Ihr Lieben, auf die Leserinnenfrage, ab wann Eltern ihr Kind Silvester mit Freunden feiern lassen gab es viele Reaktionen von euch. Wir wollten es jetzt mal genauer wissen… von einer Expertin. Inke Hummel ist Familienberaterin, hat selbst drei große Kinder und sowohl ein Buch zu Ängsten als auch eines zur Pubertät geschrieben. Sie war so lieb, uns mitten im Weihnachtstrubel noch unsere Fragen zu beantworten. Danke dafür und wunderschöne Feiertage!
Liebe Inke, der Sohn einer Leserin möchte Silvester mit Freunden feiern. In einer Leserfrage sorgte sie sich, weil da auch getrunken wird (dem Sohn ist es verboten) und weil er ein Feuerteufel sei und sie Verletzungen fürchte. Kannst du diese Sorgen ein Stückweit nachvollziehen?
Ich arbeite ja sehr viel mit Familien, die jugendliche Kinder haben, habe auch selbst drei Söhne im Alter zwischen 15 und 19 und ich war vor allem selbst mal in dem Alter mit einem lebenslustigen Freundeskreis – von daher kann ich die Sorgen durchaus nachvollziehen. Die Teeniezeit ist ein Ausprobieren, ein Lebenfühlen, ein Risikoaustesten. Das gehört dazu.
Und zur pubertären Entwicklung gehört auch dazu, dass sie in diesem Alter Risiken schlecht einschätzen und mögliche Konsequenzen schlecht mitdenken können. Die meisten Jugendlichen schlagen mal über die Stränge, aber für die meisten Jugendlichen haben diese Aktionen weder zehn Jahre noch ein Jahr später noch eine große Bedeutung, außer dass sie besondere Erinnerungen sind. Von daher finde ich es wichtig, sich bei allen Sorgen auch immer zu erden.
Was würdest du als Pädagogin der Mutter raten?
Ich finde es wichtig, die Sorge oder eher auch die Angst, die dahintersteckt, auf jeden Fall ernst zu nehmen. Das heißt aber nicht, dass sie die Oberhand gewinnen sollte. Denn wenn elterliche Angst bestimmt, entsteht in der Regel Druck aufs Kind: „Du darfst nicht…“, „Du musst…“, Verbote, Streit.
Daher rate ich, sich als Erstes darüber bewusst zu werden, wovor ich genau Angst habe, wo die Ängste herkommen (vielleicht aus eigenen Erfahrungen und gar nicht durch das Leben oder die Clique meines Kindes?) und ob die Ängste berechtigt sind. Und als Zweites sollte man dann offen mit dem Jugendlichen darüber reden.
Ich habe sowohl beruflich als auch persönlich sehr gute Erfahrungen damit gemacht, sich offen in seinen Gedanken und Gefühlen zu zeigen, anstatt einfach nur ein Endergebnis (wie zum Beispiel ein Verbot!) zu präsentieren. Das bringt einen mehr auf Augenhöhe mit den Jugendlichen und sie sind eher bereit, sich auf besorgte Gedanken oder Absprachen einzulassen. Und wir Großen sind dann auch eher offen, unseren Teenies zuzuhören und zu vertrauen.
Selbst wenn unser Teen dann cool und ein bisschen verbohrt bleibt, ist übrigens meine Erfahrung, dass unsere Elternworte durchaus angekommen sind und im Stillen wirken und arbeiten, so dass sie vielleicht in brenzligen Situationen dann doch eine Auswirkung auf das Handeln der Teenies haben.
In Bezug auf den oben genannten Fall würde ich also auch ehrlich meine Sorgen um Alkohol und Feuerwerk ansprechen, aber auch ehrlich zu mir selbst sein und davon ausgehen, dass es sein könnte, dass er trotz Verbot doch ein Bier oder Ähnliches trinken wird. Gruppendynamik ist in dem Alter nicht zu unterschätzen. Also ist es sinnvoller, genau das mal zu thematisieren, zu warnen und hilfreiche Ideen mitzugeben wie „Wenn, dann lieber Bier statt Hochprozentiges“ oder „Wenn, dann immer ein Wasser nach einem Bier“ oder Ähnliches. Und in Bezug aufs Feuerwerk lässt sich sicher Ähnliches besprechen.
Eine andere Mutter schrieb uns, sie ließe ihr jugendliches Kind schon woanders feiern, habe aber solche Angst, dass es dort eskalieren könnte, dass sie selbst nicht feiern wird, um auf Abruf zu sein. Was sagst du dazu?
Auch hier finde ich es wieder wichtig, nicht einfach die Angst bestimmen zu lassen. Sie darf weder die Oberhand gewinnen, noch sollte man sie einfach ignorieren, sondern eben auf den Tisch packen. Mit dem Teenie reden, mit der Partnerperson oder einer Freundin, einem Freund und dann entscheiden, wie man alle Bedürfnisse unter einen Hut bringen kann, anstatt der Angst den vollen Raum zu geben.
Ich kann doch feiern, aber vielleicht ohne Alkohol, nicht zu weit weg, und ggf. auf Abruf sein, wenn etwas passiert. Das fände ich eine gute Lösung, denn wenn Eltern sich total verbiegen und einschränken fürs Kind und aus Angst, ist das weder für sie noch für die Eltern-Kind-Beziehung gesund.
Rein küchenpsychologisch würde ich das ja so erklären: Wir versuchen, unseren Geist auszutricksen und ihm mit dem Verzicht auf die eigene Party so suggerieren, dass dann die Gefahr fürs Kind geringer ist. Dabei ist sie das ja faktisch gar nicht, oder?
Das finde ich einen interessanten Gedanken. Ich glaube auch, dass der Trick etwas mit Kontrolle zu tun hat. Bei Angst wollen wir zurück in die Kontrolle kommen. Aber das kann eben total ungesunde Züge annehmen.
Will unser kleineres Kind zum Beispiel auf einen Baum klettern und haben wir große Angst, dass ihm etwas passieren könnte, weil unser Vertrauen in seine Fähigkeiten und ins Leben an sich eher gering ist, dann werden wir auch da versuchen, das über Kontrolle in den Griff zu bekommen: Das Kind bekommt ein Kletterverbot, muss dreifach abgesichert werden oder ich klettere mit und halte bei jedem Schritt zum Aufstieg meine Hand unter seinen Po…
Das stresst mich und das stresst mein Kind. Es spürt weder Zutrauen noch Selbstwirksamkeit. Es spürt Pessimismus und Abhängigkeit. Klar kann das individuell und je nach Thematik mal ein okayer Weg sein, aber nicht als Grundhaltung. Dann bestimmt nämlich die Angst über unser Tun. Angst sollte uns aber nur begleiten. Dann hilft sie uns, achtsam zu sein, Dinge zu besprechen, aber nicht alles zu vermeiden oder in enge Raster zu sperren. (Auch zu diesem Thema könnt ihr euch gern in einem meiner Bücher noch näher belesen, es heißt: „Deine Angst, meine Angst“)
In beiden Fällen geht es um Vertrauen und um die Abgabe von Kontrolle nach vielen Jahren der Fürsorge und Nähe, macht es das so schwer?
Genau. Das ist ein grundsätzliches Thema für die Pubertät. Und je nach eigener Ängstlichkeit und auch nach der Risikobereitschaft des Kindes muss man da natürlich erst Schritt für Schritt reinwachsen. Aber man muss das Reinwachsen auch zulassen und nach und nach loslassen. Das ist für beide Seiten so wichtig!
Hast du Profi-Strategien, wie Eltern das besser aushalten können? Wie sie es schaffen, erstmal vom Besten auszugehen?
Das Eine ist wirklich das Sichöffnen den Kindern gegenüber. Und dann wie bei jeder Angst das Zulassen der beängstigenden Situationen und das Spüren, dass es tatsächlich gut klappt. Damit kann die Angst mit jedem Mal kleiner werden.
Wichtig ist, dass der Druck, der beim Zulassen und Ausprobieren entsteht, bei uns Erwachsenen bleibt. Wir haben die Verantwortung. Wir müssen es wegatmen, wenn wir vor Sorge um das abwesende Kind durchs Wohnzimmer tigern, uns ablenken, das Kind vorher vorbereiten und dann: aushalten.
Ich finde, es hilft außerdem wirklich auch, sich mal zu überlegen, wie viel Quatsch in der eigenen Teeniezeit so passiert ist, wie wenig davon wirklich blöde Konsequenzen hatte und welch coole Erinnerungen das heute oft sind. (Wenn euch dazu mehr interessiert… ich erläutere das ausführlich in meinem bindungsorientierten Buch „Miteinander durch die Pubertät“)
Nun bin ich von meinen Eltern so erzogen worden, dass einem jederzeit ein Ziegelstein auf den Kopf fallen kann (statistisch gesehen passieren ja auch im eigenen Zuhause mehr Unfälle als draußen) und dass wir ja deswegen nicht auf alles verzichten können. Also waren sie eher so „Los, schnappt euch die Welt da draußen“-Eltern und erlaubten viel. Meinst du, diese Prägung führt auch dazu, dass es uns selbst leichter fällt, unsere Kinder woanders feiern zu lassen (bei uns waren die Kinder auch 14 oder 15, als sie begannen, den Silvesterabend nicht mehr mit uns zu feiern)?
Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Ängstlichkeit hängt nicht nur davon ab, wie angstsensitiv wir geboren werden, sondern wie stark wir sie bei unseren Vorbildern erleben. Du hast viel Zuversicht erlebt. Das kann sehr stark machen.
Wie hast du das denn selbst mit deinen Kindern gehandhabt?
Ich denke, in einer ziemlich unberechenbaren Mischung aus Ängstlichkeit und Zutrauen, weil manchmal Sorgen kamen, wo ich sie nicht erwartet hatte, und sich manchmal auch unerwartet große Sorglosigkeit einstellte. Aber ich habe immer versucht, darüber offen zu kommunizieren. So konnten wir gut miteinander wachsen. Klar gab es auch Fehleinschätzungen, aber fast jede Situation lässt sich ja auch im Nachhinein wieder einfangen. Auch darauf darf man vertrauen. Das stärkt die ganze Familie.
Wir wünschen dir und deinen Kindern – wo auch immer sie feiern – jedenfalls einen guten Rutsch und sagen Danke für das tolle Interview! Vielleicht hast du noch einen guten Wunsch oder Tipp für alle Eltern, die der Silvesternacht eher skeptisch entgegenblicken…
Ich wünsche den Eltern, dass sie erleben werden, dass das Loslassen ihres Teenies mittelfristig echt ein schönes Gefühl ist.
1 comment
Grundsätzlich sehe ich das auch so. Und ich finde weitergehend auch, dass man die Kinder bzw. Jugendlichen nicht zu sehr mit den eigenen Befürchtungen und Sorgen überfrachten sollte. Also nicht jedes Mal wieder über Gefahren von Alkohol, Feuerwerk, Straßenverkehr was weiß ich, reden. Muss ich meine Ängste auf meine Kinder übertragen? Irgendwie ist meine Angst doch mein Problem und sollte nicht zu dem meines Kindes werden.
Vielleicht erreicht man das Gegenteil, wenn man immer wieder mahnt und erklärt und Angst macht.
Die Kinder haben doch bis zu dem Zeitpunkt, wo sie allein losziehen, schon so viel mitbekommen. Da kann man nochmal ein, zwei Sätze sagen, aber grundsätzlich seine Angst bei sich lassen.