Matthias Jung: Eltern sind keine bedürfnisorientierten Vollautomaten

Trotzphase

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Ihr Lieben, wir kennen den Bestsellerautor und Pädagogen Matthias Jung eigentlich als witzigen Experten für die Pubertät („Dein Ernst, Mama?“ oder „Chill mal„), jetzt widmet er sich endlich auch Eltern von jüngeren Kindern und bietet Erste Hilfe für Familien, die die Phase voll haben – Von Trotzphase bis Wackelzahnpubertät. Sein Buch dazu: Immer darf ich alles nie.

Denn kaum sind Kinder zwei Jahre alt, geht es auch schon los: »Ich will!«, »Ich will nicht!«, »Alleine!« Manche beschreiben es als erste kleine Pubertät… mit Wutanfällen auf beiden Seiten. Matthias, selbst Zweifachvater findet: Zwischen Autonomiephase und Wackelzahnpubertät hilft nur Humor! Weil: Zusammen gelacht ist besser als alleine verzweifelt!

Matthias Jung liefert den Gedulds-Leid-Faden für Eltern

In immer darf ich alles nie liefert er unterhaltsam wirkungsvolle Hilfe bei allen großen und kleinen Dramen des Familienalltags mit Mini-Rebellen. Nah am Alltag, nah an den Familien – mit persönlichen Erfahrungsberichten und hilfreichen Tipps. Der Gedulds-Leid-Faden für kleine Kinder mit großem Willen.

Matthias Jung
Immer darf ich alles nie!

Lieber Matthias, ich möchte direkt mal mit der Tür ins Haus fallen: Warum darf ich nie und die anderen immer? Du weißt vermutlich, auf was ich mit meiner Frage hinauswollte: Wieso vergleichen sich Kinder so viel und fühlen sich so oft unfair behandelt? 

Sobald Kinder älter werden und sie sich selbst auch besser kennenlernen, schauen sie bei ihren Mitmenschen auf Veränderungen und Unterschiede. Am Anfang ist dies noch oft schwierig, da ist Papa gerne mal der „stärkste und tollste Papa aller Papas“. Die Realität sieht allerdings anders aus. Mein Fitnesszustand: Ich spüre schon Widerstand in den Armen, wenn ich einen Teebeutel rausziehe.

Was ich damit sagen will: Es ist auch sinnvoll, dem Kind von eigenen Schwächen zu erzählen. „Damit habe ich mich auch immer schwergetan…!“ Fürs Kind da zu sein ist oft schon die halbe Miete. Alle Gefühle sind ok. Und manchmal sind wir in der akuten Frustration auch nur ein „Rückenstreichler“.

Ich würde sie darin bestärken, auf eigene Stärken und Fortschritte zu achten. Aber auch nicht nur von ihren Schwächen ablenken. Die gehören auch zu ihnen, zu uns. In einer schwierigen, frustrierten Situation eine Lösung zu finden und mit den Schwächen umzugehen, das ist die hohe Kunst. (Auch meine Lehrer fanden Wege: Schließlich fiel es mir ja auch Jahre später erst auf, dass ich bei den Bundesjugendspielen sehr langsam war. Nicht umsonst wurde ich vorsichtshalber für den 100-Meter-Lauf mit Sonnencreme eingeschmiert.)

Wie antwortest du denn auf solche Vergleiche? Mit einem: Ja, der Jasper-Kevin darf die ganze Nacht zocken, aber dafür bist du halt morgens im Unterricht fit?

Als Jasper-Kevin würde ich meine Eltern erstmal fragen: „Das ist mein Name. Euer Ernst?“ Mein Ernst: Die Thematik „Medien“ ist sehr vielschichtig.

Prinzipiell brauchen viele Kinder keine Bildschirmzeiten und können sich da problemlos regulieren. Diese Kommentare geben immer in den Sozialen Medien die meisten „Likes“ von Elternseite. Super, wenn dies so klappt. Aber manche Kinder brauchen eine gerade Struktur und man muss dieses Thema als Eltern ständig begleiten. Das auch noch über mehrere Jahre. Da leidet man schon unter „Begleiterscheinungen“. Aber es muss sein. Es ist individuell sehr verschieden. Wir kennen unser Kind am besten. Diese Familie macht es so, wir machen es so. Hier mein Grundsatz: Nehmt nichts von Fremden!

Eine weitere Anmerkung: Kindern in der Pubertät fällt es grundsätzlich schwer, morgens früh aufzustehen, da das Schlafhormon Melatonin im Teenageralter zwei Stunden später ausgeschüttet wird als bei Erwachsenen. Das heißt: Sie werden später müde und kommen morgens (bzw. mittags) nicht aus dem Bett. Eine simple Erklärung, von der leider noch zu wenige Eltern wissen.

Du bist ja nicht nur Erziehungsexperte aus der Pädagogik, sondern auch ein Emotionskenner und Seelen- und Alltagsleser deswegen wirst du auch solche Situationen kennen: Wenn ich als Mutter oder Vater mal so richtig aus der Hose fahre, einen perfekten RTL 2-Moment hinlege, wie komme ich gut aus der Nummer wieder raus?

Matthias Jung
Matthias Jung. Foto: Dominik Rößler

Man glaubt es kaum: Eltern sind auch nur Menschen. Wir sind keine bedürfnisorientierten Vollautomaten, die unseren Kindern Milchschaum um die Münder schmieren. Es gelingt nicht immer alles. Wir kritisieren nie die Persönlichkeit, nur das Verhalten. Außerdem: Mir ist das „Danach“ zwischen Elternteil und Kind wichtig. „Heute Morgen bin ich sehr laut geworden. Das hat dich erschreckt, mich auch ein bisschen. Aber wir mussten schnell zum Arzt!“ So wird das Kind gehört und gesehen. Ein kleines Feedback-Gespräch. Dann menschelt es in den Familien. Keine Sorge: Ihr macht das goldrichtig. Seid bitte weiterhin keine Bilderbucheltern, seid Wimmelbucheltern.

Du schreibst dein neues Buch für Eltern, die die Phase voll haben, was genau meinst du damit?

Es ist oft für uns Eltern ein Leben, eine Erlebnisreise in Übergängen und „immer der Phase nach“. Was mir wichtig ist: dass wir Eltern gnädig mit uns sind und bleiben. Wir machen jeden Tag alles zum ersten Mal. In jeder Phase. Auch bei weiteren Kindern.

Eine Bedienung im Café meinte letztens zu mir: „Heute ist mein erster Tag“. Sie zeigte mir unsicher eine Gutschein-Karte und stammelte selbstbewusst: „Wenn Sie 10 Kaffee trinken. Ähm, dann bekommen Sie den elften zum Preis von einem!“ Das ist ein Schnäppchen. Und für uns ein Zeichen gnädig mit uns zu sein, Situationen anzunehmen. So ist das als Eltern: Wir dürfen stolz wie Oskar sein, bekommen aber keinen. Annehmenkönnen ist die Königsdisziplin des Elternseins. Wir sind keine perfekten Eltern. Aber wenn wir das begreifen, werden uns unserer Kinder spiegeln, dass wir sehr nah dran waren.

Wie komm ich denn als Elternteil smooth durch die Trotzphase ohne meine Nerven zu verlieren? Stichwort: Ich wollte mein Toast aber rund, nicht eckig?

Das ist schwierig, denn hier fällt es nicht leicht, authentisch zu sein. Es fällt mir hier schwer, mitfühlend zu sagen: „Das ist echt traurig. Ich denke auch, dass eckig keine gute Idee war. Aber keine Sorge: Es wird auch noch runde Toasts in deinem Leben geben!“ Schwierig zu begleiten: Golden Toast mit düsterer Stimmung. 

Parallel können wir das auch gerne abfeiern: Die Trotz (dem lieb) Phase – die erste Unabhängigkeitserklärung unseres Kindes. Wir lernen unsere Kinder kennen, und unser Kind sich selbst. Wir sind live dabei, wir tragen das VIP Bändchen. Es ist ein Lebensrecht unserer Kinder, ihre Meinungen, Haltungen und Bedürfnisse zu formulieren. Auch zu einem simplen Toast. Denn sind wir ehrlich: Gerade die Gefühle zu bestimmten Themen machen unser Kind letztlich einzigartig. Es erlangt ein „Standing“ und weiß nun, dass es gehört werden darf.

Richtig: Es wird trotzdem für uns Eltern oft anstrengend. Perspektivwechsel sind schwierig (unser Kind denkt immer, wir könnten Gedanken lesen und alles wissen), ebenso Selbstregulation und Impulskontrolle (in der Hirnregion sind noch die Rollladen unter, dafür hat der emotionale Part schon geöffnet und feuert Gefühle). Also äußerst schwere Grundvoraussetzungen. 

Wir achten bei solch einem Sturm erstmal auf uns. Dann sind wir für das Kind da. Die Hirnforschung beruhigt uns: „Je ruhiger wir beim Wutanfall bleiben, desto ruhiger wird unser Kind!“ Na, immerhin. Achtet auf euch. Schaut immer wieder, dass es euch Eltern gut geht, denn nur so geht es euren Kindern gut. Sucht euch Inseln, nehmt eure Bedürfnisse an und wahr. Wir haben für uns das alleinige Sorgerecht.

So ein Satz wie „Das hat mir heute gut getan“ kann Wunder wirken, wenn wir mit unserer besten Freundin ein Glas Wein getrunken haben. Und außerdem parallel zu wissen: „Ich bin gut genug, auch wenn ich heute ein Scheißtag hatte!“ Erziehung ist manchmal auch ein bisschen „Dabei sein ist alles“ und ein „Ich habe mal nichts vorbereitet“.

Und was verstehst du unter der so genannten Wackelzahnpubertät?

Den Begriff „Wackelzahnzeit“ mag ich etwas lieber, da Pubertät immer mit Hormonen zu tun hat. Diese Zeit beginnt oft schon mit fünf Jahren und hat mit dem anstehendem Schuleintritt zu tun. Die soziale Rolle als „Kitakind“ ist bekannt, aber das Kind weiß nicht, was es in der Schule erwartet. Es wird unsicher, ihm brennen die „Sicherheiten“ durch und es vergewissert sich ständig bei den Eltern, ob es weiterhin mit ihnen rechnen kann. Dies führt auch oft zu sehr irrationalen Wutanfällen.

Mein Rat: So wenig Bohei um das Thema „Schule“ machen, wie es geht. Den „Ernst des Lebens“ sehe ich hier nur auf meinem Konto, da Schulranzen unfassbar viel Geld kosten. Ansonsten ist es ein weiterer Lebensabschnitt, den mein Kind sehr gerne ohne Druck, sondern stets mit Spaß und Freude am Lernen begegnen sollte. Es mag eine Leistungsgesellschaft geben, aber es gibt keine Leistungskindheit. Die Noten entscheiden nicht über die Zukunft, sondern unsere Kinder entscheiden über ihre Zukunft. Und by the way: Abschlüsse kann man jederzeit im Leben nachholen. 

Du coachst ja Familien, was sind derzeit die häufigsten Probleme? Der Jugend wird ja oft Lebensuntüchtigkeit nachgesagt, was kannst du Positives über sie berichten?

Ich finde Jugendliche großartig. Ihr Denken ist oft noch sehr authentisch und lebendig, und durch die Gesellschaft noch nicht vorbelastet. Sie sind der Motor jeder Gesellschaft. Nur durch junge Menschen bewegt sich etwas. Während wir Erwachsenen oft am Freitag nur aufs wohlverdiente Wochenende warten, denken die jungen Menschen an die Zukunft und gehen auf die Straße – mit „Fridays for future!“ 

Da das Belohnungszentrum in der Pubertät auch von Baumaßnahmen betroffen ist, brauchen Teenager immer mehr Kicks, um Gefallen für ein Thema zu entwickeln. Das Glücksgefühl, das wir bei einem Drei-Meter-Sprung im Schwimmbad entwickeln, haben unsere Teenies erst bei einem Zehn-Meter-Sprung. Sie sind dann oft träge und antriebslos. Trotzdem:  Wenn sie mal Begeisterung für eine Sache entfachen, dann kann etwas Großartiges dabei rauskommen.

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