Es sind diese sinnlosen Sonntagabend-Ausflüge mit der Familie, die man unternimmt, obwohl man schon vorher weiß, dass sie scheitern werden. Um nicht selbst kochen zu müssen, um nachher sagen zu können, wir waren am Wochenende da und da, um etwas erlebt zu haben.
Ach, wären wir nur zuhause geblieben!
Wir waren also essen, genauer gesagt: Wir wollten essen gehen. In ein, nun ja, Restaurant, irgendwo im Bergischen Land, das uns immer wieder als „absolut Kult“ beschrieben wurde. „Müsst Ihr echt mal hin, da gibt’s knusprige Hähnchen!“
Jetzt ist Kult in Bezug auf Restaurants ja oft nur eine Umschreibung für: erfüllt die Standarderwartungen an ein Restaurant nicht im Mindesten, man muss aber einmal dagewesen sein, um zu wissen, dass man nie wieder hin muss.
Auf dieses Hähnchen-Lokal trifft das absolut zu.
Früher war es mal ein bergischer Bauernhof mit einem Schiefer verkleideten Haupthaus. Wahrscheinlich hatte der Bauer irgendwann Lust auf halbe Hähnchen mit Fritten oder Brot. Oder auf Gulaschsuppe, Hühnersuppe oder Zweibelsuppe. Mehr bietet die Speisekarte nicht. Ach doch, den Hinweis, nur bar zahlen zu können.
Weil unser Navi den Weg nicht gefunden hat, haben wir ihn uns beschreiben lassen. Dafür kann man jede x-beliebige Person im Bergischen Land fragen. Denn jeder war schon mal bei DEM Hähnchen-Mann.
Wir fuhren eine halbe Stunde.
Einen Tisch kann man grundsätzlich nicht reservieren, weshalb Schlange stehen wie zur Vor-Wende-Zeit in Ostberlin zum guten Ton des Hauses gehört. An warmen Tagen reicht die Schlange bis zum Parkplatz, an kalten führt sie kreuz und quer durch das Restaurant.
Kaum vorstellbar, dass Heidi Klum das mitmacht. Auf der Website des Restaurants steht, sie sei hier Dauergast. Auch schon da waren: Mike Krüger, Roland Kaiser, DJ Bobo und DJ Ötzi. Na, dann muss es ja gut sein.
Wir standen also Schlange, während links und rechts neben uns bereits gegessen oder besser gesagt: genagt wurde. Denn die Damen in den blauen Hähnchen-T-Shirts servierten immer nur die gleiche Kult-Kombi: Halbes Hähnchen mit Fritten. Wahlweise mit „Majo/Ketchup für Zwei“ – so steht’s in der Karte.
Nach einer dreiviertel Stunde zeigte eine der Damen auf uns und sagte: „Ihr bekommt gleich einen der beiden Tische am Fenster.“ Es fühlte sich an wie in der Warteschlange der Telekom: Der nächste freie Kundenberater ist für Sie da.
Während wir da so standen, zwischen den Tischen, in Winterjacken, mit hungrigen Mägen nach dem Schlittenfahren, bestellten wir unser Essen: Halbes Hähnchen mit Fritten und Majo/Ketchup für Zwei. Das Ganze mal drei. Den Kindern war längst die Lust an Huhn vergangen. Der eine hatte Hunger, die andere konnte nicht mehr stehen, der Dritte wollte nach Hause – ihm war schlecht. Doch dafür war es jetzt zu spät, wir hatten schließlich bestellt.
Nach einer Stunde saßen wir an unserem Tisch. Und wir ahnten, dass unser Sohn das mit dem schlecht sein nicht bloß so gesagt hatte. Er wurde blass, legte den Kopf auf den Tisch und nahm meinen Hinweis, dass gleich sicher das leckere Hähnchen käme, nicht mehr wahr. Dann ging alles ganz schnell. Er schaffte es grad noch, sich an den Schlangen vorbei zur Toilette zu kämpfen.
Als er zurückkam, noch blasser, war klar: Unser Tisch würde jetzt wieder frei werden. Für die Familie, die hinter uns in der Schlange gestanden hatte. Wir erklärten der Bedienung, dass wir unser Essen gern zum Mitnehmen hätten. „Aber Sie haben doch gerade erst Ihren Tisch bekommen!?“, entgegnete sie, beinahe enttäuscht darüber, dass dieser jetzt schon wieder frei wurde.
Wir nahmen also unser Essen in einer großen Plastiktüte entgegen, standen wieder auf und verließen das Restaurant – hungrig. Als wir nach einer halben Stunde Fahrt und einem insgesamt zweistündigen Restaurant-Ausflug wieder zuhause waren, waren die Pommes bereits auf und die Hähnchen kalt.
Immerhin können wir jetzt sagen: Wir waren mal dort, bei DEM Hähnchen-Mann – und hatten einen unvergesslichen Abend. Und ich höre meine Bekannten schon sagen: „Und? Ist richtig Kult da, ne?“
4 comments
Hihi… der Hähnchen Ewald
Hihi… der Hähnchen Ewald ist schon „speziell“… ich stand da auch schon eine Stunde in der Schlange-zum Glück ohne Kinder:-)ciHuyZ
Gut bekannte Situation
Ich kenne die beschriebene Situation nur allzu gut! Ja, warum tut man sich das an!? Das ist eine gute Frage, die wir uns Eltern glücklicherweise immer öfter im Vorfeld stellen „Warum sollen wir uns das antun?“ und uns dann für „weniger ist mehr“ entscheiden. Dieser Prozess hat aber eine Weile gedauert (unsere Kids sind vier und sechs) und ganz gefeit ist man vor solch vermeintlich guten Ideen (aus welchen Gründen auch immer), die sich dann als absoluter Reinfall entpuppen, vermutlich nie.
Es lebe die Gelassenheit! 🙂
wieso tut man sich sowas an?
wieso tut man sich sowas an? Nur wegem dem HörenSagen?
hmmm…
….die Frage verstehe ich jetzt nicht so ganz. Das haben sie doch vorher natürlich nicht gewusst?!