Zukunftssorgen? „Teen-Time“-Jugendkolumne zu optimistischen Kids

Zukunftssorgen

Ihr Lieben, gestern Mittag habe ich unsere Zwillinge (derzeit 15einhalb Jahre alt) gefragt, ob sie ihre Lebensphase oder ihr Alter irgendwie anstrengend oder doof finden. Und bei beiden kam es wie aus der Pistole geschossen: Neiiiin, auf keinen Fall. Voll geil grad.

Okay. Nun war gestern wettermäßig auch einfach mal kurz der Sommer ausgebrochen, das macht ja eh schon mal gute Laune. Außerdem stand ein Feiertag vor der Tür – mitten in der Woche. Schon auch geil (um es mit ihren Worten zu sagen). Zudem waren sie grad auf dem Weg zu ihrer Clique, mit der sie grad am meisten abhängen, wollten „nach Köln“ fahren (was auch immer das heißt).

„Wo sind die Kinder? Haben wir Kinder?“

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Wir wissen bei unseren drei Kindern nun meist einfach nicht mehr, wo sie sind, mit wem, oft nicht mal wie lang. Vorgestern haben sie auch mal einfach gar nicht Tschüss gesagt, bevor sie sich auf den Roller setzten, um den jüngeren Jahrgang ihrer Mannschaft auf dem Fußballplatz zur Meisterschaft zu brüllen (hat geklappt!). (Nächstes Mal müssen sie sich trotzdem wieder abmelden, strenge Mama!)

Jeder und jede hier in der Familie hat jetzt ein Eigenleben und das ist skurril und beängstigend und stolzmachend zugleich. Als mein Mann neulich samstagsabends von einer Dienstreise zurückkam, war einfach niemand zu Hause. Ich hatte einen Chorauftritt, die Große war beim Freund, die Zwillinge auf einer Party.

Irgendwann hörte mein Mann dann die Tür und ging in die Küche. Da stand dann einer der Jungs und kippte sich grad eine Dosensuppe in den Topf. „Huch, wart ihr nicht mal einer mehr?!“, fragte der Papa ironisch und der Jüngste meinte nur knapp: Jaja. Brudi bringt noch eben n paar Leute nach Hause, ich hole den gleich mit dem Roller ab, wollte aber schon mal was essen.

Die Jugend macht, was sie will

Aha. Interessant. Wisst ihr: Wenn ich euch vom langen Liegen der Jugend erzählte, dann war da ja auch immer so ein Vermissensgefühl dabei. Die Tür zum Zimmer war zu, man hatte nicht mehr allzu viel miteinander zu tun. ABER DA HATTE MAN WENIGSTENS NOCH KONTROLLE ÜBER IRGENDWAS. Nun ziehen sie los, alle in unterschiedliche Richtungen (meist) und machen ihr Ding. (Kiffen die? Vapen die? Oder haben die einfach die beste Zeit ihres Lebens? Vielleicht alles, vielleicht nix? Waaaah)

Die letzten Tage waren auch immer wieder mehr als drei Jugendliche hier. Wir wohnen direkt am Wald und bei uns in NRW gibt es ja den zauberhaften Brauch des Maibaumsetzens. Wenn du verliebt bist, setzt du deiner Geliebten oder Angebeteten in der Nacht zum 1. Mai einen Maibaum (es MUSS eine Birke sein), schmückst ihn mit buntem Krepp und am besten noch mit einem Herz mit ihrem Namen drauf. AUßER IM SCHALTJAHR.

Im Schaltjahr setzen die Frauen den Männern einen Maibaum

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Im Schaltjahr ist es umgekehrt, da setzen die Frauen ihren Männern einen Baum! HIER war was los, sag ich euch. Das Kreppband musste natürlich regenfest sein, denn sonst würde die Farbe die Hauswände beschmutzen, es wurde geschnippelt und geknotet und geklebt. Ich weiß nicht, wie viele Holz-Herzen hier in den letzten Tagen mit der Handsäge geschreinert und rot angemalt wurden, es war ein Kommen und Gehen und überall sah man kleine MiniCooper und Fiat 500s mit offenem Verdeck, aus dem meterhohe Birken ragten… <3

Die Sache wurde so ernst genommen, dass sich unsere Große zu dem Spruch: „Ab Mittwoch lern ich wieder fürs Mathe-Abi, dann ist auch der ganze Maibaum-Wahnsinn vorbei“ hinreißen ließ. Nur, damit ihr wisst, welche Priorisierung hier herrscht… Jedenfalls: Wie süß sind diese Liebesgesten, die durchs gesamte Bergische Land wabern grad?

Zukunftssorgen: Jugendliche so pessimistisch wie nie?

Und gleichzeitig heißt es in den Medien, die Jugendliche blickten so pessimistisch wie nie in die Zukunft. Eine Leserin wünschte sich von mir eine Kolumne zu diesem Thema, sie schrieb mir folgendes:

„Wie geben wir ihnen Halt, damit sie nicht in der gefühlten Perspektivlosigkeit versinken? Irgendwie ist ja momentan „alles“ in der Krise. Und die Zukunft so düster wie nie. Schule und Bildung mies, Wirtschaft mies, Lebenshaltungskosten extrem hoch, Stimmung im Land noch mieser etc. pp Wie sprecht ihr und wie sprechen andere Eltern mit euren/ihren heranwachsenden Kindern darüber? Vor allem auch, wenn es um Entscheidungen geht, wie es nach der Schule oder Ausbildung weiter geht?“

Wie wir versuchen, zu motivieren und positiv zu bleiben

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Um ehrlich zu sein: Positiv. Wir sprechen in positiver, nicht angstmachender Form darüber. Wir sagen, wie schrecklich es sein muss, im Krieg aufzuwachsen – und wie glücklich wir sein können, dass wir morgens einfach zum Bäcker fahren und uns angstfrei ein Croissant holen können. Wie viel Glück wir haben, nicht aus der Heimat fliehen und alles hinter uns zurücklassen müssen. Wir sagen ihnen, wie schön es ist, dass wir uns haben und dass es nicht selbstverständlich ist, dass alle gesund sind.

Wir freuen uns bei gemeinsamen Mahlzeiten darüber, dass wir trotz Inflation genug zu Essen auf dem Tisch stehen haben. Wir machen ihnen für den Job Mut, das zu tun, wofür sie brennen, weil sie so viel Zeit ihres Lebens damit verbringen werden. Wir sagen ihnen, wie toll das ist, in einer Demokratie leben zu dürfen und nicht in einer Diktatur gegängelt zu werden. Manchmal muss man sich das eigene Glück auch mal vor Augen führen. Wir sagen ihnen: Schau dich um. Schätz, was du hast. Genieß, wenn es dir gut geht.

WOW, WIE GUT ES UNS GEHT!

Und als wir neulich zu viert am Esstisch saßen, einfach mal durch Zufall nachmittags, nur die Große fehlte, und uns unterhielten und plötzlich wegen irgendetwas in spontanes Gelächter ausbrachen, da hielt einer der Zwillinge plötzlich inne und sagte: Wow. Was meint ihr, wie viele Kinder Millionen dafür geben würden, um nur einmal so einen Moment zu erleben. (Schluchz, mein Mamaherz schmilzt)

Das heißt nicht, dass hier nie auch mal Pessimismus oder Zunkunftsängste herrschen. Aber jetzt im Moment und genau heute: Wenn da alles gut ist, dann dürfen wir uns darüber freuen. Und das versuchen wir, ihnen zu vermitteln. Und das mag überhaupt gar kein Geheimrezept für alle sein, das sind jetzt und hier und heute einfach mal nur unsere Erfahrungen, in einer Zeit, in der die Große ihre Klausurenlernphase für Maibäume opfert und die Jungs ihr Leben einfach voll geil grad finden.

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P.S. Und noch was: Es gab eine weitere Jugendstudie in der letzten Woche. Eine, die besagte, dass bei den 14- bis 29-Jährigen die AfD gerade die beliebteste Partei sein soll. Auch darüber haben wir mit unseren Kindern gesprochen. Ob sie meinen, dass das echte Überzeugung ist oder einfach nur der pubertäre Stinkefinger gegen „die da oben“ (damit sind PolitikerInnen genauso gemeint wie Eltern, denn womit kann die Jugend Eltern heut noch schocken? Mit wenig! Mit der Wahl einer blauen Partei aber schon).

Sie waren alle überzeugt, dass niemand, der in dieser Umfrage gesagt hat, er favorisiere die AfD das Wahlprogramm gelesen hat. Es ginge um puren Protest. Früher waren es blaue Haare, heute blaue Parteien. Und es ist natürlich trotzdem schockierend, aber wenn das keine echte Überzeugung ist, legt sich das ja auch hoffentlich wieder… so jedenfalls meine optimistisch-(vielleicht auch naive) Hoffnung.

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