Hey Lisa,
ich habe Dir noch gar nicht genug gedankt für die tollen schönen zwei Tage, die Maxime und ich bei Dir auf dem Hof hatten. Großfamilie, grüne Wiese, Ziegen, Gänse und Deine süße Tochter, die mit ihren sieben Jahren der fürsorglichste Babysitter der Welt ist, haben uns sooo toll entspannt. Wir sind ERHOLT. Und wann sagen wir Großstädter das eigentlich noch…
Nun, wie Du weißt, bin ich ja dann noch weiter nach Bonn gefahren, meinen Vater besuchen und habe so mit Maxime im Arm oder neben mir im Autositz viel über meine Jugend und vor allem Kindheit nachgedacht. Ich habe am dritten Abend alte Freunde aus dem Kindergarten und der Grundschule getroffen und wir haben ewig diskutiert und viel gelacht, aber auch darüber philospophiert, was für eine perfekte Kindheit wir doch hatten und dass die Ernüchterung der realen Welt (bei mir war’s erst mit 18 Jahren) irgendwann kommen musste.
Wir waren die Kinder vom Venusberg. Von der Waldschule. Von der katholischen Kirchengemeinde Heilig-Geist. Wir waren Schüler, Messdiener, wurden kommuniert und gefilmt und jedes Jahr verkaufte ich als Grundschülerin auf dem Flohmarkt beim Pfarrfest altes Spielzeug. Ausnahmsweise durfte ich mir vom Erlös dann Pommes und Eis kaufen. Ja, so war das. Später als Teenies gingen wir auf die Partys der katholischen Jugendgemeinde (KJG) oder zu denen im Hockeyclubheim, im Sommer fuhren wir drei Wochen ins Zeltlager ins Sauerland.
Warum ich das erzähle?
1. Ich habe viel darüber nachgedacht, was Dich, Lisa, und mich manchmal so gerne diskutieren lässt. Du bist oft auf dem Lass-die-Kinder-Kinder-sein-Trip, dass vieles nichts kosten muss und man sich gerade als Mutter seine Natürlichkeit und seine Instinkte bewahren sollte. Mittlerweile glaube ich, dass ich in meiner Kindheit davon die Überdosis hatte und ins andere Extrem geschwenkt bin. Zumindest in Teilen.
2. Ich habe gerade dieses herrliche, sehr gut geschriebene Buch von taz-Kolumnistin Franziska Seyboldt gelesen, das Müslimädchen heißt und es ist mein Generation Golf. Ich finde es ehrlich gesagt super, dass ich mit 31 Jahren endlich alt genug bin, dass Bücher über unsere, meine Generation geschrieben werden. Franziska schreibt in „Müslimädchen: Mein Trauma vom gesunden Leben“ sehr rührend und lustig ihre eigene Familiengeschichte auf, wie sie in den Neunzigern in einer Öko-Familie ohne Plastikspielzeug, Fertigpizza und Fernsehen aufgewachsen ist.
Und da erkenne ich mich total wieder. Ich bin wahrscheinlich das Mädchen aus der Bausparwerbung, dass auch Spießer werden will. Bei uns zu Hause gab es abends immer warm gekochtes Essen, dass aus Gemüse und Metzgerfleisch bestand. Oder etwas anderes. Hauptsache gesund. Meine Mutter war schon Stammkunde im Biomarkt, da gab es die eigentlich noch gar nicht. Damals hieß das bei uns Reformhaus und es hat mich einige Jahre gekostet, zu verstehen, dass sie damit keine Maus meinte…Wir fuhren ewig den alten Volvo, weil’s gut für die Umwelt war und Golf-Sport war für Idioten, die ganze Wälder abholzten, um mit ihrem kleinen Ball zu spielen.
Ich hätte mir so sehr gewünscht als Achtjährige einfach mit meinen Freundinnen in einem McDonalds Geburtstag zu feiern, stattdessen bestanden meine Eltern darauf, alles selbst zu organisieren mit Indianerzelten und Spielen im Garten. Heute ist das so in, die Nido hätte eine ganze Fotostrecke daraus machen können.
Mich nervte es. Als Kind versteht sich. Ich wollte auch Fertigpizza, Cola trinken und ganz spießig Mittagessen und Punkt zwölf. Stattdessen waren meine hippiesquen Eltern immer Hang-Loose. „Ach, Du bist schon von der Schule zurück, ja dann fange ich mal an zu kochen. Grrr…“
Wie auch immer: Heute muss ich allerdings sagen, dass ich vieles an meiner Kindheit super finde und sogar genauso mache. Ich bin auch so eine Müslitante geworden und plane sogar die Anschaffung einer eigenen Eismachmaschine, um „gesunde“ Eiscreme für meinen Sohn herstellen zu können. Um Schweinefleisch und Fertiggerichte mache ich im Supermarkt immernoch einen Bogen und ich habe eindeutig ein Problem mit Autoritäten oder Meinungen, die mir nicht als sinnvoll oder gut erscheinen.
Vielleicht, Lisa, ist da wirklich unser Gegensatz begraben. Du bist da viel ausgeglichener, ich schwanke da viel mehr zwischen den Extremen und befinde übrigens auch, dass ich trotzdem recht habe :-)!
Wie auch immer, Landmama. Lies das Buch von Franziska. Und lad‘ uns bitte bald wieder ein. Das Müslimädchen und ihr Kind brauchen die Landluft….
Schönen Tag Dir und Euch. Und wenn’s noch mehr Müslimädchen da draußen gibt: Gebt mir mal ein Zeichen!
2 comments
Ich nicht…
und bin heute ein Müslimädchen. Und erziehe meinen Jungen zum Müslibuben. 🙂 Das heisst, wenn ich richtig rechne: mein Junge wird seine Kinder (wenn er dann mal hat) zum Colakind erziehen oder selbst darin baden. Obwohl, wir durften nur zu einer Feier Cola trinken und auch nur ganz wenig. Aaaaber, es wurde pünktlich gegessen, am Sonntag immer einen Braten oder sicher Fleisch und Müsli gab es selten oder nur im Birchermüsli. Ach ja…
Heute hingegen lebe ich total das Gegenteil. Nur ab und zu…da gönn ich mir was total Ungesundes.
Liebe Grüsse
Claudia
Ich auch…
Es sieht so aus, als sei ich auch ein Müslimädchen. Als ich deinen Post las, da hab ich mich gefragt, woher du weißt wie meine Kindheit war. Nur eben am Bodensee und nicht im Sauerland für KJG-Zeltlager.
Find ich toll, das zu lesen und werde gleich los und mir das Buch bestellen.
Liebe Grüße von Müslimädchen an Müslimädchen!