Ihr Lieben, für Kinder fühlt sich Anderssein manchmal gar nicht so leicht an. Weil sie vielleicht nicht direkt im Sportunterricht ins Team gewählt werden oder weil bei ihnen zu Hause andere Feste gefeiert werden als bei den MitschülerInnen. Bestseller-Autor Lars Amend und seine Partnerin Anahita haben genau dazu zwei Kinderbücher geschrieben, nachdem ihre Tochter zur Welt kam: Weil ich anders bin und Weil ich wichtig bin. Die beiden geben hier Einblicke in ihr eigenes Anderssein, mit dem sich viele werden identifizieren können.
Lieber Lars, anders sein ist ganz normal, das ist die Botschaft eures Kinderbuchs. Bist du auch anders und wenn ja, inwiefern?
Lars: Ich war schon immer ein Einzelgänger. Als Kind bin ich stundenlang alleine Skateboard gefahren oder habe mir den Kopfhörer aufgezogen und bin in der Musik versunken. Mich mit meinen eigenen verrückten und bunten Gedanken zu beschäftigen, war schon immer meine Tür zu dieser ganz besonderen Welt voller Fantasie, Kreativität und schier unendlichen Möglichkeiten. Ich bin einfach ein Träumer.
Während meine Freunde auf Partys gegangen sind, habe ich mir vorgestellt, was für ein Leben ich nach der Schule wohl leben werde. Tief in mir habe ich gespürt, dass der „normale Weg“, also der Weg, den die meisten gehen, nichts für mich ist. Deswegen habe ich auch meine Koffer gepackt und bin nach dem Abitur sofort nach London gegangen. Einfach so. Das Leben leben. Erfahrungen sammeln. Herausfinden, wer ich bin und wer ich sein kann. Diese Neugierde ist mir zum Glück erhalten geblieben.
Geht es dir, liebe Anahita ähnlich? Bist du auch anders in gewisser Weise?
Anahita: Mein Leben lang spüre ich, dass ich verdammt viel fühle. So richtig intensiv und viel. Da bin ich definitiv anders als die meisten Menschen, die mit den Schultern zucken und sagen: „Ist doch nicht so wichtig.“ Davon mal abgesehen, fallen mir 1 Million Situationen ein, in denen ich definitiv anders war als die mich umgebenden Menschen. Sei es, dass ich mich in der Schule immer gemeldet und viele (sehr viele) Fragen gestellt habe, auf Klassenfahrten ins Museum statt Shoppen gegangen bin (alleine!) oder vor dem Einschlafen immer die Fotos meiner Pferde geküsst habe.
Ich sage oft zu meiner besten Kindheitsfreundin: „Wieso hast du denn nie etwas gesagt, wenn ich mal wieder eine Kuss-Zeremonie mit Pferdebildern abgehalten habe oder mein Bett immer auf die gleiche merkwürdige Art glatt gestrichen habe usw.?“ Sie hat mich wirklich nie für mein Anderssein verurteilt. Ich hatte das RIESEN Glück, dass der Monk in mir leben durfte und darf und ich nicht für mein Anderssein verschmäht wurde und werde. Und wenn doch, bin ich mittlerweile stark genug, für mich und mein Anderssein einzustehen.
Und ich bin überzeugt, dass jedes Kind, jeder Mensch, seinen inneren Monk hat. Dinge, die einfach in der eigenen Welt anders empfunden und gelebt werden. Nur nicht jeder Mensch hat den Mut, das laut aussprechen oder ausleben zu dürfen. Wie schön und bunt und gnädig wäre eine Welt, in der es Ziel ist, sich selbst zu kennen und anzunehmen, wie man ist?
Alles, was anders ist, begegnen Kinder erstmal skeptisch. Zum Beispiel, wenn sie etwas Neues auf den Teller bekommen. Wie können wir den Mut, das Anderssein zu begrüßen, bei den Kleinsten bestärken?
Anahita: Indem wir es vorleben. Nichts überträgt sich mehr auf Kinder, als wenn wir vorleben, dass wir wissen, was wir wie machen wollen, warum wir es so machen wollen und es dann auch so machen. Ein Beispiel: Ich LIEBE auffällige (manche würden sagen kitschige) Kleider, mit Orientmustern, gerne in pink, lila, Rüschchen und allem drum und dran. Für manche ist es wahnsinnig schön. Andere hingegen denken, es ist die Gardine ihrer Großmutter. Es hat 33 Jahre meines Lebens gebraucht, dass ich anziehe, was MIR gefällt. Dass ich in Kauf nehme, damit auch mal aufzufallen. Und während ich es trage, mich nicht in die letzte Ecke des Raumes wünsche, sondern mitten im Raum stehe, erhobenen Hauptes.
Ich wollte als Kind immer ganz unbedingt genau so sein wie meine Klassenkameradinnen. Das ging dann so weit, dass meine Eltern einen Weihnachtsbaum schmücken und Osternester richten mussten usw. Ich wollte auf die Frage: „Und wie feiert ihr Weihnachten (Ostern…)?“ ganz unbedingt eine Antwort haben. Da ich nicht schwindeln konnte und wollte, wurde das Anderssein meiner Familie (die viele Feste feiert, aber Ostern gehörte damals also wirklich nicht dazu) von mir überhaupt nicht begrüßt, sondern ich habe versucht, uns zu assimilieren. Das war für alle sehr anstrengend, glaube ich.
Meine große Schwester war überhaupt nicht so, also verlangte ich als Jüngste meinen Eltern die geballte Ladung ab. Ich glaube, mir hätte es geholfen zu sehen, dass meine Familie zwar anders ist, aber total besonders, weil sie ganz viele andere, tolle Schätze hat, die genauso schön sind. Da das alles für keinen von uns bewusst ablief und wir daher auch nicht darüber sprechen konnten, habe ich das jetzt erst herausgefunden. Mein Wunsch ist es, dass Kwiik die Frage nach dem Anderssein umlenkt und auf das Besonderssein eines jeden Menschen, einer jeden Familie schaut.
Auch viele Erwachsene haben Probleme mit Anderssein, sonst gäbe es keine Diskriminierung – meinst du, wir müssen schon in der Kindheit den Grundstein für Akzeptanz und Toleranz legen oder lässt sich das auch später noch geradebiegen?
Lars: Dazu fallen mir zwei Sätze sein: „Einen alten Hund kannst du nicht mehr erziehen“ und „Gesunde Kinder müssen später nicht repariert werden.“ Wir müssen uns als Gesellschaft um die Kinder kümmern, so früh wie möglich. Natürlich ist das eine gigantische Aufgabe, weil wir in einem System leben, das Kinder erstmal nicht fördert. Kinder gehen nicht wählen, zahlen keine Steuern, verursachen nur Kosten. Alle Berufe, die sich um die Erziehung unserer Kleinsten drehen, werden im Vergleich ausnahmslos schlecht bezahlt. Deswegen brauchen wir Bücher wie „Kwiik“, um die Kinder von innen zu stärken und sie vorbereiten auf das, was auf sie zukommt.
Anahita: „Was der kleine Mensch lernt, kann der große Mensch ganz schnell umsetzen.“ Das hat mir eine liebe Bekannte vor Kurzem gesagt, als ich ihr eine Frage bezüglich unserer Tochter gestellt habe. Ich denke, es ist nie zu spät, um etwas Neues zu lernen. Aber als Kinder lernen wir leichter, freier, unbekümmerter und nachhaltiger. Wenn wir als Kind jeden Tag hören, dass alle Seelen, egal ob Tier oder Mensch, wichtig und richtig sind, dann macht das etwas mit dem Kind, mit der Gesellschaft. Genau so ist es, wenn wir unseren Kindern jeden Tag sagen, dass manche Menschen besser sind als andere, manche Nationen, manche Geschlechter… Das dann geradezubiegen ist sehr, sehr schwer, denke ich.
Es geht auch um Selbstakzeptanz in eurem Bilderbuch. Ich habe Zwillinge, von denen einer sagt, er liebe sich selbst schon sehr und der andere eher zweifelt. Gleiche Familie, unterschiedliche Charaktere. Können wir da überhaupt Einfluss nehmen?
Lars: Wir müssen gar nicht beeinflussen, sondern lediglich begleiten, erklären und Angebote machen. Immer in der Hoffnung, dass jedes Kind sich genau das mitnimmt, was es gerade braucht. Und bei jedem Kind ist das etwas anderes.
Anahita: Ich glaube, dass jedes Kind, egal ob Zwillinge oder nicht, mit seinem eigenen Seelenplan auf die Erde kommt. Demnach beschäftigt sich jede Seele mit seinen eigenen, ganz spezifischen Themen. Meine Eltern sind z.B. Eltern, die uns immer ziemlich viel Freiraum gelassen haben. Ich habe das total genossen und wirklich selten über die Strenge geschlagen.
Meine Schwester sagt ganz klar: „Ich hätte mir ab und zu strengere Eltern gewünscht.“ Ich glaube, es gibt kein pauschales Verhalten, wie man alle Kinder gut und richtig durchs Leben begleitet. Die einzige Prämisse ist vielleicht, dass man achtsam und wachsam erzieht, immer wieder reflektiert und schaut: Das funktioniert bei diesem Kind, das wiederum nicht. Immer mit dem Ziel vor Augen, glückliche und selbstwirksame Kinder zu zufriedenen Erwachsenen zu erziehen.
Anderssein ist natürlich auch bei den Zwillingen ein Thema, sie sind eineiig, finden sich gegenseitig aber wahnsinnig unterschiedlich – das ist ja auch wichtig vermutlich, oder?
Anahita: Total! Ich glaube, dass es gerade bei Zwillingen total wichtig ist, jedem Kind seine eigenen Vorlieben, seinen eigenen Style, seine eigenen Interessen einzugestehen. Das ist aber natürlich für jeden Menschen total wichtig. Denn sonst wissen wir vielleicht, was unser Gegenüber gern mag und richten uns danach, ohne jemals erfahren zu haben, was wir selbst eigentlich gerne mögen, wie wir selbst gerne leben würden.
Euer Ziel ist es also, das Anderssein eines und einer jeden als Geschenk zu betrachten?
Lars: Ja, weil es das ist. Ein gigantisches Geschenk und riesengroßes Wunder zugleich. Mathematisch gesehen, ist es nämlich fast unmöglich, als Mensch geboren zu werden. Die Wahrscheinlichkeit beträgt 1:400 Trilliarden. Diese Zahl ist so groß, dass wir sie mit unserem Verstand nicht begreifen können. Den größten Sieg unseres Lebens haben wir also schon alle hinter uns. Das sollten wir feiern und mit der Welt teilen und nicht versuchen, unser Licht zu dimmen, um bloß nicht aufzufallen.
Anahita: Mein persönliches Ziel ist es, die Frage nach dem „Warum bist du anders?“ zu ersetzen durch die Frage „Warum bist du besonders?“. Ich glaube, wenn wir den Fokus verlagern, erübrigt es sich, dass wir ALLE ANDERS SIND, sondern es gibt Raum für Selbstakzeptanz und Selbstliebe.
In eurem Bilderbuch, das für ab 3-Jährige empfohlen wird, geht es um die kleine Ratte Kwiik, die nicht wie die anderen Schmutz und Dunkelheit mag, sondern die Sonne, das Tanzen und duftende Blumen. Wie kamt ihr darauf?
Lars: Es musste eine Ratte sein, weil sie zu den Tieren gehört, die die meisten Menschen eher eklig finden und nicht süß und kuschlig. Ratten sind eben nie die erste Wahl. Und genau damit steht Kwiik für etwas. So viele Kinder werden ausgeschlossen, weil sie nicht den Schönheitspreis gewinnen oder sofort ins Team gewählt werden, einfach nur, weil sie anders sind. Da wollten wir mit der kleinen Ratte ein Zeichen setzen. Jede Ratte und somit auch jeder Mensch ist richtig und wichtig. Der Auslöser, das Buch dann wirklich zu schreiben und es nicht nur bei einer Idee zu belassen, war die Geburt unserer Tochter. Wir haben es für sie geschrieben.
Vielleicht könnt ihr zuletzt kurz verraten: Findet Kwiik trotz des Andersseins am Ende Anschluss und schließt Freundschaften?
Anahita: Am Ende ist Kwiik glücklich: Ob mit sich oder mit anderen, das müsst ihr selbst entdecken… 🙂
Was wünscht ihr allen Kindern?
Lars: Ein liebevolles Zuhause, innen wie außen, wo sie spielen und entdecken können, sich immer gesehen fühlen und bedingungslos sein können.
Anahita: Seelenfrieden. Alle Kinder sollen gerne auf dieser Welt sein, sich sicher fühlen. Es ist ein Wunsch, der fern von allem Möglichen erscheint, wenn man sich die aktuelle Weltlage so ansieht. Und dennoch: Es muss doch möglich sein, dass wir Menschen friedlich zusammenleben können! Nur angstfreie Kinder können das ausleben, was in ihnen steckt. Daher ist das mein größter Wunsch für alle Kinder dieser Erde: Dass sie angstfrei erwachsen dürfen.
2 comments
Hm, bin auch etwas zwiegespalten. Keine zweiMenschen sind gleich in Charakter und Verhalten. Jeder hat Besonderheiten und vielleicht auch Spleens. Das finde ich normal.
Manchmal habe ich den Eindruck ,dass diese (in meinen Augen ganz normalen)
Besonderheiten fast gehypt werden und dadurch eigentlich erst in den Fokus rücken. Frage mich, ob das dann nicht eher separierend wirkt, oder mancher Spleen dadurch überbetont wird?
Jeder Jeck ist anders, und das sollte auch selbstverständlich toleriert werden. Ob man sich aber für jede „Macke“ feiern lassen muss, um sich von den „Normalen“ abzugrenzen? Da fehlt mir die Selbstverständlichkeit und auch etwas die Abgrenzung zu Allüren und Verhalten, das andere beeinträchigt (und wenn es nur ist sie leicht despektierlich als „normal“ abzustempeln)
Und das mit der Unwahrscheinlichkeitsberechnung als Mensch geboren zu werden, müsste mir bitte jemand erklären, da ist die Naturwissenschaftlerin ratlos 🙂
Ich kaue jetzt schon eine ganze Weile auf diesem Text bzw. meinem Kommentar dazu herum. Grund ist die Tatsache, dass mir im Web immer wieder Eltern unterkommen, die ihrem Kind absolut bedingungslos zu vermitteln scheinen, es sei genau richtig, so wie es ist. Selbst wenn das Kind aggressiv ist („lebhaft“, „temperamentvoll“, „Wirbelwind“) und anderen schadet, indem es ihre Besitztümer beschädigt oder sie gar körperlich verletzt. Und die dann auch noch sauer werden, wenn die anderen Eltern einschreiten, um ihre Kinder zu schützen oder den Kontakt komplett zu unterbinden.
Das krasseste Beispiel war vor einigen Jahren der Blogeintrag „Gestatten, ich bin die Mutter eines A*schlochkindes“ im Blog „grossekoepfe“. Die Autorin ging gar so weit, friedfertige Kinder als „abgerichtete Papageien“ zu bezeichnen. Die Diskussion in den Kommentaren war denkwürdig.
So ein Hinweis fehlt mir in dem Text ein wenig. Ich befürchte, dass der wieder mal Wasser auf die Mühlen solcher Eltern ist. Nein, ein Kind ist möglicherweise nicht immer „genau richtig, wie es ist“. Es ist ja alles gut, solange es wirklich nur um Geschmacksfragen, Quirkiness, introvertiert vs. extrovertiert, sexuelle Identität oder Orientierung usw. geht. Wenn aber Dritte objektiv zu Schaden kommen, muss das Kind sich mindestens teilweise ändern, und das muss ihm auch deutlich vermittelt werden. Da hilft auch die spitzfindige Unterscheidung zwischen Charakter und Verhalten nicht viel. Das Umfeld — im Zweifelsfall später der Richter — kann nämlich den Charakter nur nach dem erkennbaren Verhalten beurteilen. Mindestens da ist diese Unterscheidung eine rein semantische Spielerei.
So, sorry, das musste nun doch einfach mal raus.