Ihr Lieben, keine Frau macht sich die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch leicht und noch immer ist es ein Tabuthema. Wir müssen aber darüber sprechen, deswegen berührt es uns sehr, wenn sich Frauen hier bei uns öffnen, damit sich auch andere Betroffene nicht so allein fühlen müssen. Hier erzählt uns unsere Leserin, wie schwierig es mitunter auch sein kann, unter Zeitdruck Hilfe zu bekommen:
Ihr Lieben, ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, euch meine Geschichte zu erzählen. Zum einen, weil ich dachte, ich komme nicht in so eine Situation und zum anderen, weil ich durchaus sehr ambivalente Gefühle dazu habe.
Wenn man in unserer Gegend wohnt, kommt man nicht drumherum, den Namen einer bestimmten gynäkologischen Praxis schon mal gehört zu haben. Deren Ärztin ging vor einiger Zeit durch die Medien, weil sie dafür angeklagt wurde, in ihrer Praxis „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche zu machen… Vor vielen Jahren hätte ich noch nicht ahnen können, wie wichtig diese Information mal für mich werden würde.
Zu mir: Ich bin 38 Jahre alt, verheiratet, habe zwei Kinder – eine 12jährige Tochter und einen 6jährigen Sohn, ich arbeite als Sozialarbeiterin für einen psychosozialen Verein und begleite im ambulanten Bereich Menschen mit einer psychischen Behinderung. Klingt eigentlich echt super. Bis zu den Herbstferien im letzten Jahr.
Ich stellte fest, dass meine Regel eine Woche überfällig ist. Zuerst redete ich mir ein, dass ich jetzt in ein Alter komme, wo das mal passiert. Dann setzten die ersten mir sehr vertrauten Schwangerschaftssymptome ein. Ich besprach das mit meinem Mann und für uns war klar, wir möchten kein weiteres Kind.
Obwohl wir sehr gut verhüten (denn ich hatte schon einmal eine Abtreibung kurz nachdem mein Sohn geboren war – eine Saugkürettage – das wollte ich nicht nochmal) waren wir verblüfft, wie uns das noch einmal passieren konnte.
Ich kaufte in einer Drogerie einen Test, diesen machte ich dann auf der Toilette im Thalia. Ich konnte nicht warten und wollte auch nicht, dass meine Tochter eventuell die Verpackung im Müll sieht. Ich wollte, dass einfach niemand davon weiß. Ich schämte mich, dass ich nochmal in dieser Situation war.
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Der Test zeigte an, was wir befürchtet hatten. Ich schickte meinem Mann ein Foto vom positiven Test und entsorgte den Test sofort im Mülleimer der Toilette, als könnte das auf einen Schlag meine Probleme lösen. Natürlich war es ein Samstagnachmittag.
Mein Mann versuchte, mich zu beruhigen, dass wir das doch schnell irgendwie zusammen schaffen. Das machte mich wütend. Nein, ich würde am Montag in der Frauenarztpraxis anrufen müssen und mein Anliegen besprechen müssen, ich musste im Grunde zeitgleich einen Termin bei einer Beratungsstelle machen – drei Tage verstreichen lassen und überlegen, wie ich schnellstmöglich einen medikamentösen Abbruch vornehmen lassen kann.
Zum Glück können wir uns den Schwangerschaftsabbruch „leisten“
Meine Gedanken drehten sich nur noch darum, einzig der Gedanke, dass ich es mir „leisten“ kann, den Abbruch sofort bar zu bezahlen und nicht noch bei der Krankenkasse einen Antrag zu stellen, half mir. Montags meldete ich mich krank, ich log: verdorbenes Essen. Ich schämte mich abgrundtief, ich habe tolle Kollegen und einen tollen Arbeitgeber. Ich bin so gut wie nie krank und es fühlte sich falsch an.
Montags rief ich in der oben erwähnten Praxis an, die einzige hier in der Gegend, die direkt vor Ort die Tabletten aushändigen darf, um den medikamentösen Abbruch einzuleiten. Doch zu meinem Pech hatte ich die einzige Woche Praxisurlaub erwischt. Das bedeutete, dass ich eine Überweisung von meinem Frauenarzt zur einzigen gynäkologischen Tagesklinik brauchte.
Wenn man in meinem Bereich arbeitet, kennt man sich – ich habe schon viele Klientinnen begleitet. Da ist es natürlich ziemlich unangenehm, nun als selbst Betroffene Privatperson dort gesehen zu werden, schlimmstenfalls läuft man noch Kollegen über den Weg, die dort gerade irgendwen begleiten.
Ich machte also um 8 Uhr den Termin bei meinem Arzt, besorgte mir für 9 Uhr einen Termin bei der Beratungsstelle. Ich wählte die einzige, zu der ich noch nie eine Klientin hinbegleitet hatte und hoffte, keinem Kollegen oder Klienten zu begegnen. Um 9.30 Uhr hatte ich eine Überweisung für die Tagesklinik und einen Beratungsschein. Ich rief sofort in der Klinik an.
Was für mich auch eher ungünstig war: Die 3-Tage-Frist. Frühstens Donnerstag hätte ich einen Termin bekommen können. Besagter Donnerstag war ein Feiertag. Es kam der Freitag in Frage. Ich bat um einen Termin um 9 Uhr mit der Begründung, dass mein Mann dann mitkommen könne.
Da ich auf der Arbeit relativ flexibel sein kann, meldete ich mich ins Homeoffice ab, um den Tag über die Dokumentation zu machen. So standen wir zusammen um 9 Uhr in der Tagesklinik. Sehr charmant, man kann sofort in bar bezahlen.
Es gibt eine kurze Untersuchung bzw. einen Ultraschall und dann ein kurzes Gespräch mit einem Arzt. Ein halbes Glas Wasser, die erste Tablette und den Aufklärungsbogen. 48 Stunden später soll die zweite Tablette genommen werden – das wiederum geht zu Hause.
Mit einer Quittung über 280 Euro, der zweiten Tablette sind wir dann nach Hause gefahren. Ungefähr 90 Minuten später fing ich an, mich zu übergeben. Dieser Zustand hielt den restlichen Freitag und Samstag an. Mein Mann versuchte so gut es ging, die Kinder zu beschäftigen.
Meine Tochter ließ sich nicht so leicht abwimmeln mit „Mama ist krank“. Sie fragte, wo wir gewesen waren am Freitag, als sie auf den Hund aufgepasst hatte und sagte offen, dass sie fände, wir würden uns merkwürdig verhalten. Da realisiert man, dass Kinder sehr viel mehr mitbekommen als man manchmal wahrhaben möchte.
Ich beschloss, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie konnte meinen Wunsch nachvollziehen und meinte mit ihrem sehr trockenen Humor, dass sie sich auch für zu alt hält, um nochmal große Schwester zu werden und umziehen fände sie auch nicht so gut – es wäre nur logisch, dass unsere Wohnung für eine weitere Person ja auch zu klein wäre. Wir würden aber unsere Traumwohnung, für die wir lange gesucht hatten, nicht aufgeben. Mich beruhigte da, dass sie einfach so ein kleiner analytischer „Nerd“ ist.
Sonntag nahm ich um 8.30 die Tablette und hoffte, dass ich sie bei mir behalten würde. Es gibt ja nur diesen einen Versuch. Gegen 11 Uhr setzte die Blutung ein. Zwischen Übergeben und Bluten bat ich meinen Mann, mit den Kindern und dem Hund einen Ausflug zu machen. Ganz recht war es ihm nicht, aber auch ihm war klar: Ich brauchte unser Badezimmer und wollte nicht, dass unser 6Jähriger mich so sieht.
Zwischen Übergeben und Bluten kauerte ich immer mal wieder auf dem Teppich im Bad. Ich weiß noch, als wie erlösend ich es empfand, abends einfach wieder als ich selbst schlafen zu gehen. Montag bin ich zur Arbeit gefahren als sei nie etwas gewesen…
Warum ist mir so wichtig zu erzählen was mir passiert ist? Allein durch mein berufliches Wissen war es mir möglich, sehr schnell zu reagieren und genau zu wissen, was benötigt wird. Was ist mit Frauen, die jünger sind oder nicht so viel Zugang zu Informationen haben?
Schwangerschaftsabbrüche sind in der Gesellschaft immer noch ein Tabuthema. Die Hürden für Abbrüche immer noch hoch. Finanziell ein Desaster. Entweder man hat das nötige Kleingeld oder man muss über die Krankenkasse einen Antrag stellen.
Bei einem Abbruch ist Zeit etwas, das man einfach nicht hat. Bei einem medikamentösen Abbruch läuft einem noch schneller die Zeit davon. Es ist nicht einfach so möglich, sich anonym für einen Abbruch zu entscheiden.
Manchmal scheitert es daran, dass man nicht sofort einen Termin beim Gynäkologen bekommt. Mir wäre Aufklärung und einfacher Zugang so wichtig. Jede Frau sollte sich ohne Scham entscheiden können, was sie mit ihrem Körper macht. Jede Frau hat ein Recht, richtig informiert zu werden. Keine Frau sollte so viele Hürden überwinden müssen, wenn sie eine Entscheidung getroffen hat.
Ich hoffe, ihr könnt meine Gefühle ein bisschen nachvollziehen. Als Mutter einer Tochter wünsche ich mir, dass sie immer frei entscheiden kann. Dass das Recht an ihrem Körper immer nur bei ihr liegt. Und dass sie sich niemals schämen muss, eine Entscheidung zu treffen…