Auswandern nach Texas – alles von vorn! Eva über Abschied und Neuanfang

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Ihr Lieben, einige können sich sicher noch an das spannende "Und Ihr so?" von Eva erinnern, die vor einem halben Jahr von Hannover nach Texas gezogen ist. Weil es uns so gut gefallen hat, haben wir sie gebeten, uns mal genau zu erzählen, wie das alles so war mit dem Auswandern. DANKE für diesen schönen Gastbeitrag, liebe Eva!

 

Wie soll ich das bloß alles schaffen? Noch einmal ganz von vorne anfangen. In einem fremden Land, in einer fremden Stadt, ohne Netz und doppelten Boden. Ohne meine Familie, ohne meine Freunde, die mich immer aufgefangen und weiter getragen haben. Ihre Unterstützung ist mir stets gewiss, aber die tausende Kilometer, die jetzt zwischen uns liegen, machen es nun einmal unmöglich, mal eben kurz vorbei zu kommen. Für eine tröstende Umarmung, für ein aufbauendes Gespräch, einfach für ein „Du bist nicht allein“. 

Wir sind erst einmal ganz allein. Nur wir drei. Angekommen in Texas.

Das ist jetzt sieben Monate her. Vor sieben Monaten haben wir uns am Flughafen in Hannover unter Tränen von unseren Freunden und unserer Familie verabschiedet. Vor sieben Monaten sind wir nach zehn Stunden Flug völlig erschöpft und übermüdet in Houston, unserer neuen Heimat, angekommen. Mit sieben Koffern. Vollgestopft mit so vielen Erinnerungen an unser „altes“ Zuhause wie nur irgend möglich. Als eine Art emotionaler Starthilfe in unser neues Leben. Die erste Station unseres neuen Lebens führte uns in ein kleines Appartement. Für den Übergang. Mit Möbeln, die sich überhaupt nicht nach uns angefühlt haben. Ein Start ohne ein Zuhause. So hat es sich zumindest für mich angefühlt. 

Wir sind ins kalte Wasser gesprungen. Geschmissen wurden wir nicht. Wir wollten das ja so. 

Eben noch umringt von unseren Liebsten, in einer Stadt, die uns vertraut war, mit der Bar, in der mein Mann und ich uns kennen gelernt haben, mit dem Krankenhaus, in dem unser Junge geboren wurde, mit dem Haus, in dem wir als Familie zusammen gewachsen sind. 

Und jetzt in der Fremde. In einer Stadt, die ich kaum kenne. In einer Wohnung mit Möbeln, denen nicht unser Geruch anhaftet. Herzlich Willkommen im neuen Leben. In einem Leben, dass sich noch überhaupt nicht nach unserem Leben anfühlt. Erschöpft und traurig, überfordert mit all dem Neuen. Angst vor dem, was noch alles vor uns liegt. 

Aber auch voller Vorfreude, Neugierde und Abenteuerlust. Alles zusammen. Großes Gefühlschaos. 

Ein Neustart. Mit vielen ersten Malen. Vor denen ich wirklich große Angst oder zumindest großen Respekt hatte. Denn das bedeutet ja neues Terrain zu betreten. Seine Komfortzone zu verlassen. Etwas wagen, etwas riskieren. Sich wieder „klein“ fühlen. Neue Herausforderungen annehmen. Alles auf Anfang.

Heute weiß ich: Es bedeutet auch wunderbare Dinge zu erfahren, neue Menschen kennen zu lernen, den Horizont zu erweitern, neue Erinnerungen zu schaffen, über sich hinaus zu wachsen, stärker zu werden, pures Glück zu erleben. 

Wenn ich jetzt, aus meiner neuen Komfortzone heraus, auf die letzten sieben Monate mit all ihren ersten Malen zurück blicke, denke ich bei mir: So schlimm war das alles gar nicht. Jetzt kann ich das sagen. Jetzt sind die meisten ersten Male – und die allerersten ersten Male sind ja immer besonders herausfordernd – geschafft. Aber in den ersten Wochen hier in Texas, zwischen nachhallendem Abschiedsschmerz und neuen Aufgaben, mittendrin im Gefühlschaos, war vieles ziemlich schwierig. 

Besonders schwierig für meinen Jungen und für mich war die Eingewöhnung in seinen neuen Kindergarten. Alles war so komplett anders als wir es aus Deutschland gewohnt waren: Hier hat Linus einen richtigen Stundenplan. Alle dreißig Minuten ein neues "Fach", ein neuer Lehrer, ein neuer Raum. Ein zunächst sehr befremdliches System. Es wird nicht einfach "nur" gespielt. Es wird gelernt, alles straff durchgetaktet. Sogar die sehr knapp bemessenen "Spieleinheiten" sind straff organisiert. Und das alles in einer völlig fremden Umgebung, mit fremden Gesichtern und einer Sprache, die mein Junge überhaupt nicht versteht. Und mit Erziehern, die ihn nicht verstehen. Das hat ihn und auch mich schlicht überfordert. Und deshalb konnte ich ihn auch nicht einfach hinbringen und wieder weg fahren. Stattdessen war ich wochenlang mit dabei, habe möglichst unauffällig in einer Ecke gesessen, um ihm in der Fremde ein kleines bisschen Sicherheit zu geben. Die ersten "Trennungsversuche" waren ziemlich schlimm. Für meinen Jungen und für mich. Das hatten wir doch alles schon. Damals in der Krippe. Und jetzt wieder. Er hat geweint und ich habe geweint. Später dann. Und möglichst unauffällig. Irgendwann – endlich! – konnte ich ihn wenige Stunden "alleine" lassen. Nur unter Tränen versteht sich. Aber irgendwann wurden unsere Tränen immer weniger. Und nach weiteren Wochen hatten wir es mit Hilfe der wunderbaren Erzieher geschafft. Mein Junge war soweit. Er hatte die Hürde genommen. Und nicht nur das: Er fühlt sich richtig wohl, hat viele Freunde gefunden und geht gerne in seinen neuen Kindergarten. Und er lernt dort englisch, macht große Fortschritte. Heute versteht er und wird verstanden.

 Wie gut. Denn die Sprachbarriere war auch bei seinen ersten Playdates ein größeres Problem: Die meiste Zeit habe ich aus dem Kinderzimmer entweder ein sehr aufgebrachtes "No" oder ein sehr aufgeregtes "look, look, look" von meinem Jungen gehört. Mehr war nicht drin. Die Kinder konnten sich im Prinzip nur mit Händen und Füßen verständigen. Und das hat zu manchem Missverständnis geführt. Und zu Streit. Und zu lautem Geschrei. Und manchmal auch zu kleineren Handgreiflichkeiten. Und dabei hatten wir in Deutschland die Trümmerfelder, die Verletzungen und all die anderen Katastrophen, die ein neues Playdate mit sich bringen kann, weitestgehend hinter uns gelassen. Statt entspannter Nachmittage für alle Beteiligten hatten wir in unserer Anfangszeit einige vermurkste Spielverabredungen. Aber mein Junge, seine Freunde und wir Mütter haben nicht aufgegeben und uns zusammen gerauft. Und mittlerweile haben wir alle immer öfter ziemlich entspannte Nachmittage.

 Heute spricht Linus schon ziemlich gut Englisch. Manchmal fällt es mir gar nicht mehr auf, wenn er zuhause in eine Art "denglisch" verfällt oder ganze Sätze auf englisch spricht (zuhause sprechen wir eigentlich ausschließlich deutsch miteinander). Seine ersten englischen Sätze haben sich aber in mein Gedächtnis gebrannt: Abends beim ins Bett bringen nahm er mich ganz fest in den Arm und flüsterte mir ins Ohr: "See you tomorrow. I love you, Mama". Ein ganz wunderbares erstes Mal, das mich zu Tränen gerührt hat.

 Ein wunderbares und trauriges "erstes Mal" zugleich war unser erstes Weihnachtsfest hier in Houston. Wir waren gerade mal vier Wochen hier. Alles war noch so neu und so fremd, der Trennungsschmerz und die Sehnsucht nach den Liebsten noch groß. Inzwischen waren wir zwar aus dem "Übergangs-Appartement" in unser Haus gezogen, aber eingerichtet war noch nichts. All unsere Möbel und Sachen aus Deutschland steckten noch irgendwo in einem großen Container in Bremerhaven fest. Wir hatten also nur Betten, ein Sofa, einen Sessel, ein paar Stühle, einen kleinen Tisch – das wars. Ein richtiges Zuhause war das nicht. Und das ausgerechnet an Weihnachten. Immerhin hatte ich kistenweise Weihanchtsdeko gekauft und unser Haus so in ein glitzerndes und blinkendes und sehr amerikanisch-kitschiges Weihnachtsparadies verwandelt. Es war schon komisch Weihnachten so weit weg von den Liebsten zu verbringen. Um die große Entfernung wenigstens ein bisschen zu überbrücken und das Heimweh nicht zu groß werden zu lassen, haben wir am Weihnachtsabend mit unseren Familien via Skype gesprochen. Ein kleines Gefühl der Nähe. Immerhin.

Den nächsten Weihnachtstag haben wir dann nicht mehr alleine verbringen "müssen". Eine Familie, die wir erst kurz zuvor kennen gelernt hatten, hatte uns spontan zum Weihnachtsessen zu sich nach Hause eingeladen. Sie sagten, dass wir Weihnachten nicht alleine verbringen dürften. Eine wunderbare Erfahrung. Gerade an Weihnachten.

 Ohnehin wurden wir hier mit offenen Armen empfangen: In den letzten Monaten haben wir viele liebe Menschen getroffen, die uns gerade in der Anfangszeit sehr geholfen haben. Sie haben letztendlich auch dazu beigetragen, dass wir uns hier nun Zuhause fühlen.

 Den zunächst unendlich hoch erscheinenden Berg aus Hürden, neuen Aufgaben und unzähligen ersten Malen haben wir mittlerweile bezwungen. Längst haben wir unsere Social Security Number und die Texas Driver License (zwei Dokumente, ohne die hier gar nichts geht). Und auch der zum Teil holprige und nervenaufreibende Start mit Banken und Versicherungen ist Geschichte. Wir haben einen Kinderarzt für Linus gefunden, haben unsere erste Saison Baseball gespielt und haben Linus das Schwimmen und Fahrrad fahren beigebracht. Ich habe einen Frisör für mich gefunden weiß jetzt auch das vier inch keine vier Zentimeter sind. Und mittlerweile sind die Haare auch wieder nachgewachsen. In unserer näheren Umgebung finde ich mich sogar schon ohne Navigationssystem zurecht und in die große Stadt kann ich auch, ohne dass ich gleich Schnappatmung bekomme, fahren.

 Vor sieben Monaten sind wir in Texas angekommen. Mit vielen Sorgen und Ängsten. 

Jetzt sind die Sorgen und Ängste viel kleiner geworden. Das Glücksgefühl und die Freude überwiegen inzwischen. All die neuen ersten Male liegen hinter uns. Und viele andere erste Male werden noch kommen. Aber jetzt weiß ich, dass das alles nicht so schlimm ist.

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2 comments

  1. danke,
    wir ziehen nämlich auch bald um und mich überrumpeln auch immer wieder diese Gfühle, ob ich/ wir das alles schaffen! Das macht Mut! Auch wenn bei bei mir gerade die Tränen fließen, aber bestimmt nur, weil es so schön geschrieben ist!

    1. Ihr schafft das!
      Egel wie groß der Berg scheint, den es noch zu erklimmen gilt, es ist machbar. Mit Liebe, Leidenschaft, viel Geduld und Optimismus.
      Ganz bestimmt.
      Ich hatte vor diesem Schritt soooo große Angst. Und jetzt? Jetzt ist alles schön. Und ich bin sehr froh, dass wir es gemacht haben.

      Liebe Grüße aus Texas