Abstillen? Nichts leichter als das, dachte ich, nachdem das mit meiner ersten Tochter so super geklappt hatte. Nach etwa einem Jahr beendeten wir unsere Stillbeziehung in beiderseitigem Einvernehmen.
Nach dem ersten Stilljahr mit meiner zweiten Tochter war noch immer kein Ende in Sicht. Es hätte sich auch nicht richtig angefühlt, schon aufzuhören, da waren wir beide uns einig. Und es störte mich auch nicht, obwohl ich viel unterwegs war. Aber nicht allein, nein – ich schleppte meine Kids einfach überall mit hin. Selbst auf der Buchmesse hatte ich ein Baby um den Bauch gebunden. Auch bei Auftritten, bei denen ich auf der Bühne stand, waren meine Kinder immer dabei. Wenns ihnen zu bunt wurde, schliefen sie an die Brust gekuschelt ein. Wenn sie Durst hatten, wurde eine Musikpause angekündigt. Die Bedürfnisse der Kinder gingen vor – und jeder im Publikum hatte Verständnis dafür.
Also eigentlich alles kein Grund zum Abstillen. Aber als schon fast zwei Jahre rum waren, wollte ich irgendwann nicht mehr, denn im Gegensatz zu allen anderen Mamas in meiner Umgebung schien ich eine Rückwärtsentwicklung durchzumachen: Hatten wir im ersten Jahr noch immer mehr Stillmahlzeiten durch feste Nahrung ersetzt (die Sache mit dem Brei sparten wir aus), so gab es jetzt mit jeder Woche plötzlich wieder mehr Milchmahlzeiten. Eigentlich hatte ich sogar das Gefühl, dass ich ununterbrochen stillte – ob ich wollte oder nicht. Und je mehr meine Tochter wollte, desto weniger wollte ich.
Nur: Wie kam ich aus dieser Zwickmühle wieder raus? Ich befragte andere Stillmamas, von denen ich wusste, dass sie sehr lange gestillt hatten. Fast von allen erfuhr ich, dass sie es immer noch taten –aber inzwischen heimlich, schließlich waren die Kids ja schon viel zu alt für Muttermilch – zumindest nach der Meinung des Umfelds.
Ich rief eine Stillberaterin an und ließ mir ein paar Tipps geben. Die Quintessenz: „Ich glaube, Sie sind dazu noch nicht bereit – und deswegen funktioniert es nicht.“ Stimmte das?
Ich horchte in mich hinein: Ja, irgendein Teil von mir wollte abstillen, weil er nicht mehr konnte – ein anderer Teil aber genoss die Nähe zur Tochter, auch wenn es mir oft zu viel Nähe war – na ja, zumindest zu viel Brustnähe. Nähe allgemein kann ein Kind ja nie genug haben.
In meiner Verzweiflung rief ich meine Hebamme an, die mich besser kennt als viele meiner Freunde, obwohl sie mich ja insgesamt nur etwa zwei Jahre meines Lebens begleitet hat. Sie ist für mich viel mehr als die Frau, die mir geholfen hat, meine beiden Kinder an meinem Wunschort – zu Hause – zur Welt zu bringen.
Ich sehe sie fast schon als eine Art Hexe, eine gute, weise, empathische Hexe, die unheimlich viele Dinge weiß, die sie eigentlich gar nicht wissen kann. Dinge wie das Geschlecht des Kindes, das sie anhand von Herztönen und Bauchform der Mutter bestimmen kann. Oder Krankheiten: In der Zeit, als sie uns betreute, ist ein lieber Mensch, der uns sehr nahestand, ins Koma gefallen. Wir hatten ihr nie etwas über ihn oder seine Krankheit erzählt. Sie wusste trotzdem, was Sache war, obwohl sie ihn nie gesehen hatte.
Und diese Frau, die mir auf angenehm-unheimliche Weise fast schon allwissend erschien, sagte mir nun: „Sandra, ich glaube, das Thema Abstillen wird für dich in wenigen Wochen der Vergangenheit angehören, sonst würden wir jetzt hier nicht miteinander reden. Ich glaube, du hast die Lösung schon gefunden!“
Ich sollte die Lösung schon gefunden haben? Ganz im Gegenteil: Ich suchte verzweifelt nach dem ultimativen Abstillrezept. Das Buch "Kleines Windelmonster" von Dagmar Geislers hatte ich geliebt –innerhalb einer Woche war beim ersten Kind die gewünschte Wirkung eingetreten, allein durch das gewünschte Dauervorlesen im letzten Sommerurlaub. So etwas musste es doch auch fürs Abstillen geben.
Doch ich merkte: Nein, so etwas gab es leider nicht. Also schrieb ich selbst. Es entstand die Geschichte vom kleinen Milchvampir, der einfach nicht von der Muttermilch ablassen will. Einige Sachen sind ziemlich autobiographisch: Die total fertige Mutter, die sich nicht mehr zu helfen weiß. Der Vater, der sieht, wie sehr seine Frau leidet – und der deshalb versucht, für sie Partei zu ergreifen. Und auch die Szene am Strand: Der Milchvampir, der sich einfach mal selbstbedient – umgeben von anderen Seebesuchern, die ihm und seiner Mama merkwürdige Blicke zuwerfen.
Nur eins hatte ich immer noch nicht: den Schluss.
Dann kam mir das Schicksal zur Hilfe: Ich bin eigentlich nie krank – von der gelegentlichen Erkältung einmal abgesehen – aber plötzlich wurde ich richtig, richtig krank. So sehr, dass mich das Stillen noch viel mehr schlauchte als in den Wochen davor.
Und ich hatte vor allem verdammte Angst davor, mein Kind anzustecken, vielleicht sogar durch die Muttermilch. Ich wusste, dass das sehr, sehr unwahrscheinlich war. Aber es half mir, konsequent zu bleiben, das mit dem Abstillen wirklich durchzuziehen. Ich hatte ja gesehen, dass meine Tochter die Nächte ohne Muttermilch problemlos überstand, wenn ich nicht in der Nähe war. Also konnte ich davon ausgehen, dass sie es auch insgesamt schaffen würde. Wir fanden ein alternatives Einschlafritual – und wenn sie nachts aufwachte, gab sie sich mit Wasser zufrieden und schlief gleich darauf wieder ein.
Wieder hatte meine Hebamme die Wahrheit weit vor mir erkannt: Wenige Wochen darauf war das Thema Abstillen tatsächlich vom Tisch.
Auch die Stillberaterin hatte Recht: Der Schlüssel ist, dass die Mutter wirklich abstillen wollen muss. Dann klappt das auch.
Ich hoffe, dass „Der kleine Milchvampir“ diejenigen Mütter unterstützt, denen es so geht wie mir damals. Gleichzeitig hoffe ich aber auch, dass der auf das Kinderbuch folgende Stillbrief diejenigen Mütter in ihrer Entscheidung zum Langzeitstillen bestärkt, die eigentlich noch stillen wollen, sich aber durch ihr Umfeld zum Abstillen gezwungen fühlen.
Foto: www.ruthfrobeen.de