Drogen: Vom Totalabsturz unserer 16jährigen Tochter

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Ihr Lieben, Suse hat sich auf unseren Beitrag der zwei Party-Freundinnen gemeldet, weil sie dem Ab-und-zu-Konsum von Drogen und der Legalisierung von Cannabis auch lange eher neutral gegenüberstand. Nun hat sie aber als Mutter miterlebt, wie schnell das mit der Sucht alles gehen kann, denn ihre 16jährige Tochter geriet irgendwann in einen schwierigen Freundeskreis und erlebte einen Totalabsturz. Suse beschreibt es als „die Hölle“, die in den besten Familien passieren kann…

Liebe Suse, früher standst du einer Legalisierung von Cannabis eher offen gegenüber, inwiefern hattest du damals selbst mit dem Thema zu tun?

In meiner Teenagerzeit habe ich das Kiffen mit Freunden am Wochenende auch ausprobiert. In der Gruppe an einer Tüte ziehen, war damals cool. Allerdings habe ich nie einen Rausch oder ein Verlangen nach mehr verspürt, niemals zum Entspannen gekifft oder selbst Cannabis besorgt. Deswegen glaubte ich nicht, dass man süchtig oder abhängig werden könnte. Heute sehe ich das natürlich ganz anders.

Als Familie habt ihr nun „die Hölle“ – wie du es beschreibst – hinter euch. Eure Tochter hat einen Totalabsturz hinter sich. Wie ging das damals los? Wie alt war sie da? Wann habt ihr davon mitbekommen?

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Mit 14 ging es los mit Rauchen und Energy Drinks. Sie wollte dazu gehören, cool sein, Freunde finden. Leute erzählten uns, dass man unsere Tochter beim Rauchen gesehen hätte. Natürlich gab es Gespräche und wir versuchten, den Problemen auf den Grund zu gehen. Dort versuchte ich es zum ersten Mal mit Familienhilfe. Es gab Gespräche. Mit uns, einzeln. Die Diagnose war „anstrengender“ Teenager mit starkem Willen, der die Grenzen testet. Geduld und Verständnis haben, wurde uns geraten. Schon dort glaubte man mir nicht, dass Lara einfach eine Spur mehr als nur ein pubertierender Teenager war.

Wie habt ihr damals Zugang zu ihr gefunden? Konntet ihr mit ihr reden? Hattet ihr Einfluss drauf, mit wem sie sich traf?

Genau das hat mir damals zu schaffen gemacht! Finde Zugang zu ihr. Sprich mit ihr. Habe Verständnis. Aber was macht man, wenn das Kind nicht mehr spricht? Dir nur Hass und Wut entgegen schleudert. Egal ob Vater oder Mutter? Einfach aus dem Fenster klettert und verschwindet? Wir haben versucht zu sprechen, zu bestrafen etc. Wir waren einfach machtlos. Wir haben ihr zum Beispiel das Handy weggenommen. Einmal, als sie einfach mal wieder nachts um vier Heim kam, die Türe nicht geöffnet. Es hat nichts gewirkt.

Neigte eure Tochter auch davor schon zu Extremen oder kam das tatsächlich nach einer ganz normal behüteten Kindheit einfach durch die falschen Kreise?

Die Antworten auf diese Fragen, haben Polizei und Mitarbeiter des Jugendamtes stets verblüfft. Wir luden das Jugendamt sogar zu uns nach Hause ein. Mein Mann und ich sind mittlerweile 20 Jahre verheiratet. Lara hat eine jüngere Schwester. Wir leben in einem ruhigen Ort, nahe einer großen Kreisstadt. Lara ging hier zur Grundschule und wechselte nach den vier Jahren mit einem Einser Zeugnis und Gymnasialempfehlung auf das Gymnasium.

Sie war als Kind sehr willensstark, aber nicht auffällig. Ging gern zur Schule, spielte mit Playmobil, war im Karate und spielte Gitarre. Was sie aber anzieht, sind Leute, die über Grenzen gehen. So hatte sie dann auf dem Gymi erstmal Kontakt zu den Leuten, die sitzen geblieben waren, die sich auffällig verhielten und traf so dann auf die Stadtkids, die rauchend im Park abhingen.

Ab welchem Zeitpunkt habt ihr angefangen, euch Sorgen zu machen?

Als Lehrer uns plötzlich kontaktierten, dass Lara so rebellisch sei und in der Schule die Noten absackten. Das war dann in der 7. Klasse.

Wie habt ihr mitbekommen, was sie alles konsumiert? Was war alles dabei? Hat sie sich in der Persönlichkeit verändert? Habt ihr mit Strenge und Grenzen reagiert oder lange gesagt: Wir vertrauen dir?

Vor Corona kam es dann noch zu einem Schulwechsel. Anderer Ort und Realschule, um ihr den Stress und den Druck zu nehmen. Dort machte sie noch den Realabschluss und vor der Abschlussfeier kam es zum ersten großen Aussetzer. Sie kam nicht nach Hause, obwohl kein Streit oder irgendetwas vorgefallen war. Morgens um vier verständigten wir die Polizei, nach dem wir bei „Kollegen“ nachgefragt hatten.

Ich dachte dort wirklich, mein Kind liegt sterbend im Graben. Später kam heraus, dass mich die Kollegen angelogen hatten und sie munter bei ihnen saß und Drogen konsumiert hatte. Sie wurde dort von der Polizei in Gewahrsam genommen, weil sie noch minderjährig war. Dort wurde das Jugendamt eingeschaltet, die uns von dem freiwilligen Besuch der Familienhilfe schon kannte und Lara musste zum Arzt, weil es ihr schlecht ging. Hier war der Drogentest bei vielen Stoffen, wie zum Beispiel Benzos, Meth und Heroin. 

Obwohl ich auf dem Polizeirevier sagte, dass unsere Familie nicht in der Lage sei, die Situation zu stemmen, musste ich Lara mit nach Hause nehmen. Dort klaute sie unser Spargeld (400 Euro) und verschwand wieder. Als sie diesmal von der Polizei aufgegriffen wurde, nahm das Jugendamt sie in Obhut (um mich und ihre Schwester zu schützen). Strenge, Grenze, Vertrauen funktioniert nur, wenn beide Parteien irgendwie mitmachen. Wir hatten keine Chance und ich habe so an mir als Mutter gezweifelt.

Wer hat euch in der Zeit unterstützt, konntet ihr aufs Jugendamt oder andere Hilfsangebote bauen? Hilfe zu bekommen, ist in so einer Situation also gar nicht so leicht?

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Ich habe um Hilfe gefleht. Lara kam in eine In-Obhut Station und ging dort einfach nur manchmal hin. Wenn sie Hunger hatte oder duschen wollte. Hier merkten die Mitarbeiter plötzlich, dass es kein Teenager war, der mal kurz wachgerüttelt werden musste. Wir erreichten oft niemanden, es kam keine Rückmeldung. Wir wollten Lösungen suchen, Ideen, aber wir stießen auf taube Ohren, überforderte Mitarbeiter, Akten, die hin und hergeschoben wurden.

Ich kann nicht aufzählen, wie viele unterschiedliche Ansprechpartner wir hatten. Weil es mir so schlecht ging, wandte ich mich an die Drogenberatung. Dort wurde mir geholfen. Wöchentlich hatte ich Gespräche und endlich jemanden, der Ideen hatte, Gesetze kannte und dem Jugendamt auf die Füße stieg. 

Habt ihr als Eltern an einem Strang gezogen und euch gegenseitig gestärkt oder gab es da auch gegenseitige Vorwürfe in all der Verzweiflung und dem Kontrollverlust?

Unsere zweite Tochter hat sehr gelitten und leidet heute noch sehr unter Ängsten. Wenn Menschen, die man liebt, nicht nach Hause kommen, die Polizei plötzlich vor der Türe steht, die Leute schief schauen, verändert man sich. Mein Mann und ich hatten viele Konflikte. Während er viel früher der Meinung war, dass wir unsere Tochter fallen lassen müssen, damit sie irgendwann aufwacht, wollte ich viel länger helfen. Heute weiß ich, dass er Recht hatte. (Das gilt nicht für alle Kinder. Aber bei dem Charakter unserer Tochter, war das die einzige Strategie, die etwas bewirkte)

Im letzten Dezember gab es einen Polizeigroßeinsatz bei euch zu Hause. Wie kam es dazu und wie fühlte sich das für euch an?

Bezeichnend für Lara waren auch wechselnde Beziehungen. Am Ende war sie in einer Beziehung mit einem Drogendealer. Durch den starken Konsum von Cannabis und Benzos (laut Drogenberatung übrigens ein großer Trend bei jungen Menschen und sehr gefährlich), wurde Lara immer aggressiver und benahm sich auch daheim wirklich daneben.

An einem Abend war sie mit einem Kollegen einfach in unserem Haus, konsumierte Benzos und beide liefen/fielen hier apathisch bzw wie volltrunken durchs Haus. Mein Mann schmiss den jungen Mann aus dem Haus und wir machten Lara die Ansage, dass sie am folgenden Tag unser Haus verlassen müsste.

Als ich am nächsten Tag nach der Arbeit nach Hause kam, saß sie fröhlich am Tisch und aß. Ich sagte ihr, sie solle packen und gehen. Darauf eskalierte die Situation. Sie nahm ein langes Brotmesser, bedrohte mich und ihr Leben. Ich rief den Notruf und es kam zu einem Großeinsatz. Dabei wurde sie überwältigt und in die Psychiatrie gebracht.

Eure Tochter kam dann in die Psychiatrie. Durftet ihr Kontakt haben? Haben euch die ÄrztInnen mit einbezogen? Wie lang ging das? Wie hat sie den Entzug verkraftet?

 Dort konnte sie wegen Eigengefährdung drei Tage geschlossen untergebracht werden. Sie nahm von dort Kontakt zu uns auf, aber wir blieben diesmal hart. Kein Zurück ohne Therapie. So begann sie dann drei Wochen Entzug. Wobei man sagen muss, dass Lara keinen körperlichen Entzug hatte. Sie musste dort lernen, sich ihren Problemen zu stellen und nicht einen Joint zum Abschalten zu rauchen oder Benzos einzuwerfen, damit man chillen kann.

Der Arzt auf der Entzugsstation fand einen guten Zugang zu Lara und sie arbeitete zum ersten Mal mit. Nach drei Wochen sollte es zu einem Stationswechsel kommen, Lara wollte aber nach Hause. Mit den Ärzten gab es dann Gespräche und ein Probewochenende. An diesem Wochenende vereinbarten wir dann Regeln für die Wiederkehr. Diesmal saßen wir am längeren Hebel, da Lara im September volljährig war. Rückkehr zu unseren Bedingungen oder Obdachlosenunterkunft.

Wie ging es danach zu Hause weiter mit ihr? Wie läuft es jetzt grad? Was macht sie, hat sie Pläne?

Sie kam also wieder, musste jeden Abend um 19 Uhr daheim sein und sich Drogentests unterziehen. Eine weitere Bedingung war, dass sie weiterhin eine Beratung aufsucht. Dort war wieder die Drogenberatung, die mich immer unterstützt hat, die Rettung und Hilfe.

Im September hat Lara nun eine Ausbildung angefangen. Sie verbringt sehr viel Zeit mit uns und hat den Kontakt zu den alten „Freunden“ abgebrochen. Weiterhin hat sie alle drei Wochen ein Gespräch mit ihrer Drogenberaterin. Diese wollte sie schon von der Leine lassen, aber Lara möchte das noch nicht. In der Psychiatrie kamen Themen wie Borderline oder ADHS auf, aber auch hier ist es unglaublich schwer, Hilfe zu bekommen. Aber Lara nimmt nun Hilfe an und kann mit Konflikten sehr viel besser umgehen. Nun würde ich sie als normalen Teenager bezeichnen.

Dir ist es wichtig, eure Geschichte zu erzählen, weil du sagst, dass viele unterschätzten, wie schnell es gehen kann… magst du noch ein paar Worte an möglicherweise betroffene Eltern und Kinder richten oder hast einen Appell zur Prävention?

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An nicht betroffene Eltern: Zeigt nicht mit dem Finger auf andere! Bei manchen läuft alles gut, bei anderen nicht. Nicht immer spielt dabei fehlende Erziehung oder mangelnde Liebe eine Rolle. Verständnis ist wichtiger und hilfreicher als Kritik und böse Worte.

An betroffene Eltern: Gebt nicht auf und haltet durch! Holt euch Hilfe an verschiedenen Stellen. Es ist keine Schande, wenn man nicht weiterweiß und hilflos ist. Wenn Drogen und Freunde die Priorität haben, ist man machtlos und hat aber noch lange nicht alles falsch gemacht. Die Drogenberaterin sagte zu mir: „Sie haben alles für ihre Tochter gemacht. Sie haben sie geliebt, sie haben sie gestärkt. Irgendwann wird sie sich daran erinnern und ihren Weg finden. Manchmal muss man erst loslassen“ . Sie hatte Recht.

An die Kids, die konsumieren: Die Drogen kontrollieren euch, nicht ihr die Drogen. Und vergesst nie, wer euch liebt 😉

Was wünschst du dir für die nächsten Monate und Jahre?

Das ist einfach: Normalität Dass ich keinen Schreck bekomme, wenn das Telefon klingelt. Dass wir Weihnachten zu viert verbringen. Dass ich Lara anmeckern kann, weil viel Geschirr in ihrem Zimmer steht 

Wenn ich hier die Zusammenfassung lese und weiß, was wir die letzten fünf Jahre durchgemacht haben (das ist nur ein kurzer Auszug aus Polizeieinsätzen, Diebstählen, Lügen etc.), denke ich, wir können viel mehr ertragen und aushalten, als man glaubt. Danke, dass ich meine Geschichte kurz erzählen durfte.

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5 comments

  1. Tragisches Schicksal. Ich wünsche der Familie alles Gute.

    Was ich allerdings nicht verstehen kann ist, was dieses zugegebenermaßen tragische Schicksal mit der im Artikel auch angesprochenen Entkriminalisierung (eine echte Legalisierung haben wir in Deutschland nicht) von Cannabis zu tun haben soll.

    Halten wir fest:

    1. Die Suchtproblematik der Tochter ist noch zu Zeiten des Cannabisverbots entstanden. Das Verbot hat die Tochter offenkundig nicht geschützt.
    2. Die „Einstiegsdroge“ (wenn man diesen fragwürdigen Terminus überhaupt benutzen will) waren hier legale Zigaretten und Energydrinks.
    3. Auch nach der jetzigen Entkriminalisierung (wie gesagt: Es ist keine Legalisierung!) bleibt der Verkauf an Jugendliche weiterhin strikt verboten und wird hart bestraft.
    4. Das Hauptproblem scheint hier auch weniger der Konsum von Cannabis zu sein, sondern vielmehr der Konsum von Benzodiazepinen, welche in Deutschland teilweise (in Abhängigkeit von Substanz und Dosierung) sogar ohne BTM-Rezept legal verschrieben werden können.

  2. DANKE für deinen Mut uns diesen Einblick zu geben und alles, alles Gute für euch und eure Tochter.
    Und danke an alle Helfer:innen da draußen (wie bei euch die Drogenberatung) für eure unglaublich wichtige Arbeit.
    Und danke an das stadtlandmama-Team für diesen Artikel als weitere Perspektive in diesem komplexen Thema.

  3. Vielen Dank für die Offenheit und das Teilhaben lassen. Ich habe selbst früher viele Leute im Freundeskreis gehabt die Drogen genommen haben. Ich war immer so ein bisschen der Langeweiler weil ich auch mit Alkohol nicht gut umgehen kann und mich danach immer schlecht fühle. Nach den letzten beiden Artikeln hatte ich durchaus das Gefühl etwas verpasst zu haben. Weil ja, den Mama Alltag komplett loszulassen, gar nicht verantwortlich zu sein. Das schaffe ich kaum. Hier zu lesen was alles passieren kann, hat es für mich noch einmal klar gemacht. Es hat einen Grund warum Drogen nicht legal sind. Und ja, auch Alkohol sollte keineswegs so leichtfertig konsumiert werden. Ich wünsche euch das Allerbeste! Eure Tochter hat großes Glück euch zu haben!

  4. Wahnsinn, was ihr da mit gemacht habt. Ich denke das wünscht man niemandem. Ich weiß nicht ob ich diese Kraft gehabt hätte und werde sie hoffentlich mit meinen 3 Kindern , die zum Teil schon in der Pubertät sind auch nicht brauchen. Dem Kind nachts um vier nicht die Tür zu öffnen damit es sieht, dass nicht so weitergehen kann, dass muss ein unglaublich schwieriger harter Moment gewesen sein , der soviel Mut und Kraft und über eigene Grenzen gehen erfordert.

    Ich wünsche Euch das Beste für die Zukunft!

  5. Wow! Krass! Das ist meine größte Angst, dass unsere Mädels (9 & fast 6) auch mal so abrutschen könnten durch falsche Freunde und man einfach machtlos ist. Aber mit meiner Großen habe ich schon ab und zu mal aus sich ergebenden Situationen über die negative Wirkung von Alkohol und Drogen gesprochen. Bisher ist sie voll bei mir. Hoffentlich wird sie sich daran erinnern, wenn es drauf ankommt.
    Ich bin froh, dass es eurer Tochter wieder gut geht und wünsche euch von Herzen, dass es so bleibt!!!

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