Interview mit Antje: So leben wir seit sechs Jahren mit dem Wechselmodell

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Liebe Antje, Dein Expartner, Eure drei gemeinsamen Kinder und Du, ihr lebt seit über sechs Jahren das Wechselmodell. Wie schwer war es, sich auf dieses Modell zu einigen? Dein Ex und Du hattet Euch ja gerade erst getrennt – ich könnte mir vorstellen, dass da Gespräche gar nicht so einfach sind…

Das stimmt. Wir waren emotional so belastet, dass wir damals eine Mediation bei der Caritas in Anspruch genommen haben. Ohne diese Hilfe war es nicht möglich, miteinander zu reden und so weit reichende Entscheidungen zu treffen. Das Wechselmodell war für uns die Idealvorstellung, aber man muss es sich leisten können – denn das Wechselmodell zu leben, ist finanziell und organisatorisch sehr aufwändig. 

Wie genau sieht Eure Regelung aus?

Die Kinder sind bis vor einem Jahr jeden Montag gewechselt. Auch heute ist der Wechsel meist wöchentlich – allerdings wechseln nicht mehr alle drei Kinder immer zusammen, sondern auch mal nur einer oder zwei, was an dem beengten Wohnraum meines Exmannes liegt. 

Kannst Du Dich noch an das erste Mal erinnern, als die Kinder zum Vater gewechselt sind? Wie hast Du dich da gefühlt?

Alles in allem war die Trennungsphase natürlich überaus belastend. Eine Achterbahn der Gefühle. Es gab Wut, Trauer, Zukunftsängste, die Sorge, wie die Kinder das verkraften. Ich habe mich damals in die Arbeit gestürzt, das hat mich etwas abgelenkt. Die ersten Male, in denen ich von den Kindern getrennt war, waren voll von Sorge, wie es ihnen geht. Ich hatte auch Angst besondere Ereignisse zu verpassen. Eine psychologische Beratung beim Jugendamt hat mir damals ein wenig geholfen, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind und nicht vom Schlechtesten auszugehen.

Wie fanden die Kinder das ständige Umziehen?

Prinzipiell haben sie sowohl bei uns (ich habe einen neuen Partner) als auch bei ihrem Papa alles, was sie benötigen. Sie müssen also nur ihre Schul- und Sportsachen hin und her transportieren. Mit dem Alter der Kinder verändern sich aber auch die persönlichen Dinge, die immer mit hin und her wandern müssen. Unsere Große ist bald 17 und mittlerweile genervt davon, dass Kosmetik, Haarschmuck und solche Dinge immer mit umziehen müssen. Es gehört aber eben mit zu dem Modell, darauf zu achten – ich versuche darauf zu achten, dass die Kinder nichts vergessen. Und mein Ex und ich leben nicht weit auseinander – zur Not kann man schnell nochmal was holen oder bringen. Ich fühle mich da deutlich mehr in der Pflicht als mein Exmann die Kinder zu unterstützen und ihnen die Last so erträglich wie möglich zu machen.

Habst Du Kontakt mit den Kindern, wenn sie beim Vater sind?

Vor sechs Jahren haben wir nur ab und zu telefoniert – jetzt gibt es ja Smartphones und Whatsapp – zum Glück. Denn so sind wir immer im Kontakt. 

Wie verbringst Du die Zeit, in der die Kinder nicht da sind?

Da ich schon in der Trennungsphase meinen jetzigen Lebensgefährten und Vater meiner zwei jüngsten Kinder kennen gelernt habe und wir dann auch gleich alle gemeinsam in eine Wohnung gezogen sind, haben wir die Zeit, in der die Kinder bei ihrem Papa waren, für uns als Paar genutzt. Aber ich habe auch stets in der kinderfreien Woche mehr gearbeitet als in der Woche, in der Mädels dann bei uns waren. Seit die kleineren Kinder auf der Welt sind, sind meine Tage ohnehin mehr als gefüllt – auch wenn die großen Kinder nicht da sind. 

Wie sind deine Kinder aus erster Ehe und dein Ex mit der neuen Beziehung umgegangen?

Mein Exmann konnte damit zu Beginn überhaupt nicht umgehen und hat mir für die neue Beziehung alles Schlechte gewünscht. Ich muss dazu sagen, dass zwischen der unwiderbringlichen Zerrüttung der Ehe und der eigentlichen Trennung nahezu ein Jahr vergangen ist. Kurz vor der räumlichen Trennung ist dann mein heutiger Partner in mein Leben getreten. Er hat mich in dieser unheimlich aufreibenden Zeit unterstützt, wo er nur konnte. Meine Mädels haben ihn von Anfang an gemocht und mir damals das schönste Kompliment gemacht, das immer noch in meinen Ohren klingt: "Mama, du siehst so glücklich aus!" Ich war damals unheimlich ergriffen, dass sie das sofort gespürt haben.

Ihr habt ja dann nochmal zwei Kinder bekommen – finden die es komisch, dass die großen Geschwister nicht immer da sind?

Ja und nein! Ich denke, in den ersten zwei Lebensjahren haben sie das einfach so hingenommen und nicht weiter hinterfragt. Sie sind es von vornherein so gewohnt und damit aufgewachsen. Meine knapp 5-Jährige weiß mittlerweile natürlich schon, dass ihre großen Schwestern einen anderen Papa haben. Aber es gab eine Zeit, in der sie damit zu kämpfen hatte, wenn die Schwestern plötzlich weg waren. Unsere Jüngste ist gerade zwei geworden. Sind die Großen nicht da und sie fragt nach ihnen, sagen wir es ihr wie es ist. Die Wiedersehensfreude ist immer riesig, da quillt mein Mamaherz regelmäßig über vor Glück. 

Gibt es auch Momente, in denen du die großen Kinder schlimm vermisst?

Diese Momente gibt es heute kaum noch, weil sie immer zu uns kommen können – auch außer der Reihe. Dahingehend hat sich das Modell vor allem im letzten Jahr gelockert und ist individueller geworden. Das liegt daran, dass sie mittlerweile so groß und selbständig sind. 

Wie waren Anfangs eigentlich die Reaktionen von Freunden/Bekannten auf das Wechselmodell?

Die Reaktionen waren schon sehr unterschiedlich. Gerade meine Eltern konnten damit wenig anfangen, der stille Vorwurf, die Kinder im Stich zu lassen, schwebte lange im Raum. Am Ende war es die Entscheidung von meinem Exmann und mir – getroffen zum vermeintlichen Wohl der Kinder. Im Freundes-/Bekanntenkreis wurde es neutral behandelt, nachgefragt, ob es praktikabel ist. Wenn es jemand bewertet hat, egal ob positiv oder negativ, habe ich das nicht bewusst mitbekommen.

Was meinst Du, sind die Voraussetzungen dafür, dass ein Wechselmodell gelingen kann?

Mir war es damals unheimlich wichtig, weiterhin am gleichen Strang zu ziehen, was die Erziehung unserer Töchter betrifft und uns regelmäßig auszutauschen und zusammen zu setzen, um wichtige Dinge die Kinder betreffend zu besprechen. Ich wollte sie keinem noch größeren Zwiespalt aussetzen, als die Situation als solche das schon mitgebracht hat. Trotzdem braucht es ein hohes Maß an Toleranz auch den jeweils neuen Partnern gegenüber, jeder lebt am Ende sein "neues" Leben.

Die Verbindung durch die gemeinsamen Kinder bleibt, aber wir haben uns trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, in unterschiedliche Richtungen entwickelt, die in den letzten Monaten immer mehr zum Tragen kommen. Ich bin regelmäßig mit meinen Mädels im Dialog, hinterfrage, ob die Situation für sie noch vertretbar ist, ob wir was ändern müssen, was gut läuft, was besser laufen könnte. Sie sind jetzt alle in einem Alter, wo sie selbst entscheiden und mitbestimmen dürfen, auch ihren Lebensmittelpunkt betreffend.

Die Entscheidungen werden individueller, gerade meine große Tochter ist jetzt an einem Punkt, wo das Wechselmodell für sie nicht mehr optimal läuft. Noch schiebt sie eine endgültige Entscheidung vor sich her. Sie weiß um meinen Rückhalt und meine Unterstützung, immer, jederzeit. Der Kontakt zu meinem Exmann beschränkt sich mittlerweile auf das Nötigste, eben auch, weil sich unsere Lebensmodelle sehr voneinander entfernt haben.

Was hältst Du davon, wenn ein Wechselmodell gegen den Willen der Eltern festgesetzt wird?

Das Wechselmodell gegen den Willen der Eltern fest zu setzen, sehe ich sehr kritisch. Im Vordergrund steht ja immer das Kindeswohl, aber wie ich eingangs schon sagte, ist es vor allem finanziell für beide Seiten aufwändig. Die Eltern müssen beide in der Lage sein, sich das Wechselmodee zu leisten, auch zeitlich. Da spielen viele Aspekte rein, nicht zuletzt auch das Alter der Kinder sowie die Berufstätigkeit. Beide Elternteile müssen in der Lage sein, die Kinder außerhalb von Kita/Schule zu betreuen. Und, auch essentiell beim Wechselmodell, beide Eltern müssen bereit und in der Lage sein, sich regelmäßig abzusprechen. Dies könnte schwierig sein, wenn z.b. beide Parteien zerstritten sind und sich schon im Rahmen der Trennung/Scheidung schwer oder gar nicht einigen können.

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6 comments

  1. Rhythmen beim Wechselmodell
    Hallo liebe Schreibende,
    ich bin froh von den Erfahrungen zu lesen, denn ich mache mir viele Sorgen, wie meine 3 Kinder unsere Trennung mit dem Wechselmodell emotional bewältigen werden. Ich habe eine Frage zu den Wechselrhythmen: Unser 14 Jähriger will gern alle 2 Wochen wechseln, um sich besser einzuleben, meine 9 Jährige wöchentlich, der 16 Jährige weiß noch nicht so recht. Die Kinder sehen sich untereinander dann nur noch eine Woche im Monat bei mir, eine Woche bei meinem Ex. Das finde ich für mich sehr schmerzlich, aber es geht um das Kindeswohl. Und nun frage ich mich, wie das für die Kinder ist, wenn sie sich nur noch so wenig gemeinsam erleben? Gibt es dazu Erfahrungen? Danke fürs Teilen!
    Viele Grüße

  2. Danke für diesen ehrlich
    Danke für diesen ehrlich geschrieben Beitrag. Für mich ist er gerade passend, da ich mich vor wenigen Monaten getrennt haben und jetzt der Alltag mit den Kindern organisiert werden muss. Wir haben uns allerdings für das Nestmodell entschieden, um den Kindern das Pendeln zu ersparen. Ob es sich bewährt und gut klappt, wissen wir noch nicht…
    Gibt es hier jemand zum Erfahrungsaustausch, der dieses Modell lebt?

    1. Eine kleine Frage
      Hallo liebe Bella,

      ich habe gerade deinen Kommentar hier gelesen und ziehe an dieser Stelle schon einmal den Hut vor dir – das Nestmodell verlangt von allen Beteiligten viel Einsatz und Energie. Eure Kinder werden es euch aber später danken. Ich selbst bin in einer Eltern-WG aufgewachsen und bin heute sehr froh darüber, dass meinen Eltern die Entscheidung damals so getroffen haben.
      Warum ich dir nun hier schreibe:
      Vielleicht hast du meinen kleinen Aufruf auf der Facebook Seite von StadtLandMama schon gelesen, vielleicht aber auch noch nicht – für diesen Fall sende ich ihn dir hier noch einmal.
      Ich würde mich sehr freuen, von dir zu hören. 🙂

      _________________
      Hallo liebe Familien,

      wir, Carina Nickel & Lena Lobers, suchen für eine Fernsehdokumentation für den WDR Familien, die nach einer Trennung der Eltern entweder weiterhin in einer gemeinsamen Wohnung wohnen bleiben, das Nestmodell leben oder eine andere kreative Lösung für den Fortbestand des Familienlebens finden. Denn wir glauben, dass das Ende einer Beziehung nicht automatisch auch das Ende für das Familienleben bedeuten muss.
      Wir glauben, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich an dieser Stelle zum Beispiel für eine „Eltern-WG“ oder für das „Nestmodell“ entscheiden. Dieser Film will mutigen Menschen, die sich trotz Trennung für das Familienleben entscheiden, die Chance geben, ihre individuelle Geschichte zu teilen und damit anderen zu helfen. Der Film soll über das Thema aufklären, eine neue Perspektive aufzeigen und Menschen begegnen, die trotz gescheiterter Beziehung eine gemeinsame Lösung für die Kinder finden. Uns ist es wichtig, authentische und ehrliche Filme zu realisieren. Ich, Lena Lobers, kennen die Sicht aus Kinderperspektive, denn ich bin selbst in einer Eltern-WG aufgewachsen und habe das als hauptsächlich positiv prägendes Erlebnis erfahren. Daher ist mir der Film ein sehr persönliches Anliegen.
      Wir würden uns sehr freuen, wenn auch Sie sich nun angesprochen fühlen oder jemanden kennen, der auf die Beschreibung passt. Wir suchen besonders Familien aus NRW, die ihre Geschichte mit uns teilen möchten.
      Sie erreichen uns per E-Mail unter: lena.lobers@googlemail.com

      Wir sind gespannt auf Ihre Rückmeldung!

      Liebe Grüße

      Carina Nickel & Lena Lobers
      __________________________

  3. Aus Sicht des Kindes
    … kann ich erzählen.
    Nach der Scheidung meiner Eltern mussten wir ( meine Schwester und ich) auch im wechselmodell leben. Ich war ca sechs Jahre alt, meine Schwester acht.
    Meine Eltern haben in unterschiedlichen Städten gewohnt, wir hatten nicht alles doppelt sondern mussten jede Woche viel mit nehmen. Zur Schule etc mussten wir je nachdem wo wir gerade waren alleine mit dem Fahrrad oder Zug und Bus fahren.
    Mein Vater hatte recht bald eine neue Frau und die und ihre Söhne wohnten dann auch bei meinem Vater. Er hat eh die ganze Zeit gearbeitet und meine Mutter musste auch Vollzeit arbeiten und trotzdem hat bei beiden nie das Geld gereicht und sie haben sich viel gestritten. Ich war nach der Schule viel allein zuhause, es es mir eh schwer gefallen ist Freundschaften zu schließen, aber mit dem dauernden Städte-Wechsel war das erst recht schwer.
    Für mich war das absolut keine schöne Zeit! Und ich habe erst ein richtiges Zuhause-Gefühl kennen gelernt als ich mit 19 zu meinem heutigen Mann gezogen bin.
    Aus meinen Erfahrungen würde ich das so meinen Kindern glaube ich nicht „antun“. Aus der emotionalen Ebene ohne finanzielle oder materielle. Weil welches lebensmodell da am günstigsten ist weiß ich nicht.
    Ich stelle es mir aber schon beim wechselmodell besser vor wenn die zwei zuhause nah beieinander oder je nach Größe der Stadt auch einfach in der gleichen Stadt sind oder generell in den Familien eine gute Atmosphäre herrscht.

  4. Super, danke für diese
    Super, danke für diese interessanten und offenen Zeilen!! Ich selber bin nicht in einer solchen Situation, finde es aber trotzdem sehr interessant (you never know), gerade im auch im Hinblick auf die Tatsache dass man als Frau (wenn man die Kinder nach der Scheidung allein betreut) nach drei Jahren keinen Unterhaltsanspruch durch den Exmann hat… Daher wäre in meinen Augen ein Wechselmodell die fairste Lösung für beide Partner. Somit zB. könnte ich als Frau in meinem Job Vollzeit arbeiten (Gleitzeitmodell, 35h/Woche) und müsste keine Abstriche machen bzw. Angst vor einem sozialen Abstieg, Altersarmut, etc. haben müssen. So weit die Theorie 🙂 Im Artikel wurde leider nur angedeutet dass man sich das Modell „finanziell leisten müsste“ – schade dass auf diesen Aspekt nicht weiter eingegangen wurde.

  5. Bestätigung
    Hallo!
    Mein Ex-Mann und ich praktizieren ebenfalls seit 6 Jahren das Wechselmodell, was sich für uns alle als das Beste herausgestellt hat, was wir für uns entscheiden konnten.
    Wichtig ist aus meiner Erfahrung vor allem, dass klare Regeln aufgestellt werden, die von beiden Parteien befolgt werden. Dann kann es gut funktionieren. Mittlerweile haben wir eine sehr gute Beziehung miteinander und können viele Dinge, die früher zu Problemen geführt haben, schon früh besprechen und aus der Welt schaffen.
    Auch die Situation mit weiteren Kindern und neuen Partnern stellt sich als machbar dar, ich erwarte in 3 Wochen mein zweites Kind, der große ist dann 12 Jahre alt. Sein Vater ist im Januar zum zweiten Mal Vater geworden und auch dort läuft bisher alles glatt.
    Letztendlich muss jeder für sich das passende Modell finden, wir haben es zum Glück geschafft.

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