringen einen Großteil ihrer Zeit in Einrichtungen, überfordert sind.
Einrichtungen, die gerade an den Schulen nicht systemisch darauf ausgelegt sind, bei allen Kindern Wohlbefinden, Selbstwert, eigenes Nachdenken sowie fachliches und soziales Lernen zu fördern. Wohlbefinden nicht so verstanden, dass Lernen immer Spaß machen muss. Aber mit viel Angst, Unruhe, Wut, Traurigkeit oder anderen Problemen, kann man nicht lernen.
Hallo Anne,
ich verstehe nicht, warum das „Wohl der Kinder“ und die Erwerbstätigkeit der Mütter (oder Väter) in Deinem Kommentar wie Gegensätze behandelt werden? Und natürlich übernehmen die Einrichtungen nicht alle Bildungs-und Betreuungsaufgaben (auch wenn diese unerfüllbare Erwartung leider immer mehr an Kitas und Schulen herangetragen wird), dafür gibt es ja immer noch die Familien, oder?
Wir sollten bei aller Schwarzmalerei auch nicht vergessen, dass gute Betreuungseinrichtungen für viele Kinder, die nicht so ein tolles Zuhause haben, ein Segen sind.
Zunächst etwas skeptisch, da für Home Education jahrelang viel Zeit und Mühe durch die Eltern investiert wird. Ich kenne eine Familie, deren Kinder nach der Rückkehr nach Deutschland – bis dahin im Ausland ausnahmslos in Home Schooling unterrichtet – problemlos in ihrer jeweiligen Jahrgangsstufe am Gymnasium eingeschult werden konnten. Sicher ist das Modell nicht für jede Familie geeignet, Ihr scheint das sehr gut hinzubekommen.
@Sama: da stimme ich dir zu, ich frage mich das auch.
Und, gleich vorneweg, jeder soll tun wie er meint.
Aber was mich immer so stört an diesen Konzepten ist, dass den Kindern vermittelt wird, dass alles im Leben easy ist und man nur macht, was einem lustig ist.
Wo/wie werden da Werte wie Ordnung, Pflichterfüllung, Anpassen an die Umgebung etc. gelernt? Manche Dinge muss man einfach auch aushalten können, Stichwort Resilienz, v.a. im Hinblick auf das spätere Berufsleben.
Außerdem ganz generell: wie qualifiziert sind Freilerner-Eltern allgemein in den vielen verschiedenen Schulfächern? Ich könnte z.b. keine Oberstufenmathematik unterrichten…
Zwei Fragen bzw. Denkanstöße:
1. Wie kann es erwerbstätigen Eltern zeitlich UND inhaltlich gelingen, zwei Kindern eine so umfassende und fundierte Bildung zu vermitteln, dass diese auf dem Arbeitsmarkt international konkurrenzfähig sind?
2. Lernen nach dem Lustprinzip – und wie sollen sich die Kinder dann später in der Lebenswirklichkeit zurechtfinden? Immer vor dem Leistungsanspruch davonlaufen als Lebensmaxime?
Zu 1.
Ich bin Lehrerin an einer Gesamtschule und muss gerade schmunzeln über diesen Anspruch alle Kinder mögen bitte international konkurrenzfähig gebildet sein. Mit ihrem Leben möglichst allein klarkommen ist bei einigen unserer Kinder schon ein anspruchsvolles Ziel.
@Anne:Ja, das ist in der Tat wirklich schade!
Freilerner/Homeschooler sind international oftmals eher konkurrenzfähig als so manches Schulkind. Die Homeschoolcommunity ist international. Die Ressourcen sind besonders außerhalb des deutschsprachigen Raums unendlich, Vorbereitung auf internationale Abschlüsse kein Problem.
Und die erbringen Leistungen, weil sie sich begeistern und es wollen und nicht, weil sie müssen. Im Vergleich erlebe ich solche Kinder wissbegieriger und lerneifriger als die, die Tag für Tag gezwungen werden. Dinge zu tun, die sie gar nicht interessieren.
Danke für den Bericht, vor allem für die Erklärung, dass in Irland die Freilerner-Familien „überwacht“ werden und die Möglichkeit der Externen Prüfung.
Ich vermisse hier eine kritische Nachfrage, wie das Lebensmodell zeitlich und vor allem auch finanziell funktioniert.
Für alle, die fragen, wie man das umsetzt:(Wir sind auch in Irland): Wir arbeiten beide, mein Mann Vollzeit, ich habe meine Online-Unterrichtstätigkeit von Deutschland mitgenommen und habe noch zwei Abendkurse an einer Schule in Dublin. Einmal pro Woche hat unser Sohn eine Lerngruppe mit einem wunderbaren Tutor Natürlich muss man sich gut organisieren. Aber das ist es wert.
Mir gefällt der Artikel sehr gut, die Familie hat einen mutigen Schritt gemacht und dadurch einen für die Kinder besser passenden Weg gefunden.
Ein Aspekt fehlt mir allerdings: wie sieht es mit den beruflichen Plänen und Träumen der Mutter aus? Ich verstehe Freilernen so, dass eines der erwachsenen Familienmitglieder ( vermutlich meistens die Mutter) seinen Beruf mehr oder weniger aufgibt, um das Lernen der Kinder zu gestalten und zu begleiten. Verursacht das keine Konflikte? Wie ist das vereinbar mit Gleichberechtigung und Selbstbestimmung? Ein Einblick dazu wäre sehr interessant.
Liebe Marlene
Danke für diesen tollen Bericht. Ich kann deine Beweggründe absolut nachvollziehen.
Meine Tochter geht in die 5. Klasse eines bayerischen Gymnasiums. Der Druck und Anspruch sogar in Nebenfächern wie Religion und Musik ist schon hoch. Das sind eigentlich Fächer die noch etwas lockerer sein sollten. Vor allem Musik. Aber ich glaube, dass meine Tochter vom Typ her,als Freilerner eher nicht geeignet ist. Sie braucht die Struktur der Schule. Obwohl ich auch oft über Auswanderung nachdenke, kommt es für uns aus familiären Gründen nicht in Frage. Oder es fehlt uns der Mut.
Auf jeden Fall wünsche ich euch weiterhin alles Gute.
Liebe Grüße
Steffi
Liebe Marlene,
vielen Dank für den sehr interessanten Artikel und den Einblick in euer Lernen! Mich interessiert das Thema sehr, da unser Großer im Sommer 2026 eingeschult wird und ich bereits jetzt einige Bauchschmerzen wegen des maroden Schulsystems habe.
Eine Frage, die mir allerdings sofort kam und die im Artikel leider nicht beantwortet wird, ist die Finanzierung? Die meisten Eltern arbeiten wahrscheinlich während ihre Kinder in der Schule und im Hort sind. Kümmert man sich selbst tagsüber um das freie Lernen der Kinder, wann arbeitet man dann? Auch eure Projekte, die richtig toll klingen, wie z.B. das Gewächshaus oder die zahlreichen Vereine sind bestimmt nicht kostenlos oder haben zumindest Materialkosten.
Ich könnte mir so einen Weg für uns grundsätzlich auch vorstellen, aber sehe da eine massive „Finanzierungslücke“.
Ich schließe mich der Frage nach der Finanzierung an. Möglicherweise st es ein ziemliches Luxuslebensmodell. Mich würde perspektivisch auch interessieren, wie das gesamtfamiliär mit Altersvorsorge, Pflegeversicherung, etc aussieht. In die Zukunft gedacht kommt es ja nicht nur auf persönliche Freiheit an sondern auch auf Sicherheit.
Oder kehrt man dann wieder in die soziale Absicherung des Landes mit Schulpflicht zurück?
Liebe Anne,
danke für die Anmerkung! Die Frage nach der „Finanzierungslücke“ (schönes Wort ;)) scheint wirklich viele zu beschäftigen, daher werde ich mich bald ausführlicher dazu äußern. Hier nur soviel:
Leider wird auch in Irland Care-Arbeit nicht bezahlt und natürlich ist das (wie für die meisten Familien) auch für uns eine Herausforderung. Ein Luxusleben haben wir definitiv nicht, aber es reicht für den Lebensunterhalt. Wir haben eine private Altersvorsorge und setzen im Alltag die Prioritäten auf das, was gerade am wichtigsten ist – das kann z.B. ein Gewächshaus sein. Außerdem arbeiten mein Mann und ich inzwischen beide selbstständig (das wird in Irland sehr unterstützt) und sind dadurch zeitlich flexibel.
Was häufig unterschätzt wird, ist der enorme Zeit- und Energieaufwand, den Eltern aufbringen müssen, wenn ihre Kinder nicht gern zur Schule gehen (von Hausaufgabenkämpfen über emotionale Begleitung von Schulangst, Gespräche mit Lehrkräften bis zum Schulwechsel, Therapie, eigene Erschöpfung etc.) Das ist sozusagen ein Haufen unbezahlter extra Care-Arbeit – die noch dazu extrem erschöpfend ist. Wenn sich alle Familienmitglieder weitgehend wohlfühlen und mit Freude ihren Projekten nachgehen, werden auf vielen Ebenen Kapazitäten frei (auch zeitlich). Das gemeinsame Lernen mit den Kindern kann auch für uns Eltern eine Zeit von Erholung und Lebensqualität sein. Vieles davon inspiriert mich auch zu neuen Blogartikeln und Podcastfolgen – was wiederum meine Arbeit ist. Bei uns ist Lernen, Leben und Arbeiten insgesamt weniger voneinander getrennt als in der klassischen Vorstellung. Natürlich wäre mir grundsätzlich eine vernünftige Bezahlung von Care-Arbeit auch am liebsten. Im Schulalltag hatte ich aber leider auch nicht mehr Zeit und Energie für meine Arbeit übrig als jetzt. Ich hoffe, ich kann die Frage damit einigermaßen beantworten.
Liebe Grüße aus Irland!
Also fußt die komplette Freelearning Sache einzig darauf, dass du von zu Hause aus arbeiten kannst. Dass das privilegierten Luxus ist, ist dir hoffentlich bewusst. Erzähl das doch gern der Verkäuferin im Supermarkt, der Ärztin im Krankenhaus oder dem Koch (wie dein Mann) und der Servicekraft im Angestellten Verhältnis.
Hallo Marlene, vielen Dank für Deine Rückmeldung. Eine Frage hätte ich noch: wer soll den Carearbeit bezahlen, warum und wovon?
Da könnten ja die Doppelverdiener-Pärchen noch etwas mehr arbeiten und Steuern zahlen und ihre Kinder länger in Betreuung schicken, damit diejenigen, die ihre Kinder nicht aus der Hand geben wollen, für „care-Arbeit“ bezahlt werden können, Nur so eine Idee…
@Franzi: genau das war der Hintergrund meiner Frage.
Hallo, warum gibt es so viele Kommentare von Menschen, die es als Luxus abtun? Wieso können wir nicht jeder Familie zu gestehen, ihren Lebensweg zu gehen? Wieso wird davon ausgegangen, dass Zuhause Lerndende nicht Frust aushalten müssen oder aber die Eltern gerade damit überfordert wären? Leben und leben lassen. Und es ist wirklich gut für all jene, deren Kinder im deutschen Schulsystem zurecht kommen. Und unglaublich schwierig mangels Alternativen für die Eltern, deren Kinder es nicht tun. Meiner Erfahrung nach möchten eigentlich alle gerne weiterkommen im Leben und lernen. Dafür entscheidend ist grundlegend die Gesundheit, nicht das Beherrschen höherer Mathematik – die ja für Prüfungen jederzeit gelernt werden könnte. Für ein zufriedenes Leben braucht man nicht den höchsten Abschluss, sondern Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Ich selbst würde mir für meine Kinder die Möglichkeit wünschen, ein bis zweimal die Woche begleitende Lehrpersonen zu treffen und den Rest frei erarbeiten zu können. Die emotionale und sensorische Belastung meiner Kinder, entstehend durch den Schulbesuch, zu begleiten ist bestimmt Kräfte zehrender für uns alle. Die Gesundheit unserer Kinder ist kein Luxus, sondern sollte selbstverständlich sein. Vielleicht sind einige Eltern dafür bereit eine Weile auf Materielles zu verzichten? Da die meisten Schulen in Deutschland dies nicht leisten?
Hallo Jule,
mir geht es ja nicht darum, anderen etwas zu verbieten (das steht ja auch gar nicht in meiner Macht, wir sind eine pluralistische Gesellschaft, und das ist auch gut so!), es geht mir um die Diskussion und Nachfragen, wenn ich halt anderer Meinung bin. Als Luxus sehr ich z.B. diese Freilerner-Geschichte nicht, einfach deshalb, weil ich das gar nicht als erstrebenswert sehe, sich auf diese Art aus gesellschaftlichen Strukturen auszuklinken. Für mich ist es das Richtige, dass mein Mann und ich beide einer Erwerbsarbeit nachgehen können in der wir gut verdienen, und dass meine Kinder gut in der Schule (aus dem Kitaalter sind sie mittlerweile raus, aber vorher halt Krippe und Kita) untergebracht sind Das ist für mich Luxus. Ich zahle auch gern meine Steuern für die Gesellschaft, aber eben nicht für „Care-Arbeit“ anderer Leute, obwohl ich selbst 3 Kinder habe. Nö.
Da sich einige hier offenbar arg über den Vorschlag von bezahlter Care-Arbeit aufregen, noch ein Nachtrag: Ich habe ein bisschen rum-idealisiert, wie eine Welt aussehen könnte, in der Eltern (also auch ihr, wenn ihr Kinder habt) neben den vielen Alltagsbelastungen nicht noch Existenzsorgen haben müssten. Eigentlich wünsche ich das jedem Menschen. (Es gibt ja auch Konzepte und Ideen von Grundeinkommen, die in manchen Staaten ausprobiert werden.) Mir ist schon klar, dass das in unserem aktuellen Wirtschaftssystem nicht funktioniert. Und keine Angst, ich will niemandem was wegnehmen, weil wir uns für diesen Weg entschieden haben. Wir finanzieren uns wie gesagt mit unserer Arbeit und haben eine private Altersvorsorge, also alles gut. Ansonsten vielen Dank für die wertschätzenden und ehrlich interessierten Rückmeldungen hier! Auf Unterstellungen von Egoismus, Luxus-Leben o.ä. geh ich nicht weiter ein, weil ich nicht den Eindruck habe, das da ein echter Austausch gewünscht ist, sondern Menschen einfach mal ihre Meinung kundtun wollen. Ist ja auch ok, hat aber nicht viel mit uns zu tun. Ich wünsch euch alles Liebe und eine glückliches Leben – ob mit oder ohne Schule.
Vielen Dank für diesen Artikel! Meine Erfahrung ist, dass es unfassbar schwer ist mit anderen Menschen und Schulpersonal über Schulfrust und -Unlust zu sprechen. Das deutsche Schulsystem ist sehr veraltet und dogmatisch, wenn ein Kind ein bisschen von der Norm abweicht und dafür reichen schon solche Kleinigkeiten wie Lärmempfindlichkeit, hat das Kind ein Problem und muss sich wohl oder übel anpassen. Meine ehrliche Meinung nach der Grundschulzeit meines Kindes ist: die meiste Zeit der Schulzeit geht für das bloße Absitzen drauf, Lernen tut mein Kind zu Hause nach der Schule. Die Lehrerin versuchen Ihr Bestes, aber im Schulsystem gibt es zu wenig Geld und zu wenig Know-how.
Klingt alles sehr schön, aber was mich noch interessieren würde: wie funktioniert es wenn man selbst arbeiten muss und gleichzeitig die Kinder unterrichten soll? wovon lebt die Familie? Ich bin aus Österreich und hier gibt es keine Schulpflicht, nur eine Unterrichtspflicht, und meines Wissens sind meist die Eltern, die daheim unterrichten, nicht erwerbstätig…