Erzieherin in einer Brennpunktschule: Das macht Armut mit Kindern

Brennpunktschule

Foto: Pixabay

Ihr Lieben, Svenja arbeitet seit vielen Jahren in einer Brennpunktschule und hat sich bei uns nach Celsy Dehnerts Artikel über ihre Kindheit in Armut gemeldet. Bei uns erzählt sie, was sie an Kindern und Eltern aus armutsbetroffenen Familien beobachtet.

Liebe Svenja, du arbeitest täglich mit Kindern an einer Brennpunktschule erzähl doch mal ein paar Einzelheiten dazu.

Ich bin Erzieherin in einer größeren ostdeutschen Stadt. Die Schule, an der ich seit nunmehr 16 Jahren tätig bin, liegt in einem Stadtteil, der als verrufen gilt. In den frühen 90er Jahren wohnten in diesem Stadtteil vorwiegend deutsche Familien, in denen das Geld knapp war. Der Wohnraum war aber bezahlbar.

Später kamen vor allem Familien aus Russland in diesen Stadtteil, sie waren schnell integriert, größere „Probleme“ gab es eher nicht. Mit der Flüchtlingswelle 2015/2016 hat sich viel verändert. Plötzlich gab es sehr viele arabische Familien, die Verständigung erfolgte mittels Händen und Füßen. Wir alle konnten (und können) viel voneinander lernen, einfach war und ist es aber nicht.

Dann kamen die ukrainischen Flüchtlinge, die Kinder konnten natürlich kein Wort Deutsch, als sie in die Schule kamen. Mittlerweile haben wir an unserer Schule (es handelt sich um eine Grundschule mit Klassenstufen eins bis vier) 43 Nationen, die Familien mit Migrationshintergrund machen mittlerweile gut 75-80% unserer SchülerInnenschaft aus.

Wie ist die Stimmung bei euch im Stadtteil?

Wie schon erwähnt, ist der Stadtteil durch Armut, Kriminalität, Drogen und viele AusländerInnen verrufen. Die deutschen Familien, die auch eher wenige finanzielle Mittel haben, fühlen sich benachteiligt, ja sogar verdrängt.

In diesen Familien gibt es oft rechte Gesinnungen und anstatt sich darum zu kümmern, dass sie einen Job finden oder die Kinder bei der Schule unterstützen, schimpfen sie über die Fremden, die Schule, die Behörden, den Staat.

Leider ist es so, dass die Jugendlichen (mit und ohne Migrationshintergrund) in diesem Stadtteil wenig oder keine Perspektiven haben, daher rotten sie sich am Nachmittag zusammen, ziehen grölend durch die Nachbarschaft, bauen Mist und verbreiten Angst.

Du hast dich auf unseren Artikel gemeldet, in dem Celsy über ihre Kindheit in Armut spricht. Welche Spuren von Armut siehst du bei den Kindern?

Leider ist ein sehr häufigstes Zeichen von Armut die schlechte Mundhygiene. Wie man richtig Zähne putzt, lernen viele Kinder bei uns erst durch den halbjährlichen Besuch der Zahnärzte. Meistens ist es so, dass die Eltern auch schlechte Zähne haben, sich aber nicht zum Zahnarzt trauen – also gehen die Kinder auch nicht.

Ich habe auch Kinder, deren Kleider schmutzig und löchrig sind, weil sie zu oft innerhalb der Familie weitergegeben werden mussten. Es ist natürlich nicht bei allen armutsbetroffenen Kindern so, aber leider schon bei einem großen Teil.

Hinterlässt diese Armut auch Spuren in dem Selbstbewusstsein der Kinder?

Auf den ersten Blick nicht. Ich stelle immer wieder fest, dass viele dieser Kids ein gutes Selbstbewusstsein haben, wenn es darum geht, sich selbst zu verteidigen oder den Einstieg in eine Gruppe zu finden. Viele von ihnen wissen, wie man sich „auf der Straße durchschlägt“, sie haben also ein dickes Fell.

Ich merke auch, dass Kinder aus von Armut betroffenen Familien einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben, nicht nur in Bezug auf sich selbst, besonders, wenn es um andere Kinder geht. Sie sind oft da, um schwächere Kinder zu unterstützen.

Doch um zu erfahren, wie es in den Kindern wirklich aussieht, bieten sich Rollenspiele gut an. Man muss diese nicht unbedingt anleiten oder ein Thema vorgeben, oftmals bemerkt man schon im klassischen Spiel, was Armut für die Kinder bedeutet.

Erzähl gerne mal mehr darüber!

In diesen Rollenspielen erzählen sie dann, was sie sich wünschen, worüber sie sich ärgern, was ihnen wichtig ist, was ihnen fehlt. An unserer Schule sind zum Glück auch zwei Schulsozialarbeiter tätig, die haben nochmals einen anderen Draht zu den Kindern und können Gespräche intensivieren.

In meinen bisherigen Gruppen habe ich regelmäßig „warme Duschen“ veranstaltet. Das heißt, dass die Kinder sich mit lieben Worten etwas Gutes tun. Da merkt man, wie gut es den Kindern tut. Manch einer braucht auch einfach mal eine feste Umarmung.

Du hast uns gesagt, dass die Eltern dieser Kinder zumindest rein äußerlich selten Spuren von Armut aufzeigen. Wie meinst du das?

Auch hier gilt: Nicht alle armutsbetroffenen Eltern sind so. Ich finde, dass die Frauen oft stark geschminkt sind, es gibt viele Tattoos, Piercings und Gel-Nägel. Die Männer hingegen achten wenig bis gar nicht auf ihr Erscheinungsbild.

Welchen Eindruck machen diese Eltern generell auf dich?

Am Anfang eines jeden Schuljahres gibt es einen Elternabend, an dem die Eltern informiert werden, was im neuen Schuljahr auf die Kinder zukommt, was geplant ist, was gebraucht wird (Hefte, Materialien) usw.

Da geht es dann auch um die Klassenkasse, in die pro Kind pro Schuljahr 20 Euro eingezahlt werden sollten. Dieses Geld wird genutzt um z.B. Eintrittsgelder zu finanzieren, einen Teil des Kopiergeldes zu finanzieren, um Kleinigkeiten für Ostern, Weihnachten zu kaufen.

Vielen Eltern leuchtet es ein, dass es sinnvoll ist, dieses Geld einzuzahlen, aber für von Armut betroffene Eltern ist es nicht so einfach. Wir werden oft vertröstet und es dauert dann schon recht lange, bis alle Beträge da sind.

Noch schwieriger ist der Betrag für eine Klassenfahrt. Obwohl die Eltern lange im Vorfeld über solch ein großes Vorhaben informiert sind, sind sie nicht in der Lage, entweder monatlich einen kleinen Betrag zur Seite zu legen oder den Antrag auf Bildung und Teilhabe zu stellen. Dieser Antrag gewährleistet eine gewisse Kostenübernahme, auch beim Mittagessen (dafür muss dann „nur“ 1 Euro bezahlt werden statt des vollen Menüpreises von 3,50 Euro-4,20 Euro).

Leider hatten wir auch immer wieder Fälle, bei denen Kinder nicht mitfahren konnten, weil die Eltern sich nicht gekümmert haben oder nicht um Hilfe gebeten haben.

Wie könnte eine Lösung aussehen, dass das Geld auch wirklich bei den Kindern ankommt?

Schwierige Frage. Es gibt ja mittlerweile 250 Euro Kindergeld pro Monat, manche Familien haben sogar noch die Möglichkeit, einen so genannten Kinderzuschlag zu erhalten. Zudem gibt es Bildungs- und Teilhabepakete. Ich glaube nicht, dass eine Erhöhung des Kindergeldes sinnvoll ist, weil dieses Geld nicht immer so eingesetzt wird, wie es sollte.

Ich glaube, es bräuchte mehr sozial gut ausgebildete und engagierte Personen, die sich diesen Familien annehmen. Bei uns sind Jugendämter und Familienhilfen oft überfordert, weil es eben immer mehr von Armut betroffene und sozial schwache Familien gibt.

Allerdings kriege ich hier mit, wie schwer es ist, dass diese Familien sich helfen lassen. Erstens, weil sie nie gelernt haben, dass es total okay ist, Hilfe anzunehmen und zweitens, weil sie nicht möchten, dass sich jemand einmischt.

Du kennst viele Kinder aus armutsbetroffenen Familien haben diese Kinder es ihr Leben lang schwerer?

Klar haben es diese Kinder später nicht einfach. Sie kennen nur die Verhaltensweisen und Strukturen der Eltern, sehen diese als normal und selbstverständlich an. Es ist echt oft so, dass die Kinder diese Muster übernehmen.

Aber es gibt auch viele Kinder, die aus diesem Kreis ausbrechen, die begreifen, dass sie ihre Chancen ergreifen müssen, dass Arbeit und selbsterarbeitetes Geld sie unabhängig macht und weiterbringt. Ganz klar muss man aber sagen, dass es für diese Kinder schwerer ist, sich hochzuarbeiten, weil sie einfach weniger Unterstützung bekommen als Kinder aus sozial und finanziell starken Familien.

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3 comments

  1. Der Artikel spricht mir aus dem Herzen. Wir sind ganz ganz weit entfernt von einer Bildungsgerechtigkeit. Studien haben herausgefunden, dass Kinder aus sozioökönomisch besseren Haushalten bis Schuleintritt ca 44 Mio.mehr Wörter gehört haben, als Kinder aus Armutsfamilien.
    Schon dieses eine Ungleichgewicht kann kein System dieser Welt mehr kompensieren.

    Weitere Studien haben herausgefunden, dass 2 Jahre systematische Förderung im Kleinkindalter, 60 % weniger Arbeitslosigkeit und 80 % weniger Kriminalität( deviantes Verhalten) als Erwachsener hervorbringt.
    Warum sparen wir dann unsere Kitas kaputt, warum gibt es Kurse nur als Extraleistung, warum ist die Familienhebamme nicht Pflicht?
    Warum bekommen die Lehrer am Ende der Schule ( Berufskolleg) am meisten Geld, obwohl sie am wenigsten Einfluss haben?

    Es ist eine reine Katastrophe. Die Kinder und Jugendlichen tun mir leid. Ich wünschte man könnte mehr tun.

  2. Ich glaube auch, dass gerade an diesen offensichtlichen Brennpunktschulen viel mehr Unterstützung und Hilfsangebote notwendig. Der Schritt sich Hilfe zu holen ist grundsätzlich und überall zunächst nicht leicht. Leichter wird es, wenn der Weg hierzu geebnet ist. Wenn vielleicht auch mal jemand auf einen zukommt. D.h. für die Kinder wäre es immens wichtig, dass aufmerksame, empathische Menschen mit genügend Zeit und Kenntnis aller Unterstützungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Wichtig wäre auch, dass es hier viel einfacher wäre, Material und Essen, ggf. kostenfrei, statt per Antrag durch die Eltern zur Verfügung zu stellen.
    Vielen Dank an die Autorin für den differenzierten Einblick!

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