Ihr Lieben, es ist ja unweigerlich so, dass man als Mutter irgendwann aus seiner Babyblase erwacht und sich der Blick allmählich wieder von der Kleinfamilie erhebt und über den Tellerrand spingst. Huch, was ist denn da draußen eigentlich los? Schnell wieder zurückschauen, Klötzchen bauen. Und dann schaut man doch nochmal drüber und ganz vorsichtig und langsam gewöhnt man sich wieder dran und merkt: Wow, da ist ja echt was los draußen, da mach ich jetzt auch ab und zu mal wieder mit.
Jetzt höre ich grad wieder die Stimmen, die rufen: Neeeee, wer sich so aus dem alten Leben verabschiedet, hat von Anfang an was falsch gemacht. Das finde ich aber nicht. Ist doch klar, dass wir uns vom Honiggeruch unserer Babys erstmal einlullen lassen, dass wir verliebt sind über beide Ohren, dass wir eine Zeitlang gar nichts anderes mehr brauchen. So ist das doch auch gedacht! Und was für eine schöne Zeit!
Und dann ist es wie eine Entdeckungsreise, wenn man seine Fühler wieder nach draußen ausstreckt. Spannend! Kein neues Buch, aber ein neues Kapitel. Natürlich bauen wir auch in diesem noch Klötzchen, aber nicht mehr ausschließlich. Und während wir da auf dem Stein auf Stein stapeln summen wir vielleicht die Melodie unseres neuesten Lieblingsliedes, das wir erst gestern beim Treffen von lieben Freunden lieben gelernt haben. Denken an einer Idee herum, wie wir bei einem Auftrag etwas Tolles reißen können. Oder wir denken an den Film („Aus dem Nichts“), den wir am Wochenende im Kino gesehen haben.
Da war ich doch tatsächlich neulich mit meinem Mann zusammen im Kino! Wir sind einfach nachmittags losgefahren, die Kinder blieben allein zu Hause. Ohne Babysitter. Das hatten wir noch nie. Sie haben sich selber Brote gemacht und durften dann eine DVD schauen. Sie werden jetzt älter und wir üben uns noch in der neuen Freiheit! Und freuen uns wie die Kinder 😉
Und dann fällt dir beim Aufräumen das Babyalbum in die Hände und du denkst wohlig-wonnig an alte Zeiten zurück und dann erzählst du deinen Kindern, dass sie früher immer „deduscht“ gesagt haben statt geduscht und dann lachen sie sich kaputt und durchschauen den Witz. Dann siehst du dir ihre letzte Deutscharbeit an und dann steht da „Reimform: Trochäus“ und du musst heimlich erstmal googlen gehen, was damit wohl gemeint sein könnte und warum das stimmt. Weiß das Kind jetzt ernsthaft mehr als ich?
Und während die Kinder ihre ersten Schritte nach draußen wagen, alleine Straßenbahn und Linienbus fahren, zum ersten Mal mit Freunden (und ohne Eltern!) im Kino verabredet sind und du denkst an deine eigenen Schritte zurück ins Leben, an den ersten Tag im Büro nach neun Jahren Homeoffice, an all die vielen Schritte, die sich auch in unserem Leben wieder neu anfühlen und denkst: Wir sind alle immer auf dem Weg. Wir entdecken alle immer neu. Wir lernen alle immer dazu.
Wie schön ist es bitte, das als Familie zu erleben und sich auf diesen verschiedenen Wegen und bei diesen Erfahrungen Halt zu geben? Sich später davon zu erzählen und zu wissen, dass es da diese Basis gibt, die einen auffängt, wenn etwas Mal nicht so lief wie es sollte? Wir scheren aus wie an einem Kettenkarussell, uns allen weht frischer Wind um die Nase. Wir sehen uns nicht immerzu, sind aber immer fest gebunden. Wie schön das ist, so große Kinder zu haben.
6 comments
Täglich frage ich mich, warum
Täglich frage ich mich, warum die Zeit so schnell vergeht und denke wehmütig an jeden wundervollen Tag mit den Kindern zurück. Dieser Text ist der erste, der mich ein kleines bisschen weniger wehmütig zurückblicken lässt, dafür mit Vorfreude auf das Kommende.
Klugscheißen kann ich
Trochäus ist keine Reimform.
Gegooglet…
Umso krasser, dass das Kind das richtig verwenden kann! Wikipedia sagt: Der Trochäus (griechisch τροχαῖος trochaios „laufend“, „schnell“, lateinisch trochaeus; Plural Trochäen) ist in der quantitierenden antiken Verslehre ein aus zwei Verselementen bestehender Versfuß, bei dem einem Longum (lang/schwer) ein Breve (kurz/leicht) folgt, notiert als —◡. Sein metrisches Gegenstück ist der Jambus (◡—).
so schön geschrieben….
….ein ganz toller Beitrag, vielen lieben Dank dafür!
Meine Tochter wird im Januar 4 und ich liebe es, wie sie Tag für Tag mehr die Welt emtdeckt und stetig auf ihren eigenen kleinen Füßen steht.
Ich mochte allerdings die Babyzeit auch nicht wirklich……
Ein schönes Wochenende,
Evi
Schöner Artikel
Kann ich gut verstehen! Freue mich auch über meine Großen!
So ein schöner Artikel
Ich bin völlig überrumpelt von meinen eigenen Emotionen die dein Text bei mir auslöst. So schön. Der Vergleich mit dem Kettenkarussell ist toll, den behalte ich im Kopf. Viele Grüße