Ihr Lieben, manchmal kommen wir hinter den Kulissen mit Leserinnen ins Gespräch und dann kommen Geschichten ans Licht, von denen man denkt, dass sie immer nur den anderen passieren – aber doch nicht einem selbst. Unsere Leserin Julia aus Bochum hat genau so eine Geschichte erlebt. Sie hat den Verdacht, dass ihr Ex-Partner nur wegen ihrer Töchter mit ihr zusammen gewesen sein könnte. Hier erzählt sie ihre Geschichte.
"Es gibt da einen schlimmen Verdacht, über den ich gern reden möchte. Denn wenn ich nur eine Frau dazu bringe, bei einem neuen Partner von Anfang an auf ihr Bauchgefühl zu hören, dann hat sich dieses an die Öffentlichkeit gehen bereits gelohnt. Mir geht es weder um Pauschalurteile, noch um Vorverurteilung. Es geht darum sich selbst wahrzunehmen, denn zu oft blenden wir Dinge aus, weil wir sie nicht sehen wollen.
Meine Ehe war immer in Ordnung, zumindest war das meine Wahrnehmung. Wir haben irgendwann geheiratet, ein Haus gekauft und drei wunderbare Kinder bekommen. Nun kam nach etlichen gemeinsamen Jahren aber leider raus, dass er über Monate fremdgegangen war – so kam es zur Trennung.
Heute lebt er mit der Frau zusammen und unsere Kinder sind regelmäßig bei ihm. Mit Hilfe von Freunden und Therapeuten habe ich mittlerweile einen guten Umgang mit dem Geschehenen gefunden. Wenn auch der Weg sehr schmerzhaft war. Nachdem zunächst die erste Schockstarre und schließlich die größte Trauer überwunden waren, begann ich, mich im Netz auf Datingbörsen rumzutreiben, wenn meine Kinder im Bett lagen. Mir tat der Austausch gut, ich chattete, datete und schließlich begegnete ich dort auch Marc.
Marc war charmant, sehr zuvorkommend, er machte mir Komplimente und erwähnte immer wieder, wie kinderlieb er sei. Wir trafen uns bald das erste Mal, wir verstanden uns gut, er lernte auch schnell meine Kinder kennen. Rückblickend betrachtet, kann ich sagen, dass ich mir einfach sehnlichst gewünscht hatte, wieder ein Familienleben zu haben. Ich wollte ein Stück von meinem alten Leben zurück…
Ich hatte Bauchschmerzen mit Marc. Über Wochen. Ich sah über sie hinweg, drückte sie förmlich zur Seite. Es war etwas sehr Subtiles, ein Gefühl kontrolliert zu werden, ohne dass es ein einziges Indiz dafür gab. Ich suchte den Ursprung meiner Bauchschmerzen bei mir. Ich reflektierte, dass es nach der bitteren Enttäuschung in meiner Ehe einfach schwer war, nun Vertrauen in einen neuen Mann zu fassen. Ich wollte es versuchen, wollte diesen so aufmerksamen Mann nicht grundlos vor den Kopf stoßen und mir die Chance auf eine neue Liebe nicht nehmen.
Ein halbes Jahr nach unserem Kennenlernen zog Marc bei uns ein. Wir stritten uns bald immer häufiger über Nichtigkeiten. Ich dachte: Es muss sich eben alles erst einmal finden und zurechtruckeln. Vieles war auch schön, ich genoss mein neues Familienleben. Zu schaffen machte mir seine Kontrollsucht (mittlerweile begründet) und seine krankhafte Eifersucht. Ich konfrontierte ihn, er suchte einen Therapeuten auf. Das sagte er zumindest.
Meine älteste Tochter wurde in dieser Zeit immer schlechter in der Schule, war schnell überfordert, hatte ständig Bauchschmerzen, verweigerte entweder Mahlzeiten oder stopfte alles auf einmal in sich rein. Wir suchten eine Kinder- und Jugendtherapeutin auf. Irgendwann eskalierte die Situation hier, da ich mitbekam, wie Marc nebenbei mit anderen Frauen anbändelte. Ich warf ihn raus.
Ich kannte zwei seiner Exfreundinnen mit Namen und kontaktierte beide. Ich kann es nicht beschreiben, aber ich hatte das unbändige Bedürfnis, mich mit diesen Frauen auszutauschen. Unsere Geschichten waren fast deckungsgleich. Wir waren alle frisch getrennt, hatten kleine Kinder, eine schwierige Trennungssituation, finanziell am Limit… mir und auch den anderen beiden wurde recht schnell klar, dass das seine Masche war. Nur warum?
Ein Gespräch mit der Therapeutin meiner Tochter sollte Klarheit bringen und dieser eine Satz, der nie wieder aus meinem Kopf gehen wird:
„Ich kann nicht ausschließen, dass es Übergriffe auf Ihre älteste Tochter gegeben hat.“
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Ich schrie. Ich weinte. Ich wollte mir selbst Schmerzen zufügen, damit ich den innerlichen Schmerz nicht mehr spüren muss. Konnte das sein? Das hätte ich doch mitbekommen? Nein, man bekommt es nicht mit. Dafür gehen Männer wie Marc viel zu perfide und gekonnt vor.
Ich kann gewaltsame Übergriffe definitiv ausschließen, aber wir alle wissen, dass alles was zuvor geschieht eben auch Spuren hinterlässt. Und der bloße Gedanke, was irgendwann mal vermutlich passiert wäre… man kann ihn als Mutter nicht zu Ende denken…
Ich brauchte Tage, bis ich wieder klar denken konnte. Aber wie ein Mosaik setzte sich plötzlich alles zusammen. Wieso hatte er so oft im Gästezimmer geschlafen? Vielleicht, damit es später nicht auffällt, wenn er auch mal ins Kinderzimmer geht. Wieso hatte er immer im Türrahmen gestanden, wenn ich die Kinder abends fertig gemacht hatte? Vielleicht, weil ihm der Anblick gefiel. Wieso hatte er mir so oft gesagt, ich solle doch auch mal alleine abends weg gehen, „um mir etwas Gutes zu tun“? Vielleicht, weil er allein mit ihnen sein wollte. Meine Kinder aber wollten nicht mit ihm allein bleiben. Also ging ich nie aus. Zum Glück! Auch hier deckten sich die Erfahrungen mit den Exfreundinnen 1:1.
Ich ging mit meinem Verdacht zum Kinderschutzbund. Dort erzählte ich 45 Minuten lang über ihn, unsere Beziehung und den Verdacht der Therapeutin. Zwei Damen hörten mir gebannt zu und insgeheim hoffte ich, dass sie mir sagen würden, dass das ja alles sein könne, dass es aber auch eben nicht sein muss. Doch das meinten sie nicht…
„Sie haben uns gerade zu 100 Prozent ein Täterprofil beschrieben“. Das war der Satz, den sie sagten. Ich war erneut völlig vor den Kopf geschlagen. Man gab mir die Nummer der Opferschutzberatung der Polizei. Auch hier die Worte der Kriminalbeamtin: „Dieser Mann ist ein Täter.“
Sie erläuterte mir, dass diese Männer in der Regel Jahre an Vorbereitung investieren, bevor es zur eigentlichen Tat kommt. Meistens reicht den Männern der (normale) Körperkontakt in den ersten Jahren oder das Betrachten der nackten Körper.
Aber ohne Tat gibt es in unserem Rechtsstaat keine Täter. Rechtlich können wir nichts gegen ihn ausrichten. Umso wichtiger ist es, solche Geschichten öffentlich zu machen und Menschen diesbezüglich zu sensibilisieren. Schweigen hilft nur dem (potentiellen) Täter.
Man hat mir dringend davon abgeraten, meine Tochter auf das Geschehene anzusprechen. Und so habe ich auch hier wieder einen Weg finden müssen und gefunden, mit all dem umzugehen. Uns geht es heute gut.
Ich bin froh, (vermutlich) rechtzeitig die Reißleine gezogen zu haben. Ich bin jetzt selbst sensibilisiert. Ich werde vielleicht irgendwann wieder einen Mann in mein Leben lassen, aber es wird sicherlich nie wieder so leicht für jemanden werden, wie es für Marc war. Und das ist gut so.
Ich möchte euch sagen: Hört auf euer Bauchgefühl! Auch als empathische und klar denkende Mutter musste ich erst darauf gestoßen werden, dass ich wohl auf einen potentiellen Täter reingefallen bin.
Die Statistik besagt, dass in jeder Schulklasse oder Kitagruppe ein bis zwei Kinder betroffen sind. Irgendwo sind diese Täter und sie sind nicht in irgendeinem schwarzen Loch und haben „pädophil“ auf der Stirn stehen.
Uns ist leider einer von ihnen viel zu nah gekommen."
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Ihr habt ähnliche Erfahrungen gemacht oder auch ein schlechtes Bauchgefühl? Es gibt Anlaufstellen, an die ihr euch wenden könnt.
Der Deutsche Kinderschutzbund hat ein Elterntelefon eingerichtet: 0800-1110 550
Außerdem hat STIBB – Kinder schützen, Opfern helfen eine Hotline zur kostenlosen beratung eingerichtet: 033203-22674
5 comments
Ein bedrückender aber
Ein bedrückender aber großartiger Artikel. danke für den Mut. Ich habe so etwas ähnliches in unserer Kita erlebt. Der Erzieher hat mit Raffinesse, Intelligenz und Verschlagenheit einige Eltern um Sich „gescharrt“, sich außerordentlich beliebt gemacht und es geschafft, den Rest vom Team unmerklich auszugrenzen und den Kontakt zu diesen Eltern auf ein Minimum zu reduzieren. Und dann hat er sich das „schwächste“ Mitglied aus der „Clique“ ausgesucht (Alleinerziehende Mutter) und hat seinen perfiden Plan verfolgt. Das war , nach dem wir davon wussten,eine schaurige Zeit für uns. Leider hat sich die Mutter dem Team gegenüber nicht in der Kita offenbart und die Eltern der „Clique“haben sie Ihres Bauchgefühls beraubt, in dem gesagt wurde“Du kennst doch deinen Sohn, der lügt doch immer und denkt sich Geschichten aus.
Vielen Dank für
Deinen Mut uns eure Geschichte zu erzählen und den wichtigen Aufruf auf unseren Bauch zu hören!
Ein ganz großartiger und wichtiger Text!!
Hallo Julia
Hallo Julia,
ein wirklich wichtiger Beitrag ! Ich stelle es mir schwierig vor gerade das Diffuse der Situation auszuhalten !
Mich würde interessieren, warum der Kinderschutzbund dir dringend davon abgeraten hat, deine Tochter auf das Geschehene anzusprechen ?
Damit sie nicht mit einem möglichen Missbrauch konfrontiert wird, sofern nichts geschehen ist ?
Damit sie selbst entscheiden kann, ob und mit wem sie sprechen will, sofern ein Missbrauch stattgefunden hat ?
Ich hätte in so einer Situation das Bedürfnis meine Tochter anzusprechen – wenn es nicht sofort sein soll, dann doch sobald die Beziehung länger zurückliegt und meine Tochter älter geworden ist.
LG
Das sagt die Autorin
Wir haben die Autorin mal gefragt. Das schreibt sie: „Warum ich meine Tochter nicht anspreche: Hier kommen mehrere Gründe zusammen. Kinder in dem Alter meiner Tochter und im Grunde auch Kinder generell können diese Übergriffe nicht „erkennen“ im Sinne von einordnen. Oft sind die Handlungen von Tätern und Eltern gleich. Küsse, Umarmungen, Berührungen. Der Unterschied liegt dann einzig und allein in der sexuellen Erregung des Täters und der damit verbundenen Motivation. Daher vermutlich die ständigen Bauchschmerzen meiner Tochter. Das Gefühl, irgendwas fühlt sich nicht gut an, aber die Unfähigkeit es dann zu erkennen oder gar zu benennen. Zum anderen muss man auch immer davon ausgehen, dass er sie unter Druck gesetzt haben könnte. „Wenn du was sagst, dann…“ damit würde man sie dann noch mehr unter Druck setzen, wenn man hier mit der Brechstange rangeht. Ich lege größten Wert auf Grenzen setzen und Grenzen akzeptieren. Keiner macht etwas bei euch was ihr nicht wollt. Auch ich nicht, auch der Papa nicht usw. Sie soll Raum und Zeit bekommen zu erkennen was da passiert ist, wenn etwas passiert ist. Und wenn sie sich irgendwann sicher fühlt und den nötigen Abstand hat, wird sie darüber sprechen. Vielleicht. Wir als Eltern sind für sie da. Das aller aller Wichtigste war, diesen Mann aus unserem Leben zu entfernen. Alles andere braucht Ruhe, Vertrauen und Zeit.“
Danke
Ja, es ist eine besondere Schwierigkeit, wenn das Kind die Situation nicht erkennen bzw. einordnen kann, dann bleibt die Möglichkeit des sich Mitteilens für das Kind versperrt;
bei einem unter Druck gesetztem und mit Sprechverbot belegtem Kind kann es aber auch Entlastung sein, wenn ein vertrauter Erwachsener die Brücke fürs Gespräch baut und das Kind aus seiner vermeintlichen Pflicht zum Schweigen befreit;
es bleibt ein wirklich weites Feld; LG