Ihr Lieben, unsere Leserin Judith hat die Nase gestrichen voll, sie fordert: Mehr Unterstützung für Familien! Und weniger Geschlechterungerechtigkeit! Sie sagt auch ganz konkret, wie sie das anpacken würde, damit Familien in Deutschland nicht weiter kollabieren. Dafür hat sie eine Petition ins Leben gerufen und erzählt uns hier, was sie antreibt und welche Veränderungen es bräuchte.
Du Liebe, du hast in deinem Arbeitsumfeld als Ingenieurin Erfahrung mit Geschlechterungerechtigkeit gemacht. Was genau ist dir passiert?
Seitdem ich Mutter bin fühle ich mich im Job ausgebremst. Mein berufliches Umfeld ist irritiert, dass mein Fokus weiter auf der eigenen Karriere liegt. Aussagen wie „Konzentrieren Sie sich doch erstmal auf die Familie“” kontere ich mittlerweile mit der Gegenfrage: „Würden Sie dies auch einem Vater raten?“. Doch darüber hinaus wurde ich auch konkret benachteiligt: Für eine mehrtägige Fortbildung wurde ich nicht berücksichtigt. Es bestand die Sorge, dass ich aufgrund der Kinder nicht teilnehmen könnte.
Du hast dich auf Ursachenforschung und Lösungssuche begeben, was konntest du dabei entdecken?
Ich bin im Jahr 1990 geboren. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis hatten viele Paare das Ziel, die Care-Arbeit gleichberechtigt aufzuteilen. Beim ersten Kind hat es kein einziges Elternpaar geschafft! Die Hauptlast trugen auch in meinem Umfeld ungewollt die Mütter. Ich war geschockt, wie sehr das Mütterideal die Lebensrealität von Frauen (und Männern) in Deutschland prägt.
Du wünschst dir, dass Mütter und Väter in ihren Familien frei und selbstbestimmt entscheiden können, wie sie Care-Arbeit und bezahlte Arbeit aufteilen… wie stellst du dir das vor?
Die Rollenbilder und Stereotype von Frau und Mann müssen endlich aufgebrochen werden. Der Einfluss politischer Entscheidungen auf unser Bild von Mutterschaft wird im Vergleich mit Frankreich deutlich: Hier gibt es das Wort „Rabenmutter“ nicht. Zwei Drittel der Mütter in Frankreich sind vollzeitbeschäftigt, in Deutschland elf Prozent.
Welche Punkte hältst du für essentiell wichtig für eine fairere und inklusivere Wirtschaft?
- Arbeitgeber, welche ein hohes Maß an Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen.
- Junge Erwachsene, welche über die Benachteiligung von Müttern (Vätern) im beruflichen Kontext aufgeklärt wurden. Ermutigung derselben Ihre Vorstellungen hinsichtlich der Aufteilung von Care-Arbeit und Lohnarbeit gegenüber dem Arbeitgeber und dem/der Partner/in selbstbewusst zu vertreten!
- Eine politische und damit gesellschaftliche Grundhaltung in der Betreuungsarbeit nicht nur dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wird.
In deinen Augen sind die jetzigen Familienleistungen überarbeitungsbedürftig. Welche Änderungen braucht es?
Viele Familienleistungen gehen von den klassischen Eingangsgrößen aus: Ehefrau ist Hausfrau und Mutter und der Ehemann Alleinverdiener. Nehmen wir z.B. das „Ehegattensplitting“. Es profitieren nur verheiratete Paare, alle anderen Familienmodelle sind nicht abgebildet. Selbst das modernste Instrument – das Elterngeld – schafft es nicht, die konservativen Rollenbilder aufzulösen. Das Standardmodell ist zu oft 12 Müttermonate und zwei Vätermonate.
Du kannst das auch mit Zahlen belegen…
Ja. Mit 40,3 Milliarden Stunden entfällt mehr als ein Drittel der unbezahlten Sorgearbeit auf Kinderbetreuung und Angehörigenpflege, davon leisten Frauen 28,2 Milliarden Stunden, Männer nur 12,1 Milliarden Stunden“ (Quelle: Prognos.com, 28.2.2024, Studie „Der unsichtbare Wert von Sorgearbeit„).
„Nur 17 Prozent der Eltern übernehmen etwa gleiche Teile bei der Kinderbetreuung, während sich 45 Prozent eine partnerschaftliche Aufteilung wünschen. 52 Prozent der Väter würden gerne weniger arbeiten. 42 Prozent der Mütter wollen dagegen gerne ihre Erwerbstätigkeit wieder aufnehmen oder ausweiten.“ (Quelle: Väterreport. Update 2021, BMfSFJ).
Für Frauen bedeutet das Mutterwerden also leider allzu oft einen dauerhaften Karriereeinschnitt?
Genau – und langfristige Teilzeitarbeit. Dies zieht wiederum finanzielle Abhängigkeit vom Partner und im Alter eine niedrige Rente nach sich.
Warum tun sich die Männer so schwer?
Für Väter ist es schwer, den Wunsch nach mehr Familienzeit gegenüber dem Arbeitgeber, dem sozialen Umfeld und gegen die eigenen gesellschaftlichen Vorprägungen durchzusetzen.
Was wäre dein Appell, dein Ziel?
Lasst uns in Deutschland Vorreiter sein in Sachen Gleichberechtigung und Vereinbarkeit, um so unseren Wirtschaftsstandort zu stärken!
Wie kann das gelingen?
Mit einer Erhöhung des Basiselterngeldes, mit einer Kopplung der Beträge an den Mindestlohn, mit einer Verlängerung des Basisbezugszeitraums von 14 auf 16 Monate, mit einer Erweiterung der Bezugsberechtigten auf vier Personen (zwei Hauptbezugspersonen und zwei weitere Bezugspersonen).
Mit einer Aufteilung der Basismonate 6-4-6, d.h. jeweils sechs Monate exklusiv für die beiden Hauptbezugspersonen und vier Monate zur freien Aufteilung zwischen den vier Bezugspersonen und: Nicht nur zwei Bonusmonate, wenn beide Geschlechter Teilzeit arbeiten, sondern monatliche Auszahlung bis zum Schuleintritt von 780 Euro.
Warum siehst du da grad jetzt so viel Handlungsbedarf?
Die jungen Familien in Deutschland kollabieren! Die Fremdbetreuung funktioniert aufgrund der Kitakrise nicht zuverlässig. Die Care-Arbeit muss auf mehrere Schultern verteilt werden. Deswegen: Lasst die Familien nicht im Regen stehen! Solidarisiert euch und stimmt für diese Petition ab! Bitte teilt die Petition unter Bekannten!
6 comments
Leider hab ich dieses Gefühl zu kollabieren mangels fehlender staatlicher Kinderbetreuung auch erlebt in der Kindergartenzeit meiner Kinder. Die gerade zum Glück zu Ende gegangen ist. Richtig, man kann nicht alle Familien über einen Kamm scheren. Der aktuelle Artikel macht deutlich, die Not ist unterschiedlich. Manche Familien haben Großeltern oder Angehörige, die unterstützen, manche Kitas haben weniger beschränkte Öffnungszeiten… dass unsere Politik und die Gesellschaft die Situationen von Familien genauer anschaut, finde ich richtig. Staatl. Ausgleichszahlung bei geschlossenen Betreuungseinrichtungen auch für Grundschulkinder, das halte ich für richtig und wichtig. Zusätzlichen gesetzlich geregelten Urlaub für Eltern zur Abdeckung von Ferienbetreuung, Arztbesuchen… von Kindern bis 12 Jahren. 750 Euro mehr monatlich finde ich auch nicht pauschal hilfreich.
Systeme zu vergleichen, finde ich auch schwierig, aber der Blick zu den Nachbarn erweitert meinen Horizont. Die historisch gewachsene Schuld der Deutschen Mutter loswerden, in dem sie bewusst gemacht wird, das finde ich jedoch großartig!
Ich finde es daneben, alle Familien über einen Kamm zu scheren! 780€ bis zum Schuleintritt?! Wer zahlt das? So viele Familien brauchen dieses Geld gar nicht (und manche würden davon nur Handys oder Tablets kaufen) und hätten viel lieber mehr Geld in Schulen und Kitas investiert, wo es auch Kindern aus finanziell und sozial schwächeren Familien zugute kommt.
Und (in meiner bürgerlichen) Bubble kollabieren (was ein überzogenes Wort!!!) auch nicht reihenweise die Familien!
Es gibt wirklich andere Themen, für die man sich engagieren kann.
Hallo Sina, vielen Dank für deinen Kommentar. Ich gebe dir Recht, dass die Rahmenbedingungen in jeder Familie sehr unterschiedlich sind. Die Auszahlung der 780€ sind an bestimmte Bedingungen geknüpft und haben zum Ziel die Benachteiligung von Müttern im Beruf zu verringern und Kindern aus finanziell und sozial schwächeren Familien den Zugang zu guten Betreuungseinrichtungen zu ermöglichen. Ich verweise auf die Petition, welche die Forderungen nochmal konkretisiert und begründet. Den Appell habe ich bewusst etwas überspitzt formuliert. Mit Sicherheit ist es so, dass nicht alle Familien dauerhaft im Krisenmodus sind. Jedoch hat sich die Lage in den letzten Jahren doch dramatisch zugespitzt (Corona, Kitakrise, Bildungsmisere, Gefahren durch Soziale Medien…).
Ich würde gerne die Vollzeit Arbeit der französischen Mütter kommentieren:
Es gilt die 35 Stunden Woche (mit Ausnahmen wie z. B. leitende Angestellte)
Sofern Mehrarbeit anfällt, wird gerne ein Freizeit Ausgleich in Anspruch genommen.
Ab dem Alter von 3 Jahren gehen die Kinder in die Vorschule, welche verpflichtend seit Macron ist… Damit gibt es auch einen Anspruch auf Betreuung und keine Diskussion.
Die Mütter welche ich kenne, nehmen sich gerne den Mittwoch frei, d.h. mit kleinen Kindern sprechen wir von 30 Stunden.
Und jetzt zum Vergleich: mein Mann und ich hatten jahrelang mit 2 kleinen Kids die Aufteilung 40+30.
Für die Karrierechance macht es vermutlich einen Unterschied: fehle ich 5 oder 10 Stunden pro Woche.
Jedoch: um die deutsche Elternzeit und „Kind krank“ Tage wurden wir immer beneidet. Meist ging es mit 4 Monate alten Baby zurück in den Job. Alle Mamas, die ich kenne, fanden das sehr hart. Krippe ist häufig sehr teuer, d. h. setzt eine entsprechende Stundenzahl voraus um die Betreuung zu finanzieren. Dafür ab 3 Jahren dann ohne Gebühren, da Schule.
Das sind nur ein paar Eindrücke. Ich habe die letzten Jahre gelernt, die Systeme lassen sich schwer vergleichen und die Voraussetzungen sind andere.
Hallo Sonne, herzlichen Dank für den detaillierten Einblick in das französische System. Du nennst zwei wesentliche Unterschiede: die geringeren Wochenarbeitsstunden 35 h, anstatt 48 h und die Schulpflicht ab 3 Jahre, anstatt 6 Jahre. An diesen beiden Stellschrauben wird sich in Deutschland in naher Zukunft leider nicht drehen lassen. Dafür ist die Mehrheit leider (noch) zu konservativ in ihrem Rollenverständnis und zu ablehnend gegenüber staatlichen Vorgaben. Daher mein Vorstoß dies über finanzielle Anreize zu fördern. Finanziert wird das durch den Abbau von Behördenstrukturen.
Ich finde Schulpflicht ab 3 Jahren und nahezu 100 prozentige Fremdbetreuung ab dem Säuglingsalter nicht erstrebenswert. Sowas politisch regeln zu wollen kann böse nach hinten losgehen und führt auch ganz sicher nicht zu Bürokratieabbau.