Ihr Lieben, in manchen Situationen mit Teenagern denken wir: Okayyyy, jetzt weiß ich, wofür ich die Atmung im Geburtsvorbereitungskurs gelernt habe. Ein- und gaaaaanz feste ausatmen…. Ihr wisst, wovon ich spreche, oder? Von Extremsituationen wie Alkoholvergiftung oder Autounfall.
Von dem Moment, in dem ich mein Kind zum ersten Mal E-Zigarette qualmen sehe. Oder ich es über Stunden nicht erreiche, der Handy-Standort aber einen dunklen Park anzeigt. Die Vorstellung des Dorf-Oberprolls als den neuen Lover an der Seite deiner Tochter. Der Anruf vom Rettungswagen, dass beim Sohnemann leider der Magen ausgepumpt werden muss oder der erste kleine Unfall mit Papis Auto.
Ein eigenes Parallel-Universum von Heranwachsenden
Und das passiert. Wer sich mit Eltern von Heranwachsenden unterhält, erfährt die erstaunlichsten Dinge aus Welten, die wir uns kaum vorstellen können, wie ein eigenes Universum. Ich hab ja hier schon mal über Kicks aus Sahnekapseln, Snooze als Aufputschmittel oder über den Vollrausch durch Wodka-Tampons geschrieben. Der Wahnsinn!
Ich will jetzt trotzdem nicht nur bei schrecklich angstmachenden Dingen bleiben, die in diesem Paralleluniversum existieren. Es gibt auch abenteuerliche Club-Abholaktionen von Eltern. Ich erinnere mich gern an eine Nacht, in der 16er-Party im Boothaus, einem Club in Köln war.
Das Bootshaus liegt ziemlich abgeschieden auf der rechten Rheinseite und man fährt viele industriegebietige Kurven, bis man dort ist. Dadurch, dass die 16er-Partys um 0 Uhr endeten, fuhren wir Eltern-Taxis also Kolonne hin zum Club-Parkplatz.
Und auch das wieder: Eine Welt für sich, wenn man dann parkt, das Fenster runterkurbelt und mit anderen (manchmal sexy augenkniependen, weil sie selbst ja noch was abgreifen wollen und noch gefühlt flirtig jung sind, arrrgh) Eltern einen auf Brüderschaft macht: Tja, früher gingen wir hier noch selbst feiern, heute bleiben wir für die Jugend nüchtern, höhö, LOL.
Da kommen dann die Jugendlichen alle gleichzeitig rausgeströmt, die ihre erste richtige Clubnacht hinter sich haben. Oberkörperfreie Jungs, wild Knutschende, weinende Mädels mit den Schuhen in der Hand, verschwitzte Langhaarfrisuren, gepiercte Nabel, euphorische Umarmungen. Besser als jede Theaterstück…
Aber ich komme vom Thema ab, ich wollte einfach auch nochmal einen witzigen Einblick geben, bevor es ans Eingemachte zurückgeht. Wenn die Jugend also ihr eigenes Ding durchzieht und wir absolut nicht einverstanden sind mit dem, was passiert, wenn wir geschockt sind, dann setzt unser Körper viel Energie frei.
Wenn unsere Jugendlichen zum ersten Mal richtig Scheiße bauen
Das sind noch Überbleibsel aus Urzeiten, dass unsere Körper, wenn Gefahr droht, viiiiel Energie freisetzen. Wenn der Säbelzahntiger angreift, brauche ich so wenig Ballast wie möglich, um fliehen zu können – deswegen übergeben sich einige bei schlechten Nachrichten oder bekommen Durchfall, wenn sie aufgeregt sind. Das sind alles Fluchtreflexe, der Körper wirft Ballast ab, um schneller fliehen zu können, das steckt einfach in uns drin (daher kommt auch der Begriff „Schiss in der Bux“ übrigens).
Diese Reflexe sorgen aber auch dafür, dass wir in schwierigen Situationen erstmal gut FUNKTIONIEREN können. Ihr kennt das vielleicht selbst alle – auch mit kleineren Kindern. Wenn unser Liebling schwer stürzt, greifen wir instinktiv zu Krankenkassenkarte, zu Schlüssel, zu Portmonnaie, zu Wasserflasche und fahren dann auf schnellstem Wege ins Krankenhaus.
Erst, wenn die Gefahr vorüber ist, sacken wir zitternd in uns zusammen und lassen den Tränen freien Lauf. So funktioniert unser Nervensystem. Und das reagiert eben auch, wenn unsere jugendlichen Kinder zum ersten Mal richtig Scheiße bauen.
Und da möchte ich gern mal das Lavia Lebens- und Trauermodell zurate ziehen, an dem ich in meiner Ausbildung gelernt habe und auf dem verschiedene Aufgaben durchlaufen werden, einfach um euch zu erklären, warum ihr in akuten Stresssituationen mit euren Kids reagiert wie ihr reagiert. Zunächst einmal steht da das Funktionieren. Das ist der Modus, von dem ich oben schon erzählte, er ist überlebenswichtig, weil wir ja auf das grad Erfahrene erstmal reagieren müssen.
Mein Kind hat eine Alkoholvergiftung?
Mein Kind hat eine Alkoholvergiftung? Wo ist es, in welche Klinik geht´s? Kann ich selbst hinfahren und wenn ja, ist mein Tank voll? Kann ich nicht selbst fahren, wer kann mich bringen? Etc. Nach dem Funktionieren kommen aber weitere Aufgaben hinzu. Da ist etwa das Begreifen. OMG, das passiert hier gerade wirklich, ich kann es nicht glauben.
Da sind aber auch Aufgaben wie das Akzeptieren (wow, das war richtig schlimm, aber ich war ja auch mal jung und das war dem Kind jetzt hoffentlich eine Lehre) und das Fühlen. Denn natürlich ist das eine emotionale Achterbahnfahrt für uns, wenn wir so etwas zum ersten Mal erleben. Wenn unsere Schützlinge, die wie so gehegt und gepflegt und gehegt haben, plötzlich ihre Gesundheit riskieren, such wegsaufen oder nach einer bescheuerten TikTok-Challenge ohnmächtig umfallen.
Aber wenn wir ein bisschen wissen, wieso wir so reagieren, wie wir reagieren, können wir vielleicht selbst handlungsfähiger bleiben. Natürlich dürfen wir uns ärgern und aufregen, aber das Fass darf einen Boden haben, der uns dann irgendwann mit etwas Abstand sagt: Zum Glück ist diesmal alles nochmal halbwegs gut ausgegangen…
Und wer das alles noch nicht erlebt hat, der klopfe auf Holz. Was ich hiermit gern tue, weil wir persönlich zum Glück noch verschont geblieben sind. Aber es ist ja nie schlecht, sich zumindest theoretisch für den Fall der Fälle zu wappnen und sich bereits im Vorhinein ein bisschen zu beruhigen, oder?!
1 comment
Sehr guter Artikel. Wir sind auch bisher noch verschont geblieben und ich hoffe das bleibt noch lange so ( nie kann man ja nicht schreiben….die Kids müssen meiner Meinung nach auch Erfahrungen machen)