Familiäre Kleinwüchsigkeit: Alle 2 Köpfe größer als mein Sohn

Familiäre Kleinwüchsigkeit

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Ihr Lieben, als wir neulich in einer Instastory darauf hinwiesen, wie sehr beim TV Duell der Kanzlerkandidaten der Größenunterschied zwischen Scholz und Merz auffällt, meldete sich eine Mama und wies uns darauf hin, dass so ein Größenvergleich verletzend sein kann. Durch eine familiäre Kleinwüchsigkeit sei ihr Sohn Niklas nämlich auch deutlich kleiner als andere – und habe dadurch im Alltag ordentlich mit Vorurteilen zu kämpfen.

Wir lieben es, durch solche konstruktive Kritik auch unsere eigene Wahrnehmung zu schärfen und für Themen sensibilisiert zu werden. Lest mal, wie sich das für ein heranwachsendes Kind anfühlen kann, wenn immer alle größer sind als es selbst… Danke für diese wertvollen Einblicke, die uns wirklich nur lehren können, achtsamer durch den Alltag zu gehen.

Familiäre Kleinwüchsigkeit: Alle 2 Köpfe größer als mein Sohn

Jugendlicher
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Hallo ihr Lieben, danke für die Möglichkeit, hier über mein Leben als Mutter mit meinem familiär kleinwüchsigen Sohn Niklas zu berichten. Im Gegensatz zur Achondroplasie – das ist die Art Kleinwuchs, die man aus Film und Fernsehen kennt und bei der Erwachsene so um die 1,20m groß sind – ist der familiäre Kleinwuchs relativ unbekannt.

Im Fall unseres Sohnes heißt das: 97% seiner Altersgruppe sind größer bis wesentlich größer als er. Wenn er neue Menschen kennenlernt, wird er zunächst einfach für viel jünger gehalten. Er ist so groß wie der 6jährige Bruder von seinem Freund. Mein Sohn wird aber jetzt 12 und ist 1,36m groß.

Niklas ist jetzt in der 5. Klasse und trug bis vor kurzem noch Hosengröße 128. Als er bei einer der regelmäßigen Untersuchungen bei unserer Kinderärztin unter die 3. Perzentile rutschte, machten wir einen Termin beim Hormonspezialisten für Kinder in der nächstgrößeren Stadt aus.

Der Arzt blieb jedoch sehr entspannt, maß Arme und Beine, schickte uns zum Röntgen, fragte ganz viel, nahm Blut ab und schickte uns am Ende mit der Diagnose „familiärer Kleinwuchs“ nach Hause. Keine medizinische Intervention nötig. 

Tatsächlich bin ich mit 1,68m für eine Frau normal groß. Mein Mann ist aber auch nur 1,65m groß, ebenso wie mein Vater und mein Bruder. Ich dachte mir schon, dass es vielleicht bei uns einfach so ist, wie es eben ist, wollte aber dennoch natürlich zur Sicherheit eine medizinische Abklärung. Und wenn man das so liest, klingt das ja auch erstmal gar nicht so schlimm.

Überlegt man sich allerdings, mit wie vielen gesellschaftlichen Klischees gerade die Körpergröße bei Männern behaftet ist, wird es wirklich unschön. Gefühlt jede Frau gibt bei der Partnerwahl als Hauptmerkmal an:  Er muss größer sein als ich! Die meisten von Niklas´ zahlreichen Freunden ist zwei Köpfe größer als er – und auch kräftiger vom Körperbau her.

Bis jetzt ist mein Sohn zum Glück trotzdem annähernd mobbingfrei durchgekommen. Spitznamen wie „Mini-Mensch“ oder „Kleinkind“ lächelt er tapfer weg. Ich bringe ihm bei, aus was es im Leben wirklich ankommt: dass du nett und freundlich bist, dass es dir gut geht und dass alle Menschen verschieden sind im Aussehen und im Charakter. Jeder und jede ist gut so, wie er oder sie ist.

Mein Sohn sieht halt einfach jünger aus als Gleichaltrige, entwickelt sich aber in seinem Tempo völlig normal. Er ist ein glücklicher, sportlicher, aktiver Junge mit mehr Freunden als in eine Woche passen und es fehlt ihm eigentlich an nichts.

Was mich wirklich ärgert sind dann oft die Kommentare von Erwachsenen. Völlig ungefragt haut eine Mutter bei der ersten Spielverabredung zur Begrüßung raus: „Der ist aber klein“. Am liebsten möchte ich dann rufen: „Ja natürlich, du bist die Erste, der es auffällt!“

Und das ist nur ein Beispiel von vielen, die wir täglich erleben. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem sich Niklas nicht wünscht, so groß zu sein wie seine Freunde. So auszusehen wie seine Freunde. Er fragt mich jeden Tag, wann er endlich wächst. Da kann ich ihm noch so viel Toleranz vorleben, die Gesellschaft spiegelt ihm etwas anderes. 

Niemand würde so offensichtlich Körpergewicht oder hoffentlich auch nicht die Hautfarbe kommentieren.  Achtsamkeit und Toleranz hören aber bei der Körpergröße auf. Das macht mich so unendlich traurig.

Es wäre schön, wenn es viel mehr thematisiert werden würde, wie verletzend diese offensichtlichen Kommentare sind. Jeder Mensch weiß, wie er aussieht und welchen gesellschaftlichen Schönheitsidealen er entspricht oder eben in den meisten Fällen einfach auch nicht. Da braucht wirklich niemand einen Kommentar zu.

Jeder sieht in der Gruppe der Jungs, wer am kleinsten ist. Meint denn wirklich irgendjemand, dass es ausgerechnet seinen Kommentar dazu braucht? Ich möchte für das Thema sensibilisieren und zum Nachdenken über vielleicht eigene versteckte Vorurteile anregen.

In der persönlichen Begegnung ist es schön, wenn man angenommen wird, wie man ist… ohne ungefragt darauf hingewiesen zu werden, wie man aussieht. Es ist einfach noch ein langer Weg, bis wir wirklich auch im Alltag achtsamer miteinander umgehen, aber wir können täglich damit starten. Wollen wir zusammen loslegen?

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Schule
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9 comments

  1. Ja, den Scholz-Merz-Größenwitz fand ich auch sehr Banane. Wenn das zwei Frauen gewesen wären…
    Sowas macht mir auch immer große Bauchschmerzen, denn auch mein Sohn ist sein Leben lang auf der 2.-3- Perzentile unterwegs und jetzt mit 12 Jahren auch körperlich noch seeehr weit von der Pubertät entfernt. In der Familie wird langsam und bis in die 20er hinein gewachsen. So lange unreflektiert, Größe mit Dominanz und irgendwie „besser sein“ konnotiert wird, so lange es in Ordnung ist, es witzig zu finden, dass kleine Männer klug und ambitioniert auftreten, so lange wird es für meinen Sohn in dieser Hinsicht auch schwer werden. Inklusive der Tatsache, dass Jungs sowas abkönnen (müssen). Wäre er halt nicht so klein (hä?).
    Schade, denn sowas könnte Jede*r sich ja eigentlich auch so langsam denken, dass nicht nur für Mädchen Body-Shaming schädlich ist.

  2. Auch unser Sohn (13 1/2) ist für sein Alter sehr klein und leicht (nach einem für seine Verhältnisse ordentlichen Schub in den letzten Monatan nun immerhin etwas über 1,50) und dazu auch noch einer der jüngsten in seiner Klasse. Am Anfang – das darf man auch nicht vergessen, war das Kleinsein total positiv besetzt: „oh, was ist der süß“, „der kann das aber schon toll“ etc., dann war es viele Jahre kein Thema, da es immer noch einige Mädchen gab, die ähnlich klein waren. Seitdem alle Mädchen längst und von den Jungs um ihn herum die Meisten in der Pubertät sind, die bei ihm (wie zuvor auch bei seinen Eltern und Onkeln) nur sehr zögerlich einsetzt, und der Größenabstand immer mehr zugenommen hat, waren die Probleme sehr plötzlich da: das Klassenarschloch hat ihn als Mobbingsopfer auserkoren, der Fußballtrainer stellt ihn seit dem Wechsel in die C-Jugend kaum noch auf, da die Gegner teils noch mal 1,5 Jahre älter und entsprechend größer und schwerer sind („da fehlt einfach im Moment die Körperlichkeit“) und die anderen Jungs haben gerade andere Themen als er, so dass er auch bei langjährigen Freunden außen vor ist. Dennoch sehe ich auch die Vorteile: Dinge wie Alkohol sind für ihn noch gar kein Thema, während drumherum das unbedingt probieren wollen einsetzt, er kann sich von den unausgesprochenden Regeln der coolen Jungs in der Klasse freimachen (die die mündliche Mitarbeit teils komplett eingestellt haben) etc. Dass auch solche Phasen später einsetzen sehe ich als großes Glück für ihn an.

  3. Mein Sohn ist auch einer der kleinsten seiner Klasse .Steht beim Klassenfoto immer in der ersten Reihe. Mein Spruch zu allen ungefragtfen Kommentaren ist.Köperliche Größe ist nicht GLEICH
    geistiger Größe.

    1. Mein Sohn – ebenfalls mit 1,42 m und 12 1/2 Jahren sehr klein – haut bei Hänselein schon mal einen Spruch raus. Einer davon: „Schönheit braucht Zeit“… Als ich den gehört habe, musste ich grinsen. Gut so, dachte ich mir. Aber auch ihm macht die Körpergröße zu schaffen. Freunde sind 1 bis 2 Köpfe größer und es wächst bei ihm der Kummer, dass er vermutlich die Körpergröße nicht aufholen können wird, sondern immer wesentlich kleiner sein wird.

  4. Wir kennen tatsächlich den umgekehrten Fall und fanden das auch nicht immer einfach. Unser Sohn kam mit 58cm auf die Welt und sah damit aus, wie die meisten Babys mit ca. 3 Monaten. Auch wir bekamen diese dummen Kommentare zu hören, die z.T. verletzend waren. Unser Junge wurde immer für älter geschätzt, was gerade in Trotzphasen schwer war, weil selbst Erzieherinnen im Kindergarten mit ihm einfach nicht so milde waren wie mit einem kleineren Kind.
    Wahrscheinlich wird alles abseits vom mainstream immer schwierig sein.
    Umso schöner, dass ihr euren Sohn da so stark macht und er damit wohl auch gut durchkommt. Alles Gute für euch!

  5. Oh ja, danke für diesen Artikel! Diese Aufmerksamkeit auf die Größe gibt es wirklich immer und überall! Wir sind ebenfalls eine Familie, die von familiären Kleinwuchs plus spät einsetzender Pubertät betroffen ist. Ich bin 1,63 m und mein Mann 1,70 m. Meine Tochter ist jetzt mit 11 Jahren 1,32 m und mein Sohn mit 14 Jahren 1,52 m, aber der Schub bei ihm auf über 1,50 m kam erst vor 6 Monaten. Dazu sind beide echt leicht, meine Tochter wiegt 27 kg. Es vergeht kein Tag, an dem es nicht irgendeinen Kommentar gibt. Mir wurde sogar im Kleinkindalter von mehreren Ärzten unterstellt, dass ich die Kinder „zu gesund“ ernähre. Ich solle ihnen doch mal Schokolade/ Butter/ Grießbrei etc. geben. Ganz ehrlich, das ist frech! Zumal der eine Arzt auch klein und pummelig war, meinte ich zu ihm, dass es doch keinen Sinn hat den Geschmackssinn von Kleinkindern auf süß und fettig zu trimmen, nur damit sie in Perzentilen passen. Das kommt später und von ganz allein und dann geht’s nur noch in die Breite, das müsste er doch selber wissen! Wir waren auch in der Wachstumssprechstunde und haben eigene Kurven für unsere Familie bekommen, da passen beide super rein! Meine Tochter haut jedem, der ihr ihr Alter nicht glaubt oder sonst einen blöden Kommentar abgibt den Spruch um die Ohren: Unkraut wächst schneller als Rosen! Und mein Sohn hat zum Glück in seinem Umfeld genug Freunde, denen seine Größe egal ist. Doch beim Fußball hatte er echt mal ein halbes Jahr dolle mit seiner Statur zu kämpfen. Er wurde beim Übergang der D- Jungend schon zur C1 Mannschaft seines Vereins gegeben, weil es ihm der Trainer der D Jugend zugetraut hat. Er war teilweise mehr als 2 Köpfe kleiner als seine neuen Mannschaftskollegen und hat dem neuen Trainer doppelt und dreifach beweisen müssen, wie gut er ist. Er hat es geschafft, hat dann in der 2. Hälfte der Saison Stamm gespielt und trotzdem hörte ich die Mütter der alten Hasen oft am Rande des Spiels sagen: Wahnsinn, wie gut er ist, obwohl er so klein ist! Da habe ich immer gesagt: Nicht obwohl, weil er so klein ist, ist er so wendig und schnell! Er ist zum Glück noch immer begeistert beim Fußball dabei! Jetzt mit 14 kommet allerdings noch der Falt hinzu, dass er noch eine helle Stimme und noch nicht diesen Haarwuchs hat. Daher wird er zur Zeit auch immer für extrem jünger gehalten. Was wir natürlich gerne bei Eintrittspreisen ausnutzen, so zu sagen als Revanche dafür, dass es so viele Vorurteile bei den Menschen in Bezug auf Größe gibt! Also alles Gute für Deinen Sohn, stärke ihm immer den Rücken! Ihr seid nicht allein! Meiner hat mich sogar mal gefragt, warum sein Papa so klein ist, da habe ich ihm gesagt, weil er so toll ist! Und wahre Größe sich nicht in der Körpergröße zeigt!

  6. Unsere Tochter scheint ähnlich zu sein. Unser Kinderarzt hat darauf verzichtet, uns zu einer Diagnostik zu schicken, da mein Mann und seine Familie alle recht klein sind. Sie wird nächste Woche 11, ist ein bisschen über 1,30m und 128 passt tatsächlich oft noch. Sie ist es gewöhnt, klein zu sein.

  7. Vielen Dank für diesen Beitrag. Meine Familie betrifft es in der umgekehrten Richtung. Mein Mann ist 2 Meter, ich bin 1,80 groß. Unsere Kinder (14 und 12) gehören zu den Größten der Klasse und meine Tochter (14) wurde auch schon von Erwachsenen als „Giraffe“ bezeichnet. Ich selbst habe mir leider eine etwas gebückte Körperhaltung angewöhnt, um nicht aufzufallen. Ich halte es so: Äußerlichkeiten, die nicht innerhalb von 5 Minuten geändert werden können (Zahnpasta am Mund, Popel an der Nase etc.) sind einfach nicht zu kommentieren. Ende.

  8. Vielen Dank für diesen ehrlichen Bericht. Mein Sohn ist 3, wird bald 4 und bei allen U’s immer zwischen der 3. und 10. Perzentile. Ich kenne das Thema Kommentare so gut. Auch von manchen guten Bekannten, die uns eigentlich schon lange kennen, muss dann der Kommentar kommen, dass der 1,5 jährige (seinerseits sehr gross) ja fast so groß ist wie meiner. Da denkt man sich nur „Danke vielmals, eine tolle Leistung“. Sie weiß doch, dass mich das Thema Körpergröße bei ihm umtreibt. Deswegen vielen Dank für diesen Bericht. Ihr seid nicht alleine. Ich Versuche, meinem Sohn beizubringen, dass man zwar das Äussere anderer Menschen registriert aber den Menschen nichts dazu sagt (außer, es ist was positives), da es den anderen verletzen kann und der sein Aussehen ja nicht ändern kann. Bei uns geht es momentan noch, im Kindergarten sind die Kinder tolerant. Ich kenne aber die Hänseleien in der Schule zur Genüge. Auch das Thema „Partner“ (bei uns freilich noch sehr weit weg) macht mir Gedanken, aus demselben Grund wie der Autorin. Ich bin daher auch für jeden dankbar, der die Grösse nicht zum Thema macht. LG und alles Gute

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