Gastbeitrag von Jutta: „Ich wurde adoptiert – und erfuhr es erst als erwachsene Frau“

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"Ich war 20 Jahre alt und gerade zum ersten Mal Mutter geworden. Zum perfekten Glück fehlte nur noch die Hochzeit. Ich stürzte mich also in die Planung und Vorbereitung für unseren schönsten Tag. Dazu gehörten natürlich auch einige Berhördengänge. Unter anderem mussten mein Zukünftiger und ich unsere Abstammungsurkunden anfordern.

Auf meine Frage, warum das nötig ist, ich hätte ja schliesslich eine Geburtsurkunde, wurde mir geantwortet, dass es zu DDR-Zeiten nur solche gab und die nicht reichen würde. Es könnte ja sein, dass ich meinen Halbbruder heiraten möchte und gar nicht weiss, dass er mein Halbbruder ist.

Ich schmunzelte noch darüber und forderte diese Urkunde dann für uns beide an. Einige Tage später bekamen wir dann beide am gleichen Tag Post von den jeweiligen Standesämtern unserer Geburtsorte.

Ich las dann diese Urkunde durch und wunderte mich über den komischen Text im Feld "Bemerkungen". Dort stand: "Das Kind xx.. wird von Kindes statt vom Ehepaar xx angenommen".

Auch nach mehrmaligem Lesen stieg ich da nicht durch. Irgendwie hatte ich ein Brett vor dem Kopf. Ich las nochmal die Namen im Elternfeld. Da standen andere als die meiner Eltern.

Für mich stand fest, dass die Mitarbeiter im Amt einen Fehler gemacht und mir eine falsche Urkunde geschickt hatten. Mein Mann riet mir zu einem Anruf. Ich trug dann amüsiert der Sachbearbeiterin mein Anliegen vor, dass hier eine Verwechslung vorliegen würde – als sie mich unterbrach und sagte "Nee, nee das ist schon richtig so. Haben Ihre Eltern Ihnen denn nicht gesagt, dass Sie adoptiert wurden?"

BÄHM. Ich legte einfach auf. Ohne "Auf Wiederhören". Ich war platt. Nach ein paar Minuten sammelte ich mich und entschied, meinen Dad anzurufen. Er hatte an diesem Tag auch noch Geburtstag. 

Ich rief ihn also im Büro an und erzählte, was ich gerade erfahren hatte. Ich hoffte immernoch auf ein Missverständnis. Mein Vater sagte aber: "Wir müssen dann wohl heute mal reden." Ich knallte den Hörer auf und heulte wie ein Schlosshund.

Ich brauchte ein paar Stunden, um mich zu sammeln und kam auf die diffusesten Ideen, wie es zu meiner Adoption kam. Es war so unreal, denn gerade mit meinem Vater habe ich so viel gemeinsam. Wir sind beide Linkshänder, wir können beide den rechten Daumen soweit nach hinten biegen, dass er waagerecht liegt – das sah ich als einen Beweis für unsere Blutsverwandtschaft. 

Für mich stand fest, er ist mein leiblicher Vater ist und mich mit einer anderen Frau gezeugt hatte, weil meine Mama keine Kinder bekommen konnte. ich entwarft immer neue Szenarien – schon irre, auf was man in so einer Situation kommt…

Ich beruhigte mich einigermaßen und wollte endlich mit meinen Eltern sprechen. Wir fuhren am Nachmittag zu Ihnen und ich war aufgeregt wie Hölle. Wir fielen uns sofort in die Arme. Ich habe meine Eltern noch nie so weinen gesehen, sie entschuldigten sich tausendmal und waren völlig fertig, Sie hätten einfach nicht gewusst, wie und wann sie es mir sagen sollten. Es hätte nie den richtigen Zeitpunkt dafür gegeben. 

Und ich? Sah meine Eltern an und irgendwie war es mir da schon gar nicht mehr wichtig, dass sie nicht meine leiblichen Eltern sind…

Meine These, dass mein Vater mein leiblicher Vater ist, war allerdings falsch. Sie erzählten mir, dass sie ganze 8 Jahre seit dem Adoptionsantrag auf ein Kind warteteten. Dann war plötzlich ein Anruf gekommen. "Hier ist ein Mädchen geboren, schauen Sie es sich an. Wenn Sie wollen, können Sie sie mitnehmen", hieß es.

Punkt. Kurz und knapp. Gott sei Dank wollten sie mich

Über meine leiblichen Eltern konnten sie mir nichts sagen. Das "ermittelte" ich knapp ein Jahr später dann selbst beim Jugendamt. Ich erfuhr, dass ich noch 3 ältere Geschwister habe und meine Mutter nach der Trennung von ihrem Ehemann von ihrem neuen Lover schwanger wurde. Der verkrümelte sich daraufhin und ließ sie sitzen. Sie arbeitete damals im Schichtdienst und noch ein Kind konnte sie sich nicht leisten. Finanziell und zeitlich.

Also musste eine Notlüge her, als sie ohne Bauch und ohne Kind aus dem Krankenhaus kam. Offiziell gab sie bei Freunden und Familie an, eine Totgeburt gehabt zu haben. 

Das weiß ich nun seit 16 Jahren. Um es kurz zu machen, bis auf 2 Briefe gab es keinen Kontakt zwischen uns. Ihr Interesse hält sich in Grenzen. Zu einer meiner Schwestern habe ich sporadischen Kontakt. Zu den anderen beiden Geschwistern gar keinen. Wer mein Vater ist, werde ich nie erfahren. Den kennt nur meine Erzeugerin und rückt nicht mit dem Namen raus. Da er sich jedoch eh aus dem Staub gemacht hat, ist es mir mittlerweile egal.

Meine Eltern waren, sind und bleiben meine A-Eltern. Sie haben mich zu dem Menschen aufgezogen und erzogen, der ich jetzt bin. Sie lieben mich von ganzem Herzen, genau wie ich sie. Mir konnte für mein Leben nichts besseres passieren.

Mit meiner leiblichen Mutter habe ich abgeschlossen. Und mir geht es gut mit dieser Entscheidung."

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2 comments

  1. Hallo, ich schreibe sonst
    Hallo, ich schreibe sonst nichts unter solche Beiträge aber heute geht es nicht anders. Ich sitze grad mit meinen Kindern (5 und 2) auf der Couch. Ich sehe sie an und ich weiß, dass auch wir bald dieses Gespräch führen werden. Denn sie sind beide adoptiert und mein wirklich allergrößtes Glück. Und ich hab Schiss, es ihnen nicht so erklären zu können, dass es keinen Beigeschmack hat.
    Ich freue mich, dass es bei euch so gut für dich und deine Eltern abgelaufen ist. Denn das sind sie, deine Eltern. Adoptiert hin oder her. Ich für mich weiß, dass ich für die Beiden mein Leben geben würde. Und mehr Liebe kann es nicht geben. Denn als Adoptivkind ist man IMMER ein Wunschkind.
    Liebe Grüße

  2. Ich bin auch adoptiert…
    Liebe Jutta,
    Dein Beitrag hat mich sehr berührt, obwohl ich es richtig krass finde, wie Du letztlich von Deiner Adoption erfahren hast. Da hätten Deine Eltern sicher besser einen anderen Weg gewählt. Aber Deine Einstellung – dass Deine Eltern Deine Eltern sind – egal ob blutsverwandt oder nicht – finde ich ganz toll.
    Ich bin auch adoptiert – ebenfalls als Baby. Mit dem Unterschied, dass meine Eltern nie ein Geheimnis daraus gemacht haben und ich immer Bescheid wusste. Trotzdem hatte ich – bis zu dem Zeitpunkt als ich selbst eine Familie gründen wollte – nie das Bedürfnis meine leiblichen Eltern kennenzulernen. Aber dann wollte ich doch wissen, wo ich herkomme. Meine Adoptiveltern haben mich dabei immer unterstützt, was ich Ihnen sehr hoch anrechne. Mittlerweile kenne ich meine leibliche Mutter und ihre Geschichte dahinter. Und auch wenn wir nicht auf einer Wellenlinie liegen – ich bin ihr sehr dankbar dafür, dass sie damals diesen Schritt gegangen ist. Denn auch ich hatte eine tolle Kindheit, mit Eltern die mich sehr lieben und die für mich meine Eltern sind – egal ob meine Mutter mich geboren hat. Ich habe über meine Geschichte mal einen Beitrag verfasst. Vielleicht hast Du Lust ihn mal zu lesen: http://familiemotte.de/ich-wurde-adoptiert-ist-man-in-der-familie-wirklich-ein-fremdes-kind/

    Liebe Grüße
    Anna