Gastbeitrag von Doris. Ich habe Depressionen – und will nun mein Leben ändern

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Ein paar Eckdaten: Ich bin 37 Jahre alt, alleinerziehende Mutter eines 10- Jährigen, habe einen Vollzeitjob und ich lebe jeden Tag am Limit.

Das wäre sicher super aufregend, wenn ich Extremsportlerin wäre, aber das bin ich nicht.

Viele würden mein Leben als stinknormal bezeichnen. Ich tue das nicht… mehr!

Ich habe Depressionen!

Wer in meiner Nähe ist, lacht viel, sehr viel. Ich bin sehr lustig.

Wenn ich könnte, würde ich damit mein Gelde verdienen. Meine momentane Berufssituation hat nämlich einen sehr großen Anteil daran, wie es mir geht. Auch im Büro bringe ich die Kollegen zum lachen -vor allem meinen Chef. Jeder muss also denken, es ginge mir wunderbar.

Aber es ist an der Zeit, etwas zuzugeben: Leute, es ist meine Masche!

Jetzt ist es raus! Diese Masche hat auch immer funktioniert.

Bringe sie zum Lachen, dann hast du sie unter Kontrolle. Vor allem eben meinen Chef. Er hat mir in den letzten Jahren so viele gemeine Sachen gesagt.

Sich darüber lustig gemacht, dass ich Single bin.

Das ADHS meines Sohnes mit meiner schlechten Erziehung abgetan.

Besondere Aufmerksamkeit jedoch schenkte er immer wieder den 20 kg, die ich mir in den letzten zwei Jahren angefressen habe. Das war ja auch einfach zu offensichtlich. Genauso wie die drei grossen kahlen Stellen auf meinem Kopf…

Jeden Tag war ich auf der Hut, zog den Kopf ein – immer bereit einen lustigen Spruch loszulassen, um eine mögliche verbale Katastrophe abzuwenden – weg zu lachen!

Und dann kam mein Urlaub. Drei Wochen.

Die erste Woche verbrachte ich weinend auf meiner Couch, immer mit der Angst im Nacken, ich hätte vielleicht einen Fehler im Büro gemacht und man könnte mich deswegen anrufen. Natürlich passierte auch genau das… ich weiß nicht, wie Panikattacken sich anfühlen, aber ich fühlte mich schrecklich, mir blieb die Luft weg, mir wurde heiß und Adrenalin schoß durch meinen Körper.

Die zweite Woche verbrachte ich mit meiner besten Freundin in einem wunderschönen Hotel in Andalusien mit einem atemberaubenden Blick auf den Ozean. Doch kam das wirklich in mir an? Abgesehen von meiner Gesichtsfarbe veränderte sich an meinem Zustand nichts.

Die dritte Woche grübelte ich zwei Tage vor mich hin, igelte mich wieder ein.

Ich habe mir in den letzten drei Jahren Hilfe gesucht. Bei der Erziehungsberatungsstelle im Ort, Ergotherapie für meinen Sohn. Als die Situation im Hort untragbar wurde, suchte ich eine Tagesmutter, die auch "große" Kinder betreut. Ich kämpfte um einen ambulanten Therapieplatz für mich und fand einen.

Doch trotz all dieser Hilfe fehlte etwas: EINE ENTSCHEIDUNG VON MIR!

Am Mittwoch meiner letzten Urlaubswoche überedete eine Freundin mich zu einem Besuch im Fitnesstudio und während wir auf dem Fahrrad strampelten sagte sie einen Satz, der mich so berührte, mich so tief drinnen traf, dass ich bereit war eine Entscheidung zu treffen.

"Wir ziehen das jetzt zusammen durch!"

Ich war nicht mehr allein…

Am nächsten Tag ließ ich mich krankschreiben – meine Ärztin tat das mit großer Freude, schließlich riet sie mir schon vor einem Jahr zu einem Jobwechsel. Das war der kleinste Schritt. Ich war felsenfest davon überzeugt, das ich NIE WIEDER ein Wort mit meinen Chefs sprechen wollte. Also steckte ich die Krankmeldung kommentarlos in einen Briefumschlag und trug ihn mit klopfendem Herzen zur Post.

Mein nächster Weg führte mich zur Gleichstellungsbeauftragten unserer Kleinstadt – ein Rat meiner Erziehungsberaterin. Nachdem ich ihr meine Geschichte erzählt hatte, bot auch sie mir ihre Hilfe an. Wir verabredeten uns, um Bewerbungen zu schreiben und sie entließ mich mit den Worten: "Sie sind eine tolle Frau, die schon so viel geschafft hat, und ich freue mich, ihnen dabei helfen zu dürfen, wieder auf die Füße zu kommen."

Beim darauffolgenden Gang zum Arbeitsamt war mir mulmig. Noch nie in meinen 20 Berufsjahren war ich dort mit der Absicht aufgetreten, mich mehr oder weniger freiwillig in die Arbeitslosigkeit zu begeben. Aber ich wußte eben nicht, ob ich so schnell einen neuen Job fidnen würde, oder ob ich schnell genug wieder gesund wäre, um eine neue Stelle anzutreten. Ich spielte mit offenen Karten und bekam… HILFE! Man sagte mir, wenn ich ein Attest meiner Ärztin hätte, in dem sie bescheinigt, dass sie mir dringend empfielt, aus gesundheitlichen Gründen, den Arbeitgeber zu wechseln, mir keine Sperre drohe.

Ich war so unglaublich erleichtert, dass ich nicht auch noch um unseren Lebensunterhalt fürchten musste – auch wenn es natürlich deutlich weniger Geld wäre.

Meine Freundinnen, meine Schwester, sogar Menschen, denen ich auf Grund meiner eigenen Hilflosigkeit mehrmals vor den Kopf gestoßen hatte standen mir bei. Riefen an, schrieben Nachrichten, ließen mich wissen, dass sie da sind!

Mein Entschluß steht fest: Ich werde kündigen! Mich befreien von einem tyrannischen Chef und einer vermeitlich unfehlbaren Chefin.

Natürlich bleiben die Anrufe nicht aus, schließlich hatte ich mich nicht telefonisch abgemeldet, aber ich gehe nicht ran – auch wenn mir jedes Mal die Luft wegbleibt, wenn die Nummer auf dem Display erscheint. Aber ich bin einfach nicht in der Lage mit ihnen zu sprechen.

Ich habe gelernt, dass ich Situationen nicht aushalten muss, dass ich sie ändern kann.

Greift nach Händen, die euch gereicht werden und haltet sie fest!

Ich weiß, dass mein Weg noch weit ist und gerade erst begonnen hat. aber ich werde ihn gehen, mit all seinen großen und kleinen Steinen. Depressionen können uns lähmen, bis uns jemand an die Hand nimmt.

Und wer weiß, vielleicht mache ich demnächst beruflich etwas ganz anderes…

 

Foto: Pixabay

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5 comments

  1. Wie geht es Dir heute?
    Liebe Doris!
    Gerade erst habe ich Deinen Text aus dem letzten Sommer gelesen.
    So gerne würde ich wissen, wie es Dir heute geht…. wie Du Dich fühlst!
    Herzliche Grüße…
    Tanja

  2. Stell dir vor, wir wären
    Stell dir vor, wir wären Freundinnen!
    Ich halte deine Hand ganz fest!
    Wenn es „mal wieder“ zuviel wird, denke an deine Freunde hier draußen!!
    Wir stehen hinter dir, neben dir und mit dir. Ich halte gerne deine Hand. Du schaffst das! Vertraue dir, glaub an dich. Ich tue es…

  3. Depression
    Hi Doris,
    auch ich müßten durch dieses Tiefe Tal gehen. Ich war so weit mich vom Leben zu trennen. Hatte genug von all dem. War satt vom Leben. Aber…..ich durfte nicht, denn ich habe eine 9 Jährige Tochter der ich es schuldete am Leben zu bleiben. Auch das hat mich arg geschunden. Geh bitte bitte zu einem Psychologen und lass Dir Therapien verschreiben. Es hilft auch wenn Du es nicht merkst. Das Beste war meine Kur ( zusammen mit meiner Tochter) wo ich andere Menschen traf die mehr oder weniger das gleiche erlitten haben. Heute bin ich zumindest wieder halbwegs im leben. Gewisse Sachen sind verloren gegangen und so richtig scharf aufs Leben bin ich auch nicht aber es geht. Glaube an Dich und nicht an das was irgend ein Arbeitgeber zu Dir sagt. Ich bin sicher Du wirst einen Job finden der Dir Spass macht und wo Du geachtet wirst als der Mensch der Du bist. Ich drücke Dir fest die Daumen!!!
    L.G. Rudi

  4. Gut gemacht
    ….denn andere kommen nicht so weit. Ich kenne Deine „Masche“ genau. Auch ich beherrsche sie, bis heute. Ich brauche sie aber nun nicht mehr. Mit der Schwangerschaft meines dritten Kindes, bekam ich eine Schwangerschaftsdepression. Jetzt weiß ich, dass ich vorher schon depressive Episoden hatte, damals habe ich es nicht erkannt. Ich habe gut 2 Jahre am Limit gelebt, bin dann zur Mutter-Kind Kur gefahren. Dort konnte ich die Erkenntnis zulassen, ich bin depressiv. Damals war ich eine (augenscheinlich) energiegeladene Spaßkanone. Hatte viele Freunde. Die Energie, weiter diese Rolle zu spielen, hatte ich schon lange nicht mehr. Ich tat es dennoch. Zurück aus der Kur begann ich eine Therapie. Nach zwei Jahren war ich zwar „durchtherapiert“ war aber noch weitere zwei Jahre auf Medikamente angewiesen. Seit Mai brauche ich sie auch nicht mehr. 🙂 Kann sein, dass ich Rückfälle habe, hatte ich auch schon, aber jetzt weiß ich, dass die Depression auch wieder geht, das tat sie vorher nicht. Ich bin nur noch Spaßkanone, wenn es passt. Auf Feiern, oder bei treffen mit Freunden, denn kostet es keine Kraft, sondern ich tanke Kraft. Auch sag ich jetzt wenn mir was nicht passt, wäre vorher nicht möglich gewesen. Mein Freundeskreis ist eingeschrumpft, aber es kostet keine Kraft, die Freunde zu „halten“ Ich kenne meine Grenzen jetzt sehr gut. Dahin kommst du auch noch! Lass Dich nicht unterkriegen. Ich werde nicht lügen, es wird dir oft schwer vorkommen, aber es Lohnt sich. Ich wünsche dir das Beste!

  5. Der erste Schritt…
    … ist getan. Es zu erkennen ist ja immer das Eine, etwas zu ändern, den ersten Schritt zu wagen, los zu gehen, es in die Hand zu nehmen – vermeintlich so easy, aber in Wirklichkeit so schwer. Herzlichen Glückwunsch dazu! Ich wünsche dir alles Gute, viel Kraft, Durchhaltevermögen und bin begeistert, dass du von allen Seiten so viel Unterstützung erfährst. Das ist einfach klasse, und unendlich helfend. Freunde, Familie, ja klar, aber auch dass die Ärztin und sogar das Arbeitsamt scheinbar wie selbstverständlich für dich da sind. So soll es sein. Denn auch wenn man natürlich selbst den Weg gehen muss, so geht er sich wesentlich leichter, wenn man nicht alleine ist. Gute Besserung!