Als wir an der Tür von „Hopes Angel“ in St. Augustin klingeln, steht zu unserer Linken ein kleines offenes Regal mit einer Flasche Cola, einer Flasche Wasser, mit Saltletts und kleinen Geschenktütchen mit „Danke von Herzen“-Anhängern dran. Darüber steht ein Schild: DANKE an unsere wunderbaren Paket-Boten und -Botinnen. Bitte nehmen Sie sich gern eine Kleinigkeit zur Stärkung mit“.
Genau das ist die Grundstimmung dieses Hauses, die hier durch jede Ritze wabert: Das hier ist ein Ort der Aufmerksamkeit, ein Ort des Gesehenwerdens, ein Ort der Liebe – und ja auch der Trauer. Denn Birgit Rutz hat hier mit Hope´s Angel etwas aufgebaut, dass im deutschsprachigen Raum einmalig ist:
Hopes Angel: Begleitung und Hilfe für Eltern
Eine Begleitung und Hilfe für Eltern bei Fehlgeburt, stiller Geburt, Schwangerschaftsabbruch und Neugeborenentod. Eine Anlaufstelle für Familien und Fachkräfte beim Tod des Kindes in der Schwangerschaft und um den Geburtszeitraum herum sowie bei pränatal-medizinischer Diagnose. Ein Platz für Mut und Hoffnung mitten in der Tragödie.
Meine Trauerbegleitungs-Kollegin Golli, mit der zusammen ich das Trostteam gegründet habe, sind zusammen hier, um uns mal anzuschauen, wie groß so ein Zentrum für die Begleitung in Trauerfällen sein kann. Wie es funktioniert und aufgebaut ist. Es geht um Austausch und Vernetzung. Und wir, die noch am Anfang unserer Arbeit stehen, können hier so viel lernen.
Wir treffen uns vor einer Wand mit Hunderten von bunten Schmetterlingen. An ihnen stehen Namen wie Jonah, Lilliana, Leif und Lia. Sie alle haben das Leben ihrer Eltern maßgeblich verändert, sie alle waren nur kurz Teil ihres Lebens und werden trotzdem für immer unvergessen sein. Hier dürfen ihre Namen stehen, hier ist Platz für Erinnerung und Gedenken.
Im Nebenraum werden „Schiffchen“ in den verschiedensten Größten gelagert. Schiffchen, das sind ovale hölzerne Kistchen mit Stoffeinsatz, in denen die Kleinen bestattet werden können. Denn bei Hopes Angel geht es nicht nur um eine gute Begleitung durch stille Geburten oder den Schock davor oder die Trauer danach: Hier gibt es auch Kleidung für Kinder, die schon vor der 10. Schwangerschaftswoche verstorben sind, Ehrenamtliche nähen Kleidung für die Allerkleinsten.
In diesem Raum werden aber auch die Erinnerungskisten verpackt, die spendenfinanziert sind und an Familien nach ihrem Verlust verschickt werden. Auf der Box steht: Die Liebe bleibt. Innen drin findet man Herz-Seifenblasen, ein Armband mit der Aufschrift „Papa“, eine Kerze, ein Trosttee, einige Flyer und Taschentücher mit Herzen in Regenbogenfarben.
Birgit Rutz lebt für all das hier, sie hat zwei lebende Kinder und fünf, die nicht lebend das Licht der Welt erblickten. Sie bildet Begleiterinnen aus, hält den Kontakt zur Politik, schreibt Bücher, begleitet Geburten, berät Familien, hostet die Website, spricht im Podcast, lässt Flyer in möglichst viele Sprachen übersetzen, berät Klinikpersonal, leistet Aufklärungsarbeit.
„Jede Frau, die einmal schwanger war, darf sich Mutter nennen“, sagt sie. Und auch der Papa wird immer Papa bleiben. Sie schaut, dass auch die Geschwisterkinder das verstorbene Baby sehen und kennenlernen dürfen, sorgt dafür, dass in der wenigen Zeit, die die Familien miteinander haben, Erinnerungen wie Fotos geschaffen werden. „So ein Kind wird für immer Teil der Biografie aller Beteiligten bleiben“, sagt Birgit.
Wir versuchen, schöne Umschreibungen zu finden wie Sternenkinder, Schmetterlingskinder, Engel, stille Geburt. Wir können aber auch von Kindern sprechen, die gestorben sind. Denn genau das sind sie, sagt Birgit. Und: Eine Frau, die einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hält, ist ab da innerlich auf Baby eingestellt. Sie sagt doch nicht: „Schatz, schau mal, in mir teilen sich ein paar Zellen“. Ihr Wunsch ist es, dass wir alle in unserer Gesellschaft die Herzen für diese Kinder und Familien öffnen.
Selbst der Begriff der werdenden Eltern stünde da extrem im Wege. Du wirst nicht, du BIST Eltern. Wir können dann doch nicht, wenn das Herzchen des Babys im Bauch nicht mehr schlägt, einfach emotional wieder auf „Schwangerschaftsmaterial“ umswitchen.
Für die Gesellschaft ist es aber schwer zu verstehen, dass man um einen Menschen, den man NOCH gar nicht gekannt hat, so intensiv trauern kann. Aber ist nicht genau das auch so traurig? Dass ich vielleicht nie die Chance hatte, mein Kind kennenzulernen? Dass wir niemals seine Stimme hören werden? Niemals erfahren, was sein Lieblingsessen gewesen wäre, womit es am liebsten gespielt hätte?
Hoffnung, Vorfreude Zukunftsvision – würden zerstört. Ein tiefer Schmerz, den viele so nicht kennen. Und dann kämen Arzt, Nachbar oder wer auch immer und sagen: „Hey, das war doch noch nichts. Sie sind doch noch jung, können es nochmal versuchen.“ Oder „Sei dankbar, du hast du schon zwei lebende Kinder“. Oder: „Vielleicht war´s besser so“. Ich wollte aber doch dieses Kind!
Wenn wir von Kindern und Familien sprechen würden, glaubt Birgit, wäre es wahrscheinlicher, dass die anderen sagen: „Puh, das muss furchtbar sein, was du grad durchmachst. Es tut mir so leid.“ Es würde Mutterschutz auch nach frühen Todesfällen im Mutterleib geben und es gäbe würdige Bestattungen und keine anonymen Sammelbeisetzungen mehr nach ein paar Monaten.
Und bis all das soweit ist, wird Birgit weitermachen, davon sind wir überzeugt. Diese Frau hat ihre Berufung gefunden, sie weiß, für wen sie all das tut und die Dankesbriefe und Geschenkchen, die sie erreichen, bestätigen es: Familien mit frühen Verlusten brauchen sie. Es ist noch so viel zu tun. Das wird sie so nicht stehenlassen und unermüdlich weitermachen. Für Familien. Für die Liebe.
2 comments
Das Angebot von Birgit Rutz ist so wichtig und war mir vor 5 Jahren auch ein großer Trost in schweren Tagen.
Vielen Dank für das Engagement. Wir durften unsere kleine Tochter bei uns auf dem Friedhof beisetzen, was für uns als Familie sehr wichtig war.
Die Aussagen der Ärzte, man sei noch jung, es klappe bestimmt, trösten vielleicht für den Moment, können aber auch ganz schön unter Druck setzen und für Verzweiflung sorgen. Mein Herzenswunsch nach einer Tochter hat lange angehalten und es klappte eben nicht. Mindestens drei/viermal war ich eine Woche „überfällig“, zum Teil mit Schwangerschaftssymptomen, bis ich doch wieder blutete. Die Schwangerschaftstests habe ich mir verkniffen, weil ich mich bei einem positiven Ergebnis als werdende Mutter gesehen hätte und nicht jedes Mal trauern wollte, wenn es doch nicht halten sollte. Erst nach zwei Jahren, als ich heulend den Wunsch aufgegeben hatte, wurde ich doch noch schwanger mit einem gesunden Mädchen. Sie entstand genau zwei Jahre nachdem ihre Schwester starb und hat viel dazu beigetragen, dass es uns wieder gut geht und wir den Verlust mittlerweile verarbeitet haben. Und trotzdem gibt es Momente, wo wir trauern und es immer noch schwer ist.
Liebe Grüße
C.
Das ist ein tolles Angebot und ich bin sehr dankbar dass es Menschen gibt, die mit so viel Herzblut Menschen beistehen, die gerade durch die Hölle gehen.
Eine Anmerkung möchte ich wagen: Die üblichen „Sprüche“, das war doch noch kein Kind, beim nächsten Mal klappt es bestimmt!, Du hast doch zwei gesunde Kinder-sei dankbar… diese Sprüche können verletzend sein. Sie sind aber sicher nie verletzend gemeint und können tatsächlich auch helfen.
Als ich ein Kind verloren habe, fand ich es sehr tröstlich zu wissen, dass das normal ist, dass es häufig passiert, dass es ein gutes Zeichen ist, dass ich überhaupt schwanger geworden war. Das war zwar alles sehr nüchtern, aber für mich genau richtig so. Und mir hat auch der Blick in die Zukunft geholfen. Als der uralte Gynäkologe im Krankenhaus, wo ich tränenüberströmt auf den Ultraschall gewartet habe, ganz ruhig gesagt hat „beim nächsten Mal klappt’s“, da hab ich ihm das genauso geglaubt und genauso war es auch.