Ihr Lieben, die SOS-Kinderdörfer sind sicher jedem von Euch ein Begriff. Wir wollten einmal hören, wie es in den Kinderdörfern abläuft, welche Rechte und Pflichten die Mütter haben und welche Kinder dort leben. Wir freuen uns über dieses spannende Interview mit Steffi:
Liebe Stefanie, erzähl doch erstmal, wer Du bist.
Ich heiße Steffi, bin ledig und habe keine leiblichen Kinder. Geboren bin ich in Cuxhaven, direkt an der Küste, ich bin ein richtiges Nordlicht. Ich bin 36, und ich wusste immer, dass ich mit Kindern arbeiten wollte. Mit 14 habe ich Babysitten angefangen, habe dann gleich nach der Realschule meinen Erzieher gemacht, war mit 20 Erzieherin und habe schon im Kindergarten gearbeitet. Ich war sehr zielstrebig.
Seit wann bist Du SOS-Mutter und wie bist Du dazu gekommen?
Nein, ein Schlüsselerlebnis gab es nicht, es war einfach das Nachdenken. Ich habe einfach mal bei Google Erzieherin und Familie eingegeben, und da kam dann SOS-Kinderdorf, das erschien naheliegend. Und 2010 war ich dann plötzlich im SOS-Kinderdorf Harksheide, habe erstmal länger in verschiedenen Kinderdorffamilien mitgeholfen und habe geprüft, ob das wirklich was für mich ist.
Wie genau sieht das Kinderdorf aus?
Wenn Außenstehende zu uns ins Kinderdorf kommen, sagen die oft: „Das sieht ja aus wie ein Feriendorf, mit vielen Häusern, den Wegen dazwischen“. Jede Familie hat hier ihr eigenes Haus, einen eigenen Garten. Die Häuser sind recht groß: Wir haben in den Häusern bis zu sechs Kinder, jedes hat sein eigenes Zimmer. Ich habe ja fünf Kinder derzeit, aber das sechste kommt. Wir haben große gemeinschaftliche Räume wie z.B. ein gemeinsames Wohnzimmer und eine große Küche.
Wie ist das Verhältnis der Kinder zu Dir und auch der Kinder untereinander?
Es sind angenommene Kinder, keine leiblichen Kinder, das merkt man schon. Ich habe zum Beispiel zwei sechsjährige Mädels im Haus. Das eine Mädchen kam, als es ein Jahr alt war, fast ein Baby, schon mit Entwicklungsverzögerungen, die hat keine Erinnerung an die Zeit vorher. Das andere Mädchen war viereinhalb, als sie zu mir kam. Von der einen gibt es also Babyfotos, von der anderen nicht. Da kann schon mal Neid aufkommen. Ich habe noch zwei gleichaltrige Mädchen, 10 Jahre, bei denen ist das nicht so, aber die sind auch sehr unterschiedlich. Wir machen als Familie viel zusammen, fahren in Urlaub, und je mehr Zeit vergeht, umso mehr wachsen wir zusammen, Stück für Stück.
Aus welchen Verhältnissen stammen diese Kinder?
Die Kinder kommen alle aus Familien, in denen die leiblichen Eltern oder die Mütter überfordert waren, oft sind es psychische Probleme. Ich habe aber bei allen Müttern das Gefühl, sie haben ihre Kinder lieb. Sie kriegen es nur im Alltag nicht hin. Ich vergleiche meine Rolle dann immer mit einem Handwerker. Wer zwei linke Hände hat und kein Regal aufbauen kann, holt sich Hilfe bei einem Handwerker – und das ist bei jedem in der Gesellschaft akzeptiert. Man kann sich dann trotzdem über das Regal freuen, obwohl man nicht wusste, wie man es zusammenbaut.
Wenn man Kinder hat, liebt man seine Kinder, und es wird erwartet, dass man seine Kinder erziehen kann, und wer das nicht kann, ist ein Versager. Das sehe ich nicht so. Ich sehe mich als Unterstützung, ich helfe sozusagen diesen Eltern mit, ihre Kinder großzukriegen. Die Kinder sollen auch Kontakt zu ihren Eltern haben – was aber von Fall zu Fall unterschiedlich klappt. Manche Eltern kommen alle zwei Wochen, manche übernachten sogar mal im Dorf, bei manchen besteht überhaupt kein Kontakt, weil die Eltern einfach abgehauen sind und wir gar nicht wissen, wo die sind. Aber wenn sie da sind, dann trete ich in den Hintergrund. Das begleiten dann Kollegen, damit es keine Loyalitätskonflikte gibt. Denn die Kinder nennen mich wirklich Mama, und das trifft die Eltern schon hart.
Wie erlebst Du die Kinder, wenn sie zu Dir kommen?
Die Kinder sind am Anfang sehr angepasst, die wollen, dass man sie lieb hat. Sie fragen nach allem: Wie läuft das hier? Was sind die Regeln? Sie sind sehr darauf bedacht, die Regeln auch einzuhalten.
Erst wenn die Kinder richtig angekommen sind, wenn sie sicher sind, dass das hier ihr Lebensmittelpunkt ist, dann packen sie ihren unsichtbaren Rucksack aus, und dann macht sich bemerkbar, worunter sie in der Vergangenheit gelitten haben und was sie beschäftigt. Dann wird es auch mal schwieriger, es gibt Aggression, auch viel Trauer. Das ist der Moment, in dem wir anfangen, an therapeutische Unterstützung zu denken, Ergotherapie, Logopädie, alles Mögliche.
Was brauchen diese Kinder am meisten?
Ganz viel Zuwendung, viel Zeit, und auch das Gefühl, dass man sie ernst nimmt. Sie testen das sehr aus, z.B. wenn man als Erwachsenerer Versprechungen macht, ob man das auch einhält. Sie brauchen ganz viel Sicherheit. Wenn ich einkaufen gehe, beschäftigt sie die Frage, ob ich auch wirklich wiederkommen werde. Und sie brauchen Zeit um zu merken, dass von allem immer genug da ist, Essen, Kleidung, solche Sachen.
Du hast gesagt, dass die Kinder am Anfang sehr angepasst sind. Wie schnell setzt eine Veränderung der Kinder ein?
Das schleicht sich ein. Das ist teilweise ein Schritt nach vorne, dann wieder zurück. Wir hatten einmal die Situation, dass nach einigen Jahren die Oma eines der Kinder sagte, eigentlich geht es Dir ja wieder gut, eigentlich könntest Du doch zu mir ziehen. Das hat das Mädchen völlig aus der Bahn geworfen. Sie wollte dann wissen, „Aber ich darf doch bleiben?“, und dann hat sie den Einsatz von uns, auch vom Vormund gespürt, ja, Du darfst hier bleiben, niemand kann Dich hier so einfach rausziehen.
Gab es auch schon mal ein Kind, mit dem Du an Deine Grenzen gestoßen bist?
Ja. Es kommen Situationen, da dreht man sich im Kreis, kommt nicht voran, die Entwicklung des Kindes stagniert, da stellt man sich die Frage: Ist das wirklich richtig hier? Es gab ein Kind, ein etwas älteres Mädchen, da habe ich unglaublich viel Energie reingesteckt, aber das war wie Wasser in ein Sieb gießen, da blieb kaum was hängen.
Wir haben dann mal experimentiert. Ich habe mich eine Woche am Stück fast nur um dieses Mädchen gekümmert, und meine Kollegen haben sich weitgehend um die anderen Kinder gekümmert. Dann haben wir es eine Woche anders herum probiert. Und dieses Mädchen hat überhaupt keinen Unterschied bemerkt. Es war ein hochgradige Bindungsstörung, der wir hier nicht beikommen konnten.
Welche Rechte und Pflichten hast Du als SOS-Mutter?
Man übernimmt das ganze Alltagsgeschäft einer Familie. Wir entscheiden, wie wir den Tag verbringen, wohin wir in Urlaub fahren, was wir essen wollen. Wir treffen Entscheidungen über die richtige Beschulung etc., besprechen größere Entscheidungen aber immer mit dem Vormund.
In den Hilfeplangesprächen, bei denen manchmal, oder oft, alle beteiligten Parteien an einem Tisch sitzen, stimmen wir Entscheidungen über die nächste Schritte, die wir für das Kind planen oder uns wünschen gemeinsam ab. Aber der Alltag gehört der Familie. Und der ist bei jeder Familie hier im Kinderdorf ein wenig anders.
Was ist Dir wichtig, diesen Kindern mit auf den Weg zu geben?
Ich möchte sie so stark wie möglich zu machen. Ich möchte, dass sie Ziele haben, die sie auch selbst wollen, dafür einzustehen und das dann auch selbst umzusetzen. Ich möchte, dass sie einfach nach ihrem Glück streben dürfen. Man wird sehen, was die Zeit bringt.
Du bist SOS-Kinderdorfmutter. Das klingt ja schon etwas ungewöhnlich. Wie reagieren Außenstehende auf Dich, auf Euch?
Es gibt die Leute in meinem Bekanntenkreis, die wissen Bescheid, für die ist das alles normal, auch wenn die sich manchmal sicher fragen, was ich mir da zumute. Und dann gibt es die Leute auf der Autobahnraststätte, die mit großen Augen gucken, wenn ich in die Toilette hineinrufe „Kinder, wir wollen los“, und dann kommen da sechs Stück rausgetrottet. Aha, da kommt ´ne Großfamilie.
Ich sage mir immer, es ist kein normaler Job, es ist mehr. Aber es ist auch nicht nur Mutter sein, denn jede normale Mutter arbeitet 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche. Aber ´ne normale Mutter kriegt keinen Urlaub. Ich aber habe auch mal Urlaub, kann Wellness machen, ohne Kinder, das kriegen andere Mütter nicht so einfach hin.
—–ZUM WEITERLESEN:
Gabriele hat sechs leibliche Kinder und drei Pflegekinder
Zwei Mamas und ein Pflegekind
2 comments
Danke 🙂
Lieben Dank für den tollen Beitrag! Es ist schön, dass es Menschen gibt, die für Kinder ohne intakte Familie da sind! Ich spende schon seit Jahren für die SOS-Kinderdörfer und freue mich, auch mal von einer SOS-Mama direkt hier aus Deutschland zu lesen! Ihr macht eine tolle Arbeit! Weiter so 🙂
sehr spannend
Dein Alltag und Beruf, dein Leben klingen sehr spannend. Und aufregend. Und emotional.
Ich bin sehr dankbar, dass es Menschen wie dich gibt.
Ich wünsche dir viel Glück in deinem weiteren Leben!