Dass meine Mama ein Problem hat, wurde mir nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit 13 Jahren das erste Mal bewusst. Was war passiert?
Eigentlich nichts Dramatisches: Meine Mutter sollte mich „nur“ vom Reitstall abholen. Das tat sie auch, doch parkte sie außerhalb meiner Sichtweite und ich ging deshalb davon aus, sie sei noch nicht da. Ein Fehler!
Denn was ich nicht wusste oder mir nicht bewusst war: Sie war unter Zeitdruck zum Reitstall gefahren und zu Hause sollte ein Handwerker vorbei kommen. Ich ließ sie in ihren Augen absichtlich warten und als ich circa eine halbe Stunde später nachschaute, kochte sie bereits hinter dem Steuer vor Wut. Dann kam der Super-Gau: Das Auto sprang nicht mehr an!
Sie explodierte, flippte vollkommen aus, schlug mich mit ihrer Handtasche, boxte mich mit Fäusten und trat nach mir. Ich konnte die Situation nicht fassen, ich konnte nicht begreifen, was sich da gerade abspielte. Wie, warum und weshalb hasste mich meine Mutter? Was hatte ich getan?
Während Sie mich schlug, wollte ich mich in Luft auflösen. Denn sie tat es in der Öffentlichkeit, vor den Augen von anderen Menschen. Ich schämte mich und hasste mich in dem Moment dafür, es so weit kommen gelassen zu haben.
Hätte ich doch früher nach ihr geschaut, wäre ich doch nie reiten gegangen, wäre ich doch einfach eine bessere Tochter. Diese Gedanken kreisten in meinem Kopf. Denn ich fühlte mich schuldig!
Heute als erwachsene 29-jährige Frau reflektiere ich die Situation und weiß eins: An diesem Tag zerbrach etwas in mir vollständig.
Zwar konnte meine Mutter ihre Emotionen auch vorher häufig nicht kontrollieren – entweder fing sie plötzlich auf Familienfeiern an zu weinen, verhielt sich meinen Freundinnen gegenüber schnippisch und frech oder explodierte und reagierte ihrer Familie gegenüber mit Gewalt – doch dieses Mal übertraf ihr Verhalten jegliches Maß. Jegliches Maß, das ich als Tochter begreifen und verzeihen konnte.
Im Nachhinein hat sich meine Mutter nie bei mir für dieses Verhalten entschuldigt, jedenfalls nie aufrichtig. Eher im Gegenteil: Als meine Eltern sich ein knappes Jahr später trennten, meinte sie sogar, wir seien an der Trennung mit schuldig gewesen.
Das sind ekelhafte Schläge unter die Gürtellinie und sie prägen Kinder nachträglich. Und es ärgert mich auch heute manchmal noch. Denn wie sollen zwei Kinder – ich, eine 13jährige und meine 6jährige Schwester – für eine Trennung verantwortlich sein? Das verstand ich nicht und behandelte meine Mutter für lange Zeit dementsprechend kaltherzig, gemein und verletzend.
Ich wollte sie nachträglich für alles bestrafen, was sie mir jemals angetan hatte. Doch machte mich das fröhlicher, glücklicher und ausgeglichener? Ein ganz klares NEIN. Eigentlich verletzte ich mich damit nur selber, drehte mich im Kreis.
Ich begriff, dass ich mit der Vergangenheit abschließen muss, denn sonst würde sie mich ein Leben lang verfolgen. Ich wollte mich nicht nachträglich von der Vergangenheit beherrschen lassen, denn ich kann sie nicht ändern, so sehr ich es auch wollte.
Genau in diesem Moment traf ich Silke und sie erzählte mir von ihrem Mama-Burnout Projekt und fragte nach, ob ich nicht Lust hätte ihr bei der PR zu helfen. Klar wollte ich! Seither hab ich das Gefühl, mein Leben wieder im Griff zu haben. Es macht mich glücklich, Müttern zu helfen, die sich überfordert fühlen, weil ich selbst weiß, was es für Kinder bedeuten kann.
Meine Mutter leidet noch immer an Depressionen, sie hat den Glauben an sich schon lange verloren. Und das wiederum tut mir nach wie vor leid. Denn so sehr sie mich mit ihrem Verhalten verletzt hat, sie ist es, die am meisten leidet, die am meisten verloren hat in ihrem Leben: Neben Freunden, ihrer Ehe und dem Kontakt zu ihrer jüngsten Tochter, auch echte Lebensfreude und: das Leben als Geschenk zu betrachten.
2 comments
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Ihr macht ja ganz schön viel „Webung“ für die Silke Brandt…schon zwei Beiträge, die sich um sie drehen.
Dieser Gedanke kam mir bei
Dieser Gedanke kam mir bei Lesen auch…..