Assistenzhund: Eine Begleitung für meine Tochter mit PTBS

Assistenzhund

Ihr Lieben, seit über 30 Jahren bildet Isabell Riedling Hunde aus. Angefangen hat sie mit zwei Tieren. Da wusste sie noch nicht, dass ihre Familie selbst einmal einen Assistenzhund brauchen würde… Seit einem schweren Kita-Unfall ihrer Tochter und einer darauf folgenden generalisierten PTBS (posttraumatischen Belastungsstörung) hat diese nämlich auch einen süßen tierischen Assistenten. Und seit dem Vorfall bildet Isabell eben auch Therapiehunde und Assistenzhunde aus – und kann damit vielen Familien und Menschen helfen.

Schwerer Unfall in der Kita

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Es ist achteinhalb Jahre her, als Isabells Tochter 2016 einen schweren Unfall in der Kita hatte. Eine Erzieherin hatte in der Gruppe Geburtstag gefeiert, es wurde gesungen, auf ihrem Kuchen brannten Kerzen. Wie es schließlich zu dem Vorfall kam, konnte nie endgültig geklärt werden, aber irgendwann stand das Kleid von Isas Tochter in Flammen. Sie war viereinhalb Jahre alt zu diesem Zeitpunkt.

Das Feuer wanderte von unten nach oben das Kleid hinauf, zum Glück hatte sie ein Unterhemd drunter getragen. Auch ihre Flechtzöpfe retteten sie, denn wenn das Feuer das Haar erreicht hätte, wäre es noch viel schlimmer ausgegangen. Isabell selbst war an diesem Vormittag durch Zufall in der Kita – wegen einer Elternratssitzung. Sie hörte irgendwann Schreie. Schmerzen. Todesangst.

Nach dem Brandunfall lief vieles schief

Ab hier lief leider relativ viel relativ falsch. Die anwesenden Personen – selbst im Schock – versuchten, das Kind mit Bechern, in denen Apfelschorle enthalten war, zu „löschen“ (eine Decke drüberzuwerfen wäre deutlich besser gewesen). Schließlich hatten sie ihr das brennende Kleid über den Kopf gezogen, so dass das Feuer auch mit den Haaren in Kontakt kam – die, wie gesagt, zum Glück geflochten waren, so dass nur die obersten Haare leicht versengt waren.

Isabell fuhr ihre Tochter in all der Panik selbst. Erst nach Hause, wo sie ihr Schmerzmittel gab, um dann weiter in die Klinik zu fahren. Hier mussten sie viel zu lange warten, weil sie nicht mit dem Krankenwagen kam und niemand auf den ersten Blick das Ausmaß der Katastrophe erfasste.

Drei Wochen Krankenhaus folgten, fünf Tage Intensivstation – sediert, damit sie die Schmerzen nicht zu sehr spürt. Die Achselhöhle und der Arm (außen) wiesen Verbrennungen dritten Grades auf. Fünf Operationen folgten – auch eine Hauttransplantation vom Kopf, sodass die Haare komplett ab mussten. Isabell selbst zog ins Ronald McDonald-Haus, um vor Ort und in der Nähe bleiben zu können.

PTBS: Von den Folgen des Unfalls

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Isabells Tochter war bis dahin ein fröhliches, lustiges, lockiges, blondes Mädchen gewesen. Durch den Unfall wurde sie schlagartig groß. Nach dem Klinikaufenthalt trug sie ein Chemo-Mützchen, um ihre fehlenden Haare zu verdecken, die Menschen reagierten zum Teil mitleidig im Supermarkt. „Armes Kind“ – und schenkten ihr Lutscher. Isabell hatte das Gefühl, im falschen Film zu sein.

Und so groß ihre Tochter auf einen Schlag geworden war, so entwickelte sie nach und nach Spleens. Fiel zurück ins Kleinkindalter vor dem Unfall, wickelte Klopapierrollen komplett ab – und überall gab es Trigger, die sie zurück in die Situation katapultierten.

Die Kita tat alles, um ihr den Aufenthalt dort wieder zu ermöglich zu machen, renovierte sogar aber ihr Leben wurde nicht mehr das Alte. Sie verlor alle Freunde und Freundinnen. Die Kitakinder waren zum Teol ebenfalls traumatisiert und reagierten ihr gegenüber sehr abweisend, da sie für all die anderen Kinder ein Trigger war.

Die Kinder erzählten, wenn sie in der Kita war: „Die stinkt immer so nach Feuer und Rauch“. Oder „Die schreit so laut“. Manche Kinder konnten dann tagelang nicht schlafen. Zuletzt wurde uns von den Eltern nahegelegt, dass unsere Tochter besser in eine andere Kita gehen sollte, da es vielen Kindern nach jedem Kontakt mit ihr schlecht ging.  Aber es gab gleichzeitig Erstaunliches zu beobachten.

Assistenzhund: Der Weg zurück ins Leben

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„Seit meine Tochter aus der Klinik zurück war, wich ihr unser Hund nicht mehr von der Seite“, erzählt Isabell. Weder beim Schimpfen, noch beim Lachen oder Weinen. Und das geht bis heute so! Der Hund begleitet sie nach wie vor und schläft sogar bei ihr im Bett. Es ist unsere Deutsch Langhaar Hündin Kahleesi. Da sie zur Mitnahme in die Schule zu groß und zu schwer ist, haben wir einen weiteren Hund für sie als Assistenzhündin ausgebildet.

Es ist Blue, eine Mini American Shepherd Hündin, die mittlerweile sogar offiziell als Assistenzhund registriert ist und den sie sogar an einigen Tagen in der Woche mit in ihre Waldorfschule, die tiergestütztes Arbeiten unterstützt und ein Schulhundkonzept lebt, nehmen darf. „Allein die Gewissheit, Blue mitnehmen zu können, beruhigt sie“, erzählt ihre Mutter. Wenn sie etwa einen Vortrag hält, liegt ihr Hund unten zu ihren Füßen und beruhigt sie.

Begleithunde als Wegbegleiter

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Vielen jungen Menschen, die von Hunden begleitet werden, deren Ausbildung von Isabell angeleitet wurden, geht es so. Viele haben durch ihre Erkrankungen Schwierigkeiten in guten Kontakt mit (ihnen nicht bekannten) Menschen zu kommen. Der Hund beruhigt dann nicht nur, sondern ist auch Partner, Eisbrecher, Brückenbauer, Begleiter, Freund.

So ein Hund bringt aber auch Verantwortung mit sich, die Kinder dürfen sich verantwortlich für ihre Fellnase fühlen. Dies stärkt das Autonomieverhalten, die Kids bleiben meist im „Hier und Jetzt“, können selbstbestimmend agieren, ohne Begleitung Erwachsener. Der Umgang mit dem Assistenzhund führt zu einem geregelten Tagesablauf. Viele verlassen sonst das Haus gar nicht mehr, ein Hund muss aber mehrmals am Tag raus. Dazu kommt: Hunde sind gute Zuhörer, werten und beschweren sich nicht, sorgen für Oxytocin-Ausschüttungen und erzeugen dadurch Glücksgefühle.

Durch den Schicksalsschlag die Berufung gefunden

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Jeder Schicksalsschlag hat auch was Gutes, findet sie. Durch den Unfall ihrer Tochter hat sie ihre Berufung gefunden. Sie hat die aufwendige Ausbildung zum Therapie- und Assistenzhunde-Trainer beim Deutschen Berufsverband für Therapie und Behindertenbegleithunde absolviert. Durch die PSB-Hunde (Psychosoziale Beeinträchtigung) steht sie so viel in Kontakt mit jungen Erwachsenen und Eltern, die sich vor Dankbarkeit überschlagen, wenn ihr Kind sich nach acht Jahren etwa zum ersten Mal wieder allein in den Supermarkt getraut hat.

Ihre Hunde werden so trainiert, dass sie je nach Bedarf durch Panikattacken begleiten können, dass sie bei einem dissoziativen Krampfanfall Menschen durchs Gesicht lecken, damit sie nicht ganz so tief abdriften. Assistenzhunde sind durchaus in der Lage, Lichtschalter an- und auszuschalten, Türen zu öffnen, ein Handy zu bringen, in der Stadt eine Bank zu suchen oder auch ihren Menschen sicher nach Hause zu bringen.

Mit ca. anderthalb bis zwei Jahren sind die von Isabell begleiteten Assistenzhunde-Teams einsatzbereit. Damit ist der Job für Isabell aber noch längst nicht erledigt. Sie steht während der gesamten Assistenzhund-Zeit eines Teams auf Abruf bereit, falls Probleme auftauchen oder zusätzliche Assistenzleistungen erbracht werden sollen.

Und ihre Tochter? Die hat mittlerweile sogar einen dritten Hund, damit sie nicht irgendwann allein dasteht. Für sie und ihre Mutter bedeutet die Arbeit mit den Hunden und Familien nämlich vor allem eins: Glück.

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1 comment

  1. Danke fürs Teilen eurer Geschichte. Mein Sohn hatte vor ein paar Monaten eine Verbrühung und auch da ist es nicht leicht, das Geschehene zu verarbeiten und die Folgen zu akzeptieren. Zum Glück (bisher) nur für mich, er ist unbekümmert (aber auch noch sehr klein). Habe einiges wiedererkannt und danke dir für den Mut, schwieriges zu teilen. Alles Gute euch!!

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