Marie Richter ist 13 Jahre alt und gilt als „schwerst mehrfach behindert“. Was das bedeutet, was ihre Drillingsgeschwister dazu sagen und warum sie sich im Kinderhospiz wohlfühlt, das erzählen wir in dieser Geschichte.
Von Lisa Harmann und Annette Etges
Maries Lachen ist ansteckend. Wenn sie lacht, wackelt ihr ganzer Körper und alle Menschen um sie herum lachen mit. Marie ist ein ganz besonderer Mensch, sie braucht rund um die Uhr Hilfe von anderen. Sie sitzt in einem Rollstuhl auf dessen Rädern Chamäleons kleben. Dadurch, dass sie kaum sehen kann, hört sie aber besonders gut. Wenn ihr Vater oder ihre Mutter ihren Namen sagen, lächelt sie fröhlich.
Wir treffen Marie mit ihren Geschwistern und ihren Eltern Ines und Uwe im Kinder- und Jugendhospiz Balthasar in Olpe. Ein Kinderhospiz ist ein Ort, an den Familien kommen, die ein schwer krankes Kind haben. So wie die Familie von Marie. Immerhin 4000 Kinder in Deutschland erkranken pro Jahr unheilbar. Einige von ihnen werden im Kinderhospiz Balthasar betreut.
Lisa-Marie Scherer vom Balthasar mit Marie
Vom Eingang aus blickt man auf eine bunte Wand aus roten, blauen, gelben Handabdrücken. Als Marie zum allerersten Mal im Balthasar war, durfte auch sie sich auf der Wand verewigen. Jedes Kind, das hierher kommt, darf das. „Die bunte Hände-Wand ist unser Gästebuch“, sagt Lisa-Marie Scherer, die im Hospiz arbeitet.
Ein Hospiz ist ein trauriger Ort? Aber doch nicht immer!
Manche Menschen glauben, dass ein Hospiz ein trauriger Ort sei, weil dort auch manchmal Menschen sterben. Aber wer einmal in einem Kinderhospiz zu Gast war, der weiß, dass dies ein Ort ist, an dem besonders viel gelacht wird, deswegen fühlt sich Marie hier auch so wohl. Ins Kinderhopsiz kommen Klinikclowns, um den Kindern eine Freude zu machen, außerdem hängen bunte Bilder an den Wänden und es gibt ganz viele tolle Spiele. Denn wenn ein Kind schon so krank ist, dass es vielleicht früher sterben wird als andere, dann soll es hier jeden Tag so richtig genießen können. Zum Beispiel im Snoezelen-Raum.
Marie liebt den Raum. Ihr Vater hebt sie aus ihrem Rollstuhl auf das Wasserbett in der Mitte des Raumes. Sie liegt in seinen Armen. Theresa und Lukas, ihre Drillingsgeschwister, die zu Besuch sind, legen sich dazu und „chillen“. Ein bisschen fühlt man sich in dem Raum wie in einem Raumschiff-Film. An der Decke hängt eine Discokugel, die bunte Punkte an die Wände wirft, am Eingang blubbert eine Lavalampe in gedämpften Farben, das Licht ist gedimmt. Marie und ihr Papa genießen das Schwappen des warmen Wassers unter ihnen. Und auch die Geschwister entspannen: Das Tolle am Kinderhospiz ist, dass sich hier nicht nur die kranken Kinder wohl fühlen, sondern auch die gesunden, so wie Theresa und Lukas.
Die ganze Familie zusammen im Snoezelen-Raum
Nach dem Besuch im Snoezelen-Raum darf Marie noch in den Spielraum. „Papa“, sagt sie und der hebt sie vorsichtig in das Klangbett. Das ist eine Art Holzwippe, an der links und rechts Musik gemacht werden kann. Auf der einen Seite kann man mit den Händen trommeln, auf der anderen Seite sind Saiten befestigt, die klingen, wie eine Gitarre. Das Schöne daran: Marie spürt die Klangwellen durch das Holz, auf dem sie liegt und entspannt dadurch ihre Muskeln. Ihre lackierten Finger strecken sich ganz lang, sind nicht mehr zur Faust geballt. Die Entspannung dauert allerdings nur so lang an, bis der Papa seinen Schlüssel fallen lässt. Marie hört das und fängt laut an zu lachen. Alle im Raum lachen mit. Maries Lachen kommt ganz tief aus ihr raus.
Marie ist anders als andere Kinder, sie lebt mit einer Behinderung
Maries Gehirn funktioniert nicht so wie das anderer Kinder. Eigentlich könnte sie gar nicht sprechen, trotzdem sagt sie „Mama“ und „Papa“ – und „Mimi“, so nennt sie sich selbst. Oder hebt ihre Hand, um damit zu signalisieren, dass sie jetzt gern kuscheln möchte. Marie kuschelt unheimlich gern. Und ihre Geschwister und Eltern nehmen das an.
Um den Alltag zu Hause zu erleichtern, hilft ein Aufzug für Marie
Vier Wochen im Jahr darf Marie ins Kinderhospiz kommen, mal mit ihrer Familie, mal ohne. Sie kann nicht essen und bekommt ihre Nahrung über einen Schlauch, der direkt in ihren Bauch führt. Wenn sie morgens zur Schule geht – denn ja, auch Marie geht zur Schule – dann begleitet sie eine Pflegerin. Marie braucht auch oft Medikamente, Tag und Nacht, so dass immer jemand wach sein muss, um auf sie aufzupassen. Deswegen hilft ihren Eltern zu Hause ein Pflegedienst. Da kommt eine Krankenschwester ins Haus und hilft Marie, damit auch ihre Eltern mal schlafen können. Um die 15 bis 17 Waschmaschinen pro Woche kümmern sich die Eltern trotzdem selbst.
Die beste Therapie sind ihre Drillingsgeschwister
„Das ist der Daumen, der schüttelt die Pflaumen“, sagt der Vater und berührt Maries Finger. Sie tut dabei, was sie am liebsten tut: sie lacht. Neben ihr hüpft eine andere kleine Hospizbewohnerin umher und aus ihrem kleinen Tablet schallt ein Lied: „Vielen Dank, für die Blumen, vielen Dank, wie liebt von Dir“.
„Die beste Therapie ist, dass unsere Kinder Drillinge sind“, sagt Ines. Marie lebt mittendrin in einer großen Familie und hat durch Theresa und Lukas so oft das Wort „Papa“ und „Mama“ gehört, dass sie es einfach auch sprechen kann, obwohl die Ärzte das eigentlich für unmöglich halten. Welche Krankheit sie eigentlich hat, das hat bislang noch niemand herausgefunden.
Strahlendes Relaxen: Theresa ist Maries Drillingssschwester und kommt gern mit ins Balthasar
Marie und ihre Geschwister kamen zu früh zur Welt, in der 30. Schwangerschaftswoche, also zehn Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin. Lukas wog 1400 Gramm, etwas mehr als eine Milchtüte also. Theresa wog 1600 Gramm. Und Marie als Dritte wog nur 790 Gramm, weniger als eine Ravioli-Dose. Zunächst war sie die fitteste von den Dreien. Mit etwa sechs Monaten zeigte sich aber, dass Marie eine schwere Hirnschädigung und starke Epilepsie hat. Die Ärzte stellten fest: Marie würde nie laufen lernen, immer Windeln brauchen. Vielleicht würde sie auch nicht so alt werden wie ihre Geschwister.
"Alle drei sind ganz toll"
„Geschenke muss man nehmen, wie sie kommen. Auch wenn vielleicht eine Ecke fehlt“, sagt Mama Ines und meint ihre Kinder. „Alle drei sind ganz toll.“ Marie kann zwar nicht laufen oder essen. Dafür hat sie ein ganz besonderes Gespür für Situationen. Sie merkt sofort, wenn etwas nicht stimmt. Oder wenn die Stimmung gut ist. „Wir brauchen wirklich kein Mitleid!“, sagt die Mama. Sie nennt Marie „Engelchen“ oder „Schlingel.“ Das Engelchen mag nicht, wenn Mama telefoniert, dann wird es zum Schlingel und protestiert lautstark.
Solange sie lacht: Marie genießt ihre Zeit mit der Familie im Hospiz
Lukas will später gern Insektologe werden. Theresa möchte gern in einem integrativen Kindergarten, also einer Einrichtung mit behinderten Kindern, arbeiten. Ihre Schwester hat sie geprägt. Und die? Die möchte einfach leben! Und weiter lachen. Denn solange Marie lacht, lächeln alle Menschen in ihrer Umgebung.
Infokasten: Ein Kinderhospiz ist ein Ort der Begegnung. Hier werden unheilbar kranke Kinder betreut. Der Unterschied zu einem Erwachsenen-Hospiz ist, dass hier nicht nur Menschen in der Phase kurz vor ihrem Tod betreut werden, sondern schon viel früher. Ein Kinderhospiz ist dafür da, dass die ganze Familie Kraft schöpfen kann, denn das Leben mit einem schwer kranken Kind ist nicht immer einfach. Aufgenommen werden können Familien mit Kindern, die eine unheilbare Krankheit haben, die lebensverkürzend ist. Im Kinderhospiz arbeiten Kinderkrankenschwestern und -pfleger, Pädagogen und Trauerbegleiter. Außerdem kommen bei Bedarf Physiotherapeuten und Ergotherapeuten ins Haus.
Das Kinder- und Jugendhospiz Balthasar in Olpe wurde 1998 als erstes Kinderhospiz Deutschlands eröffnet, viele, die dort waren, bezeichnen das Haus als „zweites Zuhause“. Im Balthasar gibt es acht Plätze im Kinderhospiz und vier im Jugendhospiz. 28 Tage pro Jahr stehen Familien mit schwer kranken Kindern im Kinderhospiz zu. Alles darüber hinaus wird über Spenden finanziert. Der Kostenträger übernimmt etwa 30 Prozent der Kosten. 70 Prozent, das sind mehr als 1,2 Millionen Euro pro Jahr, müssen über Spenden finanziert werden. Eltern können auch nach dem Tod ihres Kindes noch vorbei kommen.
Spendenkonto des Kinderhospizes Balthasar:
Kinder- und Jugendhospizstiftung
Konto 190 11
Pax Bank Köln
BLZ 370 601 93
BIC: GENODED1PAX
IBAN: DE 23 3706 0193 0000 0190 11
Bitte schreibt Eure vollständige Adresse in den Verwendungszweck, damit eine Spendenquittung zugestellt werden kann.
2 comments
Danke
Für diesen Bericht! Ihr seid toll! Schön dass ihr nicht so seicht seid, wie viele Mama und Fashion Blogs.. Macht weiter so!
Danke,…
Ein ganz lieber, schöner und fröhlischer Bericht über Marie und ihre Familie!
Danke, es war schön zu lesen!
Alles Gute,
Isa