Ihr Lieben, heute gibt es einen Gastbeitrag von Gwen der ganz wunderbar zu dem viel diskutierten Text über Routinen im Familienleben von gestern passt. Unsere Leserin führt ein Zwiegespräch mit ihrem 21-jährigen Alter Ego. Muss sie jetzt etwa spießig werden als Mutter, fragt sie sich. Jedenfalls – so viel sei verraten – geht sie das Leben etwas anders an, als wir es in unserem Beitrag gestern beschrieben haben..
Mein altes Ich: “Hey, wie war dein Tag?”
Mein heutiges Ich: “Hmm…lass mich mal nachdenken. Was haben wir heute gemacht? Ach ja…die Kinder aufgeweckt und fertiggemacht, sie dann zur Schule gebracht und nachmittags wieder abgeholt. Zwischendurch gearbeitet. Um 18:30 ist Abendessen und danach müssen die Kinder langsam ins Bett. Ist eigentlich immer dasselbe.”
Meinem 21-jährigen Alter Ego wird das jetzt zu viel: “Puh…todlangweilig! Wo bleibt denn da der Spaß? Du hast doch früher immer einfach so in den Tag hineingelebt. Was ziehst du denn für ein Programm durch?”
Eine gute Frage. Die Zeiten ändern sich nun mal. Früher habe ich Tag und Nacht Kunst gemacht und dabei den wöchentlichen Supermarktbesuch verpasst. Cornflakes zum Abendessen um 23 Uhr? Lecker. Keine Milch da? Ach, macht nix. Wir lebten gut. Das Leben war einfach. Wünsche wie ein eigenes Haus, oder gar eine Familie hatten wir nicht. Unsere Jobs hielten uns über Wasser und wir lebten einfach so von der Hand in den Mund.
Ich ging noch einen Schritt weiter und wechselte das Land ebenso oft wie meine Freunde. Entscheidungen habe ich gerne dem Zufall überlassen. Ich fand es spannend, ganz alleine zu sein. Alleine und frei. Hinter der nächsten Tür könnte ja eine Überraschung stecken. Für diesen Nervenkitzel fiel ich auch gerne ab und zu mal auf die Nase. Ich zog für ein Jahr nach Dublin, dann nach Mailand (nein, ich konnte erst kein Italienisch) und bin schließlich in London gelandet. Meine zwei Umzugskisten und meine große Handtasche voller Werkzeuge habe ich einfach mit in die Flugzeugkabine genommen. War alles gar kein Problem.
Und heute? Sagen wir mal, ich stehe kurz davor, einen wöchentlichen Menüplan aufzustellen. Was heute zählt sind Grenzen und Struktur. Anders kriegen wir das Familienleben zu fünft nicht auf die Reihe.
Was ist denn jetzt bitte eine Grenze? Meine innere Zwanzigjährige rätselt. Grenzen setzen wurde für mich erst notwendig als ich ein oder zwei Kleinkinder im Haus hatte. Sie einzufordern fiel mir anfangs richtig schwer. Ich drückte zu oft gerne mal ein Auge zu. Außerdem verstand ich andere Menschen meist so gut, dass mir zu jeder Situation tausend Ausnahmen einfielen. Und manchmal hatte ich auch keine Energie, oder etwas viel Besseres zu tun als eine Grenze wieder und wieder durchzuboxen. Aber wenn man einmal damit anfängt muss man die Grenze auch einhalten. Oh Mann. Schwer.
Eine ständige Erinnerung musste her, wohl für mich, aber auch für die Kinder. Wir malten kleine Verbotsschilder und hängten sie in die Wohnküche. Darauf stand zum Beispiel: “Nicht auf den Tisch klettern!”, “Nicht beim Essen singen!”, und: “Nicht mit den Fingern essen!”. Meine Aufgabe ist es jetzt unter anderem auf diese Regeln zu bestehen. Immer und ohne Ausnahme. Unter uns gesagt finde ich dass Grenzen und Struktur einem ganz schön den Spaß verderben können. Aber meine Kinder wollen ihre Grenzen austesten und ich muss als Mutter dagegenhalten.
Wenn Grenzen schon nicht mein Ding sind, dann ist es Struktur noch weniger. Jeden Tag dieselbe Routine für die Familie? Danke, Kinder! Aber es ist gut für uns, auch für mich. Die Kinder lieben ihren geregelten Tagesablauf. Mein Mann und ich müssen eben dafür sorgen dass der Laden läuft und alle gewaschen, angezogen und gefüttert sind. Ich weiß, ich weiß. Du machst das auch, und ich hoffe, dir fällt es leicht! Mir fällt es manchmal ein bisschen schwer.
Vielleicht sind meine Kinder auch einfach besonders ungehobelt. Daher habe ich ihnen eine Schlafenszeit-App gemacht mit der sie eine vernünftige Abendroutine einüben können.
Mein altes Ich: Also wie war dein Tag denn jetzt? War es wirklich so schlimm?
Mein neues Ich: Weißt du, eigentlich war heute ein guter Tag. Wir waren alle zusammen und wir hatten sogar ein bisschen Spass. Das ist schon ein großes Glück.
4 comments
Haha, Eva… für ein bisschen
Haha, Eva… für ein bisschen Struktur bin ich gerne ein kleines bisschen spießig…das ist es mir wert!
Stimmt schon mit den
Stimmt schon mit den künstlichen Grenzen, Julia. Wenigstens hat gestern eine von uns ein Ständchen beim Essen bekommen. Das war bestimmt voll süss! Ich sollte mich mal mehr trauen, was?
Spießer?
Artikel super,aber die Einleitung regt mich etwas auf, auch wenn es wahrscheinlich mit einem Augenzwinkern gemeint ist. Warum ist man gleich ein Spießer, wenn man Strukturen hat? Egal ob mit oder ohne Kinder. Spießer ist einfach negativ besetzt. Ich bin also entweder spießig, langweilig und strukturiert oder chaotisch, cool und gut drauf? Das ist nicht zwangsläufig so, liebe Lisa.
Warum Grenzen?
Netter Artikel und schöne App und jetzt das aber 😉 Wieso setzt Du denn künstliche Grenzen, die Dir und den Kindern nicht gefallen? Das ist doch unsinnig. Lass die Grenzen weg und es wird Euch allen bessser gehen. Versprochen! Warum dürfen Deine Kinder nicht am Tisch singen? Weil sie sich aufs Essen konzentrieren sollen? Essen ist eine ernste Angelegenheit? Aber wenn sie Spaß haben, essen sie bestimmt viel lieber. Mein Großer fing gestern beim Abendessen an „Dicke rote Kerzen“ zu singen, weil er das an dem Tag im Kindergarten gelernt hatte. Ich war so gerührt. Strukturen finde ich wichtig, aber diese von Eltern geschaffene Grenzen, damit es leichter läuft, machen es nur schwerer. Also weg damit, auch wenn es am Anfang ungewohnt ist.