Häusliche Gewalt: Er nahm mir mein Selbstwertgefühl

Häusliche Gewalt

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Ihr Lieben, fast jeden Tag gibt es in Deutschland einen Femizid. Jeden Tag werden rund 400 Frauen Opfer von Gewalt in der Partnerschaft. Das geht aus einer neuen Studie hervor. Häusliche Gewalt zieht sich durch alle Gesellschafts- und Bildungsschichten, oft leiden die Frauen jahrelang, bevor sie die Kraft haben sich zu trennen. Solltet ihr in einer gewalttätigen Beziehung stecken, könnt ihr euch an das Hilfetelefon 116016 wenden!

Hier erzählt uns heute Mirjam von ihrer Erfahrung mit Gewalt in der Ehe, ihr Mann und der Vater ihrer Kinder wurde jahrelang handgreiflich. Heute lebt Mirjam in einer glücklichen Partnerschaft und möchte mit ihrer Geschichte Mut machen. Danke für deine Offenheit und alles Liebe für dich, liebe Mirjam!

Häusliche Gewalt: Mein Mann zerstörte mich auch innerlich

„Mein Name ist Mirjam, ich bin 35 Jahre alt und wohne nun seit 12 Jahren in Hamburg. Ich bin in einem kleinen Kaff aufgewachsen und als mein Vater starb, da war ich Anfang 20, wollte ich raus in die Welt. Hamburg war so cool und aufregend, ich bekam eine Stelle bei einem Modekonzern und war richtig happy.

Dann traf ich meinen Mann, er leitete damals in Hamburg einen Club. Das imponierte mir als junge Frau total. Er kannte so viele Leute, war beliebt, war auf allen coolen Veranstaltungen eingeladen. Ich kannte mich nicht mit Drogen aus, hatte keine Ahnung, ob und was er konsumierte. Immer, wenn ich ihn danach fragte, sagt er, er trinke nur Alkohol. Rückblickend merke ich, wie viele „Red Flags“ es damals schon gab, aber damals war ich einfach zu naiv und fand dieses Leben auch einfach spannend.

Es war oft so, dass ich ihn von donnerstags bis montags, also wenn der Club offen war, kaum gesehen oder erreicht habe. Das fand ich schon komisch, aber er sagte, das sei eben in der Gastronomie und Partybranche so. Ich war verliebt, wir zogen zusammen und schließlich wurde ich schwanger.

Während ich mich riesig über die Schwangerschaft freute, war er gar nicht begeistert. Er blieb immer öfter immer länger weg und wenn er nach einer Feierei nachmittags völlig besoffen wieder auftauchte und ich fragte, wo er gewesen sei, flippte er aus. Zuerst nur verbal, er beschimpfte mich, später flogen auch mal Teller an die Wand.

Ich kannte von zu Hause aus keine häusliche Gewalt

Natürlich schockte mich das, aber ich wusste, dass ich sein Kind kriege und ich dachte, ich könnte ihn bändigen und ändern, wenn ich mich nur genug anstrenge. Eines Tages bekam ich via Facebook eine Nachricht, dass mein Mann gerade eine Affäre hätte. Als ich ihn damit konfrontierte, hat er mich gepackt und mich gegen einen Schrank geschleudert.

Das hat mich komplett schockiert, denn wie gesagt: In meinem Elternhaus hatte es so etwas nie gegeben. Und gleichzeitig war die Scham darüber riesengroß, dass mir sowas passierte. Er hat mich zwei Tage lang ignoriert, sich nicht entschuldigt und dann einfach so getan, als sei nichts gewesen. Leider blieb dieser Übergriff nicht der einzige Vorfall. Eigentlich immer, wenn er aus dem Nachtleben zurückkam, verhielt er sich wie ein anderer Mensch und ging schlecht mit mir um.

Dann wurde unsere Tochter geboren und es war, als sei sie mein Schutzschild. Es wurde alles ruhiger und ich merkte, dass er nicht ausflippt, wenn ich nichts mehr sage, nichts mehr frage. Ich versuchte, komplett unauffällig zu sein, damit er keinen Grund findet. Diese Habacht-Stellung wurde Normalität, ich fand mich ab, dass unsere Beziehung ganz gut laufen kann, wenn ich absolut ruhig bin.

Ich spürte den Drang nach einem zweiten Kind. Ich weiß, aus heutiger Sicht total realitätsfern, aber ich hatte ja einen Weg gefunden, dass es relativ ruhig zwischen uns ablaufen kann und ich dachte, wenn ich noch ein Kind habe, dann habe ich alles, was ich mir wünsche und ich ziehe mich mit meinem Kindern einfach in eine Bubble zurück und er macht sein Ding. Ich lebte irgendwie in meiner eigenen Schutzhöhle, das ist für jemanden von Außen nur schwer nachzuvollziehen.

Nach dem zweiten Kind schlug er wieder zu

Das zweite Kind kam und seine Angriffe kamen zurück. Er wurde handgreiflich und ich hatte ständig Spuren an den Armen, im Gesicht, am Hals… Den Kindern gegenüber ist er nie handgreiflich geworden. Ich habe aber auch alles getan, damit er keinen Grund hat, auszuflippen. Wenn sie geweint oder geschrien habe, bin ich sofort raus mit ihnen. Bloß weg, bloß keinen Grund für Ausraster geben.

Nach außen hin habe ich den Schein gewahrt. Für Freunde war er der norddeutsche Charakterkopf, willensstark, etwas ungestüm, aber mit dem Herz am rechten Fleck. Ich habe niemandem von der Gewalt erzählt, meiner besten Freundin habe ich erst Jahre später alles gesagt.

Warum ich nichts gesagt habe? Weil er mich kaputt gemacht hat, ich fühlte mich als Frau wertlos, innerlich gebrochen, hatte enorme Ängste und keinerlei Selbstwertgefühl mehr. Ich habe nur für die Kinder durchgehalten.

Als meine Tochter sechs Jahre alt war, fragte sie mich, was ich denn eigentlich an Papa lieben würde. Ich konnte ihr keine Antwort geben und da wurde mir klar, dass ich nicht liebte, sondern nur noch aushielt. Alles brach über mich herein. Warum empfand ich diese Scham? Warum hatte ich keinen Selbstwert mehr? Warum war ich so lieblos mit mir selbst, wo meine Eltern mich doch so voller Liebe aufgezogen hatte? Ich war doch eine gebildete Frau mit einem Arbeitsplatz. Warum hatte ich solche Angst?

Ich habe mir professionelle Hilfe geholt und in einer Therapie gelernt, dass ich durch den Tod meines Vaters Verlustängste habe. Deshalb habe ich lieber an einer schlimmen Beziehung festgehalten, als wieder etwas zu verlieren. Ich lernte, dass ich mich wieder wichtig nehmen muss und dass ich meinen Kindern diese Art von Beziehung nicht vorleben kann und will.

So lief die Trennung ab

Als die Osterferien anstanden, packte ich meine Koffer und sagte, dass ich mich trenne. Ich bin erstmal mit den Kindern zwei Wochen in die Ferien gefahren, Abstand, Ruhe. Er war geschockt, denn er kannte mich so gar nicht. Dass ich etwas in die Hand nehme und nicht nur alles über mich ergehen lasse. Er wollte mich natürlich nicht gehen lassen, meine Entscheidung nicht akzeptieren. Aber dieses eine Mal habe ich mich durchgesetzt. Nach dem Urlaub wandte ich mich ans Jugendamt und kann da nur das Beste berichten. Die Mitarbeiterinnen haben mir sehr geholfen, waren eine große Stütze.

In der ersten Zeit nach der Trennung durfte mein Mann die Kinder nur in Begleitung des Jugendamts sehen. Er bekam die Auflage, eine Therapie zu machen, ansonsten dürfte er die Kinder nicht sehen und würde auch das Sorgerecht verlieren.

Das Ganze ist nun vier Jahre her. Er hat regelmäßig Kontakt mit den Kindern und das ist auch gut so. Ich selbst habe beschlossen, dass ich diesem Menschen keine Emotion mehr von mir schenken will – auch keine negativen. Ich habe meinen Frieden mit meiner Vergangenheit gemacht und das ist das Beste, was ich für meine Seele zu tun konnte.

Nach all den schlimmen Jahren hat das Leben es nochmal gut mit mir gemeint und mir einen neuen Partner geschickt. Er liebt mich so wie ich bin, kennt meine Geschichte und ist so respektvoll mit mir. Ich habe gelernt, dass ich ihm vertrauen kann, dass ich ihm wichtig bin, dass er auf meine Bedürfnisse achtet und Rücksicht nimmt. Wir lieben uns auf Augenhöhe, er erlaubt mir, traurig zu sein und zu heilen. Manchmal muss ich mich kneifen, wie glücklich ich jetzt bin und wie gut sich eine Beziehung anfühlen kann.

Ich weiß, dass viele Frauen nicht verstehen können, warum ich mich nicht früher getrennt habe, warum ich überhaupt noch ein zweites Kind bekommen habe. Wenn man Opfer von Gewalt wird, lebt man in seiner eigenen Realität und die ist für andere oft nicht nachvollziehbar. Heute würde ich natürlich vieles anders machen, aber damals konnte ich nicht. Ich war sein Opfer und komplett ohne Selbstwertgefühlt.

Allen Frauen, die Ähnliches erleben müssen, möchte ich zurufen: Holt euch Hilfe! Als ich mich nach außen geöffnet habe, hat sich alles geändert. Kein Mensch darf euch so verletzen, euch eure Würde nehmen. Ihr seid wertvoll, ihr seid wichtig. Traut euch und holt euch Hilfe!

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2 comments

  1. „Ich selbst habe beschlossen, dass ich diesem Menschen keine Emotion mehr von mir schenken will – auch keine negativen.“

    Wirklich beeindruckend, was für eine tolle Einstellung!

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